2561/AB-BR/2010

Eingelangt am 21.09.2010
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BM für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

 
Anfragebeantwortung


 

NIKOLAUS BERLAKOVICH

Bundesminister

 

 

 

 

 

 

 

 

An den                                                                                               Zl. LE.4.2.4/0139-I 3/2010

Herrn Präsidenten

des Bundesrates

 

Parlament

1017 Wien                                                                                        Wien, am 17. Sept. 2010

 

 

 

Gegenstand:   Schriftl. parl. Anfr. der Bundesräte Elisabeth Kerschbaum,

Kolleginnen und Kollegen vom 22. Juli 2010, Nr. 2769/J-BR/2010,

betreffend unverantwortliches Sicherheitsrisiko durch geplante

Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke

 

 

 

 

 

Auf die schriftliche parlamentarische Anfrage der Bundesräte Elisabeth Kerschbaum, Kolleginnen und Kollegen vom 22. Juli 2010, Nr. 2769/J-BR/2010, teile ich Folgendes mit:

 

Allgemeines:

 

Österreich lehnt die Vorgangsweise der deutschen Bundesregierung bezüglich der Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken entschieden ab. Abgesehen vom Sicherheitsrisiko (z.B. Tschernobyl) gibt es weltweit noch keine Lösung für die Endlagerung von atomarem Müll. Damit werden jetzt Probleme für zukünftige Generationen geschaffen.


Manche behaupten, Atomstrom wäre billig. Der wahre Preis – auf Kosten der Sicherheit für Bevölkerung und Umwelt – ist aber ein zu hoher. Zudem wird dadurch ein Ungleichgewicht am Energiemarkt erzeugt, das die Position der Erneuerbaren Energien am Markt schwächt. Österreich setzt auf Erneuerbare Energien. Atomenergie ist für uns keine Alternative.

 

Die einzelnen Fragen, soweit sie einen Gegenstand der Vollziehung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft betreffen, beantworte ich wie folgt:

 

Zu Frage 1:

 

Seit Amtsantritt der neuen deutschen Bundesregierung habe ich Österreichs Standpunkt in zahlreichen bilateralen Gesprächen klargemacht. Darüber hinaus habe ich mich mehrfach schriftlich an den bayerischen Staatsminister für Umwelt und Gesundheit sowie im April 2010 auch an meinen deutschen Amtskollegen gewandt.

 

Bereits an dem Tage, an dem die politische Einigung auf den neuen deutschen „Atomkonsens“ bekannt wurde, habe ich öffentlich unmissverständlich meine Ablehnung deutlich gemacht und dies auch gegenüber meinen deutschen Amtskollegen sowie dem deutschen Botschafter in Wien klar zum Ausdruck gebracht. Außerdem habe ich ein Sondertreffen im Rahmen des bilateralen „Nuklearinformationsabkommen“ gefordert, bei dem Deutschland uns erklären muss, welche Auswirkungen sich für Österreich ergeben, speziell im Hinblick auf die grenznahen Kernreaktoren und wie es um die sicherheitstechnische Nachrüstung bestellt ist.

 

Zu Frage 2:

 

Da die Anfrage nur allgemein von einem „EU-Notifikationsverfahren“ spricht und dieses nicht näher spezifiziert, ist darauf zu verweisen, dass Notifikationsverfahren, in die alle Mitgliedstaaten eingebunden werden, in der Regel Rechtsvorschriften und Normen betreffen, die geneigt sein könnten, negative Auswirkungen auf die vier Grundfreiheiten, insbesondere auf den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen, nach sich zu ziehen. Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass eine allfällige Novelle des deutschen Atomgesetzes derartige Bestimmungen enthält.


 

Zu Frage 3:

 

Die Verlängerung der Laufzeit eines Kernkraftwerks ist in der Regel nicht UVP-pflichtig, da die nationalen Vorschriften überwiegend unbefristete Betriebsbewilligungen mit regelmäßigen Sicherheitsüberprüfungen enthalten. Da es auch mehr als unwahrscheinlich ist, dass eine allfällige Novelle des deutschen Atomgesetzes von den Bestimmungen der SUP-Richtlinie erfasst wird, ist weder ein grenzüberschreitendes UVP- noch ein grenzüberschreitendes SUP-Verfahren zu erwarten. Gesetzgebungsverfahren sind im jeweils nationalen Recht normiert. Für eine grenzüberschreitende Mitwirkung besteht weder eine internationale noch eine europäische Rechtsgrundlage.

