Parlamentskorrespondenz Nr. 162 vom 23.02.2022

Lieferkettengesetz: Nationalrat diskutiert EU-Vorschlag

Abgeordnete unterstützen Ziel des Gesetzes, jedoch mit unterschiedlichen Zugängen

Wien (PK) – Im Vorfeld der Präsentation eines EU-weiten Lieferkettengesetzes durch die EU-Kommission wählten die Grünen heute für ihre Aktuelle Europastunde im Nationalrat das Thema: "Menschenrechts- und Umweltverbrechen in Lieferketten: Verantwortlichkeit für Konzerne im Europäischen Zivil- und Strafrecht".

Konkret geht es darum, Sorgfaltspflichten für große Unternehmen zu verankern, um sicherzustellen, dass die an der Lieferkette beteiligten Unternehmen Umwelt- und Klimaschutz sowie Menschen- und Arbeitsrechte auch einhalten. Verstöße gegen die Regeln sollen Sanktionen nach sich ziehen, Unternehmen sollen auch haftbar gemacht werden können und Opfern will man den Zugang zur Geltendmachung ihrer Rechte erleichtern. Der Vorstoß der Kommission fiel grundsätzlich auf breite Unterstützung, wie man den Aussagen der RednerInnen entnehmen konnte. Unterstrichen wurde jedoch vielfach, dass Klein- und Mittelbetriebe nicht unnötig bürokratisch belastet werden dürften.

ÖVP und NEOS drängten in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Praktikabilität der Regelungen und wehrten sich gegen das "Unternehmens-Bashing". Grüne und SPÖ bedauerten, dass der Vorschlag hinter den Beschlüssen des EU-Parlaments bleibe. Die FPÖ sprach hingegen von "unausgegorenen Utopien", ohne aber das Ziel einer menschen- und umweltgerechten Produktion infrage zu stellen. 

Zadić will sich für gesamteuropäische, effektive Lösung einsetzen

Man habe lange versucht, den Weg der Freiwilligkeit im Kampf gegen Umweltzerstörung und Ausbeutung von Menschen zu gehen, sagte Justizministerin Alma Zadić, aber das habe nicht zum gewünschten Erfolg geführt. Unwürdige Produktionsbedingungen würden immer wieder zu ökologischen und menschlichen Katastrophen führen. Sie unterstütze daher das Vorhaben der EU-Kommission, Regeln für eine menschenwürdige Arbeit in einer gesunden Umwelt sicherzustellen, ohne dabei Klein- und Mittelbetriebe (KMU) überbordend zu belasten. Notwendig sei eine gesamteuropäische, effektive Lösung, und dafür werde sie sich einsetzen, so Zadić.

Die Ministerin zeigte sich überzeugt davon, dass es durch strenge verbindliche und wirksame EU-weite Regeln gegen die Ausbeutung von Menschen und Umwelt sowie durch unabhängige Kontrollen und Haftungen gelingen kann, für ökologische und menschliche Bedingungen entlang der Lieferkette zu sorgen. Es müssten ordentliche Sorgfaltspflichten für die gesamte Wertschöpfungskette vereinbart, entsprechende Haftungen verankert und der Zugang der Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu den Gerichten verbessert werden, definierte Zadić das Ziel des Gesetzespakets. Das hätte auch Vorteile für Unternehmen, die sich schon bisher an entsprechende Standards gehalten haben, merkte sie an, denn diese hätten durch einen fairen Wettbewerb keine Nachteile mehr.

Grüne: Den Fokus auf nachhaltiges Wirtschaften legen

Seitens der Grünen wurde das EU-Vorhaben klar unterstützt. Viele Produkte würden unter hochproblematischen Bedingungen hergestellt, sagte etwa Michel Reimon und sah dafür auch den europäischen Konsum verantwortlich. Umwelt, Soziales und Menschenrechte seien eng miteinander verknüpft, betonte Astrid Rössler, man müsse daher den Fokus auf eine nachhaltige Wirtschaft legen und dürfe es nicht mehr zulassen, dass die Belastungsgrenzen umwelt- und menschengerechten Wirtschaftens überzogen werden. Sie drängte daher auf Sanktionen, um die Regeln auch durchsetzen zu können. Billigstbieter zu Lasten von Mensch und Umwelt will sie stoppen. Was in der EU verboten ist, darf nicht ausgelagert werden, fasste Ewa Ernst-Dziedzic das Ziel des Lieferkettengesetzes zusammen. Man dürfe nicht dulden, dass Unternehmen Projekte durchführen, die Rechte Indigener verletzen. Auch sei es inakzeptabel, dass "unser Profit" andere Menschen in ihren Lebensgrundlagen bedroht.

