Parlamentskorrespondenz Nr. 751 vom 28.06.2016

Sozialausschuss macht Weg für Ausbildungspflicht für Jugendliche frei

Erforderliche Zweidrittelmehrheit im Nationalrat noch fraglich

Wien (PK) – Rund 5.000 Jugendliche verlassen nach Schätzung des Sozialministeriums jedes Jahr das Bildungs- und Ausbildungssystem in Österreich ohne einen über die Pflichtschule hinausgehenden Abschluss. Sie haben ein besonders hohes Arbeitslosigkeitsrisiko und landen häufig in schlecht bezahlten Hilfsjobs, etliche sind armutsgefährdet bzw. von Sozialleistungen abhängig. Dem will die Politik nun mit einer Ausbildungspflicht für Jugendliche bis 18 entgegenwirken. Der Sozialausschuss des Nationalrats machte heute den Weg für ein entsprechendes Gesetzespaket der Regierung frei. Für den Entwurf stimmten allerdings nur die Koalitionsparteien, damit wackelt die im Nationalrat erforderliche Zweidrittelmehrheit noch.

Die Grünen begrüßen die vorgesehene Ausbildungspflicht zwar grundsätzlich, sie sehen es allerdings als großes Manko, dass sie nicht für AsylwerberInnen gilt. Wenn junge Flüchtlinge keine Ausbildung erhalten, würden sie sich andere Perspektiven suchen, die niemand wolle, warnte Grün-Abgeordnete Birgit Schatz. ÖVP-Sozialsprecher August Wöginger ist angesichts der Gefahr eines negativen Asylbescheids jedoch dagegen, falsche Signale an die Betroffenen zu senden und damit nicht erfüllbare Erwartungshaltungen zu wecken. Er setzt vielmehr auf flächendeckende Deutschkurse und eine Beschleunigung der Asylverfahren. Unstrittig ist, dass asylberechtigte und subsidiär schutzberechtigte Jugendliche vom Geltungsbereich des Gesetzes umfasst sind, dazu wurde auch eine Ausschussfeststellung gefasst.

Keine Zustimmung zum Gesetzespaket wird jedenfalls von der FPÖ kommen, wie Sozialsprecher Herbert Kickl klarmachte. Für ihn ist die Ausbildungspflicht "ein untauglicher Versuch, das Ruder herumzureißen". Seiner Ansicht nach wäre es vielmehr notwendig, im Bildungssystem anzusetzen, um die Zahl schlecht qualifizierter Jugendlicher zu reduzieren. Auch das Team Stronach und die NEOS äußerten sich skeptisch. NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker konnte sich mit diversen Abänderungs- und Entschließungsanträgen jedoch nicht durchsetzen.

Seitens der Koalitionsparteien wies Ulrike Königsberger-Ludwig (S) darauf hin, dass es darum gehe, Jugendliche zu unterstützen, die es aus eigener Kraft nicht schaffen, eine Ausbildung zu machen. Man müsse auch lernschwachen Jugendlichen eine Perspektive geben, ist sie sich mit ÖVP-Sozialsprecher Wöginger einig. SPÖ-Abgeordnetem Markus Vogl zufolge wird das Gesetz aber nur funktionieren, wenn es gelinge, einen gesellschaftlichen Konsens darüber herzustellen, dass es wichtig ist, dass Jugendliche über die Schulpflicht hinaus eine Ausbildung absolvieren.

Ab 2018 drohen Strafen bis zu 500 € für Erziehungsberechtigte

Kernpunkt des beschlossenen Gesetzespakets (1178 d.B.) ist ein neues Ausbildungspflichtgesetz, das Erziehungsberechtigte dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs entweder eine Schule besuchen, eine Lehre absolvieren oder eine sonstige Ausbildung machen. Anerkannt werden etwa auch AMS-Kurse, Vorbereitungslehrgänge oder Praktika, wenn sie im Rahmen des vorgesehenen Perspektiven- und Betreuungsplans genehmigt wurden. Ausnahmen sind nur für Jugendlichen vorgesehen, die Kinderbetreuungsgeld beziehen, ein Freiwilliges Soziales Jahr oder ähnliches absolvieren, aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen keine qualifizierte Ausbildung machen können oder bereits eine weiterführende Ausbildung abgeschlossen haben.

