Parlamentskorrespondenz Nr. 655 vom 14.06.2023

Teuerung: Einkommensschwache Haushalte erhalten monatlichen Sonderzuschuss von 60 € für Kinder

Breite Mehrheit im Nationalrat für zweiten Teil des Pakets gegen Kinderarmut

Wien (PK) – In Anbetracht der anhaltenden Teuerung werden Bezieher:innen von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe bis Ende 2024 einen monatlichen Sonderzuschuss von 60 € für jedes Kind erhalten. Gleiches gilt für Haushalte von Mindestpensionist:innen sowie von Alleinerzieher:innen und Alleinverdiener:innen mit einem Monatseinkommen unter 2.000 € brutto. Der Nationalrat hat zum Auftakt seiner heutigen Sitzung mit breiter Mehrheit einen entsprechenden Gesetzesantrag der Koalitionsparteien angenommen. Neben ÖVP und Grünen stimmte auch die FPÖ für die Initiative, mit der nun auch der zweite Teil des von der Regierung angekündigten Pakets gegen Kinderarmut umgesetzt wird. Bereits Anfang Juni hatten die Abgeordneten Kinderzuschüsse und weitere Unterstützungsmaßnahmen für Sozialhilfe-Haushalte beschlossen. Die 60 € gebühren ab Juli 2023 und sollen automatisch – also ohne gesonderte Antragstellung – überwiesen werden, wobei für Alleinerzieher:innen und Alleinverdiener:innen grundsätzlich das jeweilige Einkommen des Vorjahres maßgeblich sein wird.

Mit einem im Zuge der Beratungen eingebrachten und bei der Abstimmung mitberücksichtigten Abänderungsantrag nahmen ÖVP und Grüne unter anderem eine Valorisierung der Einkommensgrenze für anspruchsberechtigte Alleinerzieher:innen und Alleinverdiener:innen vor. Das zulässige Brutto-Monatseinkommen für Zahlungen im Jahr 2024 wird damit von 2.000 € auf rund 2.100 € brutto steigen. Zudem wurde festgelegt, dass bei mehreren anspruchsberechtigten Personen in einem Haushalt Arbeitslosengeld- und Notstandshilfebezieher:innen – bzw. bei zwei arbeitslosen Elternteilen die jeweils jüngere Person – Vorrang haben. Neu ist außerdem, dass Sozialminister Johannes Rauch Mittel aus dem sogenannten Wohnschirm nicht nur für Personen verwenden kann, die von Delogierung bedroht sind, sondern auch für die Unterstützung wohnungsloser Personen wie Obdachlosen oder Bewohnerinnen von Frauenhäusern auf ihrem Weg zu einer eigenen Wohnung.

Konkret liegt die maßgebliche Einkommensgrenze für Alleinerzieher:innen und Alleinverdiener:innen nunmehr bei 23.300 € pro Jahr für Zahlungen im Jahr 2023 sowie 24.500 € pro Jahr für Zahlungen im Jahr 2024, wobei für das Jahr 2023 der Steuerbescheid für 2022 und für das Jahr 2024 der Steuerbescheid für 2023 herangezogen werden. Begleitend dazu wurden mit dem Abänderungsantrag Sonderregelungen für Spezialfälle sowie organisatorische und technische Begleitmaßnahmen – etwa zur Vermeidung von Doppelauszahlungen und zur Sicherstellung des Datenschutzes – festgelegt.

Abgelehnt wurde die Gesetzesnovelle von SPÖ und NEOS. Die Sozialdemokrat:innen sehen Einmalzahlungen nach wie vor kritisch und forderten nachhaltige Maßnahmen zur Bekämpfung von Kinderarmut. Ein von Abgeordneter Eva Maria Holzleitner eingebrachter Entschließungsantrag fand allerdings keine Mehrheit. Unter anderem sind der SPÖ ein umfassendes "Inflationsdämpfungsgesetz" samt Mietpreisbremse und temporärem Aussetzen der Mehrwertsteuer von Lebensmitteln des täglichen Bedarfs, eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70 % des letzten Einkommens, eine Kindergrundsicherung und die Bereitstellung eines warmen Essens pro Tag in Schulen, Kindergärten und anderen Kinderbetreuungseinrichtungen ein Anliegen. Die NEOS bemängelten vor allem, dass die Zahlung nur zum Teil treffsicher seien, und drängten darauf, statt Geldleistungen gezielt Sachleistungen bereitzustellen. Auch dieser Antrag blieb in der Minderheit.

