Parlamentskorrespondenz Nr. 826 vom 12.07.2023

Spanien will EU-Ratsvorsitz als "ehrlicher Vermittler" anlegen

EU-Ausschuss des Bundesrats tauscht sich mit Botschafterin über Prioritäten aus

Wien (PK) - Im EU-Ausschuss des Bundesrats präsentierte heute die spanische Botschafterin Cristina Fraile Jiménez de Muñana das Programm für den Ratsvorsitz Spaniens im kommenden halben Jahr, der unter dem Motto "Europe, closer" stehen wird. Im Kontext der aktuellen Herausforderungen für die EU, insbesondere durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, basiert das Programm auf vier prioritären Handlungsfeldern: der Reindustrialisierung der EU und Sicherung der strategischen Autonomie, dem grünen Wandel, der sozialen und wirtschaftlichen Gerechtigkeit sowie der Stärkung der europäischen Einheit.

Botschafterin Fraile Jiménez de Muñana präsentiert Vorhaben

Spanien sei eines der EU-freundlichsten Länder, betonte die Botschafterin eingangs. 76 % der Bevölkerung seien der Ansicht, dass mehr Entscheidungen auf EU-Ebene getroffen werden sollten. Diese positive Einstellung zur europäischen Union bleibe bestehen, auch falls es nach der Wahl zu einem Machtwechsel kommen sollte, so Fraile Jiménez de Muñana. In Spanien werden am 23. Juli 2023, also während der EU-Ratspräsidentschaft, vorgezogene Parlamentswahlen stattfinden.

Die Botschafterin führte zudem an, dass es sich um einen entscheidenden Moment im europäischen Kalender handle. Schließlich sei die spanische Ratspräsidentschaft die letzte vollständige, bevor im Juni 2024 die Wahlen zum Europäischen Parlament stattfinden. Eine Vielzahl an Dossiers sei bis dahin noch zu erledigen, gab Fraile Jiménez de Muñana zu bedenken. Spanien wolle hier die Rolle als "ehrlicher Vermittler" einnehmen und sich um Kompromisse bemühen.

Fraile Jiménez de Muñana erläuterte die vier Leitlinien des spanischen Ratsvorsitzes genauer. Es brauche eine Reindustrialisierung, damit Europa in der Lage sei, wichtige Produkte innerhalb der EU herzustellen und damit seine Abhängigkeit von anderen Staaten zu verringern. Im Sinne einer offenen strategischen Autonomie sei aber bedeutend, keine "Festung Europa" zu bauen. Mit Blick auf die Energiesicherheit und den grünen Wandel müsse der Strommarkt reformiert werden, so die Botschafterin. Das aktuelle System der Strompreisgestaltung sei nicht effizient. Auch das Wirtschaftswachstum sei weiterhin zu fördern, allerdings mit einer starken sozialen Säule. Es brauche ein inklusives Europa, das speziell die am meisten benachteiligten Gruppen schütze. Die Umsetzung eines EU-Behindertenausweises solle Mobilität für alle Menschen in Europa garantieren. Zur Stärkung der europäischen Einheit brauche es eine Verbesserung von gemeinsamen Instrumenten wie dem Aufbauplan NextGenerationEU sowie effizientere Entscheidungsprozesse. Es gelte, weiterhin gemeinsam die Ukraine zu unterstützen. Auch der Abschluss eines Migrations- und Asylpakts sei von Bedeutung, so Fraile Jiménez de Muñana. Als Schwerpunktregionen führte die Botschafterin Lateinamerika, den Mittelmeerraum, die Mitgliedstaaten der Europäischen Politischen Gemeinschaft und den Westbalkan an.

Österreich begrüße, dass der spanische Ratsvorsitz einen Schwerpunkt auf den Asyl- und Migrationspakt legen wolle, heißt es aus dem Bundeskanzleramt. Mit Blick auf den spanischen Fokus auf Erweiterungsverhandlungen mit der Ukraine und der Republik Moldau wird seitens Österreichs betont, dass alle Beitrittskandidaten die Bedingungen erfüllen müssten und eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit den Westbalkanländern essenziell sei. Zu begrüßen seien laut Bundeskanzleramt die energiepolitischen Schwerpunkte und die Bemühungen um eine Stärkung der strategischen Autonomie. Mit Blick auf die von Spanien forcierten Beziehungen zwischen der EU und Lateinamerika erwartet das Bundeskanzleramt auch einen Fokus auf den Abschluss des Mercosur-Abkommens. Ein solches Abkommen lehne Österreich nach wie vor ab, wird betont.

