Parlamentskorrespondenz Nr. 575 vom 16.05.2017

Nationalrat: Kurz schlägt Brandstetter als Vizekanzler vor und will sachliche Zusammenarbeit mit SPÖ

Team Stronach wirft Außenminister in der Aktuellen Stunde Versagen in der Migrationspolitik vor

Wien (PK) – In der heutigen Aktuellen Stunde ging es weniger um Fragen der Grenzsicherung und der Migration, sondern – wie nicht anders zu erwarten - um die weitere Form der Regierungszusammenarbeit zwischen SPÖ und ÖVP. Der neu designierte ÖVP-Klubobmann Sebastian Kurz bekräftigte, dass er das Koalitionsübereinkommen nicht brechen will und an einer Umsetzung der zwischen ihm und Kanzler Kern akkordierten Punkte interessiert ist. Der Klubobmann des Team Stronach, Robert Lugar, zog diese Aussage in Zweifel und sprach die Vermutung aus, dass für Kurz die Rückeroberung des Bundeskanzlers im Mittelpunkt steht. Wäre er nämlich wirklich an der Zukunft Österreichs interessiert, dann könnte er noch heute gemeinsam mit der FPÖ und dem Team Stronach alle wichtigen Fragen umsetzen. Kurz müsse endlich politische Verantwortung übernehmen, damit sich die Bevölkerung ein Bild von seiner Arbeit machen könne. Der Titel der Aktuellen Stunde lautete übrigens: "Schutzzonen, Grenzsicherung, Integration: Wahlkampf oder Umsetzung?"

Justizminister Wolfang Brandstetter gab in einem kurzem Statement bekannt, dass er gestern Abend von Sebastian Kurz gefragt wurde, ob er die Position des Vizekanzlers übernehmen will. Er habe unter der Bedingung zugesagt, dass es wirklich darum geht, wichtige Projekte noch umzusetzen. Die Bevölkerung erwarte es sich nämlich zu Recht, dass "diese Bundesregierung ihre Tätigkeit konstruktiv und in Würde beendet". In den letzten Stunden habe sich die Situation aber geändert. Da er persönlich keine Ambitionen auf irgendein Amt habe, würde er diese Funktion nur dann übernehmen, wenn es eine echte Chance auf Umsetzung der begonnen Vorhaben gibt. Ihm bleibe nur der Appell: "An die Arbeit!"

Kurz will bis zu den Neuwahlen ordentliche Sacharbeit leisten und akkordierte Punkte umsetzen

Der neue geschäftsführende ÖVP-Parteiobmann und Außenminister Sebastian Kurz verteidigte zunächst seinen Wunsch nach vorgezogenen Neuwahlen, wobei er die bereits bekannten Argumente wiederholte. Einerseits sei es wenig sinnvoll, den Dauerwahlkampf der letzten Monate fortzusetzen, und andererseits sollte die Bevölkerung die Möglichkeit haben, zu entscheiden, wer die politische Spitze des Landes ist. Die letzten, die in Österreich gewählt wurden, waren Vizekanzler Spindelegger und Bundeskanzler Faymann, erinnerte Kurz. Er sei daher froh darüber, dass sich die Oppositionsparteien relativ schnell auf einen Terminvorschlag geeinigt haben und hoffe, dass es dazu auch eine Zustimmung von Seiten der SPÖ gibt. Der Außenminister wünschte sich zudem, dass es einen "kurzen, intensiven und fairen Wahlkampf" gibt.

Kurz betonte zudem, dass er sich an das Regierungsübereinkommen gebunden fühle und daher die SPÖ im Nationalrat nicht überstimmen wolle. Das gestrige Gespräch mit Bundeskanzler Kern stimme ihn optimistisch; es sollte daher möglich sein, die einzelnen Punkte in aller Ruhe gemeinsam abzuarbeiten. Was die personelle Ebene angeht, so habe er Justizminister Wolfgang Brandstetter, der durch seine sachliche Arbeit aufgefallen und noch nie in einen Streit innerhalb der Regierung verwickelt war, als Vizekanzler vorgeschlagen. Harald Mahrer soll die Wirtschafts- und Wissenschaftsagenden übernehmen, um für Kontinuität in diesen Bereich zu sorgen; das bisherige Staatssekretariat kann eingespart werden.

