Parlamentskorrespondenz Nr. 803 vom 06.07.2023

NEOS fordern in Dringlichem Antrag Bürokratieabbau in Schulen

Debatte über Bildungssystem und Reformvorschläge im Nationalrat

Wien (PK) – Das Ende des Schuljahres nahmen die NEOS zum Anlass, um in der heutigen Plenarsitzung des Nationalrats die Bürokratie im Schulsystem zu thematisieren. Lehrer:innen sollten sich ihrer Kernaufgabe – der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen – widmen können, anstatt von Bürokratie erdrückt zu werden, argumentierte NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger den Dringlichen Antrag ihrer Fraktion, der schließlich mehrheitlich abgelehnt wurde. Sie pochte auf mehr Schulautonomie, eine Vereinfachung der Verwaltungsabläufe und den Einsatz von administrativem Personal. Um die Lehrer:innen von administrativen Tätigkeiten zu entlasten sah auch Bildungsminister Martin Polaschek "Luft nach oben". Entsprechende Entlastungspakete seien in Planung.

NEOS für Vermeidung, Vereinfachung und Delegation von Verwaltungsabläufen

Die NEOS-Forderung zielt auf ein Reformpaket ab, um Schulen bzw. Schuldirektor:innen und Lehrer:innen von der "erdrückenden" Bürokratie im Schulsystem zu befreien. Dazu sollte Schulen volle Autonomie in organisatorischer, personeller, finanzieller und pädagogischer Hinsicht gewährt werden. Die Bildungsdirektionen wären gemäß des Vorstoßes lediglich als beratende Serviceeinrichtung tätig, als Behörde aber abgeschafft. Um die Verwaltungsabläufe zu vereinfachen, sollten die administrativen Tätigkeiten in ein einheitliches Schulverwaltungsprogramm zusammengefasst und an ein administratives Personal delegiert werden, um das Lehrpersonal für die pädagogische Arbeit freizuspielen, so die weiteren Elemente des Reformvorschlags.

Laut NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger hätten Lehrer:innen den "wichtigsten Job in der Republik". Im österreichischen Bildungsbereich sehe es aber nicht gut aus, da Bildungspolitik bei der Bundesregierung ihrer Meinung nach keinen Stellenwert habe. Bildung sei die größte Baustelle in Österreich, meinte sie. Die Schule sollte ein Ort sein, wo Schüler:innen gerne lernen und Lehrer:innen gerne arbeiten, heißt es im Antragstext. Laut einer Umfrage würden allerdings 90 % des Lehrpersonals Veränderungsbedarf sehen, um ihren Arbeitsalltag zu verbessern. Die Antragstellerin sieht das Hauptproblem bei der "erdrückenden" Bürokratie und brachte eine Liste mit 300 Praxisbeispielen zum Rednerpult. Viele engagierte Junglehrer:innen würden ihren Job mit dem Anspruch beginnen, etwas zu bewegen und einen Dienst an der Gesellschaft zu leisten, würden vom Bildungssystem aber ernüchtert, meinte Meinl-Reisinger. Durchschnittlich würden in Österreich täglich drei Lehrer:innen kündigen und sich nur 16 % von der Gesellschaft in ihrem Job angesehen fühlen.

Österreich sei im Bildungssystem "absolutes Mittelmaß", sagte Meinl-Reisinger. Mit dem derzeitigen Bildungssystem schaffe man weder Top-Exzellenz noch Chancengerechtigkeit, kritisierte sie "jahrzehntelange Verfehlungen" in der Bildungspolitik und eine "Privatisierung durch die Hintertür" angesichts des hohen Bedarfs an Nachhilfe. Eine Familie mit einem Kind würde durchschnittlich 750 € für Nachhilfe in die Hand nehmen müssen, obwohl sich Österreich das Bildungssystem verhältnismäßig viel kosten lasse. Länder wie Estland oder Finnland mit niedrigeren pro-Kopf Ausgaben für Bildung würden jedoch bei Pisa-Tests besser abschneiden.

"Warum sind Sie eigentlich Bildungsminister?" wandte sich Meinl-Reisinger zur Regierungsbank. Bundesminister Martin Polaschek versuche nicht einmal, einen Schritt in die richtige Richtung zu machen, bemängelte die NEOS-Abgeordnete und nannte den Wiener Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (NEOS) als positives Gegenbeispiel. Auch die Grünen hätten seit ihrer Regierungsbeteiligung bei der Bildungspolitik nichts weitergebracht, kritisierte sie.

