Parlamentskorrespondenz Nr. 476 vom 12.06.2012

Bundesrat: Subsidiaritätsrüge gegen Statistikverordnung

EU-Ausschuss begrüßt Programm Erasmus für alle

Wien (PK) – Große Bedenken äußerten heute die Mitglieder des EU-Ausschusses des Bundesrats gegen die geplante Änderung der Verordnung über europäische Statistiken und brachten dies in Form einer Subsidiaritätsrüge, die einstimmig angenommen wurde, zum Ausdruck. Die Bundesrätinnen und Bundesräte sehen im Verordnungsentwurf nicht nur eine Unvereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip, sondern befürchten auch die Aushöhlung des Datenschutzes und der Kontrollrechte des Parlaments in Fragen der statistischen Erhebungen.

Weitere Punkte des heutigen Ausschusses betrafen die geplante Verordnung über die Ausgabe von Euro-Münzen sowie das Programm "Erasmus für alle". Zu beiden Themen wurde jeweils ein Antrag auf Mitteilung einhellig angenommen.

Kontrollversagen von Eurostat rechtfertigt in keiner Weise Eingriffsrechte der EU

Stein des Anstoßes hinsichtlich der Statistikverordnung ist die Absicht der Kommission, den LeiterInnen der nationalen statistischen Ämter (NSÄ) innerhalb ihres jeweiligen nationalen statistischen Systems die alleinige Verantwortung zu übertragen, über Prozesse, statistische Methoden, Standards und Verfahren sowie über Inhalt und Zeitplan der Veröffentlichungen für alle europäischen Statistiken entscheiden zu können. Dabei wird seitens der Bundesrätinnen und Bundesräte in keiner Weise die notwendige fachliche Unabhängigkeit  der NSÄ in Frage gestellt. Diese weitgehende Weisungsfreiheit ist auch im innerstaatlichen Bundesstatistikgesetz normiert. Einem Weisungsrecht unterliegt die "Statistik Österreich" jedoch, insoweit sie mit hoheitlichen Aufgaben betraut ist.

Mit dem vorliegenden Verordnungsvorschlag soll nun auch dieses Weisungsrecht fallen. Als gravierend bezeichnete es der Vertreter des Bundeskanzleramts, dass den LeiterInnen der NSÄ der unverzügliche und kostenlose Zugang zu sämtlichen Verwaltungsunterlagen, die für die Entwicklung, Erstellung und Verbreitung europäischer Statistiken als erforderlich betrachtet werden, eingeräumt werden soll. Damit würden die NSÄ auch befugt, in alle personenbezogenen Daten von Einzelpersonen, etwa in Gesundheitsunterlagen von Personen in Spitälern, Einsicht zu nehmen, wenn sie dies für die Statistiken als notwendig erachten. Dies widerspreche der geltenden österreichischen Rechtslage, wonach der jeweilige Bundesminister bzw. die jeweilige Bundesministerin mittels Verordnung genau festlegt, welche Daten erhoben werden dürfen und welche nicht. Das dient nicht nur der Transparenz, sondern ist auch hinsichtlich des Datenschutzes geboten, unterstrich man seitens des Bundeskanzleramts.