Im Hinblick auf die konkreten Themen, die in der Aktuellen Stunde angesprochen wurde, kündigte Kurz die Fortsetzung seines konsequenten Weges an. Gerade die Flüchtlingskrise habe für ihn eine große Herausforderung dargestellt, da anfangs sehr viele für eine Politik der offenen Grenzen und der unbeschränkte Aufnahme in Europa eingetreten sind. Er habe von Anfang an eine andere Haltung vertreten und sich immer klar gegen das Weiterwinken ausgesprochen, unterstrich der Außenminister. Durch die gute Zusammenarbeit mit den Balkanstaaten war es möglich, diese Entwicklung zu beenden. Dieselbe Politik gelte es nun auf der Mittelmeerroute anzuwenden, da die Rettung nicht automatisch mit einem Ticket nach Mitteleuropa verbunden sein könne. Diese falsche Vorgangsweise habe zudem dazu geführt, dass jedes Jahr mehr Menschen bei der Überfahrt sterben. "Ich garantiere Ihnen, Europa wird uns in dieser Frage folgen und diese Politik beenden, weil sie falsch ist", war Kurz überzeugt.

Eine Riesenherausforderung bleibe natürlich das Thema Integration, da in nur wenigen Jahren 150.000 Menschen aus ganz anderen Kulturkreisen nach Österreich gekommen sind. Das heute auf der Tagesordnung stehende Integrationspaket sei die richtige Antwort, weil es neben zusätzlichen Deutsch- und Wertekursen, den Menschen die Möglichkeit bietet, im Rahmen von gemeinnützigen Tätigkeiten einen sinnvollen Beitrag zu leisten. Wichtig war ihm auch, ein klares Signal gegen Symbole der Gegengesellschaft, wie etwa in Form der Vollverschleierung oder der Koranverteilung durch Salafisten, zu setzen, schloss Kurz.

SPÖ appelliert an die ÖVP, an der Umsetzung wichtiger Reformen mitzuwirken

SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder sprach von einem "Blockade-Schauspiel" von Seiten der ÖVP und führte dabei die Namen Sobotka und Kurz ins Treffen. Er hoffe, dass der neue ÖVP-Chef nun auch die politische Verantwortung übernimmt und sich dafür einsetzt, die wichtigen noch ausständigen Vorhaben rasch umzusetzen. Dies reiche von der Beschäftigungsaktion 20.000, der Einrichtung der Primärversorgungszentren, der Bildungsreform, der Entgeltfortzahlung für UnternehmerInnen, der Frauenquote in großen Unternehmen bis hin zur dringend notwendigen Anhebung der Studienbeihilfen. Josef Cap (S) stellte in Richtung Sebastian Kurz pointiert fest, wer die Position des Vizekanzlers nicht machen kann, der kann auch den Bundeskanzler nicht machen.

ÖVP bietet SPÖ konstruktive Zusammenarbeit in 17 wichtigen Punkten an

"Wir haben mehr Übereinstimmung als manche glauben", konstatierte Reinhold Lopatka, der ebenfalls auf die akkordierten Punkte zwischen SPÖ und ÖVP einging. Neben den von Bundeskanzler Kern genannten zehn Punkten gebe es noch sieben Vorhaben von Seiten der ÖVP, die nun in Angriff genommen werden sollten: ein neues Sicherheitspolizeigesetz, die Abschaffung der kalten Progression, die Anpassung der Familienbeihilfenleistungen ins Ausland, Flexibilisierungsmaßnahmen am Arbeitsmarkt, die Abschaffung des Kumulationsprinzips im Gewerbesektor, der zweite Teil des Fremdenrechtsänderungspakets sowie die Studienplatzfinanzierung. Auch was die Bildungsreform angeht, so stellte Lopatka klar, dass die Volkspartei bereit sei, diese noch vor den Wahlen umzusetzen. Gewährleistet soll zudem sein, dass der Untersuchungsausschuss noch im Mai und Juni intensiv arbeiten kann. Die heutige Aktuelle Stunde biete auch die Gelegenheit, der Bevölkerung zu eigen, welch wichtigen Beitrag Sebastian Kurz in Sachen Migration und Integration für Österreich geleistet hat, meinte Michael Hammer (V). Er war von Anfang an auf der richtigen Seite; die SPÖ sei erst nach einiger Zeit auf diese Linie eingeschwenkt.