Dem schloss sich auch die Grüne Abgeordnete im EU-Parlament Monika Vana an. Nur ein einheitliches europäisches Vorgehen könne sicherstellen, dass Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden und jene, die sich an Regeln halten, keine Wettbewerbsnachteile erleiden. Sie bedauerte, dass der Vorschlag der EU-Kommission hinter jenem des EU-Parlaments bleibt. So fehlt ihr beispielsweise ein Importstopp für Produkte, die unter menschenunwürdigen Bedingungen und Kinderarbeit erzeugt wurden. Auch die Beschränkung der Kontrollen auf sogenannte etablierte Geschäftsbeziehungen hält sie für ein bedenkliches Schlupfloch.

Reimon wies auf den Plan der EU-Kommission für ein umfangreiches Paket hin, das Lieferkettengesetz stelle in dieser Serie von Maßnahmen einen zentralen Punkt dar. In diesem Zusammenhang nannte er die Nachhaltigkeitsberichterstattung der Unternehmen, wo nun verpflichtende Standards festgeschrieben werden sollen. Auch die Verschärfung des Umweltstrafrechts und die Aufhebung von sechs Investitionsschutzabkommen wertet er als einen wesentlichen Schritt. Das auf Eis liegende und vielfach kritisierte Handelsabkommen zwischen der EU und Lateinamerika, Mercosur, werde nicht kommen, versicherte Reimon in diesem Zusammenhang. Es sei wichtig, dass alle Konzerne, die nach Europa importieren, auch hohe Standards garantieren, sagte der Grüne Mandatar, der zudem unterstrich, dass die heimischen KMU von den diesbezüglichen EU-Vorschriften ausgenommen sein werden, aber Vorteile erzielen würden, weil über die gesamte Lieferkette die gleichen Standards gelten werden.

ÖVP: Regeln müssen praktikabel sein

Auch die RednerInnen der ÖVP unterstrichen die Notwendigkeit eines verantwortungsvollen unternehmerischen Handelns. Wohlstand auf Kosten anderer sei nicht zu akzeptieren. Sie pochten aber eindringlich auf die Praktikabilität der Regelungen. Für ein Exportland wie Österreich sei es wichtig, so Johannes Schmuckenschlager, dass die Rahmenbedingungen auch erfüllt werden können. KMU dürften nicht zu sehr belastet werden, die europäische Produktion dürfe nicht geschädigt werden, so sein Credo. Man müsse mit europäischer Qualität punkten können. Angesichts der Lieferschwierigkeiten im Zuge der COVID-19-Pandemie plädierte er zudem dafür, Produktionen wieder nach Europa zu holen.

Ins gleiche Horn stießen seine Klubkollegin Maria Theresia Niss und die EU-Abgeordnete der ÖVP Angelika Winzig. Beide wehrten sich gegen die in ihren Augen geführte unsachliche und ins Ideologische abgleitende Diskussion, die zu einem einseitigen Bashing der Unternehmen führe. Die Wirtschaft sei bei der Umsetzung des Green Deals nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung, monierte Niss. Es müsse um bessere Regeln gehen, nicht aber um mehr Bürokratie, warnte Winzig, die dafür eintrat, mit unternehmerischem Hausverstand vorzugehen. Wirtschaft und Industrie müssen wettbewerbsfähig bleiben, meinten Niss uns Winzig und hinterfragten eine allzu lange Nachkontrolle der Lieferkette. Auch das Betriebsgeheimnis muss Winzig zufolge gewahrt bleiben. Sie unterstrich zudem mit Nachdruck, dass die KMU nicht in die Regelung hineinfallen dürfen. 

SPÖ kritisiert EU-Vorschlag als zu wenig weitgehend

Die SPÖ-MandatarInnen unterstützten ebenfalls das Vorhaben der EU, halten aber den vorliegenden Entwurf für zu wenig weitgehend. Selma Yildirim wies auf Anträge ihrer Fraktion hin, die im Ausschuss liegen. Diese zielten auf die Unterstützung heimischer KMU gegenüber jenen Unternehmen ab, die sich nicht an die Standards halten. Die europäischen KonsumentInnen hätten ein Recht darauf, dass sie Produkte kaufen können, die keine Menschen ausbeuten und nicht die Umwelt zerstören, sagte Petra Bayr. Sie kritisierte, dass die Anwendbarkeit des vorliegenden EU-Vorschlags nur ein Prozent der europäischen Betriebe betreffe und der Zugang der Opfer zu ihrem Recht mit unendlich vielen Hürden gepflastert sei. Bayr forderte zudem die Einbindung wichtiger Stakeholder, wie etwa der Gewerkschaften. Für sie bleibt auch das Ziel, die gesamte Lieferkette zu erfassen, eine leere Worthülse. Die EU-Kommission hängt in ihren Augen am Gängelband der Konzerne.

