Parlamentskorrespondenz Nr. 591 vom 01.06.2022

EU-Ausschuss des Bundesrats diskutiert über weiteres Vorgehen nach EU-Zukunftskonferenz

Vorschläge der Bürger:innen werden in der Länderkammer weiterbehandelt

Wien (PK) – Im Zentrum der Diskussion des heutigen EU-Ausschuss des Bundesrats standen die Ergebnisse der Zukunftskonferenz der EU. Der Abschlussbericht enthält über 300 Maßnahmen, gegliedert in 49 Vorschläge und neun Kapitel unter anderem zu Klimawandel und Umwelt, Gesundheit, einer stärkeren Wirtschaft, sozialer Gerechtigkeit und der EU in der Welt (101710/EU XXVII.GP). Nachdem die Ergebnisse der 2021 gestarteten Konferenz zur Zukunft Europas bereits vom Nationalrat diskutiert wurden, soll auch im Bundesratsplenum eine Debatte stattfinden. Der EU-Ausschuss des Bundesrats will die Bundesregierung ersuchen, sich dafür einzusetzen, dass die EU-Institutionen den Vorschlägen der Bürger:innen rasch durch konkrete Gesetzinitiativen nachzukommen. Die Antragsteller:innen sprechen sich dafür aus, eine aktive Rolle im Reformprozess einzunehmen. Dazu fordern sie eine mögliche Teilnahme aller Fraktionen des österreichischen Parlaments, demnach National- und Bundesrat, ein. Ein diesbezüglicher Antrag wurde mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ und Grünen beschlossen. Die endgültige Entscheidung dazu obliegt dem Plenum des Bundesrats.

Zudem diskutierten die Mandatar:innen einen Kommissionsvorschlag zur Änderung der EU-Industrieemissionsrichtlinie (98161/EU XXVII.GP). Damit soll der Anwendungsbereich auf weitere Industrie- und Tierhaltungsbetriebe ausgedehnt werden und zur Erreichung der Green Deal-Ziele beitragen.

Weiteres Vorgehen: EU-Institutionen prüfen Vorschläge

Die angeratenen Maßnahmen im Rahmen der EU-Zukunftskonferenz basieren auf den Empfehlungen der europäischen und nationalen Bürgerforen, den Beiträgen auf der Digitalen Plattform und den Ergebnissen der Debatten in den Arbeitsgruppen und im Konferenzplenum. Inhaltlich gehen die Vorschläge vom Ausbau der Radwege bis hin zur Umbenennung europäischer Institutionen. In Österreich waren die Debatten zur Zukunft Europas in unterschiedlichen Formaten organisiert. Eine Vielzahl von Veranstaltungen wurde auch von der Zivilgesellschaft, den Sozialpartnern sowie anderen Organisationen und von Bürgerinnen und Bürgern abgehalten, wies Andrea Eder-Gitschthaler (ÖVP/S) auf zahlreiche Veranstaltungen in ihrem Heimatbundesland Salzburg hin. Zusammen mit SPÖ-Bundesrat Ingo Appé interessierte sie sich für das weitere Vorgehen.

ÖVP, SPÖ, Grüne und NEOS vertraten eine positive Sichtweise auf die Ergebnisse der Zukunftskonferenz. Die Politik sei den Bürger:innen nun verpflichtet, die Empfehlungen sinnvoll umzusetzen, so der Tenor von ÖVP, SPÖ und Grünen. Besonders der Vorschlag, das Einstimmigkeitsprinzip in der EU-Außenpolitik durch Abstimmungsmehrheiten zu ersetzen, entfachte eine Diskussion im EU-Ausschuss des Bundesrats. Die FPÖ wiederum vertrat die Position, falls der Forderungskatalog der EU-Zukunftskonferenz in tatsächliche Regelungen fließe, fördere dies den Zentralismus in der EU und entrechte die Nationalstaaten. Mit einem Antrag auf Stellungnahme unterstrich Johannes Hübner die Notwendigkeit, das Einstimmigkeitsprinzip beizubehalten. Der Antrag blieb jedoch in der Minderheit.

