Parlamentskorrespondenz Nr. 585 vom 14.06.2011

Briefwahl: Taktisches Wählen künftig ausgeschlossen

Verfassungsausschuss gibt grünes Licht für Wahlrechtsänderungsgesetz

Wien (PK) – In Hinkunft wird es bei bundesweiten Wahlen nicht mehr möglich sein, seine Stimme nach Wahlschluss und damit nach Vorliegen der ersten Hochrechnungen abzugeben. Der Verfassungsausschuss des Nationalrats stimmte mit breiter Mehrheit dem von den Koalitionsparteien gemeinsam mit dem BZÖ initiierten Wahlrechtsänderungsgesetz 2011 zu. Der Gesetzentwurf schließt nicht nur taktisches Wählen künftig aus, er sieht auch eine Aufhebung jenes Gesetzespassus vor, der Mitgliedern des Hauses Habsburg die Kandidatur bei Bundespräsidentenwahlen untersagt. Weiters werden die gesetzlichen Bestimmungen über das Wahlrecht für Strafgefangene in Folge einer Entscheidung des Europäischen Menschengerichtshofs neu gefasst.

Durch einen von den Antragstellern vorgelegten und bei der Abstimmung mitberücksichtigten Abänderungsantrag wurden in etlichen Detailbereichen noch Adaptierungen vorgenommen. An den zentralen Punkten des Gesetzentwurfs änderte sich dadurch jedoch nichts.

Der Beschluss im Ausschuss fiel mit S-V-B-Mehrheit. Für das Plenum stellten auch die Grünen eine Zustimmung zum Gesetzentwurf in Aussicht, allerdings wollen sie zuvor in zwei Punkten noch Abänderungsvorschläge einbringen. Dezidiert abgelehnt wurde die Initiative hingegen von der FPÖ, sie lehnt die Briefwahl generell ab.

Wahlkarten müssen künftig bis 17 Uhr des Wahltags eingelangt sein

Konkret müssen dem Wahlrechtsänderungsgesetz 2011 zufolge Wahlkarten in Zukunft spätestens um 17 Uhr des Wahltags bei der zuständigen Bezirkswahlbehörde eingelangt sein. Ansonsten werden sie nicht bei der Stimmauszählung berücksichtigt. Damit will man eine – grundsätzlich derzeit schon untersagte – Stimmabgabe nach Wahlschluss verhindern. Ausgezählt werden sollen die Wahlkarten bereits am Montag nach der Wahl.

Um ein rechtzeitiges Ausstellen der Wahlkarten zu ermöglichen, ist geplant, die Fristen für die Einbringung von Wahlvorschlägen um eine Woche vorzuverlegen. Sowohl am Wahltag als auch am Tag vor der Wahl soll eine Abgabemöglichkeit der Wahlkarten vor Ort zwischen 8 und 17 Uhr sichergestellt sein.

Die Beantragung einer Wahlkarte muss künftig schriftlich oder mündlich erfolgen, wobei die Identität, etwa durch die Angabe der Passnummer, glaubhaft zu machen ist. Eine telefonische Beantragung ist ausgeschlossen. Außerdem wird die Wahlkarte in Hinkunft grundsätzlich eingeschrieben zugesandt, es sei denn, der Wähler bzw. die Wählerin hat sich bereits bei der Antragstellung durch eine qualifizierte elektronische Signatur oder durch persönliche Vorsprache eindeutig legitimiert. Auch bei Vorliegen eines so genannten Wahlkarten-"Abonnements", das AuslandsösterreicherInnen und behinderten Personen offen steht, kann in der Regel auf ein Einschreiben verzichtet werden.

Um die Missbrauchsgefahr bei der Briefwahl weiter einzudämmen, wird darüber hinaus normiert, dass Personen in Pflegeheimen eine Wahlkarte nur persönlich zugestellt werden kann. Eine Ersatzzustellung ist in diesen Fällen ausdrücklich untersagt. Außerdem dürfen BotInnen, die Wahlkarten persönlich überbringen, diese nicht gleich wieder mitnehmen. Dieser "Übereilungsschutz" soll verhindern, dass unter Umständen auf die Wahlberechtigten Druck ausgeübt wird, in Gegenwart des Boten bzw. der Botin in einer bestimmten Weise zu stimmen.

WählerInnen, die eine bei der Post hinterlegte Wahlkarte nicht rechtzeitig vor dem Wahltag beheben können, erhalten eine "zweite Chance" zur Ausübung ihres Stimmrechts: die Wahlkarten müssen von der Gemeinde abgeholt und am Wahltag für eine Ausfolgung an den Antragsteller bzw. die Antragstellerin bereitgehalten werden. Wo genau diese Wahlkarten jeweils hinterlegt sind, darüber soll das Innenministerium, etwa in Form einer Telefon-Hotline, informieren. Die Ausstellung einer Wahlkarte ist im Wählerverzeichnis deutlich zu vermerken.

