Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 100. Sitzung / Seite 111

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Bevölkerungskreise, die diese Zeit noch aktuell erleben mussten, neue Verletzungen und Traumatisierungen hervorzurufen.

Mir ist es so wie der Mehrheit des Hohen Hauses und vermutlich auch der Mehrheit der Zuseherinnen und Zuseher gerade auf Grund der Berichte der letzten Jahre über die Zeitgeschichte, die nicht mehr so tabuisiert und auch durch die Öffnung der Archive in Ost und West auf eine neue Basis gestellt wird, im Zusammenhang mit der Problematik der Desertion schmerzlich bewusst, dass mehr als 30 000 Menschen, Österreicherinnen und Österreicher, zum Tode verurteilt worden sind, und das gerade auch noch in den letzten Kriegstagen. Sehr viele junge Menschen, die zum so genannten Volkssturm eingezogen waren und die sich aus dem Volkssturm aus Angst oder sonstigen Beweggründen entfernt haben, sind auch noch in den letzten Kriegstagen zum Tode verurteilt, standrechtlich erschossen, aufgehängt worden, sind also zu Schaden gekommen und zu Opfern des Nationalsozialismus geworden.

Wer seinerzeit die Berichte über den Nürnberger Prozess gesehen hat oder sich heute die diesbezüglichen Berichte in den Medien vergegenwärtigt und sich an die Aussagen und die Vorsitzführung des berüchtigten Richters Freisler erinnert, sofern man da überhaupt die Bezeichnung "Richter" verwenden kann, kann, so meine ich, nicht auf dem Standpunkt stehen, dass sich nicht auch die Justiz damals in Gestalt mancher Personen – so wie das bereits Michalek richtig ausgeführt hat – in den üblen Dienst dieses verbrecherischen Regimes gestellt hätte.

Frau Kollegin Stoisits! Sie werden von mir keine andere Anfragebeantwortung zu diesem diffizilen Thema erwarten, insbesondere da Sie bei mir und auch bei anderen Anfragebeantwortungen stets darauf bestanden haben, penibel den gegebenen Verwaltungsstand und keine – wie das seinerzeit bezeichnet worden ist – polemischen Aussagen präsentiert zu bekommen, als eine, die den derzeitigen Rechtsbestand und die derzeitige Rechtspraxis referiert, wie sie seit 1956 ungebrochen durch die Beamten meines Hauses in gleicher Einstellung und gleicher Form praktiziert worden ist. Das ist so, weil es sich generell in diesen Abteilungen und auch in den Bundessozialämtern, die sich damit befassen, großteils noch immer um denselben Beamtenstand handelt.

Ich glaube daher, sehr geehrte Damen und Herren, dass man, wenn man ehrliches Interesse hat und an der Lösung interessiert ist, diese Facette der Zeitgeschichte nach Evaluierung durch die Wissenschaft, Berücksichtigung aller Standpunkte und einer entsprechenden Beschlussfassung einer Lösung zuführen wird.

Diese Bundesregierung hat sehr vielen Betroffenen schon in den letzten zweieinhalb Jahren Gerechtigkeit widerfahren lassen, auch wenn es sich dabei oft um keine volle Entschädigung gehandelt hat, sondern in vielen Teilbereichen nur um eine symbolische. Aber gerade für die Opfer dieser schwierigen Zeit unserer Geschichte sind die symbolischen Handlungen des demokratischen Österreichs ein wichtiger Beitrag dazu, sich mit ihrer Heimat oder mit ihrer ehemaligen Heimat und den Menschen in ihrer ehemaligen Heimat auszusöhnen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich meine, dass dieses heikle Thema nicht dazu geeignet ist, für eine tagespolitische Diskussion missbraucht zu werden, sondern dass es weiterhin mit jener Behutsamkeit, die sich auch in den Beratungen und in den Anfragebeantwortungen meiner Regierungskollegen Michalek und Böhmdorfer findet, behandelt werden muss und einer befriedigenden Lösung zugeführt werden wird. Ich würde mir wünschen, dass es schneller ginge. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Es ist für einen demokratischen Staat wie Österreich unabdingbar, dass bei der Errichtung der Datenbank – um diese Frage wissenschaftlich aufarbeiten zu können – auch die diffizile und von allen im Hohen Hause immer wieder betonte Frage des Datenschutzes ordnungsgemäß beachtet wird, um nicht neue Verletzungen und neues Unrecht dadurch zu schaffen, dass man aus tagespolitischer Sicht ein Thema 55 oder 57 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges und nach Eintritt der Ereignisse vorschnell einer Lösung zuführt.


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