Als einen weiteren tiefgreifenden Einschnitt wird auch die Bestimmung gewertet, den NSÄ und Eurostat das Recht zu geben, die Normungstätigkeiten in Bezug auf die für die Erstellung von statistischen Daten relevanten Verwaltungsunterlagen zu koordinieren. Dies würde in der Praxis bedeuten, dass die "Statistik Österreich" die Koordination der Gesetzgebungsorgane und der MinisterInnen bei der Erlassung von Normen übertragen bekäme. Während die Mitglieder der Bundesregierung dem Interpellationsrecht des Parlaments unterliegen, tun dies die LeiterInnen der NSÄ nicht, warnen die Bundesrätinnen und Bundesräte eindringlich. Es lasse sich aus keiner Bestimmung des primären EU-Rechts ableiten, dass der EU die Zuständigkeit zukäme, die innere Organisation der Mitgliedstaaten zu normieren. Die Kommission habe keinerlei Begründung geliefert, warum in die Organisationsbefugnisse der Mitgliedstaaten eingegriffen werden muss, damit die unbestritten erforderliche fachliche Unabhängigkeit der NSÄ bei der Erstellung der Gemeinschaftsstatistiken in den Mitgliedstaaten sichergestellt ist. Außerdem hätten Eurostat und damit die Kommission umfangreiche Kontroll- und Einschaubefugnisse bei den NSÄ hinsichtlich der Durchführung der Gemeinschaftsstatistiken. Kontrollversagen des Eurostat in der Vergangenheit rechtfertigten keinesfalls derartige Eingriffsrechte in die innerstaatliche Organisation der Mitgliedstaaten, so die Länderkammer unmissverständlich.

In diesem Sinne nahmen die Bundesrätinnen und Bundesräte auch in der Diskussion Stellung. Man vermute nicht die "Dramatik", die hinter diesem Vorschlag steht, meinte etwa Ausschussvorsitzender Bundesrat Edgar Mayer (V/V) und wandte sich strikt gegen eine Aufweichung des Datenschutzes. Das würde eindeutig auch der EMRK widersprechen, sagte er. Bundesrat Stefan Schennach (S/W) vertrat die Auffassung, dass der Vorschlag nicht nur dem Subsidiaritätsprinzip, sondern auch dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit widerspricht. Seine Fraktion habe daher den Vorschlag für diese begründete Stellungnahme vorgelegt. Diese wurde auch von den Bundesrätinnen Cornelia Michalke (F/V) und Elisabeth Kerschbaum (G/N) unterstützt, wobei Kerschbaum die Notwendigkeit der Vergleichbarkeit der Statistiken hervorhob. Bundesrätin Michalke hielt es für erforderlich sicherzustellen, dass es in Hinkunft keine geschönten Statistiken mehr gibt. Bundesrätin Sonja Zwazl (V/N) wies aus der Sicht der Wirtschaftskammer auf den hohen bürokratischen Aufwand und die hohen Kosten hin, die den Unternehmen für die Erstellung der erforderlichen Statistiken entstehen. Eine verstärkte Nutzung von Verwaltungsdaten würde für die Wirtschaft eine Entlastung bedeuten, sagte sie.

Diskussion um 1- und 2-Cent Münzen sowie um 500 € Banknoten

Eine eingehende Diskussion über die Notwendigkeit von 500-Euro-Banknoten entbrannte dann im Ausschuss anhand des Vorschlags für die geplante Verordnung über die Ausgabe von Euro-Münzen. In einem schlussendlich einhellig angenommenen Antrag auf Mitteilung fordern die Bundesrätinnen und Bundesräte in Ergänzung des gegenständlichen Vorschlags die EU auf, neben der Studie über die Auswirkung der künftigen Ausgaben von 1- und 2-Cent Münzen auch eine Folgenabschätzung für die 500-Euro Noten vorzunehmen. Begründet wird dies mit dem Hinweis auf Untersuchungen, dass diese Noten in einigen Staaten vorwiegend als Zahlungsmittel am Schwarzmarkt und zur Geldwäsche verwendet werden.

Der 500-Euro Schein gehe an der Realität des Alltags vorbei und diene als Zahlungsmittel für die Banken. Außerdem würden von österreichischen Unternehmen diese Scheine kaum angenommen, argumentierte Bundesrat Stefan Schennach (S/W). Dem schloss sich auch Bundesrat Werner Stadler (S/O) an. Die ÖVP-BundesrätInnen Martin Preineder (V/N), Angelika Winzig (V/O) und Sonja Zwazl (V/N) befürworteten zwar den genannten Antrag, unterstrichen jedoch, dass es nicht angehe, jeden zu kriminalisieren, der mit einem 500-Euro Schein zahle. Im Gegensatz zu den Aussagen der SPÖ-Bundesräte würden KundInnen von Klein- und Mittelbetrieben durchaus oft damit bezahlen.

