Parlamentskorrespondenz Nr. 601 vom 01.06.2023

Wirtschaftsausschuss setzt Unterstützungspaket für Sozialhilfe-Haushalte auf Schiene

Monatlicher Zuschuss von 60 € für Kinder bis Ende 2024, höhere Sachleistungen zu Schulbeginn

Wien (PK) – Der Wirtschaftsausschuss des Nationalrats hat heute Vormittag einen ersten Teil des von der Regierung angekündigten Maßnahmenpakets gegen Kinderarmut auf den Weg gebracht. Mit den Stimmen der Koalitionsparteien und der FPÖ wurde eine von ÖVP und Grünen beantragte Novelle zum Lebenshaltungs- und Wohnkosten-Ausgleichsgesetz gebilligt. Damit ist unter anderem sichergestellt, dass Sozialhilfe-Haushalte zwischen Juli 2023 und Dezember 2024 einen monatlichen Zuschuss von 60 € für jedes Kind erhalten. Zudem sind zusätzliche Sachleistungen zur Abdeckung des Schulbedarfs sowie Förderungen für Projekte im Bereich der gemeinnützigen und kostenlosen Lebensmittelweitergabe vorgesehen. Endgültig beschlossen werden soll der Gesetzentwurf heute Nachmittag bei einer Sondersitzung des Nationalrats.

Noch nicht beschlussreif sind die weiteren Teile des im Mai vorgestellten Pakets gegen Kinderarmut. Laut Grünen-Sozialsprecher Markus Koza sollen dazu bei der heutigen Sondersitzung eigenständige Gesetzesanträge eingebracht und diese dann Mitte Juni verabschiedet werden. Die legistische Umsetzung des Vorhabens sei nicht so einfach, begründete Koza die Verzögerung. Konkret haben die Regierungsparteien in Aussicht genommen, die monatlichen Sonderzahlungen für Kinder in der Höhe von 60 € auch Bezieher:innen von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe, Mindestpensionist:innen sowie Alleinerzieher:innen bzw. Alleinverdiener:innen mit einem monatlichen Bruttoeinkommen unter 2.000 € zu gewähren. An diesem Vorhaben habe sich nichts geändert, versicherte Koza.

SPÖ und NEOS zeigten sich im Ausschuss dennoch empört. Eine Sondersitzung einzuberufen und dann nicht in der Lage zu sein, das versprochene Paket rechtzeitig vorzulegen, sei eine besondere Leistung, meinte Christoph Matznetter (SPÖ). NEOS-Abgeordneter Gerald Loacker stieß sich vor allem daran, dass ein sozialpolitisches Vorhaben im Wirtschaftsausschuss vorberaten wird, und warf den Regierungsparteien vor, "auf das Parlament zu pfeifen" und es lediglich als "Abstimmungsmaschine" zu betrachten. Zudem hinterfragte er, ob statt zusätzlicher Geldleistungen nicht Sachleistungen zweckmäßiger wären. Die NEOS behielten sich jedoch vor, dem Gesetzentwurf im Plenum doch noch zuzustimmen. Kritisch äußerte sich auch die FPÖ: Sie befürchtet, dass die geplanten Sonderzahlungen für Kinder vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) als gleichheitswidrig aufgehoben werden könnten, stimmte dem Entwurf aber dennoch zu.

Verständnis für die Kritik der Opposition zeigte Sozialminister Johannes Rauch. Er nehme das auf seine "Kappe", hielt er fest und bat "um Nachsehen". Es sei ihm darum gegangen, "rasch in Wirkung zu kommen", zumal die Regierung ständig mit dem Vorwurf konfrontiert sei, zu langsam zu sein und nicht treffsicher zu handeln. In diesem Fall habe man versucht, Geschwindigkeit und Treffsicherheit "unter einen Hut zu bekommen". Ausschussobmann Peter Haubner (ÖVP) begründete die Zuweisung des Gesetzentwurfs an den Wirtschaftsausschuss damit, dass ansonsten keine Ausschussvorberatungen vor der heutigen Sondersitzung möglich gewesen wären.

Unterstützungen für Sozialhilfe-Haushalte sollen Teuerung abfedern

Begründet wird die Novelle zum Lebenshaltungs- und Wohnkosten-Ausgleichsgesetzes (3427/A) mit der nach wie vor hohen Inflation in Österreich. In diesem Sinn ist vorgesehen, auch Bezieher:innen von Sozialhilfe selbst vorübergehend einen monatlichen Zuschuss von 60 € zu gewähren. Anders als die Sonderzuwendung für Kinder soll diese Leistung allerdings nur bis Ende 2023 fließen. Die Auszahlung beider Unterstützungen soll über die Länder erfolgen – gegebenenfalls auch rückwirkend, sollte sich die Vorlaufzeit als zu kurz erweisen. Für diesen Teil des Pakets haben ÖVP und Grüne 124 Mio. € veranschlagt.

