Parlamentskorrespondenz Nr. 332 vom 23.03.2023

Vertriebene Ukrainer:innen erhalten uneingeschränkten Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt

Sozialausschuss gibt grünes Licht für Gesetzesnovelle, Beratungen über Abschaffung der geblockten Altersteilzeit vertagt

Wien (PK) – Vertriebene Ukrainer:innen, die vor dem russischen Angriffskrieg aus ihrer Heimat geflüchtet sind, werden schon bald einen uneingeschränkten Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt erhalten. Der Sozialausschuss des Nationalrats hat heute eine entsprechende Novelle zum Ausländerbeschäftigungsgesetz gebilligt. Mit dem Entwurf wird Stammsaisonniers außerdem der Erwerb der Rot-Weiß-Rot-Karte durch gelockerte Kriterien bei den Deutschkenntnissen erleichtert. Bei Schlüsselkräften, Fachkräften in Mangelberufen und Start-up-Gründer:innen werden künftig auch Sprachkenntnisse in anderen Sprachen als Englisch – etwa Französisch oder Bosnisch-Kroatisch-Serbisch (BKS) – Zusatzpunkte bringen. Der Beschluss fiel mit den Stimmen von ÖVP, Grünen und NEOS, während SPÖ und FPÖ einer weiteren Lockerung der Kriterien für die Rot-Weiß-Rot-Karte nichts abgewinnen konnten.

Noch auf grünes Licht des Sozialausschusses warten muss hingegen die geplante Abschaffung der geblockten Altersteilzeit und die Überführung des sogenannten "Bildungsbonus" ins Dauerrecht. Ein bereits Anfang Februar von ÖVP und Grünen eingebrachter Gesetzesantrag wurde erst gar nicht auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gesetzt. Man sei noch in Verhandlungen, hielten sowohl Arbeitsminister Martin Kocher als auch Grünen-Sozialsprecher Markus Koza im Ausschuss fest. Es werde jedenfalls zu keinem abrupten Aus kommen, versicherten sie. Uneinig ist sich die Opposition in dieser Frage: SPÖ, FPÖ und NEOS hatten Anträge mit unterschiedlicher Stoßrichtung zu diesem Themenkomplex eingebracht, die heute – wie weitere Initiativen der Opposition – vertagt wurden.

Erleichterter Zugang zum Arbeitsmarkt für vertriebene Ukrainer:innen

Vertriebene Ukrainer:innen haben schon jetzt einen privilegierten Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt und werden vom AMS auch aktiv auf offene Stellen vermittelt, sofern sie einen gültigen Ausweis für Vertriebene haben. Nun wird diese Personengruppe gemäß einer Initiative der Koalitionsparteien (3158/A) gänzlich vom Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes ausgenommen. Demnach dürfen Besitzer:innen eines Vertriebenenausweises künftig bewilligungsfrei jede beliebige Beschäftigung in Österreich aufnehmen. Auch die derzeit noch nötige Vorab-Prüfung von Lohn- und Arbeitsbedingungen soll entfallen.

Begründet wird der Schritt von den Antragstellerinnen Tanja Graf (ÖVP) und Barbara Neßler (Grüne) damit, dass die Integration jener Vertriebenen, die einen dauerhaften Verbleib am österreichischen Arbeitsmarkt anstreben, beschleunigt werden soll. Gleichzeitig setzen sie auf Kontrollen nach dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz, um sicherzustellen, dass Ukrainer:innen zu fairen Lohn- und Arbeitsbedingungen unter Einhaltung von Kollektivverträgen und anderer gesetzlicher Vorgaben beschäftigt werden. Laut Vertriebenen-Verordnung haben geflüchtete Ukrainer:innen jedenfalls noch bis 4. März 2024 ein automatisches Aufenthaltsrecht in Österreich.

Mit der Novellierung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes wird außerdem der Zugang zur Rot-Weiß-Rot-Karte in zwei Teilbereichen erleichtert. Zum einen müssen Stammsaisonniers künftig nur noch Deutschkenntnisse in A1 – statt wie bisher in A2 – nachweisen, um Zugang zur Rot-Weiß-Rot-Karte zu bekommen. Da die betroffenen Arbeitnehmer:innen zuvor ausschließlich im Tourismus oder in der Landwirtschaft beschäftigt waren, hätten sie oftmals keine selbstständige Sprachverwendung aufbauen können, wird dieser Schritt begründet. Zum anderen werden bei Schlüsselkräften, Fachkräften in Mangelberufen und Start-up-Gründer:innen auch Sprachkenntnisse in den Sprachen Französisch, Spanisch und Bosnisch-Kroatisch-Serbisch (BKS) auf B1-Niveau im Punktekatalog mit fünf Punkten Berücksichtigung finden.