Reindustrialisierung, EU-Erweiterung und Migration dominieren Fragen der Bundesrät:innen

Ein breites Spektrum an Fragen richteten die Mitglieder des Bundesrats an die Botschafterin. Für die konkreten Schwerpunkte des spanischen Ratsvorsitzes mit Blick auf die Reindustrialisierung interessierte sich etwa Andrea Eder-Gitschthaler (ÖVP/S) genauer. Aus ihrer Sicht sei es wichtig, die Produktionsstätten wieder nach Europa zurückzubringen. Fraile Jiménez de Muñana stimmte Eder-Gitschthaler zu. Es gelte, einen Weg zu finden, die Reindustrialisierung mit Respekt für den Green Deal voranzutreiben. Die von Spanien forcierte offene strategische Autonomie schließe auch Handelsabkommen mit verschiedenen, zuverlässigen Partnern ein, betonte die Botschafterin.

Eder-Gitschthaler sprach zudem wie der Wiener SPÖ-Bundesrat Stefan Schennach die Beitrittsperspektive für die Staaten des Westbalkans an. Schennach äußerte in diesem Zusammenhang die Hoffnung, "Steine aus dem Weg zu räumen", was die Aufnahme des Kosovo betrifft. Botschafterin Fraile Jiménez de Muñana betonte, dass sich Spanien stark für die Integration des Westbalkan in die EU engagiere, da es sich um eine wichtige Region für die Stabilität Europas handle. Man dürfe aber nicht zwei Themen vermischen. Denn wenn man über eine EU-Erweiterung spreche, gehe es um Staaten. Der Kosovo sei für Spanien aber verfassungsrechtlich aufgrund der einseitigen Trennung von Serbien kein Staat. Sobald es eine Verständigung zwischen Pristina und Belgrad gebe, werde Spanien "kein Stein auf dem Weg" zur europäischen Integration mehr sein, so Fraile Jiménez de Muñana.

Stefan Schennach (SPÖ/W) unterstrich mit Blick auf den Lateinamerika-Fokus Spaniens die ablehnende Haltung sowohl des Parlaments als auch der Bundesregierung zum Mercosur-Abkommen. Die Botschafterin zeigte Verständnis für die österreichische Position. Sie hoffe aber, dass ein Kompromiss gefunden werden könne. Denn aus strategischen Gründen sollte die EU ihrer Meinung nach den Staaten Lateinamerikas zeigen, dass nach jahrelangen Verhandlungen ein Kompromiss möglich ist. Es gebe schließlich andere Akteure auf der Welt, die sehr interessiert an der Region seien und denen weniger an Klimaschutz und Menschenrechten liege als der EU. Ein solches Vakuum der geostrategischen Politik bleibe nicht lange leer, gab Fraile Jiménez de Muñana zu bedenken. Sie zeigte sich zudem überzeugt, dass die Standards in Sachen Klimaschutz und Menschenrechte derzeit ohne Abkommen geringer seien als mit einem Kompromiss.

Von Stefan Schennach und Marco Schreuder (Grüne/W) nach prioritären Richtlinien- bzw. Verordnungsvorschlägen gefragt, die vor Ende der Legislaturperiode noch durchzubringen seien, führte die Botschafterin die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur an, über die heute im Europäischen Parlament abgestimmt wurde. Spanien wolle rasch weiterarbeiten, so Fraile Jiménez de Muñana. Ebenfalls von großer Bedeutung sei die Regelung für Plattformarbeit. Schließlich hätten die betroffenen Personen derzeit keine echten Verträge und damit keine echten sozialen Rechte. Spanien werde sich bemühen, das Paket voranzutreiben, sagte die Botschafterin.

Andreas Arthur Spanring (FPÖ/NÖ) interessierte sich für die spanischen Intentionen, die Entscheidungsprozesse innerhalb der EU zu optimieren. Er fragte nach, ob damit ein Ende des Einstimmigkeitsprinzips gemeint sei. Es gehe darum, die EU effizienter zu machen, betonte die Botschafterin. Das Einstimmigkeitsprinzip sei in vielen Bereichen sehr wichtig. Immerhin könnten damit fixierte Entscheidungen nicht einfach wieder rückgängig werden. Es gebe aber Bereiche, etwa in der Außenpolitik, wo die EU schneller reagieren müsse.

Von Spanring auf die Migrationsthematik angesprochen, führte Fraile Jiménez de Muñana aus, dass Spanien sehr von illegaler Migration betroffen sei. Ein Kompromiss für einen Asyl- und Migrationspakt sei von großer Bedeutung, so die Botschafterin. Dafür müssten alle Staaten auch etwas aufgeben. Fraile Jiménez de Muñana strich aber auch hervor, dass Spanien von der Migration, etwa aus lateinamerikanischen Ländern, profitiere. Schließlich würden die Arbeitskräfte benötigt. Die Integration gestalte sich bei Menschen aus Lateinamerika, aber auch aus Ländern wie Rumänien, Bulgarien, Marokko oder der Ukraine, nicht besonders schwierig, zeigte sie auf. (Fortsetzung EU-Ausschuss des Bundesrats) kar


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