Bei Verstößen gegen die Ausbildungspflicht drohen den Erziehungsberechtigten, ähnlich wie bei der Verletzung der Schulpflicht, Geldstrafen zwischen 100 € und 500 €. Im Wiederholungsfall sind bis zu 1.000 € vorgesehen. Allerdings soll erst ab Juli 2018 gestraft werden. Bis dahin will das Sozialministerium nicht nur ein ausreichendes Unterstützungsangebot für Jugendliche sicherstellen, sondern auch für eine Ausweitung des bestehenden Auffangnetzes für Jugendliche ohne Lehrstelle sorgen. Im Konkreten sind etwa ein erleichterter Zugang zu Produktionsschulen und eine Ausweitung des Jugendcoaching vorgesehen. Gelten wird die Ausbildungspflicht für alle Jugendlichen, die mit Ende des Schuljahrs 2016/17 bzw. danach ihre allgemeine Schulpflicht erfüllt haben (siehe auch Parlamentskorrespondenz Nr. 663/2016)

Sozialministeriumservice soll Ausbildungspflicht koordinieren

Zur Sicherstellung der Ausbildungspflicht sieht das Gesetzespaket die Einrichtung von Koordinierungsstellen des Sozialministeriumservice (SMS) vor. Sie haben in Kooperation mit dem Arbeitsmarktservice (AMS) gegebenenfalls auch einen Perspektiven- und Betreuungsplan für die Jugendlichen zu erstellen. Dieser Koordinierungsstelle müssen die Eltern auch melden, wenn ihr Kind innerhalb von vier Monaten nach Abschluss der Pflichtschule bzw. nach einem Schul- oder Ausbildungsabbruch keine neue Ausbildung begonnen hat. Auch öffentliche Einrichtungen und Institutionen wie Schulen, Arbeitsmarktservice (AMS) und Sozialversicherung sind meldepflichtig.

Um die Finanzierung des Maßnahmenpakets sicherzustellen, ist eine Änderung des Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetzes vorgesehen: Künftig können auch Aufwendungen zur Erfüllung der Ausbildungspflicht aus dem Budgettopf für Arbeitsmarktpolitik finanziert werden. Darüber hinaus wird zur rechtlichen Absicherung der Ausbildungspflicht ein neuer Kompetenztatbestand "Ausbildungspflicht für Jugendliche" in der Verfassung verankert. Sowohl die Gesetzgebung als auch die Vollziehung werden beim Bund liegen.

Mitberücksichtigt bei der Abstimmung wurde ein Abänderungsantrag der Koalitionsparteien, der jedoch lediglich technische Korrekturen beinhaltet. Die Ausschussfeststellung zum Thema Flüchtlinge wurde auch von den NEOS und von den Grünen unterstützt.

FPÖ ortet bürokratisches Werk der Sonderklasse

Heftige Kritik am Gesetzespaket übte die FPÖ. Für Abgeordneten Herbert Kickl ist die Ausbildungspflicht ein untauglicher Versuch der Regierungsparteien, "das Ruder herumzureißen". Seiner Meinung nach betreiben die Regierungsparteien Sozialpolitik als "Flickschusterei" und greifen viel zu spät sowie mit falschen Mitteln in die Biographie von Menschen ein. Zudem ist das Ausbildungspflichtgesetz seiner Ansicht nach "ein bürokratisches Werk der Sonderklasse".

Kickl ist überzeugt, dass bestehende Probleme am Arbeitsmarkt mit der Ausbildungspflicht nur um zwei Jahre nach hinten verlagert werden. Mit weiteren Kursangeboten des AMS und anderer Institutionen werde man Probleme wie Qualifikationsmängel von SchulabgängerInnen nicht beheben können. Vielmehr müsse man im Bildungsbereich ansetzen, bekräftigte er. Kickl versteht auch nicht, warum es nicht gelinge, österreichische Jugendliche in Mangelberufen auszubilden, statt ausländische Beschäftigte nach Österreich zu holen.