Demgegenüber unterstrich Bundesrat Sebastian Kolland (ÖVP/T) die Notwendigkeit der EU, auf Herausforderungen zu reagieren, weshalb die Verträge aus 2007 modernisiert werden müssten. Marko Schreuder (Grüne/W) wollte die Arbeitsfähigkeit der EU effizienter gestalten und die Ideen der Bürger:innen auch auf politischer Ebene diskutieren, anstatt zu "schubladisieren". Das Instrument der Bürgerbeteiligung sei wichtig, ging Karl-Arthur Arlamovsky (NEOS/W) mit Schreuder einher. Aber die Erwartungshaltung müsse richtig dargestellt werden. In die Empfehlungen dürfte nicht zu viel interpretiert werden, unterstrich der von den NEOS entsandte Bundesrat. Diese würden politische Entscheidungen nicht ersetzen.

Vertragsänderungen: Österreichische Position noch nicht fixiert

Aus Sicht des Bundeskanzleramts handelt es sich um einen vorläufigen Abschluss des Prozesses. Nun würden die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und der Rat das weitere Vorgehen in ihrem Zuständigkeitsbereich übernehmen. Die Institutionen wären dabei, die Empfehlungen zu sichten und zu entscheiden, welche Vorschläge aufgegriffen werden. In Form eines "Non-Papers" hätten sich bereits 13 Mitgliedstaaten gegen Vertragsänderungen ausgesprochen, unterstrich der Vertreter des Bundeskanzleramts. Auf der anderen Seite würden Mitgliedstaaten, allen voran Frankreich, Anpassungen forcieren. Eine abschließende Liste zu Vertragsänderungen liege noch nicht vor, informierte er. Auf Fragen mehrerer Bundesrät:innen hielt der Vertreter des Bundeskanzleramts fest, dass die Position Österreichs zu den Vertragsänderungen derzeit offen sei. Gemeinsam mit dem Ratssekretariat würden die Empfehlungen geprüft.

Arbeiterkammer: Weiterentwicklung der EU bedarf Vertragsänderungen

Ein Vertreter der Arbeiterkammer begrüßte die Ergebnisse der Zukunftskonferenz, insbesondere die empfohlenen Maßnahmen auf sozialer, ökologischer und demokratischer Ebene. Es sei deutlich geworden, dass für große Schritte Vertragsänderungen erforderlich wären, betonte er. Das seit 2007 geltende Vertragswerk führe zu großer Inflexibilität und sei "nicht mehr geeignet", aktuelle Herausforderungen, wie den Ukraine-Krieg oder die Teuerungswelle, zu bewältigen. In diesem Sinne sprach sich die Arbeiterkammer für die Demokratisierung der EU aus.

Wirtschaftskammer pocht auf Einstimmigkeitsprinzip in sensiblen Bereichen

Eine Vertreterin der Wirtschaftskammer Österreich legte den Fokus auf die Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit und sprach sich dafür aus, die Rahmenbedingungen für den Wirtschaftsstandort - dabei insbesondere für Klein- und Mittelbetriebe - zu stärken. Erneuerbare Technologien in ausreichender Menge würden die Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten verringern, betonte sie. Aus Sicht der Wirtschaftskammer sei das Einstimmigkeitsprinzip in sensiblen Bereichen - darunter auch die Einhebung von Steuern – weiterhin notwendig und gerechtfertigt.

Erweiterung der Industrieemissionsrichtlinie soll Green-Deal-Ziele unterstützen

Im Rahmen der Industrieemissionsrichtlinie regelt die EU die Umweltauswirkungen von großen Industrieanlagen und Nutztierhaltungsbetrieben, die für rund 20% der EU-weiten Schadstoffemissionen in die Luft, rund 20% der Schadstoffemissionen ins Wasser und etwa 40% der Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Dazu zählen unter anderem der Betrieb von Kraftwerken und Raffinerien, die Abfallbehandlung und -verbrennung, die Produktion von Metallen, Zement, Glas, Chemikalien, Zellstoff und Papier, Lebensmitteln und Getränken sowie die Intensivhaltung von Geflügel und Schweinen.