SPÖ und FPÖ kritisieren gelockerte Kriterien für Rot-Weiß-Rot-Karte

Kritik an der Lockerung der Kriterien für die Rot-Weiß-Rot-Karte äußerten SPÖ und FPÖ. Das wichtigste Integrationskriterium sei die Sprache, nun setze man das geforderte Deutschniveau für Stammsaisonniers auf A1 herab, bemängelte SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch. Sein Fraktionskollege Alois Stöger befürchtet einen Anstieg der Arbeitsunfälle, etwa in der Forstwirtschaft, wenn man mit den betreffemden Mitarbeiter:innen nur schlecht kommunizieren könne. Für Stöger ist es außerdem nicht einsichtig, warum Französisch, Spanisch und BKS gegenüber anderen Sprachen wie Chinesisch, Türkisch, Ukrainisch oder Russisch bevorzugt werden. Das könnte seiner Meinung nach verfassungswidrig sein. Was den erleichterten Zugang von Ukrainer:innen zum Arbeitsmarkt betrifft, hob Stöger die Notwendigkeit hervor, sicherzustellen, dass diese Personengruppe nicht ausgebeutet werde.

Auch FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch kann dem "Aufweichen" der Rot-Weiß-Rot-Karte nichts abgewinnen. Seit Jahren werde an der Karte "herumgedoktert", kritisierte sie. Deutschkenntnisse seien offenbar außerdem kein Integrationskriterium mehr.

Grüne: Rot-Weiß-Rot-Karte wird praxistauglicher gemacht

Nicht nachvollziehen konnten die Koalitionsparteien die Kritik. Man mache die Rot-Weiß-Rot-Karte praxistauglicher, das sei eine Win-Win-Situation für Unternehmer:innen und für Arbeitnehmer:innen, hielt Grün-Abgeordnete Neßler fest. Sie gab außerdem zu bedenken, dass Stammsaisonniers insgesamt mindestens schon fünf Jahre in Österreich gearbeitet haben müssen, bevor sie Zugang zur Rot-Weiß-Rot-Karte erhalten. Man könne auch bei der Arbeit Deutsch lernen, ergänzte ÖVP-Abgeordnete Graf. Sowohl Neßler als auch Graf wiesen überdies auf den Bedarf an Fremdsprachenkenntnissen vor allem im Tourismus hin.

Was den erleichterten Arbeitsmarktzugang für Ukrainer:innen betrifft, verwies Graf darauf, dass derzeit bereits rund 8.000 Ukrainer:innen in Österreich arbeiten. 14.000 seien beim AMS als arbeitssuchend gemeldet.

NEOS stimmen Gesetz zu, vermissen aber großen Wurf

Zustimmung erhielt die Gesetzesnovelle auch von den NEOS. Die NEOS würden schon lange einen leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt für Ukrainer:innen fordern, sagte Sozialsprecher Gerald Loacker. Bei der Rot-Weiß-Rot-Karte vermisst er einen großen Wurf – das Ausländerbeschäftigungsgesetz würde zwar oft, aber immer nur in kleinen Bereichen geändert.

Arbeitsminister Martin Kocher hob hervor, dass bis jetzt keine Probleme mit Lohn- und Sozialdumping bei der Beschäftigung von Ukrainer:innen festgestellt werden konnten. Er sprach zudem von einer "sinnvollen Weiterentwicklung" der Rot-Weiß-Rot-Karte.