Ähnlich kritisch äußerten sich Kickls FraktionskollegInnen Peter Wurm und Carmen Schimanek. Rot und Schwarz hätten das duale Ausbildungssystem kaputt gemacht, bemängelte Wurm. Schimanek verwies darauf, dass im Begutachtungsverfahren kaum eine positive Stellungnahme zum Gesetzesentwurf gekommen sei.

NEOS und Team Stronach drängen auf besseres Bildungssystem

Auch NEOS-Abgeordneter Gerald Loacker und Team-Stronach-Abgeordnete Waltraud Dietrich sehen das Hauptproblem in Versäumnissen in der Bildungspolitik. Viele Jugendliche seien am Ende der Schulpflicht nicht in der Lage, einfachste Aufgaben zu lösen, kritisierte Dietrich. "Wir haben das Bildungssystem in Grund und Boden gefahren." Mit der Ausbildungspflicht würden nur Symptome behandelt, statt die Ursache der bestehenden Probleme zu bekämpfen. Als wesentlich erachtet es Dietrich auch, den Lehrberuf attraktiver zu gestalten.

Von einem "Murks" der Regierung sprach Abgeordneter Loacker. Auf den ersten Blick wirke eine Ausbildungspflicht für Jugendliche zwar sinnvoll, meinte er, im Detail sieht er aber eine Reihe ungelöster Probleme. So lehnt Loacker beispielsweise die vorgesehene Finanzierung des Maßnahmenpakets aus für Arbeitsmarktpolitik reservierten Budgetmitteln ab. Eine grundlegende Ausbildung sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und eine Bildungsfrage, argumentierte er und plädierte in diesem Sinn dafür, die Finanzierung aus allgemeinen Budgetmitteln sicherzustellen.

Ein entsprechender Abänderungsantrag der NEOS fand allerdings ebenso wenig eine Mehrheit wie die Forderung, ein konkretes, erreichbares und messbares Ausbildungsziel als Zweck des vorgesehenen Perspektiven- und Betreuungsplanes für Jugendliche ohne Schul- und Lehrplatz zu verankern. Loacker will damit die Gefahr beliebiger Kursmaßnahmen minimieren. Es gehe schließlich nicht nur darum, die Betroffenen aus der Arbeitslosenstatistik herauszubekommen, argumentierte er.

Auch mit zwei Entschließungsanträgen und einer beantragten Ausschussfeststellung konnte sich Loacker nicht durchsetzen. Unter anderem sprachen sich die NEOS für eine bessere Kooperation mit dem Bildungsministerium und anderen Ressorts in Sachen Ausbildungspflicht, eine umfassende Evaluierung der neuen gesetzlichen Bestimmungen nach fünf Jahren sowie eine befristete Geltungsdauer des Gesetzes bis Mitte 2024 aus. Zudem hält Loacker eine deutliche Stärkung der Polytechnischen Schulen, die mittelfristige Einführung einer "mittleren Reife" und weitere Bildungsreformen für dringend notwendig. Entschieden abgelehnt wurde von Loacker eine Pflicht für Unternehmen, Lehrlinge einzustellen.

Grüne begrüßen Gesetz mit Vorbehalten

Auch Grün-Abgeordnete Birgit Schatz sieht Reformen im Bildungsbereich als einen wesentlichen Schlüssel, um Bildungsdefizite von Jugendlichen zu beheben. Sie ist allerdings überzeugt, dass es ergänzender arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen bedarf. In diesem Sinn sieht sie die Ausbildungspflicht für Jugendliche als konsequenten nächsten Schritt nach der bereits eingeführten Ausbildungsgarantie.

Schatz gestand auch zu, dass es zwischen dem Ministerialentwurf und dem vorliegenden Gesetzentwurf zu erheblichen Verbesserungen gekommen sei. Neben der Einbeziehung von behinderten Jugendlichen hob sie etwa die vorgesehene intensive sozialpädagogische Begleitung und Betreuung von Jugendlichen ohne Schul- bzw. Ausbildungsplatz hervor.