Die österreichischen Vertretungsbehörden im Ausland sind in Hinkunft verpflichtet, Wahlkarten bis zum 6. Tag (EWR-Raum und Schweiz) bzw. bis zum 9. Tag vor dem Wahltag (andere Länder) zur Weiterleitung entgegenzunehmen. Auch danach ist eine Annahme möglich, wenn eine rechtzeitige Übermittlung an die zuständige Bezirkswahlbehörde zu erwarten ist oder die betroffenen WählerInnen gewarnt wurden, dass sich eine rechtzeitig Übermittlung möglicher Weise nicht mehr ausgeht.

Wahlausschluss für verurteilte Straftäter wird neu geregelt

Geändert werden mit dem Wahlrechtsänderungsgesetz 2011 auch die Wahlausschließungsgründe. Anlass dafür ist ein Erkenntnis des Europäischen Menschengerichtshofs in der Sache "Frodl gegen Österreich". Demnach wird künftig nicht jeder, der zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, automatisch vom aktiven Wahlrecht ausgeschlossen sein. Eine solche Sanktion droht nur noch bei einer Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat zu mehr als fünf Jahren Haft bzw. bei einer zumindest einjährigen Haftstrafe wegen bestimmter Delikte. Zu diesem speziellen Strafkatalog gehören etwa Landesverrat, Wahlbetrug, bestimmte Fälle von Amtsmissbrauch, Verstöße gegen das Verbotsgesetz und die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation oder einer Terrorgruppe. In jedem einzelnen Fall bedarf es aber einer Entscheidung durch das Gericht, dieses kann in Anbetracht der Umstände auch von einem Wahlausschluss Abstand nehmen.

Um zu vermeiden, dass in kleinen Gemeinden mit Justizanstalten eine überproportional große Anzahl der WählerInnen Häftlinge sind, werden die Hauptwohnsitz-Bestimmungen in Zusammenhang mit Wahlen adaptiert. Für Häftlinge, die keinen Wohnsitz außerhalb der Haftanstalt haben, gilt gemäß Gesetzentwurf der letzte Wohnsitz vor Festnahme als Hauptwohnsitz.

Der Wahlausschließungsgrund "Mitglied regierender Häuser oder solcher Familien, die ehemals regiert haben" bei Bundespräsidentenwahlen wird zur Gänze gestrichen.

Debatte: FPÖ lehnt Briefwahl generell ab

In der Debatte begrüßte Abgeordnete Daniela Musiol (G) die mit dem Abänderungsantrag vorgenommenen Änderungen. Das erleichtere es den Grünen, im Plenum des Nationalrats einer Zustimmung zum Gesetz "näherzutreten", meinte sie. Allerdings spricht sich Musiol in zwei Bereichen noch für Änderungen aus. Sie sieht nicht ein, warum eine unbedingte Verurteilung zu mehr als fünf Jahren Haft wegen einer x-beliebigen Straftat auch mit einer Einschränkung politischer Mitwirkungsrechte sanktioniert werden soll. Zudem bedauerte sie, dass die mündliche Beantragung einer Wahlkarte nicht nur direkt vor der zuständigen Behörde möglich ist. Zumindest die telefonische Beantragung sei aber gefallen, äußerte sich Musiol erfreut. Auch dass Boten, die Wahlkarten persönlich überbringen, diese nicht gleich wieder mitnehmen könnten, stieß auf ihre ausdrückliche Zustimmung.

Für die Zukunft kündigte Musiol weitere Wahlrechtsanträge der Grünen an. So sollte man ihr zufolge etwa auf Basis der in der Steiermark gemachten Erfahrungen die Einführung eines zweiten, vorzeitigen, Wahltags prüfen.

Seitens der Koalitionsparteien hoben Abgeordneter Reinhold Lopatka (V) und Klubobmann Josef Cap (S) die ihrer Meinung nach weitreichenden Verbesserungen im Wahlrecht durch den vorliegenden Gesetzesantrag hervor. Manche Punkte hätte man schon bei Einführung der Briefwahl bedenken können, meinte Cap, allerdings hätten erst Erfahrungen in der Praxis offensichtliche Problembereiche aufgezeigt. Das bisherige Verbot für Mitglieder der Familie Habsburg, bei Bundespräsidentschaftswahlen zu kandidieren, hatte seiner Ansicht nach angesichts des Verhaltens mancher Familienmitglieder eine historische Berechtigung.

Abgeordneter Lopatka zeigte auch wenig Verständnis für die generelle Ablehnung der Briefwahl durch die FPÖ und machte geltend, das Instrument habe sich bewährt.

