Parlamentskorrespondenz Nr. 799 vom 06.07.2023

Nationalrat beschließt Ausbau von Primärversorgungszentren

Eltern-Kind-Pass im zweiten Anlauf beschlossen

Wien (PK) – Der zweite Sitzungstag des Tagungsfinales startete im Nationalrat mit Gesundheitsthemen. Die Abgeordneten stimmen für einen Ausbau von Primärversorgungszentren. Die Einrichtung von solchen Einheiten soll künftig vereinfacht und damit auch beschleunigt werden.

Beschließen konnte der Nationalrat nach einem Formalfehler nun auch den digitalen Eltern-Kind-Pass, der ab 2024 den Mutter-Kind-Pass ablösen wird.

Zwei im Zuge der Debatte eingebrachte Entschließungsanträge gegen den Ärzt:innenmangel und für mehr kassenärztliche Versorgung blieben in der Minderheit.

Einrichtung von Primärversorgungseinheiten wird vereinfacht

Die Regierungsvorlage zum Ausbau von Primärversorgungszentren stand aufgrund einer im Juni-Plenum beschlossenen Fristsetzung auf der Tagesordnung, ohne dass der Gesundheitsausschuss davor darüber beraten hat. Im Nationalrat wurde sie mit breiter Mehrheit beschlossen.

Zu den aktuell 40 bestehenden Primärversorgungseinheiten sollen bis Ende 2026 zumindest 43 weitere in ganz Österreich dazu kommen. Statt bisher 340.000 Patient:innen sollen so mindestens 705.500 Menschen pro Jahr versorgt werden. Erreicht werden soll das durch den Abbau bürokratischer Hürden, durch den das Verfahren zur Auswahl von Bewerber:innen für eine Primärversorgungseinheit beschleunigt werden soll. Damit sollen Gründungen künftig schneller erfolgen können. Das erweiterte Versorgungsangebot soll zudem mehr Angebote etwa im Bereich der Kinder- und Jugendheilkunde sowie der Frauenheilkunde und Geburtshilfe beinhalten.

Dass bisher weniger Primärversorgungszentren als angestrebt gegründet worden seien, liege unter anderem daran, dass der Weg zur Gründung steinig und bürokratisch gewesen sei, führte Ralph Schallmeiner (Grüne) an. Er erläuterte die wesentlichsten Neuerungen der Novelle. So werde klargestellt, dass künftig zwei Mediziner:innen ausreichen, um ein Primärversorgungszentrum zu gründen. Außerdem könnten Vertreter:innen anderer Gesundheitsberufe an der Gründung beteiligt sein. Weiters entfalle die bisherige Veto-Option der Ärztekammern. Schallmeiner berichtete, dass bereits 30 neue Primärversorungseinheiten in den Startlöchern scharren. Er zeigte sich optimistisch, dass zahlreiche weitere Gründungen folgen werden.

Josef Smolle (ÖVP) strich die interdisziplinäre Zusammenarbeit, die erweiterten Öffnungszeiten und das attraktivere Arbeitsumfeld für die Beschäftigten als Vorteile von Primärversorgungszentren heraus. Er wies darauf hin, dass auch Primärversorgungsnetzwerke, also über mehrere kleine Ortschaften verteilte einzelne Ordinationen, einer Primärversorgungseinheit entsprechen können. das sei insbesondere im ländlichen Bereich praktikabel. Auch Werner Saxinger (ÖVP) bezeichnete die Novelle als sinnvoll. Er forderte zudem mehr Eigenverantwortung der Patient:innen ein, um etwa Spitalsambulanzen nicht zu überlasten.

Für Gesundheitsminister Johannes Rauch ist die vorliegende Gesetzesänderung erst ein erster, aber ganz wesentlicher Baustein einer umfassenden Gesundheitsreform. Er versuche gerade, diese im Zuge der Finanzausgleichsverhandlungen gemeinsam mit den Bundesländern auf den Boden zu bringen. Weitere notwendige Schritte seien aus seiner Sicht eine massive Aufwertung und Ausweitung des niedergelassenen Sektors, insbesondere bei den kassenärztlichen Stellen. Zudem brauche es einen Schub in der Digitalisierung und eine Stärkung der Gesundheitsförderung. Die Verhandlungen dazu seien bereits weit fortgeschritten und von einem kooperativen Zugang der Bundesländer geprägt, berichtete der Minister. Er werde über den Sommer durcharbeiten, um im Herbst den Finanzausgleich beschließen zu können.

Zustimmung zur Novelle äußerte Rudolf Silvan (SPÖ). Um die ärztliche Versorgung sicherzustellen, brauche es aber auch das entsprechende Personal, gab er zu bedenken. Er forderte daher in einem Entschließungsantrag Maßnahmen gegen den Ärzt:innenmangel, insbesondere neue Aufnahmekriterien für das Medizinstudium, eine Verdoppelung der Studienplätze, eine Bevorzugung von Personen die sich verpflichten, nach der Ausbildung im öffentlichen Gesundheitswesen zu arbeiten, sowie eine Landärzt:innenquote. Der Antrag fand keine Mehrheit.

Das Gesundheitssystem müsse wieder für alle Menschen im Land gleichermaßen besser gemacht werden, forderte Philip Kucher (SPÖ) ein. Derzeit gebe es eine Zweiklassen-Medizin. Es sei jetzt der Zeitpunkt, um endlich damit zu beginnen, mehr Ärzt:innen auszubilden um einem drohenden dramatischen Versorgungsmangel in den kommenden Jahren entgegenzuwirken, sagte er. Kucher kritisierte wie sein Fraktionskollege Josef Muchitsch die Gesundheitspolitik der FPÖ während deren Regierungsbeteiligung.