Die RednerInnen der Sozialdemokratie übten in diesem Zusammenhang auch scharfe Kritik an der Gewinnmaximierung. Was für die EU gilt, müsse auch für Länder außerhalb Europas gelten, merkten dazu Selma Yildirim und EU-Abgeordneter Günther Sidl an, die sich vehement für gesetzliche Regelungen gegen die Ausbeutung von ArbeitnehmerInnen und Kindern aussprachen. 40 Millionen Menschen weltweit würden Zwangsarbeit verrichten, 150 Millionen Kinder würden bereits ab dem Alter von 5 Jahren arbeiten, rechnete Sidl vor. Es werde auch die Umwelt geopfert, wenn es um Profit geht, fügte er hinzu. An der Marktlogik habe sich nichts geändert. Angesichts der mehrmaligen Anläufe für ein Lieferkettengesetz meinte er, dass die Zeit drängt. Es könne nicht sein, dass Konzerne die Produktion in Länder mit keinen oder niedrigen ökologischen, sozialen, arbeitsrechtlichen und menschenrechtlichen Standards auslagern und dort billigst produzieren, bekräftigte Yildirim die Aussagen ihres EU-Kollegen.

FPÖ befürchtet Wettbewerbsnachteile

Auch wenn die Freiheitlichen wie die anderen Fraktionen menschenunwürdige und umweltzerstörerische Produktion anprangerten, zeigten sie sich skeptisch, was die Praktikabilität des EU-Vorschlags betrifft. Das sei eine "aktuelle Märcheneuropastunde" bemerkte Axel Kassegger, die Dinge würden nicht zu Ende gedacht. Kassegger warnte vor überschießenden, selbstbeschränkenden Compliance-Regeln, die sich für heimische und europäische Unternehmen nachteilig auswirken würden. Man vernichte damit beispielsweise die Rohstoffindustrie, die nach China auswandern werde. Walter Rauch griff in diesem Zusammenhang scharf die Grünen an, die die schlimmen Bedingungen beim Rohstoffabbau für die Batterien für die E-Mobilität völlig ausblenden würden.

Umwelt- und Wirtschaftspolitik brauche Hausverstand und umfassendes Denken, sagte Rauch, der auch von "grüner Inflationspolitik" sprach. Mit ihrer Politik sind die Grünen ihm zufolge verantwortlich für den Preisanstieg bei Lebensmitteln und Energie.

Kassegger glaubt auch nicht, dass die KMU, wie versprochen, von den Regelungen unberührt bleiben, da auch sie Zulieferer haben. Die Freiheitlichen fürchten daher Wettbewerbsnachteile für europäische und österreichische Betriebe.

NEOS wünschen sich breite, umfassende Diskussion

Auch die NEOS sprechen sich für einheitliche Regelungen aus, zeigten sich aber insofern skeptisch, als sie die Praktikabilität der vorliegenden Bestimmungen bezweifeln. Sie wünschen sich eine breite und umfassende Diskussion zu den Vorschlägen, und sprechen sich darüber hinaus für eine noch breitere Diskussion über diese Fragen in einer Allianz mit Staaten außerhalb Europas aus, die sich der Demokratie, dem Frieden und der ökosozialen Marktwirtschaft verpflichtet fühlen. Die Regeln müssten einheitlich, praktikabel und transparent sein. Es gehe um unternehmerische Verantwortung und Sorgfalt und um die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen. Keinesfalls dürfe es zu einem "Fleckerlteppich" auf diesem Gebiet kommen.

KMU werden die Lieferbetriebe nicht kontrollieren können, sagte Henrike Brandstötter. Die Anliegen der KMU gingen in Brüssel oft unter. Sie stellte auch die Frage in den Raum, was das Gesetz etwa für EinzelunternehmerInnen bedeutet. 

Die NEOS nahmen in ihren Redebeiträgen die Unternehmen und den Handel etwas in Schutz. Der Wohlstand baue auf drei Säulen auf, merkte Michael Bernhard an, nämlich auf Globalisierung, Freihandel und EU. Unternehmen hätten die Aufgabe, erfolgreich zu arbeiten, die Politik habe den Rahmen dafür zu setzen. (Fortsetzung Nationalrat) jan

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