Weitere 15 Mio. € pro Jahr werden laut Gesetzentwurf für zusätzliche Sachleistungen für Kinder aus Sozialhilfe-Haushalten zur Unterstützung des Schulbesuchs bereitgestellt. Statt wie bisher einmalig 120 € zu Schulbeginn, werden demnach künftig zweimal im Jahr Leistungen im Gegenwert von 150 € gewährt, wobei der Förderzeitraum vom Schuleintritt bis zum Ende der Sekundarstufe 2 läuft. Dadurch sollen die jeweils zu Semesterbeginn anfallenden Kosten für Schulartikel, Lebensmittel, Kleidung und andere Güter des täglichen Bedarfs spürbar reduziert werden, heißt es dazu in den Erläuterungen. Auch Bewohnerinnen von Frauenhäusern, die dort auf Kosten der Sozialhilfe untergebracht sind und lediglich ein Taschengeld erhalten, werden mit ihren Kindern zuwendungsberechtigt sein.

Für Projekte zur gemeinnützigen und kostenlosen Lebensmittelweitergabe sieht das Gesetzespaket Förderungen von insgesamt 8 Mio. € vor. Damit sollen in den Jahren 2023 und 2024 insbesondere Logistik und Infrastruktur, Personalaufwendungen sowie der Ankauf von Lebensmitteln unterstützt werden. Unabhängig vom vorliegenden Entwurf sind laut Erläuterungen außerdem 2 Mio. € für die Finanzierung einer digitalen Drehscheibe für die Weitergabe von Lebensmittelspenden in Aussicht genommen. Schließlich wird Sozialminister Johannes Rauch mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ermächtigt, jene 25 Mio. €, die zuletzt für das Jahr 2024 für den sogenannten "Wohnschirm" reserviert wurden, bereits heuer zu verwenden.

ÖVP und Grüne heben Treffsicherheit der Maßnahmen hervor

Im Zuge der Debatte hob Markus Koza (Grüne) hervor, dass es sich um sehr zielgerichtete und wirksame Maßnahmen handle, die einkommensarmen Haushalten zugutekommen und auch von Wirtschafts- und Sozialexpert:innen empfohlen worden seien. Es sei ein Paket, das mittelfristig wirke. Die weiteren geplanten Gesetzentwürfe befinden sich Koza zufolge noch in Abstimmung und sollen heute Nachmittag eingebracht werden. Man müsse sicherstellen, dass die Leistungen auch wirklich dort ankommen, wo sie benötigt würden, bekräftigte er. Zudem müsse noch die Frage der auszahlenden Stellen geklärt werden. Allgemein betonte der Grünen-Sozialsprecher, dass das in Aussicht genommene Gesetzespaket nur eine von mehreren Maßnahmem zur Bekämpfung von Kinderarmut sei. So habe man in dieser Legislaturperiode etwa auch schon die automatische Valorisierung der Familienleistungen beschlossen.

ÖVP-Abgeordneter Christoph Stark beklagte, dass von der Opposition "immer alles skandalisiert wird". Egal was die Regierungsparteien täten, sei es ein Skandal, kritisierte er. Aufgrund der hohen Inflation würden sich viele Familien derzeit schwer tun, diesen sei es egal, in welchem Ausschuss die Hilfen diskutiert würden. Vorrangig sei eine rasche Behandlung des Vorhabens im Plenum. Auch Ausschussobmann Peter Haubner (ÖVP) hob die Bedeutung einer raschen Beschlussfassung des Gesetzentwurfs hervor und wies den Vorwurf zurück, dass er auf das Parlament "pfeifen" würde.

Opposition kritisiert Vorgangsweise

Von einer "riesengroßen Frechheit", was das Procedere betrifft, sprach hingegen NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker. Für ihn ist es eine "unglaubliche Vorgangsweise", dass der Entwurf dem Wirtschaftsausschuss zugewiesen wurde. Seiner Ansicht nach gibt es keine Notwendigkeit, "das alles so hinzuschustern", zumal man in der Corona-Krise gesehen habe, dass hohe Geschwindigkeit der Qualität von Gesetzen nicht zuträglich sei.

Inhaltlich sprachen sich Loacker und seine Fraktionskollegin Karin Doppelbauer grundsätzlich dafür aus, bei der Bekämpfung von Kinderarmut verstärkt auf Sachleistungen zu setzen. Österreich sei bei Geldleistungen für Kinder ohnehin schon Spitzenreiter in der EU, wenn dennoch Kinderarmut übrigbleibe, sei das ein Zeichen fehlender Zielorientierung, meinte Loacker. Zudem machte er geltend, dass sich Kinderarmut in Österreich seit dem Jahr 2014 halbiert habe, auch das gelte es zu beachten. Loacker behielt sich namens seiner Fraktion dennoch vor, dem Vorhaben im Plenum doch noch zuzustimmen.

