Parlamentskorrespondenz Nr. 480 vom 11.05.2016

EU-Kommission will Gasversorgung unionsweit sichern

Energieunion bleibt Dauerbrenner im EU-Ausschuss des Bundesrats

Wien (PK) – Die Energieunion lässt der EU-Ausschuss des Bundesrats derzeit nicht aus den Augen. Hatte der Ausschuss in seiner Märzsitzung Vorhaben zur Einschränkung bilateraler Energieabkommen und für mehr regionale Kooperation bei Gasengpässen mit teils kritischen Stellungnahmen an Brüssel bedacht (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 303), standen heute erneut Überlegungen der EU-Kommission zur Optimierung der Energiezusammenarbeit auf der Tagesordnung.

Die sichere Versorgung mit Erdgas war dabei zentrales Thema. In einer Mitteilung regt die Kommission an, eine breitere Auswahl von Versorgungsquellen zu schaffen, wozu ein Leitungsausbau für Flüssigerdgas in Regionen mit schlechterer Anbindung an das Gasnetz nötig wäre. Flüssigerdgas ist überwiegend Methan, das verflüssigt wurde, um die Speicherung oder den Transport zu erleichtern.

Auf Grundlage eines weiteren Kommissionsschreibens erörterten die Ausschussmitglieder die EU-Strategie für die nachhaltige Wärme- und Kälteerzeugung. Primärquelle für den Großteil der Energie, die in der EU für das Heizen und Kühlen von Gebäuden verwendet wird, seien fossile Brennstoffe, heißt es in dieser Mitteilung. Angestrebt wird hier deswegen eine Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien sowie die Förderung von Energieeffizienz, etwa im Rahmen von Gebäuderenovierungen, um den Energieverlust zu verringern. Das Wirtschaftsministerium warnt in diesem Zusammenhang davor, dass insbesondere über den Weg der Einbindung der Wärme- und Kälteerzeugung in das Stromsystem die Rolle der Kernenergie aufgewertet werden könnte.

Die Strategie ist für die Bundesländer insofern von großer Bedeutung, als zukünftige, auf der Strategie basierende Legislativvorschläge vorwiegend die Kompetenz der Bundesländer betreffen werden, die für das Baurecht und für Heizungsanlagen zuständig sind.

Energiediplomatie innerhalb und außerhalb der EU gefordert

Die EU ist der weltgrößte Importeur von Erdgas. Weniger als die Hälfte des Gasbedarfs der EU wird derzeit durch die heimische Förderung gedeckt, heißt es in einem Factsheet der Kommission, der Rest wird eingeführt – hauptsächlich aus Norwegen (30%), Russland (39%) und Algerien (13%). Um die Versorgungsicherheit zu gewährleisten und gegen Versorgungslücken widerstandsfähiger zu sein, bedarf es einer Diversifizierung der Versorgungsquellen, unterstreicht die EU Kommission. Sie setzt daher auf Flüssigerdgas (LNG-Liquefied Natural Gas) und Gasspeicherung.

Damit alle Mitgliedstaaten Zugang zu den internationalen Märkten für Flüssigerdgas  erhalten - entweder auf direktem Weg oder über andere EU-Länder - braucht es die notwendige Infrastruktur, stellt die EU-Kommission fest. Während sie die Märkte in Nordwesteuropa als wettbewerbsfähig und gut vernetzt sieht, wodurch Zugang zu verschiedenen Gasversorgungsquellen gewährleistet sei, werden die Gasmärkte im Ostseeraum sowie in Ostmittel-, Südost- und Südwesteuropa als weniger weit entwickelt beschrieben.

Die EU plant daher, die fehlende LNG-Infrastruktur fertigzustellen und den Gasbinnenmarkt in kommerzieller, rechtlicher und regulatorischer Hinsicht fertigzustellen, um die EU zu einem für LNG attraktiven Markt zu machen. Weiters drängt die Kommission, Gasspeicheranlagen effizienter zu nutzen und bekennt sich dazu, die betrieblichen Vorschriften für die grenzüberschreitende Nutzung von Speicheranlagen verbessern zu wollen. Dies spiele eine wichtige Rolle beim Ausgleich der täglichen und jahreszeitlichen Schwankungen von Angebot und Nachfrage. Wichtig für die Mitgliedsstaaten sei dabei, die grenzüberschreitende Nutzung von Gasspeichern zu optimieren. Angesprochen werden im Kommissionspapier zudem die Pläne für regionalen Präventions- und Notfallmechanismen zur Bewältigung von Krisensituationen bei der Energieversorgung.