Obwohl Fiona Fiedler (NEOS) den Entstehungsprozess der Gesetzesänderung – durch eine Fristsetzung am Ausschuss vorbei – kritisierte, signalisierte sie Zustimmung. Die Änderungen würden in weiten Teilen den Wünschen ihrer Fraktion entsprechen. Als Turbo für mehr Primärversorgungseinheiten wollte sie die Novelle aber nicht bezeichnen. Vom Ansuchen bis zur Eröffnung würde es nach wie vor eineinhalb bis zwei Jahre dauern, so Fiedler.

Umfassende Kritik kam von Gerhard Kaniak (FPÖ). Das Gesundheitssystem sei ein "Desaster", sagte er mit Blick auf Streiks von Ärzt:innen und geschlossene Spitalsabteilungen. Nach wie vor gebe es keine Ausbildungsoffensive und zu viele offene Kassenstellen. Kaniak sah zudem die Gefahr, dass es zu einer Abwanderung von Kassenärzt:innen in den Primärversorgungssektor kommt. Mit einem im Zuge der Debatte eingebrachten Entschließungsantrag forderte seine Fraktion daher ein Maßnahmenpaket zur nachhaltigen Verbesserung der kassenvertragsärztlichen Versorgung im Zuge der Reform der Primärversorgungszentren ein. Dieses solle eine Evaluierung und Überarbeitung des österreichischen Strukturplans Gesundheit und eine prioritäre Nachbesetzung der Kassenarztstellen im ländlichen Bereich beinhalten. Wahlärzt:innen sollten im Rahmen einer Doppelbeschäftigung außerdem in das Kassensystem eingebunden werden, forderten die Freiheitlichen. Der Antrag blieb in der Minderheit.

Eltern-Kind-Pass löst ab 2024 Mutter-Kind-Pass ab

Im zweiten Anlauf hat der Nationalrat außerdem die gesetzliche Grundlage für den neuen Eltern-Kind-Pass beschlossen. Die ursprüngliche Regierungsvorlage musste aufgrund eines technischen Fehlers bei der Einbringung zurück an den Gesundheitsausschuss verwiesen werden. Zur Behebung des Fehlers haben die Koalitionsparteien einen Initiativantrag eingebracht, der nun im Plenum die Mehrheit erhielt.

Inhaltlich deckt sich der Antrag unter Berücksichtigung der seinerzeit im Ausschuss vorgenommenen Adaptierungen mit der Regierungsvorlage. Der neue Eltern-Kind-Pass löst ab Jänner 2024 den Mutter-Kind-Pass ab und wird bis zum Jahr 2026 ausgebaut und digitalisiert. Die Leistungen des Mutter-Kind-Passes sollen damit erweitert werden. Der genaue Umfang und die Art der ärztlichen Untersuchungen für das Vorsorgeprogramm müssen aber noch per Verordnung festgelegt werden. Die Kosten werden zu zwei Dritteln vom Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) und zu einem Drittel von den Krankenversicherungsträgern übernommen.

Meri Disoski (Grüne) betonte, dass es sich beim neuen elektronischen Eltern-Kind-Pass um eine längst überfällige Weiterentwicklung handle, die vom Rechnungshof im Jahr 2014 angestoßen wurde. Sie wies darauf hin, dass Schwangerschaftsabbrüche auch künftig nicht im Eltern-Kind-Pass erfasst werden. Bedeutend sei auch, dass es mit der Maßnahme nach knapp 30 Jahren zu einer Valorisierung der Leistungen der Ärzt:innen komme.

Von einer zeitgemäßen Weiterentwicklung des Mutter-Kind-Passes sprach auch Elisabeth Pfurtscheller (ÖVP) und unterstrich in Bezug auf die Umbenennung, dass sowohl Mütter als auch Väter in der Verantwortung seien, sich um die Gesundheitsentwicklung ihrer Kinder zu kümmern.

Mit der Initiative mache man den Pass umfangreicher, moderner und führe ihn vom Jahr 1974 ins Jahr 2023, fasste Barbara Neßler (Grüne) die Änderungen zusammen. Auch sprachlich werde der Veränderung Rechnung getragen, dass nicht nur die Mutter für die Gesundheit des Kindes zuständig ist.

Genau daran stieß sich die FPÖ. Der Mutter-Kind-Pass sei bei seiner Einführung ein Meilenstein im Sinne der Frauen gewesen, sagte Peter Wurm (FPÖ). Nun wolle man ein "ideologisches Projekt" umsetzen und die Mutter "streichen". Wurm kritisierte zudem, dass der Pass künftig ausschließlich digital zur Verfügung stehen soll, und äußerte Bedenken in puncto Datensicherheit. Dagmar Belakowitsch (FPÖ) und warf den Regierungsparteien vor, an der "Auflösung der Familienstrukturen" zu arbeiten. Es seien, die Frauen, die Kinder auf die Welt bringen und zu Mütter werden, Väter seien "nur Zuseher".

Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) und Fiona Fiedler (NEOS) kritisierten das Vorhaben mit Blick auf den Datenschutz. Besonders innerhalb der ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft müsse gewährleistet sein, dass alleine die Frau die Daten verwalten könne, forderte Heinisch-Hosek. Für Fiedler werden Daten über Fehl- und Totgeburten bzw. Schwangerschaftsabbrüche viel zu lange gespeichert, was nicht tolerierbar sei. Sie fand es zudem nicht nachvollziehbar, warum eine Parallelstruktur zur elektronischen Gesundheitsakte ELGA geschaffen werde. (Fortsetzung Nationalrat) kar/bea

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