Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 1. Sitzung / Seite 14

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das ist nun einmal so in einer Konkurrenzdemokratie, in der im Wahlkampf natürlich die Polarisierung, die Zuspitzung gefragt ist –, Emotionen noch bewusst angeheizt wurden, und zwar über Plakate, über Aussagen, über Flugblätter und so weiter. Und die Folgen davon wirken nach.

Als der geachtete Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, Dr. Ariel Muzicant, über Übergriffe und Schmähungen nach dem Wahltag berichtet hat, wurde er noch im Nachhinein kritisiert. Meine Damen und Herren! Ich bin ihm dankbar für seine Worte, denn wir dürfen keinen Mantel des Schweigens ausbreiten, kein Totstellen mehr tolerieren. Ich bitte alle in diesem Hause, sich diesem Gesamtkonsens anzuschließen. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ und der Grünen.)

Dies sind nicht die dreißiger Jahre, und wir haben kein Massenelend zu verzeichnen, das ist Österreich, und das ist eigentlich eine der wenigen wirklichen politischen und wirtschaftlichen Erfolgsgeschichten in diesem neuen Europa. Wir werden auch umso glaubwürdiger gegenüber Globalverurteilungen und Pauschalverdächtigungen aus dem Ausland auftreten können, je sensibler wir selbst im Inneren sind und bereits die Anfänge zum Erliegen bringen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie bei den Grünen.)

Es ist nicht allzu lange her – ich glaube, es war im Dezember vorigen Jahres –, dass wir in Wien auf Initiative von Simon Wiesenthal ein Symposion über die Quellen des Hasses abgehalten haben. Es ist nicht Geschichte, um die es dabei geht, sondern Gegenwart, und es ist nicht die Ferne – der Balkan, der Kosovo oder heute etwa der Nord- oder Südkaukasus –, um die es geht, sondern es ist durchaus in der Nähe. Friede und Versöhnung müssen zu Hause beginnen! Erst dann können Friede und Stabilität auch wirklich exportiert werden!

Vielleicht sind wir nicht mächtig genug gegenüber den Quellen des Hasses, aber wie stark die Quellen der Nächstenliebe sein können, das entscheiden wir selbst, das liegt in unserer Hand.

In diesem Sinne möge dieser neu gewählte Nationalrat eine Art lebendes Haus der Toleranz werden! (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie bei den Grünen.)

10.53

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Van der Bellen. – Bitte, Herr Abgeordneter.

10.54

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (Grüne): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Grünen haben eine Kandidatin für den zweiten Platz des Nationalratspräsidiums: Frau Dr. Eva Lichtenberger. Wir bieten Ihnen diese Alternative an, und ich werde dann begründen, warum.

Zur Person möchte ich nur ganz kurz sagen: Frau Dr. Eva Lichtenberger ist eine unserer erfahrensten Politikerinnen. Sie hat fünf Jahre Klubobfrautätigkeit im Tiroler Landtag hinter sich, hat fünf Jahre Regierungserfahrung in der Tiroler Landesregierung hinter sich, sie hat also insgesamt zehn Jahre lang wichtige und wesentliche Aufgaben in der Politik übernommen – ungefähr doppelt so lang wie ich, könnte ich jetzt in Klammern hinzufügen.

Warum tun wir das? Warum tun das die Grünen, obwohl sie doch heute "taktvoll" darauf hingewiesen wurden, dass sie die viertstärkste Fraktion in diesem Hause sind, wenn auch gestärkt gegenüber der letzten Legislaturperiode?

Ich möchte einmal festhalten, dass natürlich jede Partei ein Nominierungsrecht – für welchen Platz auch immer im Präsidium – hat. Wenn ich mich nicht täusche, dann bedarf es nach der Geschäftsordnung auch gar keiner Nominierung, sondern jeder/jede Abgeordnete dieses Hauses ist wählbar an jeden Platz des Präsidiums, auch ohne Nominierung durch eine Partei.

Es gibt auch, wenn man es streng nimmt, keine historische Präzedenz für diese Abfolge, die – für mich unverständlich – Herr Kollege Kostelka hier genannt hat. Es hat in diesem Hause Legislaturperioden gegeben, in denen der erste Vorsitzende ein Sozialdemokrat war, der zweite


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