Die EU soll auch als "Player" auf den internationalen LNG-Märkten auftreten. Dementsprechend sei die EU gefordert, die Handelsbeziehungen mit internationalen Partnern zu verstärken, um freie, liquide und transparente weltweite LNG-Märkte zu fördern, sowohl unter normalen Marktbedingungen als auch im Fall externer Schocks. Im Rahmen dieser "Energiediplomatie" würden auch zwischenstaatliche Energieabkommen von Mitgliedsländern mit Drittstaaten auf ihre Kompatibilität mit dem Unionsrecht zu prüfen sein.

Grundsätzlich strebt die EU mit der Energieunion ein nachhaltiges, sicheres und wettbewerbsorientiertes Energiesystem an. Energieeffizienz als "eigenständige Energiequelle" und die verstärkte Nutzung CO2-armer Energiequellen, etwa erneuerbarer Energieträger, wertet die EU-Kommission in diesem Kontext von größter Bedeutung.

Hinsichtlich der Finanzierung von LNG-Terminals, an die Erdgas verflüssigt von den Förderstätten geliefert und auf eigene Schiffe zum Weitertransport gepumpt wird, geht man davon aus, dass dies über die Endnutzertarife passiert. Die Kommission räumt jedoch ein, dass sich in einigen Fällen - etwa bei Unterauslastung - ein Investitionsrisiko für die Marktteilnehmer ergibt. Daher ist angedacht, EU-Mittel zur Verfügung zu stellen, um die schwache wirtschaftliche Tragfähigkeit von Terminals auszugleichen, besonders von jenen, die wichtig für die Versorgungssicherheit sind. Dazu zählen etwa Mittel aus der Fazilität "Connecting Europe", aber auch Darlehen der Europäischen Investitionsbank (EIB), unter anderem im Rahmen des Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI). Jedenfalls aber seien sämtliche wirtschaftlichen Aspekte neuer Terminals zu prüfen und die kosteneffizientesten Lösungen zu wählen, betont die Kommission.

Kritik an der einseitigen Ausrichtung der Energieunion

Ein Vertreter des Wirtschaftsministeriums machte einleitend darauf aufmerksam, dass es sich bei den Vorschlägen der Kommission um ein Strategiepapier handelt; konkrete Rechtsetzungserfordernisse auf Ebene der Mitgliedstaaten sind nicht ablesbar. Derzeit spiele LNG für die Gasversorgung in Österreich keine Rolle und werde wohl auch in Zukunft von begrenzter Bedeutung sein. Die Kapazität der Erdgasspeicher in Österreich sei grundsätzlich hoch. Es sei aber wichtig, dass die Erdgasspeicher im Regulierungskontext so behandelt werden, dass für die Marktteilnehmer ein Anreiz besteht, das Gas auch einzuspeichern.

Bundesrat Stefan Schennach (S/W) übte Kritik an der einseitigen Ausrichtung der Energieunion, die den Fokus noch immer auf fossile Energieträger legt. Auch die Vertreterin der Grünen, Heidelinde Reiter (G/S), hielt es – gerade im Hinblick auf den Weltklimavertrag von Paris – für inakzeptabel, dass im Strategiepapier der Kommission kein Bekenntnis zu einem Ausstieg aus den fossilen Energiebereich zu finden ist. Ferdinand Tiefnig (V/O) gab zu bedenken, dass es in der Mitteilung primär um die Versorgungssicherheit gehe, was angesichts der Entwicklungen in Russland oder im arabischen Raum natürlich von Bedeutung sei.

Heizen und Kühlen: EU will unabhängiger von Energieimporten werden…

Die Strategie für eine effizientere, nachhaltigere Wärme- und Kälteerzeugung hält die Europäische Kommission ebenfalls als bedeutende Weichenstellung zur Energieunion hoch. Die Maßnahmen sollen dazu beitragen, Energieverluste bei Gebäuden zu senken, die Effizienz und Nachhaltigkeit von Heiz- und Kühlanlagen zu optimieren, die Energieeffizienz in der Industrie zu fördern und Vorteile der Einbindung der Wärme- und Kälteerzeugung in das Stromsystem zu nutzen. Energieimporte und die Abhängigkeit von ihnen sollen damit verringert und die Kosten für Haushalte und Unternehmen gesenkt werden. Schwerpunkt der Strategie ist nicht nur, die Versorgungssicherheit mit Energie zu gewährleisten, sondern auch das von der EU festgelegte Ziel der Treibhausgasminderung zu erreichen und die Verpflichtung zu erfüllen, die die EU im Rahmen der bei der Klimakonferenz in Paris (COP21) erzielten Einigung eingegangen ist. Vor dem Hintergrund der EU-Klimaziele wird mit einem Rückgang der Wärme- und Kältenachfrage bis 2050 bei gleichzeitiger CO2-Reduzierung um 42% bis 56% gerechnet, sodass diesem Bereich bei der Senkung der Emissionen eine zentrale Rolle zukommen dürfte.