Bildungsminister Polaschek verweist auf Entlastungsmaßnahmen

Handlungsbedarf im Bildungssystem gestand Bildungsminister Martin Polaschek zu. An Reformen werde gearbeitet, aber generelles Schlechtreden hätten sich weder Lehrer:innen noch Schüler:innen verdient, reagierte er auf die Rede der NEOS-Klubobfrau. Seit Beginn seiner Amtszeit würde er "alles in seiner Macht stehende" für gute Arbeitsbedingungen unternehmen. Es sei ihm bewusst, dass das Lehrpersonal von administrativen Tätigkeiten freigespielt werden müsse. Ein Schlüssel dazu sei mehr Unterstützungspersonal in den Pflichtschulen, sagte er. Weil die Zuständigkeit dafür bei den Ländern und Gemeinden liege, könne der Bund allerdings nur Anreize setzen. Österreichweit seien die Mittel für das psychosoziale Unterstützungspersonal für 240 zusätzliche Kräfte erhöht und für 700 Stellen im administrativen Bereich geschaffen worden. Auch die Anzahl der Schulpsychologen sei um 20 % aufgestockt worden. Über den Finanzausgleich seien für die Schulen 40 Mio. € dauerhaft bereitgestellt. Da sich diese Maßnahmen erst in Umsetzung befänden, würde es noch dauern bis sie vollständig wirken, erklärte Polaschek. Für weitere Entlastungspakete sei man im intensiven Austausch mit der Lehrer:innengewerkschaft.

Auch in Bezug auf die Schulautonomie und das Thema Digitalisierung seien bereits Schritte gesetzt worden. So wie sich die Gesellschaft wandle, müsse sich auch die Schule an die Herausforderungen anpassen, sagte der Minister. Die Geräteinitiative "Digitales Lernen" und das Pflichtfach "Digitale Grundbildung" bezeichnete er als Meilensteine. Bei der Vereinheitlichung der Schulverwaltungsprogramme würde einzig Wien einen anderen Weg als die anderen Bundesländer bestreiten, hielt er zu einem weiteren aufgeworfenen Kritikpunkt fest.

Debatte über Bildungssystem und Reformvorschläge

Seit Jahren werde "weltmeisterlich" Geld ins Bildungssystem "gebuttert", der Output sei aber maximal Mittelmäßigkeit, kritisierte Martina Künsberg Sarre (NEOS). Bei der Vielzahl an Berichten aus der Praxis und den Bildungsabbrechenden bzw. den Schüler:innen, die nicht sinnerfassend lesen können, frage sie sich, wann der Bildungsminister endlich grundlegende Reformen einleite. Künsberg Sarre pochte zudem auf die NEOS-Forderung, den Schulen Autonomie zu geben und Lehrer:innen von der Bürokratie zu entlasten. Für ein unbürokratisches inklusives Bildungssystem sprach sich Fiona Fiedler (NEOS) aus und thematisierte den fehlenden Rechtsanspruch auf ein elftes und zwölftes Schuljahr für Kinder mit sonderpädagogischen Förderbedarf. Den Anspruch Estlands, das beste Schulsystem der Welt zu haben, sollte auch Österreich haben, forderte Katharina Werner (NEOS). Für eine Halbierung der Bürokratie trat auch Yannick Shetty (NEOS) ein und er vermisste jegliche Vision beim Bildungsminister.

Für viele Punkte aus dem NEOS-Antrag sei der Bildungsminister gar nicht zuständig, meinte dazu Romana Deckenbacher (ÖVP). Vielmehr würden sie in die Zuständigkeit der Länder bzw. Bildungsdirektionen fallen. In Richtung der NEOS bemängelte sie in manchen Punkten den zuvor angesprochenen Wiener Bildungsstadtrat. Die NEOS-Forderung, die Bildungsdirektionen abzuschaffen, bezeichnete sie als fehlendes Verständnis für das Bildungssystem in Österreich oder "reinen Populismus". Es gebe außerdem bereits Digitalisierungsinitiativen, weitere Schritte würden gesetzt. Dazu sei die Finanzierung des Schulbereichs im Finanzausgleich verankert und die Schulpsycholog:innen seien um 20 % aufgestockt worden, so Deckenbacher. Eine Entlastung der Schulen sei notwendig und erste Maßnahmen wie beim Unterstützungspersonal wurden bereits gesetzt, meinte Gertraud Salzmann (ÖVP). Der Antrag sei eine Selbstanklage der NEOS, kritisierte Nico Marchetti (ÖVP) den Wiener Bildungsstadtrat Wiederkehr. Es brauche gut ausgebildete Lehrer:innen, die gerne in den Schulen unterrichten, befürwortete Rudolf Taschner (ÖVP) die angestrebte Verbesserung der Lehramtsausbildung.

