Parlamentskorrespondenz Nr. 1370 vom 07.12.2023

Bundesrat billigt Zweier-Vorstand und neue Aufgaben für Nationalfonds

ÖVP, Grüne und SPÖ verwehren sich gegen "Volksaustausch"-Sager von FPÖ-Mandatar Steiner

Wien (PK) – Einstimmig billigte der Bundesrat heute die geänderte Struktur mit einem Zweier-Vorstand und neue Aufgaben für den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus. Mit einer ergänzenden Novelle zum Kunstrückgabegesetz werden gesetzliche Grundlagen für Datenverarbeitungen sowie für Akteneinsichten beim Nationalfonds – etwa zur leichteren Erbensuche – geschaffen. Der Bund will sich zudem künftig höher an den Kosten zur Instandsetzung jüdischer Friedhöfe beteiligen.

Protest gegen "Volksaustausch"-Sager von FPÖ-Mandatar Christoph Steiner

Zu einer längeren Sitzungsunterbrechung und starkem Protest der ÖVP, den Grünen und der SPÖ kam es aufgrund einer Wortmeldung von FPÖ-Bundesrat Christoph Steiner. Dieser hatte im Zuge der Debatte zum Nationalfonds und zum Kunstrückgabegesetz über "Volksaustausch" in Österreich gesprochen. Die Sozialdemokrat:innen verwehren sich gegen diesen Begriff, ergriff Korinna Schumann das Wort, so etwas könne nicht gesagt werden im Bundesrat. Grün-Bundesrat Marco Schreuder zeigte sich "schockiert" über diesen "ganz klaren Nazi-Jargon" im Parlament, ÖVP-Bundesrätin Andrea Eder-Gitschthaler war "fassungslos, starr und sprachlos" im Namen ihrer Fraktion. Das sei eine massive Grenzüberschreitung. Präsidiumsvorsitzende Margit Göll erteilte nach Vorlage des Protokolls Steiner einen Ordnungsruf.

Nationalfonds bekommt Zweier-Vorstand und neue Aufgaben

Das von den Koalitionsparteien vorgelegte Gesetzespaket zielt darauf ab, den Nationalfonds durch eine geänderte Struktur und neue Aufgaben für die Zukunft auszurichten sowie die Instandsetzung jüdischer Friedhöfe voranzutreiben. Vorgesehen sind unter anderem die Etablierung eines Zweier-Vorstands im Nationalfons und neue Berichtspflichten gegenüber dem Kuratorium. Außerdem soll der Fonds künftig auch Gedenkdiener:innen, Austauschprogramme für Schüler:innen und Lehrlinge, die Einrichtung einer NS-Gedenkstätte für Roma und Sinti sowie den Erhalt von Gräbern von Holocaust-Überlebenden aus den Reihen der Roma und Sinti unterstützen können.

Was die höhere Kostenbeteiligung des Bundes bei der Instandsetzung jüdischer Friedhöfe betrifft, will der Bund künftig bis zu 75 % der Kosten übernehmen. Bisher musste die israelitische Kultusgemeinde als Friedhofseigentümerin mindestens die Hälfte der Kosten selbst aufbringen. Außerdem wird der im Jahr 2010 eingerichtete Förderfonds für jüdische Friedhöfe von 20 auf 40 Jahre verlängert und künftig mit jährlich 1,2 Mio. € dotiert.

In der Bundesratsdebatte zeigte sich Günther Ruprecht (ÖVP/St) besorgt über den Anstieg von Antisemitismus in Österreich. "Das darf bei uns keinen Platz und keinen Raum mehr haben. Dagegen müssen wir entschieden auftreten", unterstrich der Mandatar. Umso wichtiger seien die gesetzlichen Maßnahmen, so Ruprecht, wobei er insbesondere die zusätzliche Unterstützung für Gedenkdiener:innen hervorhob.

Für die Freiheitlichen äußerte Isabella Theuermann (FPÖ/K) die Zustimmung ihrer Fraktion für beide Gesetzesvorhaben. Beim Nationalfonds seien allerdings nicht alle freiheitlichen Kritikpunkte wie ein Anstieg der Verwaltungskosten durch den neuen Zweiter-Vorstand aufgegriffen worden. Diese Mittel hätten dem Fonds für sinnvollere Projekte zufließen sollen, so Theuermann. Auch eine zusätzliche Förderung der Gedenkdiener seien eine Ungleichbehandlung etwa im Vergleich zu anderen Zivildiener:innen oder den Grundwehrdiener:innen. Insbesondere die Instandhaltung der jüdischen Friedhöfe werde von der FPÖ angesichts des "importieren Antisemitismus" unterstützt. Es sei wichtig, in dieser Angelegenheit aktiv zu sein.

Der Nationalfonds leiste sehr wertvolle Arbeit, indem er unter anderem vor allem auch das Bewusstsein in all den Jahren geschärft habe, unterstrich Marco Schreuder (Grüne/W). Er erinnerte etwa daran, dass Homosexuelle 1995 noch keine anerkannten Opfer der NS-Zeit gewesen seien, sondern erst seit 2005. Dadurch, dass man historisch immer stärker von dieser Zeit entfernt sei, liege der Fokus ganz stark auf Bewusstseinsbildung, Erinnerungskultur und Wissenschaft. Durch die neue Struktur im Nationalfonds werde mehr Transparenz geschaffen, auch durch den vierteljährlichen Tätigkeitsbericht an das Kuratorium. In Richtung Bundesrätin Theuermann sagte Schreuder, dass der Antisemitismus in Österreich nicht nur importiert worden sei, dieser sei in Österreich auch entstanden und existiere nach wie vor.