Anträge der FPÖ vertagt

Mitverhandelt mit dem Gesetzesantrag der Koalitionsparteien wurden drei Anträge der FPÖ, die zum Teil schon mehrfach vom Nationalrat abgelehnt, aber von den Antragsteller:innen immer wieder neu eingebracht worden waren. Unter anderem geht es der FPÖ um sektorale Zugangsbeschränkungen zum österreichischen Arbeitsmarkt auch für EU-Bürger:innen (3052/A(E)) sowie den Abbau bürokratischer und finanzieller Hürden für Pensionist:innen, die nach dem Pensionsantritt weiter einer Erwerbsarbeit nachgehen wollen (3113/A(E)). Zudem plädieren die Freiheitlichen dafür, die Grundversorgung für Asylwerber:innen und anerkannte Flüchtlinge auf Sachleistungen zu beschränken und anerkannte Flüchtlinge zu gemeinnütziger Arbeit – ohne Entgelt – zu verpflichten (3051/A(E)). Auch eine temporäre Sondersteuer in der Höhe von 10 % des Einkommens für in den Arbeitsmarkt integrierte Flüchtlinge ist ihnen ein Anliegen. Es brauche einen "Zuwanderungsstopp in den österreichischen Sozialstaat", argumentiert Dagmar Belakowitsch.

Alle drei Anträge wurden mit den Stimmen der Koalitionsparteien vertagt. Es habe wenig Sinn, die Anträge abzulehnen und sie ins Plenum zu bringen, wenn sie umgehend wieder in den Sozialausschuss kommen, weil sie neu eingebracht werden, argumentierte ÖVP-Abgeordnete Tanja Graf. Inhaltlich konnten weder ÖVP noch Grüne den Initiativen etwas abgewinnen. So würden die Forderungen zum Teil gegen EU-Recht verstoßen und seien auch angesichts des bestehenden Arbeitskräftemangels "absurd", sagte Barbara Neßler (Grüne). Graf wies auf eine Reformgruppe hin, die sich mit dem Thema Arbeiten im Alter beschäftigt.

SPÖ und FPÖ gegen Abschaffung der geblockten Altersteilzeit, NEOS dafür

Vom Sozialausschuss mit den Stimmen der Koalitionsparteien vertagt wurden drei Oppositionsanträge, die sich auf das Vorhaben der Koalitionsparteien beziehen, die geblockte Altersteilzeit schrittweise abzuschaffen. Während sich SPÖ (3093/A(E)) und FPÖ (3110/A(E)) dezidiert gegen eine entsprechende Gesetzesänderung aussprechen, kritisieren die NEOS die geplante Übergangsfrist und drängen auf ein sofortiges Aus der Blockvariante (3126/A(E)). Der Koalitionsantrag selbst stand nicht auf der Tagesordnung.

Im Zuge der Debatte warf Alois Stöger (SPÖ) der Regierung vor, Betroffene in hohem Maße zu verunsichern. Die Altersteilzeit sei eine wichtige Maßnahme, um den Ausstieg aus dem Berufsleben vorzubereiten, sagte er und sprach sich klar gegen eine Abschaffung der geblockten Altersteilzeit aus. Auch für Dagmar Belakowitsch (FPÖ) hat sich die geblockte Altersteilzeit bewährt. Gerade bei älteren Arbeitnehmer:innen sollte man nicht "herumknausern", meinte sie. Für Gerald Loacker (NEOS) hingegen hat eine geblockte Altersteilzeit nichts mit altersgerechtem Arbeiten zu tun. Dafür wäre nur das kontinuierliche Modell, also eine Reduktion der Arbeitszeit in den letzten Jahren vor der Pension, geeignet.

Koalitionsparteien verhandeln noch

Es sei kein Zufall, dass der Antrag der Koalition heute nicht auf der Tagesordnung stehe, sagte Markus Koza (Grüne). Man befinde sich derzeit noch in Verhandlungen über eine sinnvolle Gestaltung. Es brauche jedenfalls eine Übergangszeit und Planungssicherheit für die Betroffenen, betonte Koza. Er zeigte sich zuversichtlich, dass der Vorschlag bis zur nächsten Sitzung des Sozialausschusses vorgelegt werden kann. Manche der heute diskutierten Anträge würden sich damit vielleicht erübrigen, sagte Koza, der deshalb eine Vertagung der Oppositionsinitiativen beantragte.

Arbeitsminister Kocher unterstrich, dass es nicht um eine abrupte Veränderung gehe. Zudem solle die kontinuierliche Altersteilzeit jedenfalls erhalten und weiter gefördert werden. Man sei derzeit in der Ausarbeitung von konkreten Modellen, so Kocher.