Ausschussvorsitzender Edgar Mayer (V/V) führte aus, es gehe bei dem Antrag in erster Linie darum, auf ein Problem aufmerksam zu machen. Man wisse, dass diese Frage nicht mit dem gegenständlichen Entwurf geregelt werden könne. Er reagierte damit auch auf den Hinweis der Vertreterin des Finanzministeriums, wonach die Ausgabe von Münzen allein den Mitgliedstaaten obliegt, die Ausgabe von Banknoten jedoch ausschließlich der EZB. Laut EZB würden 500-Euro Scheine vor allem in Krisenzeiten verwendet.

Die EU beabsichtigt im Interesse der Rechtssicherheit und der Transparenz verbindliche Bestimmungen für die Ausgabe von Euro-Münzen gesetzlich festzulegen. Derzeit gibt es für die Ausgabe von Euro-Münzen lediglich unverbindliche Empfehlungen, wodurch sich die Praktiken in den einzelnen Mitgliedstaaten unterscheiden. Der Verordnungsentwurf der Kommission legt darüber hinaus Obergrenzen für die Anzahl der Umlauf-Münzen - diese sind für den täglichen Gebrauch bestimmt - sowie für Euro-Gedenkmünzen und Sammlermünzen fest und sieht ein Konsultationsverfahren vor, das vor der Vernichtung von für den Umlauf geeigneten Euro-Münzen durchzuführen ist.

Die Kommission erarbeitet auch eine Studie über die Auswirkung der künftigen Ausgabe von 1- und 2-Cent Münzen, wobei die Kosten der Ausgabe solcher Cent-Münzen berücksichtigt werden sollen. Das Europäische Parlament tritt ferner dafür ein, dass sich die EZB sowie die Kommission auch mit der Frage der Ausgabe von 1- und 2-Euro Banknoten befassen sollten. Dazu bemerkte die Vertreterin des Finanzministeriums, dass Österreich einen Gewinn aus den Münzen lukriere. Würde es Scheine geben, so müsse man den Gewinn auf alle Staaten aufteilen.

Bundesrat begrüßt Förderung der Mobilität von Lehrlingen

Der EU-Ausschuss des Bundesrates befasste sich heute auch mit dem Programm "Erasmus für alle", das unisono von den Bundesrätinnen und Bundesräten befürwortete wurde. Sie nahmen dazu, ebenfalls einhellig, einen Antrag auf Mitteilung an, in dem sie vor allem die Maßnahmen zur Steigerung der Beschäftigungsfähigkeit junger Menschen begrüßten. Man zeigte sich insbesondere damit zufrieden, dass das Mobilitätsprogramm im verstärkten Ausmaß nun auch Lehrlingen zu Gute kommen soll. Das Programm könne einen positiven Beitrag zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, zur qualitativen Weiterentwicklung der Bildungssysteme und zur Erreichung höchster Bildungsstandards auf europäischer Ebene leisten, stellten die Ausschussmitglieder fest und traten daher auch für eine stärkere finanzielle Gewichtung von "Erasmus für alle" im Vergleich zu anderen EU-Programmen und für eine klare Priorisierung des Programms ein.

Die EU hat bereits in der Vergangenheit Maßnahmen zum lebenslangen Lernen sowie zur Förderung der Mobilität, vor allem der Jugend, gesetzt. Zu diesem Zweck gibt es seit 2006 die Programme "Lebenslanges Lernen", "Jugend in Aktion" sowie Drittstaatenprogramme im Hochschulbereich (z.B. Erasmus Mundus, Tempus, Edulink, Alfa), die nun in das Programm "Erasmus für alle" (2014 – 2020) zusammengefasst und um ein Sportprogramm erweitert werden sollen. Das Programm stellt auch einen wichtigen Aspekt der "Strategie Europa 2020" dar.

