Parlamentskorrespondenz Nr. 1170 vom 19.10.2022

EU-Ausschuss des Bundesrats holt Zukunftsthemen in die Gegenwart

Künstliche Intelligenz und Bürger:innenmitwirkung

Wien (PK) – Zur Debatte über die Zukunftsgestaltung der Europäischen Union trat heute der EU-Ausschuss des Bundesrats zusammen. Grundlage für die Unterredung boten Vorschläge der Europäischen Kommission, wie die EU aus Krisenzeiten wirtschaftlich und gesellschaftlich gestärkt hervorgehen kann. Einen geeigneten Rechtsrahmen will die Europäische Kommission für die Zukunftstechnologie Künstliche Intelligenz (KI) installiert wissen, um mehr Vertrauen unter den Bürger:innen für intelligente Computersysteme zu schaffen und so im globalen Wettbewerb mithalten zu können.

Welche Pläne zur verstärkten Bürger:innenbeteiligung in der EU-Politik die Kommission hat, erörterte der Ausschuss anhand der Schlussfolgerungen zur Konferenz über die Zukunft Europas. Im Raum steht ein Konvent zur Änderung der EU-Verträge, wie sie bei einigen Vorschlägen der Zukunftskonferenz nötig wäre, beispielsweise bei der Entscheidung, vom Einstimmigkeitsprinzip bei Ratsbeschlüssen abzugehen.

Künstliche Intelligenz: Rechtssicherheit für Zukunftstechnologie

Der Richtlinienvorschlag für KI-Haftung ergänzt die zivilrechtliche Haftung, indem er erstmals spezifische Vorschriften für Schäden einführt, die durch KI-Systeme verursacht werden. Mit der sogenannten Kausalitätsvermutung im modernisierten Haftungssystem soll Opfern der Nachweis erleichtert werden, dass jemand für die Nichteinhaltung einer bestimmten für den Schaden relevanten Verpflichtung verantwortlich war. Die Geschädigten müssten die Kausalität nicht beweisen, erläuterte eine Expertin aus dem Justizministerium (BMJ), Opfer sollten aber leichteren Zugang zu Beweismitteln im Besitz von Unternehmen oder Anbietern erhalten, wenn es um Hochrisiko-KI geht. Damit können die Opfer die Person identifizieren, die haftbar gemacht werden könnte, und herausfinden, was zu dem Schaden geführt hat. Geschäftsgeheimnisse dürften dabei allerdings nicht preisgegeben werden, will die Kommission den Schutz sensibler Informationen garantiert wissen. Für Unternehmen böte der neue Rechtsrahmen den Vorteil, ihr Haftungsrisiko besser bewerten und versichern zu können, meint die Kommission. Dies gelte insbesondere für Unternehmen, die grenzüberschreitend Handel treiben, darunter auch viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die im KI-Sektor aktiv sind.

Aus der Wirtschaftskammer (WKÖ) gibt es positive Rückmeldungen zum geplanten Rechtsrahmen der EU für Künstliche Intelligenz, sofern damit keine Überregulierung verbunden ist. Ein EU-weites Schutzniveau sollte nicht mit überschießenden Haftungen einhergehen, unterstrich die WKÖ-Vertreterin im Ausschuss. Welche Produkte und Dienstleistungen genau von der neuen Haftungsrichtlinie umfasst sein werden, wie Elisabeth Grossmann (SPÖ/St) und Michael Bernard (FPÖ/N) fragten, wird laut Justizministerium in einem eigenen KI-Gesetz festgelegt. Die BMJ-Expertin bestätigte aber die Annahme von Christian Buchmann (ÖVP/St), Anwendungen der Medizintechnik würden darunterfallen. Abseits der rechtlichen Haftungsfragen warf Sebastian Kolland (ÖVP/T) die ethische Dimension in der Debatte über Künstliche Intelligenz auf. Die rasche Entwicklung der KI-Technologien mache es erforderlich, dass den technischen Möglichkeiten ethische Grenzen gesetzt werden.

