Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 1. Sitzung / Seite 8

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Meine Damen und Herren! Der Wähler hat uns am 3. Oktober aber auch zu verstehen gegeben, dass er einen Wandel – ich sage bewusst: Wandel  –, aber keine radikale Wende will. In diesem Zusammenhang darf ich Sie auffordern, Ihre Bereitschaft zur Gestaltung dieser neuen Kultur in Österreich beziehungsweise im österreichischen Parlament an den Tag zu legen. Das wird nicht nur eine Frage der Inhalte, sondern auch eine des politischen Stils sein.

Wir werden in den nächsten Wochen beziehungsweise Monaten nicht nur über die Rolle der Opposition zu entscheiden, sondern auch eine neue Regierung zu bilden haben. Die Logik des Wahlergebnisses vom 3. Oktober ist, dass es drei Parteien gibt, die stark genug sind, dass jede von ihnen mit einer anderen die Regierung bilden kann, und das logische Ergebnis wäre, dass zwei Parteien die Regierung bilden und zwei Parteien in der Opposition sind.

Meine Damen und Herren! Der Wähler hat nicht endgültig – wie bei anderen Wahlergebnissen – entschieden, welche Fraktionen das sein werden, sondern hat unsere politische Gestaltungskraft herausgefordert und uns beauftragt, diese Entscheidung zu treffen. Wir müssen das Wahlergebnis vom 3. Oktober mit Leben erfüllen, und ich fordere Sie auf, Ihren Beitrag dazu zu leisten.

Namens der sozialdemokratischen Fraktion darf ich mit allem Nachdruck feststellen: Wir sind bereit, Verantwortung zu tragen! Wir sind bereit, Verantwortung im Parlament und auch in der Regierung zu tragen. Wir wissen, dass uns das Ergebnis vom 3. Oktober keinen Anspruch auf eine Regierungsbeteiligung gibt, aber wir wissen auch, dass das Ergebnis vom 3. Oktober ein Auftrag ist, uns der Verantwortung nicht zu entziehen, und das werden wir auch nicht tun. (Beifall bei der SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Ich brauche in diesem Haus nicht zu betonen, dass die Demokratie der Opposition bedarf. Aber die Demokratie lebt auch von der Regel, je mehr Vertrauen eine politische Partei in einer Wahl bekommt, desto mehr Verantwortung sollte sie anstreben. Wir nehmen daher den Auftrag des Herrn Bundespräsidenten an Mag. Klima, die Möglichkeiten einer Regierungsbildung zu sondieren, sehr ernst. Wir glauben aber auch, dass es kein parlamentarisches Naturgesetz gibt, wonach 415 Stimmen beziehungsweise nur 0,09 Prozent der Stimmen einer Partei einen Platz auf den Oppositionsbänken zuweisen oder die Regierungssitze verwehren. Bei aller Gemeinsamkeit: Wir werden in der nächsten Legislaturperiode sowohl Opposition als auch Regierung brauchen!

Meine Damen und Herren! Es gibt keinen Grund für Hektik, aber wir müssen uns auch dessen bewusst sein, dass jene – vor allem auch Medien –, die heute noch sehr große Gelassenheit und sehr große Geduld im Zusammenhang mit der Regierungsbildung zeigen, diese Geduld in absehbarer Zeit in Ungeduld werden umschlagen lassen.

Aber, meine Damen und Herren, der eigentliche Sinn dieser kurzen Debatte ist die Wahl des Präsidenten. Das ist die Entscheidung, die wir in den nächsten Stunden zu treffen haben werden, und ich möchte namens meiner Fraktion feststellen, dass wir das Recht jeder Fraktion auf proportionale Vertretung im Präsidium des Nationalrates anerkennen. Aus diesem Recht resultiert auch die logische Konsequenz, dass die Fraktionen entsprechend ihrer Stärke den Anspruch haben, dem Plenum des Nationalrates einen Vorschlag vorzulegen.

Meine Fraktion hat dies daher für den Ersten Präsidenten des Nationalrates in der Person von Dr. Heinz Fischer getan, einem der hervorragendsten Parlamentarier der Zweiten Republik. (Beifall bei der SPÖ.)

Dr. Heinz Fischer ist Präsident des Nationalrates in den letzten neun Jahren gewesen. Er hat in schwierigen und hektischen Situationen bewiesen, dass er mit ruhiger und objektiver Hand dieses Hohe Haus führen kann. Ich bitte Sie um Ihr Vertrauen für Dr. Heinz Fischer.

Darüber hinaus ist für uns auch klar – und wir anerkennen dies –, dass die Österreichische Volkspartei, wenn es ihr auch schwer gefallen sein mag, vor der parlamentarischen Courtoisie ihr Knie gebeugt hat und Herr Dr. Khol daher für das Amt des Dritten und nicht für jenes des Zweiten Präsidenten des Nationalrates kandidiert. Wir sind uns auch dessen bewusst, dass dies


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