Die vorliegende Strategie ist die erste, die darauf abzielt, die Wärme- und Kälteerzeugung in Gebäuden und Industrie zu optimieren. Auf sie fallen 50% des jährlichen Energieverbrauchs in der EU. Die Heiz- und Kühlsysteme werden derzeit allerdings großteils mit fossilen Brennstoffen betrieben, gibt die Kommission zu bedenken, erneuerbare Energien sind in dem Sektor wenig verbreitet. Dabei gehe immer noch zu viel Energie verloren. Gründe dafür lägen in veralteten Gebäuden, beziehungsweise ineffizienten Heizungsanlagen.

Da nur 18% des Bedarfs über alternative Energieformen abgedeckt werde, überlegt man, den Einsatz von Technologien auf Basis erneuerbarer Energien mit Mitteln aus den Europäischen Struktur- und Investitionsfonds, dem EU-Programm für Forschung und Entwicklung "Horizont 2020" und dem Integrierten Strategieplan für Energietechnologie anzukurbeln. Bis 2050 soll die Umstellung des EU-Gebäudebestands auf emissionsarme Energiesysteme erreicht sein, so das Ziel der Kommission, die sich davon nicht nur große Einsparungen bei Gas- und Öleinfuhren verspricht, sondern auch eine Minderung der CO2-Emissionen um 30%. Der Industrie wird genauso – schon aus wirtschaftlichen Gründen – der Umstieg auf neue energiesparende Technologien empfohlen.

…und den Energieverlust eindämmen

Zur Senkung des Energieverbrauchs in Gebäuden will die Kommission der ihrer Ansicht nach geringen Renovierungsquote mit einem speziell für Mehrfamilienhäuser konzipierten Maßnahmenpaket beikommen. Unter anderem sieht die EU-Strategie eine bessere Kostenverteilung vor, damit sowohl MieterInnen als auch VermieterInnen von Investitionen in eine Renovierung von Altbauten profitieren. Gefördert werden sollen überdies Energieeffizienzmodelle im öffentlichen Bereich: beispielsweise energetische Sanierungen an Schulen oder Krankenhäusern, also besonders energieintensiven Immobilien. Die Wiederverwendung von Abwärme und -kälte aus der Industrie, etwa durch direkte Einspeisung über Fernwärmenetze und eine erhöhte Zuverlässigkeit von Energieausweisen, stehen ebenfalls auf der energiepolitischen Agenda der EU.

Erhofft werden damit nicht nur eine Hebung von Lebensqualität dank weniger Luftverschmutzung und sinkende Heiz- bzw. Energiekosten für BürgerInnen und Wirtschaft, sondern auch die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Die Herstellung und der Einbau von Geräten und Materialien, mit denen die Energieeffizienz erhöht wird und erneuerbare Energien zum Einsatz kommen, sind laut Mitteilung arbeitsintensiv und schaffen im Durchschnitt potenziell doppelt so viele Arbeitsplätze wie die Herstellung und der Einbau herkömmlicher Energieerzeugungsgeräte. Als konkrete erste Schritte denkt die Kommission zur Effizienzsteigerung bei Wärme- und Kältesystemen unter anderem eine Überarbeitung der Energieeffizienz-Richtlinie und eine Neugestaltung des Strommarkts, auch mit Bedacht auf erneuerbare Energiequellen, an.

Massive Bedenken bezüglich der Forcierung von Atomenergie

Beim vorliegenden Konzept handelt es sich zwar auch nur um eine Mitteilung der Kommission, erläuterte ein Experte des Wirtschaftsministeriums, er erwarte sich aber im Laufe des Jahres noch konkrete Legislativvorschläge. Von österreichischer Seite werde die Initiative zu Heizen und Kühlen im Rahmen der Energieunion grundsätzlich positiv bewertet, gleichzeitig müsse aber das Subsidiaritätsprinzip beachtet werden. Ein großes Risiko werde vor allem darin gesehen, dass insbesondere über den Weg der Einbindung der Wärme- und Kälteerzeugung in das Stromsystem die Rolle der Kernenergie aufgewertet werden könnte.  

Auch Bundesrat Stefan Schennach (S/W) sah die große Gefahr, dass mit dieser EU-Strategie wieder die Atomenergie durch die Hintertür hereingebracht werden soll. Er regte daher an, das Strategiepapier in der nächsten Sitzung noch einmal auf die Tagesordnung zu setzen und schlug vor, bis zur nächsten Sitzung eine diesbezügliche Mitteilung auszuarbeiten. Man sollte nicht darauf warten, bis die EU Vorschläge zu diesem Thema macht, warnte Heidelinde Reiter (G/S), sondern den guten nationalen Weg ambitioniert fortsetzen. Sie glaube generell nicht, dass die angesprochenen Bereiche im großen Rahmen gelöst werden können, vielmehr seien sie auf lokaler Ebene besser aufgehoben. (Fortsetzung EU-Ausschuss)jan/sue


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