 

Zu Frage 4:

 

Die kürzlich veröffentlichte Studie „Risiken alter Kernkraftwerke“, die von Renneberg Consult UG im Auftrag der deutschen Grünen erstellt wurde, enthält keine substanziellen neuen Erkenntnisse. Es ist unbestritten, dass Reaktoren älterer Bauart im Vergleich zu neueren Anlagen bereits konzeptionell geringere Sicherheitsreserven aufweisen und es ist ebenso unbestritten, dass Alterungsprozesse neue Risken mit sich bringen können. Doch auch diese Studie unterstellt nicht, dass derzeit in Deutschland Anlagen rechtswidrig betrieben werden.

 

Zu den Fragen 5 und 6:

 

Sowohl grundsätzlich als auch hinsichtlich der angeführten Anlagen stehen dem BMLFUW und den von ihm beauftragten Expertinnen und Experten im Wesentlichen drei Quellen zur Verfügung, nämlich die nationalen Berichte der Bundesrepublik Deutschland, die alle drei Jahre im Rahmen des Übereinkommens über nukleare Sicherheit unter den Auspizien der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) in Wien vorzulegen sind, jene Informationen, die im Rahmen bzw. auf Basis des bilateralen „Nuklearinformationsabkommens“ ausgetauscht werden, sowie öffentlich zugängliche Studien und Expertenberichte. Diese Informationsquellen werden in Zukunft durch die Berichte, die in der Richtlinie des Rates zur Festlegung eines Gemeinschaftsrahmens für nukleare Sicherheit (2009/71/Euratom) festgelegt sind, ergänzt. Im Falle grenzüberschreitender UVP-Verfahren würde die Informationsbasis um die im Rahmen derartiger Verfahren zu machenden Angaben erweitert.


Zu den Fragen 7 bis 9:

 

Bereits 2004 wurde mit Deutschland ein Diskussionsprozess zu den Auswirkungen von Flugzeugabstürzen auf Kernkraftwerke initiiert, wobei von Österreich dieser Fragenkomplex immer im Kontext anderer interner und externer Ereignisse, die Auslöser für schwere Unfälle mit substanzieller Freisetzungen von Radionukliden sein können, gesehen wurde. Aus technischen Gründen standen dabei die Siedewasserreaktoren der Baulinie SWR-69 im Vordergrund des Interesses. Bislang wurden zwei einschlägige Projekte abgeschlossen, ein vorbereitendes Projekt Ende 2004 und ein mehrjähriges Projekt im Juli 2010. Da die Projektberichte zu einem großen Teil Informationen enthalten, die von Deutschland als „vertraulich“ eingestuft wurden, können diese Berichte nicht veröffentlicht werden. Sie bestätigen und vertiefen jedoch die bekannte Einschätzung der Reaktorbaulinie SWR-69, weshalb die Betriebsdauer dieser Anlagen keineswegs verlängert werden sollte. Angesichts des wachsenden öffentlichen Interesses habe ich eine einfach verständliche Zusammenfassung der Ergebnisse in Auftrag gegeben. Diese Zusammenfassung wurde bereits an das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten als österreichischem Koordinator des bilateralen „Nuklearinformationsabkommens“ mit dem dringlichen Ersuchen übermittelt, von den zuständigen deutschen Stellen umgehend die Freigabe zur Veröffentlichung zu erwirken.

 

Eine standortbezogene Risikobewertung setzt sich im Wesentlichen aus zwei Komponenten zusammen. Zum Einen ist dies das Risiko einer substanziellen Freisetzung von Radionukliden in einer bestimmten Anlage, zum Zweiten die Wahrscheinlichkeit des Transports dieser Freisetzung an den Ort möglicher Betroffenheit. Zwar kann rein theoretisch das Risiko einer substanziellen Freisetzung mit probabilistischen Risikoanalysen festgestellt werden, da jedoch sowohl die Methodik selbst – vor allem aber ihre Anwendung – von Land zu Land und von Anlage zu Anlage nach wie vor stark variiert, können die Ergebnisse derartiger probabilistischer Risikoanalysen für eine vergleichende Bewertung nicht herangezogen werden. Auch bei der Durchführung von Ausbreitungsrechnungen, mit denen der Transport radioaktiver Stoffe abgeschätzt werden kann, ist die Methodenvielfalt nach wie vor groß. Nach dem derzeitigen Stand von Wissenschaft und Technik ist es daher grundsätzlich nicht möglich, konkrete und vergleichbare Risikoabschätzungen vorzunehmen, deren Ergebnisse einer kritischen Analyse standhalten würden. Auch die methodisch hoch interessanten Bemühungen des deutschen Umweltministeriums, die Sicherheit ausgewählter deutscher Kernkraftwerke vergleichend zu beurteilen, ändern nichts an dieser grundsätzlichen Problematik. Unbeschadet dessen ermöglichen auch relativ ungenaue Risikobewertungen eine entsprechende Notfallvorsorge in Österreich, nicht zuletzt deshalb, da diese grundsätzlich auf den schlimmstmöglichen Fall auszulegen ist. Der mit vertretbarem Aufwand erzielbare Kenntnisstand ist auch hinreichend, um Schwerpunkte in der österreichischen Anti-Atom-Politik zu setzen, wie etwa das Eintreten gegen den Weiterbetrieb von Reaktoren der Baureihe SWR-69 in Deutschland.