Auch Abgeordneter Ewald Stadler (B) bekannte sich zur Briefwahl und wies darauf hin, dass diese die Teilnahme an Wahlen wesentlich erleichtere und bei der Bevölkerung auf positive Resonanz stoße. Missbrauch könne zwar nicht gänzlich ausgeschlossen werden, meinte er, allerdings habe es auch schon vor Einführung des Briefwahlrechts Wahlbetrug gegeben. Um Missbrauch weiter hintanzuhalten, sprach sich Stadler für eine Überprüfung der geltenden strafrechtlichen Sanktionen aus. Generell hielt er fest, das Wahlrecht solle weiter eine "Konsensmaterie" bleiben.

Dezidiert ablehnend zum vorliegenden Gesetzentwurf äußerte sich die FPÖ. Die Freiheitlichen würden die Briefwahl per se ablehnen und seien durch das abgehaltene Hearing bestärkt worden, sagte Abgeordneter Peter Fichtenbauer. Mit der Briefwahl verstoße man gegen zentrale Wahlgrundsätze, es sei nicht sichergestellt, dass das Wahlrecht geheim, persönlich und unmittelbar ausgeübt werde.

Fichtenbauer gestand zu, dass der vorliegende Gesetzentwurf Verbesserungen bringe. Etliche Probleme könnten ihm zufolge auch damit aber nicht ausgeräumt werden. So könne man den Verlust oder den Diebstahl von Briefwahlkarten auch künftig nicht verhindern, das gleiche gelte für das Wählen nach der Präferenz des "Familienoberhaupts" und das beobachtete Ausfüllen einer Wahlkarte in Folge von Stimmenkauf. Auch dass Menschen in Pflegeheimen geheim wählen können, sei nicht gewährleistet.

Bei der Abstimmung wurde das Wahlrechtsänderungsgesetz 2011 unter Berücksichtigung des Abänderungsantrags mit S-V-B-Mehrheit angenommen. Einer im Zuge der Beratungen von SPÖ, ÖVP und BZÖ vorgelegten Änderung des Strafregistergesetzes stimmten auch die Grünen zu. Der Gesetzesantrag verpflichtet die Gerichte, einen verfügten Ausschluss vom Wahlrecht auf der "Strafkarte" des Verurteilten zu vermerken und den Wahlausschluss gleichzeitig an die zuständige Gemeinde zu melden. Damit will man vermeiden, dass die Gemeinden für sämtliche in der Wählerevidenz eingetragene Personen laufend Strafregisterauskünfte einholen müssen.

Darüber hinaus fasste der Ausschuss auf Initiative der Koalitionsparteien und der Grünen mit S-V-F-G-Mehrheit bzw. mit S-V-G-Mehrheit zwei Entschließungen. Zum einen geht es um die beschleunigte Bereitstellung von Wahlkarten, um den für die Briefwahl zur Verfügung stehenden Zeitraum nicht zu verkürzen, zum anderen um einen Bericht von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner über die Häufigkeit von Strafverfahren und Verurteilungen wegen einer Verletzung von Briefwahlvorschriften. Bei Bedarf soll Mikl-Leitner auf Wunsch der Abgeordneten bis Ende 2012 einen Gesetzesvorschlag mit verschärften Sanktionen vorlegen.

Das BZÖ legte zur Frage des Briefwahl-Missbrauchs eine eigene, weitergehende, Entschließung vor, die jedoch über die Antragsteller hinaus nur die Zustimmung der FPÖ fand. Wie Abgeordneter Ewald Stadler erklärte, will das BZÖ nicht nur wissen, wie viele Menschen wegen Wahlbetrugs verurteilt, sondern auch wie viele Anzeigen eingebracht und zurückgelegt bzw. mangels Strafbarkeit nicht weiter verfolgt wurden.

Die mit dem Gesetzentwurf mitverhandelten Anträge der Opposition gelten als miterledigt (914/A, 1001/A, 1002/A, 1098/A, 1398/A[E]) bzw. wurden abgelehnt (600/A). Das BZÖ hatte im Antrag 600/A ein Veröffentlichungsverbot von Wahlprognosen und Meinungsumfragen über potentielles Wählerverhalten in den letzten zwei Wochen vor der Wahl gefordert, das Anliegen wurde aber nur von den Grünen mit unterstützt.

Im Vorfeld der Beschlussfassung des Wahlrechtsänderungsgesetzes 2011 hatte der Ausschuss ein Expertenhearing abgehalten (siehe PK Nr. 554/2011) und verschiedene Stellen um eine schriftliche Stellungnahme zum Gesetzesentwurf ersucht (siehe PK Nr. 419/2011). (Schluss)