Zukunftskonferenz: Bürger:innenforen sollen auch künftig Empfehlungen geben

Bis Mai 2022 diskutierten Bürger:innen europaweit im Rahmen der Konferenz zur Zukunft Europas, in was für einem Europa sie leben möchten. Ausschussobmann Christian Buchmann (ÖVP/St) erinnerte an die aktive Teilhabe des Bundesrats bei dieser Zukunftskonferenz und an die Stellungnahme der Länderkammer dazu. Darin wird die rasche Unterbreitung von Gesetzgebungsvorschlägen, die auf Bürger:innenanliegen basieren, eingefordert, nicht zuletzt im Sinne des Subsidiaritätsprinzips, wie Andrea Eder-Gitschthaler (ÖVP/S) anfügte. Der Abschlussbericht der Konferenz enthält 49 Vorschläge. Am 17. Juni 2022 veröffentlichte die EU-Kommission in einer Mitteilung ihre Schlussfolgerungen zu den Bürger:innenempfehlungen und skizzierte Folgemaßnahmen, etwa die Weiterführung der Bürgerforen, in denen wichtige Vorschläge im Vorfeld erörtert werden sollen. Konferenzthemen waren unter anderem Klima- und Umweltpolitik, Energie, wirtschaftliche und soziale Stärkung Europas, Gesundheit, Migration, Rechtsstaatlichkeit, Digitalisierung, Jugend, Bildung und Sport.

Europa-Konvent zu EU-Verträgen

Um die Bürgerinnen und Bürger über gesetzgeberische Initiativen und andere Aktivitäten in den Diskussionsfeldern auf dem Laufenden zu halten, will die EU-Kommission Ende 2022 eine Feedback-Veranstaltung zur Konferenz abhalten, heißt es in der Mitteilung. Zudem habe Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen sich für einen Vertragskonvent ausgesprochen, wie er auch vom Europäischen Parlament angestrebt werde, um eine Änderung der EU-Verträge herbeizuführen, berichtete die Vertreterin des Bundeskanzleramts dem Ausschuss. Zwar könnten über 90% der Vorschläge aus der Zukunftskonferenz ohne Vertragsänderung umgesetzt werden, gab Marco Schreuder (Grüne/W) zu bedenken. Doch grundsätzliche Themen wie die Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip im Rat bei bestimmten Entscheidungen – beispielsweise EU-Erweiterungen – wären anders nicht möglich. "Wir werden uns erweitern müssen", sprach sich Stefan Schennach (SPÖ/W) dafür aus, Aufnahmen neuer Länder in die EU nicht länger durch einzelne Mitgliedstaaten blockieren zu lassen. Für einen generellen Übergang zu qualifizierten Mehrheiten bei Ratsabstimmungen plädierte auch ein Vertreter der Arbeiterkammer (AK) im Ausschuss: "Die Zeit ist reif für eine Vertragsreform". Gerade Investitionen im Rahmen der Klimapolitik oder für den sozial-ökonomischen Wandel dürften nicht aufgrund einzelstaatlicher Widerständen in Europa verhindert werden, wolle man hohe Folgekosten vermeiden. Vom BKA hieß es dazu, Europaministerin Karoline Edtstadler wolle in den Bereichen Sanktionen, Finanzen und Erweiterung am Einstimmigkeitsprinzip festhalten.

Aus Sicht der Wirtschaftskammer (WKO) müssen sämtliche Folgemaßnahmen der Zukunftskonferenz zur "Stärkung von Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit" in der EU beitragen, ohne die Unternehmen übermäßig zu belasten. Die WKO-Vertreterin begrüßte deswegen den Ansatz, die Förderung digitaler Kompetenzen durch Innovationsprojekte voranzutreiben. Die Mittelabrufung aus dem EU-Forschungsfonds "Horizon Europe" sei aber zu vereinfachen.

Großteils orientiere sich die Kommission in ihrem gestern beschlossenen Arbeitsprogramm für 2023 an den Ergebnissen der Zukunftskonferenz, so die BKA-Expertin. Als eine konkrete Maßnahme zur Umsetzung der Vorschläge sei eine Initiative der Kommission zur psychischen Gesundheit angekündigt worden. Außerdem wolle sie 2023 bestimmte Maßnahmenempfehlungen aus der Konferenz prioritär aufgreifen, beispielweise die Überarbeitung der EU-Tierschutzvorschriften und Gesetzgebungsvorschläge zu kritischen Rohstoffen sowie über Screening und Registrierung von Asbest in Gebäuden. (Schluss EU-Ausschuss) rei