 

Zu den Fragen 10 bis 12:

 

Ein konkreter Vergleich deutscher Kernkraftwerke mit dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik wurde bislang weder von den zuständigen deutschen Behörden noch von den Betreibern deutscher Kernkraftwerke vorgenommen. Da dazu sehr detaillierte Informationen über die einzelnen Anlagen vorliegen müssten, kann eine derartige Analyse von Österreich nicht durchgeführt werden. Im Übrigen gelten die obigen Ausführungen zu Risikoabschätzung und Notfallvorsorge. Folglich sind auch konkrete und anlagenbezogene Nachrüstungs­erfordernisse seitens des BMLFUW nicht identifizierbar.

 

Zu den Fragen 13 bis 17:

 

Es sei daran erinnert, dass die Haftungsgrenzen ausländischer Betreiber keinen Gegenstand der Vollziehung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft betreffen (siehe Beantwortung der Frage 5 der parlamentarischen Anfrage Nr. 2700/J-BR/2009 vom 31. August 2009).

 

Im Vergleich zu den in Kraft befindlichen internationalen Nuklearhaftungsregimen (Paris/Brüssel-Regime im Rahmen der OECD u. Wiener Regime im Rahmen der IAEO) enthält das österreichische Atomhaftungsrecht wesentliche Vorteile für potentiell geschädigte Personen. Die Haftung ist der Summe nach unbegrenzt, es besteht keine rechtliche Kanalisierung der Haftung auf den Betreiber. Für in Österreich eingetretene Schäden ist ein inländischer Gerichtsstand und die Anwendbarkeit österreichischen Rechts vorgesehen.

 

Wie aus den regelmäßigen Berichten der Bundesregierung an den Nationalrat gemäß § 30 Atomhaftungsgesetz 1999 ersichtlich, besteht derzeit keinerlei Aussicht auf Erfolg hinsichtlich einer Modifikation der internationalen Nuklearhaftungsregime. Auch besteht für Österreich rechtlich keine Möglichkeit, diesbezügliche Änderungen zu bewirken.

 

In Bezug auf das unter dem Schirm des OECD Paris/Brüssel-Regimes bestehende deutsche Atomhaftungsrecht ist festzuhalten, dass dieses, obwohl fortschrittlicher als in vielen anderen Staaten, wie eingangs schon erwähnt, im Verhältnis zum österreichischen Atomhaftungsrecht Schwächen aufweist.


Ergänzt sei, dass die potentielle Schadenshöhe kaum nach Alter oder Typ eines Kernkraftwerks variiert, wohl aber die Schadenswahrscheinlichkeit. Aus österreichischer Sicht sollten Haftungsvorsorgen jedoch für den gesamten möglichen Schaden getroffen werden.

 

Zu Frage 18:

 

Es wird auf die einleitenden Ausführungen sowie auf die Beantwortung der Frage 1 verwiesen.

 

Zu den Fragen 19 und 20:

 

Wie dieser Anfragebeantwortung zu entnehmen ist, hat das BMLFUW im Rahmen seiner Möglichkeiten bereits vor dem erwähnten Beschluss der Landesumwelt­referentenkonferenz (LURK) alle im Sinne der österreichischen Anti-Atom Politik und zur Optimierung des Schutzes der österreichischen Bevölkerung und der Umwelt zu ergreifenden Maßnahmen auch ergriffen. Der Beschluss der LURK vom Juni 2010 ist jedoch eine wertvolle Unterstützung der österreichischen Anti-Atom-Politik.

 

Der Bundesminister: