Parlamentskorrespondenz Nr. 107 vom 20.02.2002

SOZIALAUSSCHUSS: HEARING ZUR LEBENSSITUATION ÄLTERER MENSCHEN

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Wien (PK) - In der heutigen Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Soziales befassten sich die Abgeordneten zunächst mit dem Seniorenbericht (III-84 d.B.), der - wie alle Redner unterstrichen - europaweit der erste dieser Art ist. Nach einer intensiven Debatte mit Vertretern des Seniorenrates und einem Experten der Grünen wurde der Bericht einstimmig zur Kenntnis genommen. Da Bundesminister Herbert Haupt bei der Sozialministerkonferenz in Spanien weilte, ging Staatssekretär Reinhart Waneck auf die Fragen der Abgeordneten ein.

In Österreich leben heute 140.000 85-jährige und ältere, im Jahr 2050 werden es bei weiter steigender Lebenserwartung rund 600.000 sein. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene werden dagegen zahlenmäßig beträchtlich abnehmen. Das momentane Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern ist eine Folge der unterschiedlichen Lebenserwartung, vor allem aber zweier Weltkriege. Gegenwärtig kommen auf 100 über 60-jährige Frauen 66 Männer gleichen Alters, bei den über 75-jährigen ist das Verhältnis 100 zu 44 und bei den über 85-jährigen 100 zu 34. Mit dem Wegsterben der Kriegsgenerationen wird das Verhältnis aber ausgeglichener werden. Schon im Jahr 2015 werden bei den über 60-jährigen auf 100 Frauen 80 Männer kommen, ab dem Jahr 2025 werden es dann 85 Männer sein.

Die wichtigste Einkommensquelle der älteren Bevölkerung ist das Pensionseinkommen. Die Spannweite der Brutto-Personen-Monatseinkommen der pensionierten Älteren ist breit: 10 % dieser Einkommen liegen unter 4.267 S, 90 % sind geringer als 25.933 S. Dabei beziehen Frauen sehr niedrige Einkommen: mindestens 40 % haben ein Bruttoeinkommen, das niedriger als der Ausgleichszulagenrichtsatz ist, bei den Männern sind es weniger als 20 %. Relativ wenige Ältere beziehen ein hohes Bruttoeinkommen: jeder 20. Pensionist und jede 66. Pensionistin.

Seniorenpolitik, heißt es in den von Univ.-Prof. Dr. Anton Amann erarbeiteten Empfehlungen des Berichts, muss an der Minderung sozialer Ungleichheit arbeiten und auf die Unterschiedlichkeit von Lebenslagen im Alter Rücksicht nehmen. Eine entsprechende Perspektive des politischen Handelns bedarf einer integrativen und ganzheitlichen Sichtweise; dazu müssen die Einflüsse früherer Lebensabschnitte berücksichtigt und Familienverhältnisse, Arbeitsleben, Bildung, soziale und kulturelle Teilhabe, die materielle Absicherung und die Gesundheitssituation angemessen bewertet werden. Seniorenpolitik ist ohne integrierte Beschäftigungs-, Sicherungs- und Steuerpolitik unvollständig.

Alfred Zupancic, Geschäftsführender Vizepräsident des Seniorenrates und Vizepräsident des Pensionistenverbandes, begrüßte es, dass erstmals eine Zusammenfassung zur Verfügung stehe, bedauerte aber gleichzeitig, dass die Daten aus dem Jahre 1998 stammen und sich inzwischen einiges, etwa durch das Bundesseniorengesetz verändert habe. Er unterstrich sodann die Bedeutung der ehrenamtlichen Mitarbeiter, die volkswirtschaftlich betrachtet gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Überdies befasste er sich noch mit der Sicherheit im Wohnbereich, dem Ausbau der extramuralen Pflege sowie dem verfassungsrechtlichen Schutz der Alterssicherung.

Paul Tremmel, Geschäftsführender Obmann des Österreichischen Seniorenringes, regte an, die Familie noch mehr aufzuwerten und, da die Pflege der älteren Menschen im überwiegenden Ausmaß innerhalb der Familie erfolge, eine besondere Familienförderung ins Auge zu fassen. Wichtig wäre aus seiner Sicht auch, die Sterbebegleitung weiterzuentwickeln. Begrüßt wurde von ihm das bereits in Kraft getretene Bundesseniorengesetz, das aber etwa im Hinblick auf die Gleichberechtigung der Vertretungen verbesserungswürdig wäre. Es gehe ihm grundsätzlich auch um eine eine Bewusstseinsänderung, nämlich, dass älteren Menschen das Gefühl genommen werden muss, auf dem Abstellgleis zu stehen. Ein Vorschlag von Tremmel bezog sich noch auf einen Musterheimvertrag, der, "ohne den Föderalismus anzugreifen", in allen Bundesländern einheitlich gestaltet sein sollte. Auch leitete er den Wunsch der Älteren weiter, von den 1-Euro- bzw. 2-Euro-Münzen abzugehen und dafür Scheine einzuführen.

Heinz Becker, Generalsekretär des Österreichischen Seniorenbundes, hob die Bedeutung des generationenübergreifenden Dialogs vor allem im Hinblick auf die Betreuungsproblematik in medizinischer und sozialer Hinsicht hervor. Gemeinsam mit dem ORF sei eine Enquete über das negative Bild der älteren Generation in den Medien geplant, gab er weiters bekannt. Weiters widmete er sich noch der Verbesserung der Erwerbschancen älterer Arbeitnehmerinnen.

Für den Vertreter der Grünen SeniorInnen, Dieter Schrage, enthält der Bericht "ungeheuer gutes Material" und verbinde "hochrangige Wissenschaftlichkeit mit Lesbarkeit und Brauchbarkeit". Die Empfehlungen von Prof. Amann erachtete er als sehr wichtig, zeigen sie doch die Verteilungsungleichheiten bei den älteren Menschen auf. Auch er sah die Notwendigkeit eines Bundesrahmenvertrages für die Heime. Was die Pflege im privaten Bereich betrifft, so müsste der ehrenamtlichen Tätigkeit zumindest der Bonus der sozialen Absicherung gewährt und entlastende Maßnahmen (z.B. mobile Dienste, Teilzeitpflege etc.) durch die öffentliche Hand gesetzt werden, regte er an. Bei der langfristigen Absicherung des Pensionssystems stelle sich für ihn die Frage von neuen Einnahmen sowie der Neugestaltung des Steuersystems in Richtung stärkere Umverteilung. Für die große Gruppe der Frauen, die über keinen eigenständigen Pensionsanspruch verfügen, sollte man sich ein Grundsicherungsmodell überlegen.

Staatssekretär Reinhart Waneck kam auf die Initiativen zur Sterbebegleitung zu reden und gab bekannt, dass in den nächsten Wochen ein Gesetzesvorschlag zur Pflegekarenz vorgelegt werde. Auch denke man daran, im Rahmen des Wissenschaftsministeriums einen Lehrstuhl für Palliativmedizin zu schaffen und ein Diplom für Pflegeberufe einzuführen.

Zur demographischen Entwicklung verwies das Regierungsmitglied darauf, dass derzeit 20 % der österreichischen Bevölkerung über 60 Jahre alt sind, 2010 werden es 30 % und 2035 fast 40 % sein. Die Lebenserwartung der Männer liege derzeit bei 75 Jahren und die der Frauen bei 81 Jahren; sie werde alle fünf Jahre um ein weiteres Jahr zunehmen. Die neuen Alten werden durch verbesserte Lebens- und Arbeitsbedingungen gesund und aktiv bis ins hohe Alter bleiben. Um das Alter aufzuwerten, beabsichtige man, in der Verfassung ein Diskriminierungsverbot aufgrund des Alters zu verankern, merkte Waneck an. Weiters kam der Staatssekretär auf die Weiterbildung der älteren Menschen im Bereich der EDV (z.B. Internetkurse), den weiteren Ausbau der Bürgerbüros ("Jung und Alt"), den Ausbau der Altenpflege, die Veranstaltung zum Thema Chancengleichheit für ältere Frauen sowie auf den einheitlichen Musterheimvertrag zu sprechen. Sein Ressort habe auch eine interministerielle Arbeitsgruppe zum Thema Seniorenstudium initiiert, um etwaige Diskriminierungen abzubauen, teilte der Staatssekretär mit. Wir sollten uns darüber bewußt sein, meinte Waneck abschließend, dass sich nur 14 % der älteren Menschen vor dem Tod fürchten, aber über 60 % davor, pflegebedürftig zu werden.

Abgeordnete Heidrun Silhavy (S) sprach den Strukturwandel des familiären und gesellschaftlichen Umfeldes der älteren Generation sowie die Armutssituation der Frauen und die unterschiedlichen Pensionshöhen an und hinterfragte Lösungsansätze für den zunehmenden Kommunikationsmangel der Älteren.