Was die weiteren Teile des Pakets betrifft, fragte sich Loacker unter anderem, wer Zahlstelle sein wird, wenn Notstandshilfebezieher:innen Sozialhilfe als Aufstockung erhalten. Zudem könne es wohl nicht sein, dass die 60 € pro Kind auch dann ausgezahlt werden, wenn ein Elternteil 5.000 € verdient und der andere Notstandshilfe bezieht, meinte er.

Auch für FPÖ-Abgeordneten Christian Ragger sind – trotz grundsätzlicher Zustimmung – noch viele Fragen offen, etwa was die Verfassungskonformität des Vorhabens betrifft. Der Verfassungsgerichtshof habe schon des Öfteren Gesetzesbestimmungen aufgehoben, weil er Kinder ungleich behandelt gesehen habe, erinnerte er. Zudem seien für die Sozialhilfe grundsätzlich die Länder zuständig, dem Bund komme lediglich die Grundsatzgesetzgebung zu. Man hätte sich besser mit der Opposition abstimmen müssen, betonte Ragger.

SPÖ-Abgeordneter Christoph Matznetter hob hervor, dass 80 % des angekündigten Pakets gegen Kinderarmut nach wie vor fehlten. Eine Unterstützung von 2 € am Tag sei außerdem kein Grund, "etwas abzufeiern", meinte er. Noch dazu, wo die Inflation immer noch bei 8,8 % liege. Matznetter erinnerte überdies daran, dass die Kinderarmut in Österreich trotz des Vorhabens der Regierung, diese zu halbieren, zuletzt wieder gestiegen sei.

Rauch: Umsetzung des Vorhabens ist eine legistische Herausforderung

Dass noch nicht das gesamte Paket am Tisch liegt, begründete Sozialminister Johannes Rauch damit, dass die Umsetzung des Vorhabens eine "legistische Herausforderung" sei. Es sei ihm aber ein Anliegen gewesen, rasch konkrete Maßnahmen zu setzen. Er sei auch ein Vertreter einer Balance von Geld- und Sachleistungen, hielt Rauch in Richtung NEOS fest. Wichtig sei in beiden Fällen die Treffsicherheit. Diese sei etwa beim Schulstartpaket gegeben, das von 90 % der Anspruchsberechtigten auch in Anspruch genommen werde.

SPÖ fordert Einsetzung einer Anti-Teuerungskommission

Vom Wirtschaftsausschuss vertagt wurde ein Entschließungsantrag der SPÖ (3218/A(E)), der auf die Einsetzung einer – sozialpartnerschaftlich beschickten – Anti-Teuerungskommission abzielt. Damit wollen Abgeordneter Christoph Matznetter und seine Fraktionskolleg:innen sicherstellen, dass sich Energiehilfen für Unternehmen wie der Energiekostenzuschusses 2 in den Regalpreisen niederschlagen. Sie haben nämlich die Befürchtung, dass vorgenommene Preiserhöhungen auch nach Auszahlung der Energiehilfen nicht wieder zurückgenommen werden und die Kund:innen das Nachsehen haben. Um Verstöße zu ahnden, spricht sich die SPÖ für geeignete Sanktionsinstrumente aus, die bis zu einer vollständigen Rückzahlung der Unternehmenshilfen reichen, sollten diese gewinnerhöhend wirken.

Matznetter warb auch im Ausschuss für das Anliegen. Er verstehe nicht, warum nicht einmal derart kleine Schritte zur Bekämpfung der Inflation gesetzt würden, wie sie im Antrag vorgeschlagen werden, sagte er. Er selbst wäre ohnehin für stärkere ordnungspolitische Eingriffe wie etwa Mietzinseingriffe und Preisdeckel. Es sei "traurig", dass man es zulasse, dass manche den Krieg ausnutzten "und sich die Taschen vollstopfen", hielt Matznetter fest und wertete es etwa als Hohn, dass etwa die OMV bei "Milliarden Zusatzgewinnen" lediglich 90 Mio. € an Übergewinnsteuer zahlen müsse.

ÖVP-Abgeordneter Kurt Egger begründete die Vertagung des Antrags damit, "dass wir die Idee nicht wirklich gut finden". Es gebe keine Patentrezept zu Eindämmung der Teuerung, der Regierung sei aber bereits viel gelungen, unterstrich er. (Schluss Wirtschaftsausschuss) gs