FPÖ: Neue ÖVP ist nur "ein alter Hut mit neuem Mascherl"

Die Vorgangsweise der ÖVP ist wenig glaubwürdig, da sie in den letzten Jahren mitverantwortlich für Chaos, Streit und Stillstand in der Regierung war, urteilte der freiheitliche Klubobmann Heinz-Christian Strache (F). Da die derzeitige Regierung die staatspolitische Verantwortung offensichtlich nicht tragen wolle, habe er gestern die die anderen Oppositionsparteien eingeladen, um einen Termin für Neuwahlen zu vereinbaren. Man habe nicht nur einen geordneten Fahrplan fixiert, sondern auch die Fortsetzung der Arbeit des Untersuchungsausschusses sichergestellt. Strache fragte sich zudem, welche Erfolge eigentlich Kurz bis jetzt vorweisen könne. Er sehe nur Probleme und Missstände, die von einem völlig unzureichendem Islamgesetz, einer katastrophalen Zuwanderungspolitik, einer misslungenen Integrationspolitik, illegalen Doppelstaatsbürgerschaften bis hin zu fehlenden Rücknahmeabkommen reichen. Auch Dagmar Belakowitsch-Jenewein (F) bemängelte, dass Sebastian Kurz seit dem Jahr 2013 keine einzige Regierungsvorlage in seiner Funktion als Integrationsminister eingebracht hat; dies sei eine Missachtung des Parlaments.

Grüne: Vorgangsweise der ÖVP ist für die Bevölkerung untragbar

Sebastian Kurz muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er bei der innerhalb der Regierung betriebenen Obstruktionspolitik, für die vor allem Lopatka und Sobotka verantwortlich waren, zumindest zugesehen hat, urteilte Eva Glawischnig-Piesczek (G). Der Rücktritt von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner sei der beste Beweis dafür. Dies konnte man auch schon in der Vergangenheit mehrmals beobachten. Jede zweite Koalition wurde vorzeitig gesprengt, zeigte die Klubobfrau der Grünen auf, die einen Misstrauensantrag gegen Innenminister Wolfgang Sobotka ankündigte. Sie sei froh darüber, dass es der Opposition nun gelungen ist, wenigstens den Untersuchungsausschuss, der das größte Schmiergeldnetzwerk in der Zweiten Republik überprüfen soll, bis in den Sommer weiterarbeiten zu lassen. Außerdem sollten all jene beschlussreifen Vorlagen, die fix-fertig ausverhandelt sind, realisiert werden. Als Beispiel führte Glawischnig-Piesczek das Ökostromgesetz an, bei dem es um ein Investitionsvolumen von über einer Milliarde Euro geht. Außerdem brauchen wir eine Politik, die die Menschenwürde achtet, mahnte Alev Korun (G) ein, insbesondere im Hinblick auf alle schutzsuchenden Menschen.

NEOS: Wer soll das ernsthaft glauben?

Seit über 30 Jahren sitzt die ÖVP in der Regierung und immer gibt es das gleiche Spiel, erklärte Nikolaus Scherak von den NEOS. Wer soll bitte glauben, dass sich jetzt wirklich alles ändern soll? Auch nach den Wahlen werde man sehen, dass wieder nur die Verteidigung der eigenen Pfründe und der eigenen Interessen im Vordergrund stehen, befürchtete Scherak. Dies führe leider dazu, dass die Menschen das Interesse an Politik verlieren und generell kein Vertrauen mehr in die Institutionen haben. In der Migrationsfrage sprachen sich sowohl er als auch sein Fraktionskollege Gerald Loacker gegen die von Kurz propagierte "Renationalisierung der Grenzkontrollen" aus, weil dadurch der Standort Österreich geschwächt und generell Europa langfristig gefährdet wird.

Team Stronach wirft ÖVP unehrliche Politik vor

Abgeordnete Martina Schenk schloss sich der Kritik ihres Klubobmanns an, wonach Ankündigungen und schöne Worte allein beim Thema Zuwanderung zu wenig sind. Wenn man sich die Regierungsbilanz anschaue, dann sei nur wenig Positives zu finden. Auch am OSZE-Vorsitz durch Außenminister Kurz wurde schon mehrfach Kritik geäußert. Der Außenminister habe sich wohl primär darum gekümmert, den eigenen Vorsitzenden los zu werden. Dies habe ja eine lange Tradition in der ÖVP und werde von den WählerInnen sicher nicht goutiert, waren Martina Schenk und Leopold Steinbichler (T) überzeugt.

Vor allem Österreich leidet unter dem Totalversagen der EU in der Flüchtlingskrise, meinte Abgeordneter Gerhard Schmid (o.F.), statt Fachkräften sind vor allem  Wirtschafts- und SozialmigrantInnen gekommen. Eine eigenständige Grenzsicherung sei daher dringend geboten. Auch Abgeordneter Rupert Doppler (o.F.) sah die Migrations- und Integrationspolitik als gescheitert an; damit werde die Zukunft der nächsten Generation massiv gefährdet. (Fortsetzung Nationalrat) sue