Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 77. Sitzung / Seite 72

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festzustellen, dass man nicht neue Ideologien, neue Konfrontationsideologien dort aufbauen soll, wo diese Konfrontation nicht besteht.

Auch wenn der Kern dieses Terrorismus im Nahost-Konflikt begraben sein mag, dürfen wir uns nicht zu diesen verkürzten Thesen hinreißen lassen, dass es sich um einen Krieg oder einen Clash der Zivilisationen handelt, sondern man muss klar sagen, die große Mehrheit der Bevölkerung in den islamischen Staaten – auch alle Araber und Moslems, die in Österreich leben – hat die gleichen Ziele wie wir: Sie wollen ein besseres, ein gerechteres, ein freieres Leben haben; und diese Menschen darf man mit den Terroristen nicht in einen Topf werfen. (Beifall bei der SPÖ, bei Abgeordneten der Freiheitlichen und der ÖVP sowie bei den Grünen.)

Herr Bundeskanzler! Sie haben völlig richtig gesagt, wenn sich die Frage stellt, ob wir auf der Seite der Täter oder auf der Seite der Opfer sind, dann hat Österreich immer auf der Seite der Opfer zu stehen. Ich unterstreiche das. Ich unterstreiche das mehrfach, weil wir uns natürlich bei all dem, was wir tun und was die internationale Staatengemeinschaft tut, auch immer die Frage stellen müssen, ob es auch bei den Gegenstrategien unschuldige Opfer gibt. (Präsident Dipl.-Ing. Prinzhorn übernimmt den Vorsitz.)

Wenn man Bilder aus Afghanistan sieht, wo 1,5 Millionen Menschen auf der Flucht sind, wenn man die Bilder von Afghanistan sieht, wo die Bevölkerung zuerst unter der sowjetischen Präsenz leiden musste, dann die Mudjaheddin erleben musste und wo jetzt eine unbändige Angst vor den Taliban und einer kriegerischen Auseinandersetzung besteht, dann muss man ganz klar sagen: Wir wollen nicht, dass das ohnehin schon leidgeprüfte afghanische Volk irgend einer internationalen Strategie geopfert wird, sondern wir müssen uns dazu entschließen, ganz präzise die Täter auszuforschen, die nicht mit guten Worten zu überzeugen sind, und sie – wenn notwendig auch durch polizeiliche und militärische Maßnahmen – zur Rechenschaft zu ziehen. Aber das afghanische Volk hat ein Recht auf unsere Solidarität und ein Recht auf unseren Schutz! (Beifall bei der SPÖ, bei Abgeordneten der ÖVP und bei den Grünen.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wird viel über die Lage im Nahen Osten gesprochen, und es werden viele Interpretationen angeboten, wie es zu diesem grausamen Terrorismus kommen konnte. Ich halte viele dieser Theorien nicht für ganz stichhaltig, etwa dann, wenn gesagt wird, aus der sozialen Not heraus sei dieser Terrorismus entstanden. – Wenn das der Grund wäre, dann müsste andernorts etwas Ähnliches entstehen. Es gibt andere Teile der Welt, in denen die soziale Not bedeutend größer ist als im Nahen und Mittleren Osten. Die inzwischen identifizierten Terroristen haben auch nicht zu den Hungernden und Notleidenden gehört, sondern waren in ihren Ländern vielfach Angehörige der Oberschicht. Das heißt, man muss sich auch davor hüten, verkürzte Interpretationen dessen vorzunehmen, was dort passiert ist.

Aber was man vor allem klar stellen muss, ist: Egal, welcher Grund, egal, welches Motiv hinter diesen grausamen Attacken gestanden ist – es kann keinen akzeptablen Grund geben, denn dieser Terror entheiligt jeden noch so gut gemeinten Zweck. Meine Damen und Herren, hier kann es nur die klare Ablehnung geben! (Beifall bei der SPÖ, bei Abgeordneten der ÖVP und bei den Grünen.)

Meine Damen und Herren! Was soll geschehen? – Wir sind uns darüber einig, dass es eine außenpolitische Strategie geben muss, die in ihrem Kern eine Lösung der Situation im Nahen Osten beinhalten muss. Es muss eine Strategie geben, mit der die Finanzquellen, die dem Terrorismus zufließen, ausgetrocknet werden. Es muss eine Strategie geben, die darauf abzielt, die Sicherheit der eigenen Bevölkerung zu verstärken, und es wird wahrscheinlich auch notwendig sein, die Unbelehrbaren, die nicht zum Dialog und zur Verhandlung bereit sind, mit militärischen Mitteln auszuschalten.

Meine Damen und Herren! Das Wichtige ist aber: Welche Vision des Nahen Ostens haben wir für die Zukunft, und wer sind unsere Partner? – Ich habe in den letzten Tagen viel darüber nachgedacht, vor allem über die amerikanische Außenpolitik, die so wie die Außenpolitik vieler Staaten ihre Höhen und ihre Tiefen in der Geschichte hatte. Aber im Jahr 1945, als Europa in Schutt und Asche lag, als Deutschland ein Kriegsgegner der USA war, haben sich die USA zu


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