Wie die Vertreterin des Unterrichtsressorts ausführte, soll das neue Programm allen Lernenden sowie Lehrkräften, Ausbilderinnen und Ausbildern in allen öffentlichen und privaten Einrichtungen offenstehen, die in der allgemeinen und beruflichen Bildung, im Jugend- und im Sportbereich tätig sind. Bei Kooperationsprojekten will man Unternehmen als Partner für Bildungseinrichtungen und Jugendorganisationen künftig mehr einbinden. Ferner sollen Schulen ermutigt werden, mit Schulen in anderen EU-Mitgliedstaaten zusammenzuarbeiten. Im Bereich der Erwachsenenbildung wird das Programm die Mobilität von Lehrkräften und Ausbilderinnen und Ausbildern verstärkt unterstützen und eine engere, grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Organisationen fördern. Das Programm basiert auf drei Säulen: auf Mobilität, auf Förderung von transnationalen Kooperationen sowie auf Zusammenarbeit zwischen Bildungsinstituten und Wirtschafts- und Sozialpartner und schließlich auf einer intensiveren politischen Zusammenarbeit.

Nach derzeitigem Stand ist für die Programme eine Budgetsteigerung um rund 70 % vorgesehen, das bedeutet insgesamt 19 Mrd. €. Im Rat beabsichtige man, Mindestzuteilungen für die einzelnen Sektoren festzulegen, aktuell sind dies für die Hochschulen 25 %, für die Berufsbildung 17 %, für die Allgemeinbildung 7 %, ebenfalls 7 % für die außerschulische Bildung und 2 % für die Erwachsenenbildung. Man wolle jedoch seitens der BildungsministerInnen diese fixen Prozentsätze auf 80 bis 85 % erhöhen, hieß es seitens des Unterrichtsressorts. Die restlichen 15 bis 20 % seien dann für Schwerpunktprogramme vorgesehen, und nur diese müssten dann jährlich neu verhandelt werden, bekräftigte die Expertin gegenüber Bundesrat Franz Wenger (V/S). Das tatsächliche Budget für das gesamte Programm müsse aber noch konkret ausverhandelt werden, und zwar im Zusammenhang mit dem mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020.

Österreich sei die Lehrlingsmobilität ein besonderes Anliegen gewesen und habe dieses Thema daher auch explizit in den Verordnungstext hineinreklamieren können, zumal das österreichische duale System einen wesentlichen Faktor im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit darstellt, sagte die Ressortexpertin weiter. In der Diskussion hatte zuvor Bundesrätin Sonja Zwazl (V/N) darauf hingewiesen, dass die Wirtschaft seit langem bemüht ist, ihren Lehrlingen das Kennenlernen der eigenen Branche in anderen Ländern zu ermöglichen. Die positive Bewertung des Programms wurde auch von Bundesrat Stefan Schennach (S/W)unterstrichen. Österreich verfüge mit seinem dualen Ausbildungssystem über ein Best Practice-Modell und ein Lehrlingsaustausch würde nicht nur zu mehr Know-how führen, sondern auch Kontakte intensivieren. Dem schloss sich auch Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (G/N) an.

Bundesrat Edgar Mayer (V/V) teilte diese Auffassung, äußerte jedoch Bedenken hinsichtlich des Namens "Erasmus", da dieser bislang mit einem Hochschulprogramm verbunden war. Mayer bekräftigte in seiner Stellungnahme auch die Forderung nach einer stärkeren finanziellen Gewichtung innerhalb des Programms.

Bundesrätin Cornelia Michalke (F/V) wiederum machte darauf aufmerksam, dass das EU-Budget auf keinen Fall erhöht werden dürfe, befürwortete aber den gegenständlichen Vorschlag und die zusätzliche Förderung der Mobilität von Lehrlingen.

Die Vorlage stellt zunächst Vorschläge dar, die im Hinblick auf den neuen Finanzrahmen 2014-2020 ausverhandelt werden müssen. Mit einer Beschlussfassung ist kaum vor dem Sommer 2013 zu rechnen. (Schluss)


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