Für Abgeordnete Edith Haller (F) birgt der Bericht viel Brisanz. In Hinkunft werde man die älteren Menschen in aktive Senioren und in pflegebedürftige Senioren einteilen müssen. Angesichts der stark steigenden Zahl der Älteren und der sinkenden Geburtenraten werde man im Pflegebereich einen stärkeren Bedarf haben. Die Zahl der Menschen, die eine Pflege übernehmen können, werde aber auch immer geringer. Daher tue sich eine Doppelmühle auf, der man sich bewusst werden müsse. Hinzu komme, dass die Ausbildungskurse teilnehmermäßig stark begrenzt sind oder nicht regional ausgewogen angeboten werden. Nicht nur hier besteht für Haller großer Handlungsbedarf, sondern auch beim Finden neuer Wohnformen für ältere Menschen.

Für Abgeordneten Gerhart Bruckmann (V) stellt der Bericht einen Meilenstein im Verständnis der Generationen für einander dar. Er warf auch die Frage auf, wie in Zukunft die Pensionen bezahlt werden sollen, kommt doch auf drei Österreicher im arbeitsfähigen Alter (15 bis 60 Jahre) ein über 60-jähriger, in 30 Jahren werden es zwei sein. Daher müsse das jetzige System in Frage gestellt und von den Klischeevorstellungen, dass man mit 58 Jahren in den Ruhestand treten kann, abgegangen werden.

Abgeordneter Karl Öllinger (G) sprach insbesondere die Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf das Gesundheits- und Sozialversicherungssystem an. Zudem müsste man über die Verteilungswirkung des Pensionssystems nachdenken, zumal mehr als die Hälfte der Pensionisten nur über ein Einkommen von unter 15.000 S verfügen.

Abgeordnete Ridi Steibl (V) befasste sich mit dem Themenkreis Frauenarmut und wies in diesem Zusammenhang auf eine langjährige Forderung der ÖVP, nämlich das Pensionssplitting-Modell, hin.

Der Bericht sei eine wichtige Grundlage, aber die Politik müsse auch die notwendigen Konsequenzen daraus ziehen, mahnte Abgeordnete Christine Lapp (S) ein. Wichtige Anliegen waren ihr u.a. die Valorisierung des Pflegegeldes sowie die Situation der behinderten älteren Menschen, die in diesem Bericht bedauerlicherweise nicht beleuchtet wurde.

Abgeordneter Norbert Staffaneller (F) lobte den sehr umfangreichen Bericht, der eine gute Basis für einen generationsübergreifenden Dialog und eine breite Diskussion, v.a. mit den Sozialpartnern, biete. Positiv hob er hervor, dass sich die Situation im Hinblick auf die Langzeitarbeitslosigkeit bei älteren sowie bei älteren behinderten Menschen verbessert habe. Besorgniserregend sei jedoch die Einkommenssituation von Frauen in den Grenzlandregionen, was vor allem hinsichtlich der EU-Erweiterung berücksichtigt werden müsse.

Abgeordnete Edeltraud Gatterer (V) erinnerte daran, dass sich alle vier Parteien gegen eine aktive Sterbehilfe und für den Ausbau der Palliativmedizin ausgesprochen haben. Sie zeigte sich zudem erfreut darüber, dass nunmehr ein Karenzmodell für die Sterbebegleitung entwickelt werden soll. Was die Pflege der älteren Menschen anbelangt, so dürfe nicht die ganze Verantwortung auf den Frauen lasten; auch die Männer sollten verstärkt in diese Aufgaben eingebunden werden. Außerdem sollten im nächsten Bericht auch Tabuthemen, wie etwa die Altersdepression, behandelt werden, schlug die Rednerin vor.

Abgeordnete Theresia Haidlmayr (G) forderte bundeseinheitliche Heimverträge, damit in allen Ländern hohe Qualitätsstandards gewährleistet sind. Ein Defizit ortete sie zudem im Bereich der ambulanten Strukturen und der teilstationären Einrichtungen.

Abgeordneter Helmut Dietachmayr (S) sprach von einem sehr interessanten Bericht, der wichtige Empfehlungen enthalte. Er befasste sich vor allem mit den Themen barrierefreies und betreutes Wohnen, der Sicherheit von älteren Menschen im Straßenverkehr sowie der Einführung von einheitlichen Standards bei der Ausbildung von Pflegebediensteten, denen seiner Meinung nach auch ein Berufsschutz gewährt werden müsste.

Der Bericht wurde schließlich einstimmig zur Kenntnis genommen und gilt somit als enderledigt.

(Schluss Seniorenbericht/Forts. Sozialausschuss)