Petra Tanzler (SPÖ) wiederum warf auf, dass mit mangelndem Budget kein Fortschritt ermöglicht werde. Als kurzfristige Maßnahme erachte sie eine sofortige Entlastung des Lehrpersonals für nötig, damit sich dieses wieder um Bildung kümmern könne. Weitere Themen mit Handlungsbedarf betreffen aus Sicht von Tanzler Deutschförderklassen, Sommerschulen und Gratisnachhilfe. Dem NEOS-Antrag stimme sie zwar bei den Punkten mehr Autonomie für Schulen und Entlastungen bei der Verwaltung zu. Die Bildungsdirektionen werde man allerdings noch brauchen, weshalb sie den Antrag insgesamt nicht befürworten könne, so Tanzler. Mittel- bis langfristig brauche es ganztägige, verschränkte Schulen, die ihr zufolge den Bildungsauftrag erfüllen können, war sich Tanzler mit ihren Fraktionskolleg:innen Christian Oxonitsch und Katharina Kucharowits einig. So wie in den Schulen "brenne" auch in den Kindergärten "der Hut", forderte Petra Wimmer (SPÖ) Verbesserungen der Rahmenbedingungen in der Elementarpädagogik.

Es dürfe nicht sein, dass Maturant:innen Probleme mit Lesen, Rechnen und Schreiben haben, kritisierte Hermann Brückl (FPÖ) am Bildungssystem. Der Bildungsminister lasse außerdem zu, dass Lehrer:innen unter Aktenbergen versinken, ortet er "unzählige Baustellen". Es brauche eine Reform im Lehrerdienstrecht, im Besoldungssystem der Lehrer:innen sowie eine Ausbildungsreform, so Brückl. Außerdem müsse der Minister handeln und dafür sorgen, dass - hinsichtlich Lehrermangel - im kommenden Herbst ein reibungsloser Start ins neue Schuljahr gewährleistet sei. Auch die Bürokratiehürden gelte es, "niederzureißen", allen voran bei den Bildungsdirektionen, aus denen aus Sicht von Brückl Servicestellen gemacht werden sollten. Gegen sexualpädagogische Workshops wandten sich Gerald Hauser (FPÖ) und Susanne Fürst (FPÖ) und forderten vielmehr eine Konzentration auf klassische Bildung.

Sibylle Hamann (Grüne) räumte zwar ein, dass im komplizierten Schulsystem in Österreich sicher einiges verbessert werden könnte. Bildungsminister Polaschek habe aber jedenfalls einen Reformvorschlag gemacht, den sie aus voller Überzeugung unterstütze. Damit werde ein neues Berufsbild unter dem Arbeitstitel Assistenz- und Freizeitpädagogik vorgeschlagen, das verschiedene Aufgaben umfassen könne. Der Bund biete dabei an, all diese Fachkräfte in den Bundesdienst zu übernehmen, was eine große Chance bzw. einen "Turbo" für den Ausbau der ganztägigen Schulformen bedeuten würde. Es gehe bei der Reform auch darum, gemeinsam in multiprofessionellen Teams arbeiten zu können, so Hamann. Kritik erntete die Wiener Bildungsdirektion auch von Eva Blimlinger (Grüne) angesichts befristeter und spät abgeschlossener Dienstverträge von Lehrer:innen in Zeiten des Personalmangels. Zudem wandte Blimlinger sich gegen einen Ausbau der Schulautonomie, da sich dadurch Eliten und auf der anderen Seite Brennpunktschulen heraus bilden würden. Gut aufgeklärte Jugendliche und Kinder befürwortete Barbara Neßler (Grüne) und kritisierte die Position der FPÖ. Um Lehrer:innen freizuspielen, brauche es multiprofessionelle Teams, forderte sie.

Die Schule der Zukunft müsse so gestaltet werden, dass der Lehrkörper als auch die Kinder sich freuen, lehren und lernen zu dürfen, forderte die fraktionslose Abgeordnete Pia Philippa Beck Investitionen in ein zeitgemäßes Bildungssystem. (Fortsetzung Nationalrat) fan/mbu/pst

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.


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