Um zur Umsetzung der im Europäischen Green Deal festgeschriebenen Ziele der CO2-Neutralität, höheren Energieeffizienz sowie schadstofffreien Umwelt und Kreislaufwirtschaft beizutragen, schlägt die EU-Kommission Änderungen in der Industrieemissionsrichtlinie vor, die deren Wirkung verbessern soll. Dazu zählen etwa strengere Emissionsgrenzwerte, die Ausdehnung des Anwendungsbereiches auf weitere Industriesparten und Tierhaltungsbetriebe, Maßnahmen zur Stärkung der Transparenz und Kontrolltätigkeit sowie die Förderung von innovativen Technologien und Dekarbonisierungsmaßnahmen, informierte ein Experte des Klimaschutzministeriums im Ausschuss. Zudem soll es durch den Kommissionsvorschlag zur Änderung der Abfalldeponierichtlinie kommen, die eine Annahme von sogenannten BVT-Schlussfolgerungen (beste verfügbare Techniken) für Abfalldeponien ermöglicht und so eine aktuellere Abbildung des Technikstandes erlaubt.

Da man erst am Beginn der Diskussionen auf EU-Ebene stehe, ist laut dem Klimaschutzministerium noch keine abschließende Beurteilung der Auswirkungen auf die nationale Gesetzgebung möglich. Es handle sich um ambitionierte Vorschläge, die einen Mehraufwand für die nationalen Behörden und eine bessere Ausstattung mit Personal erforderlich machen würden. Insbesondere zur Ausdehnung des Anwendungsbereichs seien noch detailliertere Informationen notwendig, um abschätzen zu können, wie viele Anlagen in Österreich neu unter den Geltungsbereich der Richtlinie fallen würden. Im Bereich der Tierhaltung zeichne sich zudem Diskussionsbedarf ab, heißt es in der Stellungnahme des Klimaschutzministeriums.

Die sich zu Wort gemeldeten ÖVP-Mandatrar:innen begrüßten zwar den frühen Zeitpunkt der Information und der Diskussion im EU-Ausschuss, sahen jedoch zahlreiche Vorschläge der Kommission kritisch. Peter Raggl (ÖVP/T) sprach von massiven Auswirkungen auf die heimische Landwirtschaft. Aktuell würden rund 30 Betriebe von der Industrieemissionsrichtlinie betroffen sein, bei einer Neuregelung seien es hingegen 3.000, die sich dann im selben Regelungsregime wie große Industriebetriebe befinden würden. Ferdinand Tiefnig (ÖVP/O) befürchtete zudem Einschränkungen und Mehrkosten für die österreichischen landwirtschaftlichen Betriebe. Für Sonja Zwazl(ÖVP/N) ist die angedachte Erhöhung der Strafen auf bis zu 8% des Jahresumsatzes zu hoch und stellt keinen Anreiz zur Verbesserung dar.

Marco Schreuder (Grüne/W) bewertete den Kommissionsvorschlag grundsätzlich positiv, ortete jedoch noch etlichen Diskussionsbedarf bis zur Beschlussfassung. Das sah Michael Bernard (FPÖ/N) anders. Der FPÖ-Mandatar sprach von "überbordenden Bürokratierichtlinien", die auf die Industriebetriebe und die Landwirtschaft zukommen würden.

Ein Vertreter der Wirtschaftskammer meldete sich ebenfalls zu Wort. Neben den erhöhten Strafen betrachtete er eine Aufnahme des Bergbaus ohne entsprechende Schwellenwerte, die Veröffentlichung von Genehmigungsbescheiden sowie mögliche Verfahrensverzögerungen bei Anlagengenehmigungen durch eine verstärkte Einbindung der Öffentlichkeit kritisch. (Schluss) gla/med


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