Ihrer Ansicht nach ist es allerdings ein gravierender Fehler, dass junge Flüchtlinge, die noch keinen positiven Asylbescheid haben, "von dieser Bildungsmaßnahme ferngehalten werden". Wenn sie Glück haben, würden sie zwar einen Platz in einem Deutschkurs ergattern, skizzierte Schatz, ein Platz in einer Übergangsklasse oder eine Lehre in einem Mangelberuf seien aber wegen beschränkter Plätze bzw. mangelnder Deutschkenntnisse aber kaum zu bekommen. Die Abgeordnete fürchtet, dass sich die Betroffenen mangels Alternativen andere Perspektiven suchen, "die niemand will". Damit sei eine gescheiterte Integration auch bei einem positiven Asylbescheid vorgezeichnet. Schatz hofft, hier in den nächsten Tagen noch eine Lösung zu finden.

Koalition will lernschwachen Jugendlichen eine Perspektive bieten

ÖVP-Sozialsprecher August Wöginger hält eine Ausbildungspflicht für AsylwerberInnen hingegen für nicht sinnvoll. Er fürchtet, dass man damit falsche Signale an die jungen Flüchtlinge senden und Erwartungshaltungen wecken würde, die bei einem negativen Asylbescheid nicht erfüllt werden könnten. Er setzt vielmehr auf flächendeckende Deutschkurse und rasche Asylverfahren.

Der Gesetzentwurf der Regierung wurde von Wöginger ausdrücklich begrüßt. Österreich habe im EU-Vergleich zwar nach wie vor eine niedrige Jugendarbeitslosigkeit, was Wöginger auf den Erfolg des dualen Ausbildungsmodells und viele weitere bereits gesetzte Schritte zurückführt. Er hält es aber für notwendig, allen Jugendlichen eine Perspektive zu geben, auch jenen, die keinen Pflichtschulabschluss schaffen. Es sei Sinn der Ausbildungsverpflichtung, dass auch lernschwache SchülerInnen nicht auf der Strecke bleiben. Den Vorwurf übermäßiger Bürokratie wies Wöginger zurück.

Dezidiert begrüßt wurde das Gesetz auch von den Abgeordneten Franz-Joseph Huainigg (V), Angelika Winzig (V), Johann Hechtl (S), Markus Vogl (S) und Ulrike Königsberger-Ludwig (S). Es gebe Jugendliche, die es aus eigener Kraft nicht schaffen, eine Ausbildung zu machen, gab Königsberger-Ludwig zu bedenken. Diese gelte es zu unterstützen und nicht alleine zu lassen. Nach Meinung ihres Fraktionskollegen Vogl wird die Ausbildungspflicht aber nur funktionieren, wenn ein gesellschaftlicher Konsens darüber herrscht, dass es wichtig ist, dass Jugendliche über das Ende der Schulpflicht hinaus eine weitere Ausbildung absolvieren. Es gebe heute kaum noch Arbeitsplätze, wo nur Hilfsarbeiten anfallen, brachte er in diesem Zusammenhang vor.

ÖVP-Abgeordnete Winzig hob hervor, dass eine Ausbildungspflicht auch aus Sicht der Wirtschaft ein wesentliches Anliegen ist. Man müsse aber vorrangig die betriebliche Lehrlingsausbildung forcieren und dürfe Jugendliche nicht in Überbetriebliche Ausbildungsstätten abschieben, erklärte sie. Ihr Fraktionskollege Huainigg zeigte sich insbesondere darüber erfreut, dass die Ausbildungspflicht auch für behinderte Jugendliche gilt. Es sei für Betroffene schwierig, einen passenden Ausbildungsplatz zu finden.

Sozialminister Alois Stöger unterstrich, dass ein vorzeitiger Abbruch der Ausbildung einen schlechten Start ins Berufsleben bedeute und jahrelange Auswirkungen habe. Für ihn ist es wichtig, mit der Ausbildungspflicht alle Jugendlichen zu erreichen. Ziel sei es, durch "nachgehende Sozialarbeit" für jeden Jugendlichen einen Ausbildungsplan zu erstellen. Eine Evaluierung des Gesetzes ist für Stöger selbstverständlich, man müsse hinschauen, ob dessen Ziele tatsächlich erreicht werden. Sowohl der Minister als auch ÖVP-Sozialsprecher Wöginger bekräftigten außerdem gegenüber Abgeordnetem Loacker, dass es um eine Ausbildungsverpflichtung gehe und keine Einstellungspflicht von Unternehmen. (Fortsetzung Sozialausschuss) gs