Grüne und ÖVP: Maßnahmen sind treffsicher

Bedauern über das Abstimmungsverhalten der SPÖ und der NEOS äußerte unter anderem Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer. Das Paket enthalte "sehr, sehr treffsichere Maßnahmen", die auch von Expert:innen unterstützt würden, machte sie geltend. Zudem könne man garantieren, "dass das Geld bei den Menschen ankommt". Es werde direkt auf das Konto überwiesen, niemand müsse einen Antrag stellen.

Die von der SPÖ geforderte Mehrwertsteuersenkung auf bestimmte Lebensmittel würde den betroffenen Familien Maurer zufolge weit weniger bringen. So habe das Momentum-Institut eine Entlastung von 130 € pro Kopf und Jahr für Familien mit geringem Einkommen berechnet, und das bei Kosten von insgesamt 600 Mio. €. Das sei - anders als das vorliegende Paket – nicht treffsicher, zumal nicht einmal sichergestellt sei, ob die Lebensmittelkonzerne die Mehrwertsteuersenkung weitergeben würden.

Ähnlich argumentierte Maurers Fraktionskollegin Barbara Neßler. Sie verstehe nicht, dass die Opposition ein Paket schlechtrede, das 400 Mio. € für Familien mit den niedrigsten Haushaltseinkommen bringe, meinte sie. Grünen-Sozialsprecher Markus Koza wies darauf hin, dass das Gesamtpaket auch Sachleistungen für Sozialhilfe-Haushalte wie eine deutliche Ausweitung des Schulstartpakets vorsehe. Niemand werde außerdem zum Bittsteller gemacht, auf die Leistungen gebe es einen gesetzlichen Anspruch, bekräftigte er.

Namens der ÖVP hob Familiensprecher Norbert Sieber hervor, dass die Regierung vor dem Hintergrund multipler Krisen wie der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs und der daraus resultierenden Teuerung "ganz klar" auf der Seite der Bevölkerung stehe und dort helfe, wo es notwendig sei. Durch Maßnahmen wie die Abschaffung der kalten Progression und die jährliche Valorisierung der Sozialleistungen sei die Kaufkraft der Haushalte trotz der aktuellen Krisen zuletzt gestiegen. Es gebe aber Handlungsbedarf bei besonders vulnerablen Gruppen, räumte er ein.

Die Regierung sei sich ihrer sozialen Verantwortung jedoch bewusst, bekräftigte er und wandte sich dagegen, den Sonderzuschuss von insgesamt 2.160 € bis Ende 2024 für eine Familie mit zwei Kindern "kleinzureden". Das sei eine schnelle, unbürokratische und zielgerichtete Hilfe, ist er überzeugt. Durch die automatische Überweisung würde zudem verhindert, dass anspruchsberechtigte Familien um den Sonderzuschuss umfallen, hielt sein Parteikollege Nikolaus Prinz fest. ÖVP-Abgeordnete Andrea Holzner erachtet es für "absurd" zu behaupten, dass die Maßnahme nicht treffsicher sei.

SPÖ fordert nachhaltige Maßnahmen zur Bekämpfung von Kinderarmut

Als unzureichend wertete hingegen die SPÖ das Paket. Es sei zwar erfreulich und für die Betroffenen "eine vorübergehende kleine Hilfe", dass weitere Gruppen eine monatliche Sonderzahlung von 60 € für Kinder bekommen, meinte Abgeordnete Petra Wimmer, ihrer Ansicht nach handelt es sich aber um keine dauerhafte, strukturelle Lösung. Mit 60 € im Monat würde "kein einziges Kind aus der Armut geholt", zumal die Unterstützung Ende 2024 auslaufe, wie auch ihre Parteikolleg:innen Eva Maria Holzleitner und Christian Oxonitsch festhielten. Zudem werde durch das Paket kein Einkauf billiger. Auch bei der Vorlage eines Aktionsplans zur Umsetzung der Europäischen Kindergarantie und beim Ausbau der flächendeckenden Kinderbetreuung sieht Wimmer die Regierung säumig.

Obwohl Österreich eines der reichsten Länder der Welt sei, seien rund 200.000 Personen in Österreich von Armut besonders betroffen, gab Holzleitner zu bedenken. Viele Betroffene seien Frauen, die besonders darunter leiden. Armut sei eine Spirale, die von Eltern auf ihre Kinder übertragen werde, auch was die Gesundheit betreffe. Ihrer Meinung nach hat die Regierung in den letzten Jahren "Milliarden für Freunderl und Freunde zur Verfügung gestellt", während man es verabsäumt habe, Österreich krisenfest und armutssicher zu machen. Holzleitner warb in diesem Sinn für den Entschließungsantrag ihrer Fraktion.