Begründet wird die geplante Abschaffung der geblockten Altersteilzeit von ÖVP und Grünen damit, dass diese keine wesentlichen arbeitsmarktpolitischen Zielsetzungen, sondern vielmehr den Charakter einer vorzeitigen Alterspension habe. Allerdings sieht die von Michael Hammer (ÖVP) und Markus Koza (Grüne) im Februar eingebrachte Novelle zum Arbeitslosenversicherungsgesetz eine längere Übergangsphase vor: Demnach soll das frühestmögliche Zugangsalter zur Blockvariante – derzeit fünf Jahre vor dem Regelpensionsalter – ab 2024 schrittweise um sechs Monate pro Jahr angehoben werden. Zudem ist geplant, die Bestimmungen zur Berechnung des Altersteilzeitgelds bzw. der Ober- und Unterwerte für den Lohnausgleich zu vereinfachen und Maßnahmen zu setzen, um missbräuchliche Gestaltungsmöglichkeiten in Folge einer VwGH-Entscheidung zu unterbinden. Auch eine Neugestaltung des sogenannten "Bildungsbonus", der Arbeitslosen zusätzlich zum Arbeitslosengeld und zum allgemeinen Schulungszuschlag gebührt, wenn sie eine mehr als viermonatige Umschulung oder Weiterbildung absolvieren, gehört zum Paket.

Die SPÖ befürchtet demgegenüber, dass der Druck auf ältere Arbeitnehmer:innen durch die Abschaffung der Blockvariante steigen wird, wie sie in den Erläuterungen zu ihrem Antrag festhält. Zudem seien Frauen doppelt betroffen, weil parallel zum frühestmöglichen Antrittsalter der geblockten Altersteilzeit auch das Regelpensionsalter angehoben werde. Im Antrag der FPÖ heißt es, dass sich beide Altersteilzeitmodelle bewährt hätten und sozialpartnerschaftlich akzeptiert seien.

SPÖ fordert erweiterte Freistellungsmöglichkeiten für Arbeitnehmer:innen

Gleichfalls vom Sozialausschuss vertagt wurden zwei Anträge der SPÖ auf Änderung des Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzes. Zum einen geht es Abgeordnetem Alois Stöger darum, Arbeitnehmer:innen einen Rechtsanspruch auf bis zu vier Wochen Arbeitsfreistellung – unter Fortzahlung des Entgelts – einzuräumen, wenn ihrem erkrankten Kind ein Rehaaufenthalt bewilligt wurde (2127/A). Zum anderen urgiert Abgeordnete Petra Wimmer eine Ausweitung des Rechtsanspruchs auf Pflegekarenz (2735/A). Auch zur Betreuung der Eltern des eingetragenen Partners bzw. der eingetragenen Partnerin sowie der Eltern des Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin soll demnach Pflegekarenz, Pflegeteilzeit bzw. Sterbebegleitung in Anspruch genommen werden können. Gleiches soll für leibliche Kinder des eingetragenen Partners bzw. der eingetragenen Partnerin gelten. Die derzeitigen Bestimmungen seien diskriminierend, betont sie.

Abgeordneter Alois Stöger bedauerte die neuerliche Vertagung seines Antrags. Er forderte die Koalitionsparteien auf, diesen entweder anzunehmen oder abzulehnen. Rebecca Kirchbaumer (ÖVP) bezweifelte allerdings, dass die geforderte Regelung notwendig ist und wies wie Arbeitsminister Martin Kocher auf bestehende Freistellungsmöglichkeiten hin. So gebe es etwa das Instrument der Pflegekarenz oder der Pflegeteilzeit.

Kein Verständnis für diese Argumentation hat Dagmar Belakowitsch (FPÖ). Sie warf der ÖVP vor, nicht nachvollziehen zu können, wie es betroffenen Eltern gehe. SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch wies darauf hin, dass es schon mehr als ein Jahr her sei, dass der Antrag erstmals im Sozialausschuss behandelt wurde, und regte einen runden Tisch mit Betroffenen an. Nachdem es nach vielen Jahren gelungen sei, sechs Kinder-Rehazentren zu schaffen, brauche es weitere Schritte.

Was den Antrag von SPÖ-Abgeordneter Petra Wimmer anlangt, wird laut Bettina Zopf (ÖVP) an der Umsetzung des Anliegens gearbeitet. (Fortsetzung Sozialausschuss) gs/kar