NEOS stellen Treffsicherheit des Pakets in Frage

Namens der NEOS stellten Michael Bernhard, Yannick Shetty und Gerald Loacker die Treffsicherheit des Pakets gegen Kinderarmut in Frage. Es sei auch seiner Partei angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten "ein Herzensanliegen", vulnerable Familien gezielt zu unterstützen, sagte Bernhard, der vorliegende Gesetzentwurf erfülle dieses Versprechen aber nicht. An vielen Stellen sei "schlampig gearbeitet" worden, auch hätten die NEOS auf viele Fragen keine Antwort bekommen. So sei nach wie vor nicht geklärt, ob das Geld tatsächlich dort ankommen werde, wo es benötigt wird, und aus welchem Budgettopf die Finanzierung erfolge.

Konkret wies NEOS-Jugendsprecher Shetty etwa darauf hin, dass der Sonderzuschuss auch Minister:innen und Abgeordneten zugutekommen könnte, wenn ihr Partner bzw. ihre Partnerin arbeitslos ist. Dagegen habe man auf viele Gruppen wie Bezieher:innen von Rehabilitationsgeld und Krankengeld vergessen, monierte Bernhard. Auch Familien, wo beide Elternteile arbeiten und trotzdem ein Einkommen unter 2.000 € beziehen, seien nicht umfasst. NEOS-Sozialsprecher Loacker ortet außerdem einen negativen Arbeitsanreiz für Arbeitslose. Statt noch mehr Geldleistungen zur Verfügung zu stellen, wären Sachleistungen zielführender, waren sich die NEOS-Abgeordneten einig.

FPÖ hält Unterstützung von Familien für unzureichend

FPÖ-Abgeordnete Rosa Ecker kritisierte, dass das gesamte Gesetzespaket nicht schon in der letzten Nationalratssitzung beschlossen wurde. Viele Familien hätten ihre finanziellen Reserven während der Corona-Pandemie aufgebraucht und immer mehr kämen mit Zahlungen in Verzug, weil die Lebenshaltungskosten enorm gestiegen seien. 60 € seien zwar "besser als nichts", erklärte Ecker, für viele sei das aber zu wenig. Zudem laufe die Unterstützung Ende 2024 aus. Die Abgeordnete sieht die Regierung bei der Unterstützung von Familien in vielen Punkten säumig, gleichzeitig würden "viele hundert Millionen" an Familienleistungen ins Ausland überwiesen.

400.000 Kinder profitieren vom Sonderzuschuss

Familienministerin Susanne Raab hielt der Opposition entgegen, dass es in Österreich grundsätzlich ein gutes soziales Netz gebe und Familien, die Hilfe brauchen, diese auch erhalten würden. Man müsse anerkennen, dass die Kaufkraft der Österreicher:innen trotz multipler Krisen gestiegen sei, betonte sie. Mit dem vorliegenden Paket unterstütze man nun gezielt Familien "am untersten Einkommensrand", die von den aktuell hohen Preisen besonders betroffen seien. Dazu zählten auch Alleinerzieher:innen. Generell gab Raab zu bedenken, dass der beste Schutz vor Armut Erwerbstätigkeit sei: Das sei das langfristige Ziel der Regierung.

Laut Sozialminister Johannes Rauch werden 400.000 Kinder in Österreich vom Sonderzuschuss profitieren. Es werde unbürokratisch, punktgenau und "ohne Gießkanne" geholfen, bekräftigte er. Zudem verwies er auf weitere zuletzt beschlossene Maßnahmen wie die Ausweitung des Schulstartpakets.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka nutzte die Debatte dazu, um Worte des Dankes an Pamela Rendi-Wagner zu richten, die sich nicht nur von der Spitze der SPÖ zurückgezogen, sondern auch ihr Amt als Klubobfrau zur Verfügung gestellt hat und mit Ende des Monats aus dem Nationalrat ausscheiden wird. Er bedankte sich für Rendi-Wagners Arbeit, die sie für den Parlamentarismus geleistet habe. Ihre Wortmeldungen seien immer von Respekt getragen gewesen, hielt er fest und wünschte ihr für die Zukunft "alles erdenklich Gute". (Fortsetzung Nationalrat) gs

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.