Seine Zustimmung für die gesetzlichen Vorhaben stünden außer Frage, sagte Karl-Arthur Arlamovsky (NEOS/W) in der Debatte. Leichte Kritik äußerte der Mandatar allerdings an der Vorgangsweise, so sei die Opposition erst sehr spät eingebunden worden.

Daniela Gruber-Pruner (SPÖ/W) sprach über die Leistungen des 1995 gegründeten Nationalfonds und seine bedeutende Arbeit zur Aufarbeitung, Dokumentation und Bewusstseinsbildung neben den bisher 30.000 Gestezahlungen. Den Sozialdemokrat:innen sei es wichtig, alle Opfergruppen in den Fokus zu nehmen, so Gruber-Pruner, die vor diesem Hintergrund das Vorhaben einer Opfergedenkstätte für Roma und Sinti als höchst an der Zeit bezeichnete. Begrüßenswert seien ebenso die Änderungen bei der Struktur des Nationalfonds sowie sämtliche neue Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung bei Kindern und Jugendlichen. Das sei insofern wichtig, als es immer weniger Zeitzeug:innen gebe und der Antisemitismus in Österreich steige. Antisemitismus sei aber kein einzig gesellschaftliches Phänomen, sondern müsse insbesondere der Politik zu denken geben, so die Bundesrätin. Zumal es in Österreich Landesregierungen gebe, in denen Politiker:innen Platz finden würden, die sich noch immer nicht vom Nationalsozialismus distanziert hätten und mit nationalsozialistischen Codes agieren würden. "Wir haben auch Kollegen im Raum, die nach wie vor von einem Volkskanzler reden, wie auch Adolf Hitler genannt wurde", so Gruber-Pruner. Als großes Problem erachtet sie eine Verrohung der Sprache und Verhetzung, die auch in der heutigen Bundesratssitzung etwa in Zusammenhang mit Flüchtlingen bereits zu hören gewesen seien.

"Da kann man nicht ruhig bleiben", verwehrte sich Andreas Arthur Spanring (FPÖ/N) den Ausführungen von Gruber-Pruner, der darin einen Vergleich von "Volkskanzler Herbert Kickl" mit "Volkskanzler Adolf Hitler" sah. "Das ist eine NS-Verharmlosung der Sonderklasse", sagte Spanring und erinnerte daran, dass auch Bruno Kreisky oder Leopold Figl als "Volkskanzler" bezeichnet worden seien. Auch Alfred Gusenbauer habe sich 2007 selbst als Volkskanzler bezeichnet. "Wenn sie immer und überall Nazis sehen, gehen sie zum Arzt, der kann ihnen helfen, weil normal ist das nicht", so Spranring in Richtung Gruber-Pruner.

Der Begriff sei selbstverständlich auf das Jahr 1933 zurückzuführen, bemühte sich Marco Schreuder von den Grünen um faktische Aufklärung. Es möge so sein, dass bisherige Bundeskanzler den Begriff für sich verwendet hätten, dies sei auch zu kritisieren. 2023 müsse die Politik aber historische Verantwortung übernehmen und den Ausdruck "Volkskanzler" keinesfalls mehr verwenden.

"Es soll uns in Österreich nichts Schlechteres passieren, als einen Volkskanzler Herbert Kickl, der für das Volk da ist und sich für das Volk einsetzt", so die Replik von Christoph Steiner (FPÖ/T). Wenn jemand endlich mal wieder für das Volk arbeite, seien die Menschen froh, einen vollen Kühlschrank aufzumachen und wenn dem "Selbstbedienungsladen ÖVP" ein Ende gesetzt werde. "Deine linkslinke, verschwurbelte Ideologie will das Volk abschaffen, es soll eine 'Meschugge' werden aus bunten, tollen Leuten aus aller Herren Länder und das österreichische Volk soll abgeschafft werden. Aber mit uns nicht Herr Kollege von den Grünen", so Steiner weiter in Richtung Schreuder: "Eines kann ich dir versprechen: Bei einem Volkskanzler Kickl wird mit Sicherheit nicht, so wie unter Grün-Schwarz und Rot und Pink, das Volk ausgetauscht." Denn eines sei klar: "Wenn jemand etwas austauscht, dann ist es das Volk, das euch endlich austauscht", sagte der Tiroler Bundesrat.

Zuschüsse für Rettungs- und Zivilschutzorganisationen und Weiterentwicklung elektronischer Meldeverfahren

Mit Zweckzuschüssen in der Höhe von 18 Mio. € pro Jahr für die Rettungsorganisationen in den Ländern und Zuwendungen von jährlich jeweils 2 Mio. € für deren Dachorganisationen auf Bundesebene sowie für den Österreichischen Zivilschutzverband will die Bunderegierung auf steigende Anforderungen an Rettungswesen und Zivilschutz reagieren. Auch dafür gab es in der Länderkammer Stimmeneinhelligkeit.

Mehrheitlich billigten die Bundesrät:innen eine Novelle des Melde-, des Personenstands- und des Namenänderungsgesetzes, die einer EU-Verordnung über die Einrichtung eines einheitlichen digitalen Zugangstors (Single-Digital-Gateway-Verordnung) Rechnung trägt. Damit soll es unter anderem Inhaber:innen eines Elektronischen Identitätsnachweises (E-ID) oder eines anderen anerkannten elektronischen Identifizierungsmittels ermöglicht werden, die Beantragung von Wohnsitznachweisen sowie die Meldung von Adressänderungen künftig vollständig online abzuwickeln. Dieser Service ist auch für Staatsangehörige anderer EU-Länder vorgesehen, deren Daten bereits im Zentralen Melderegister (ZMR) vorhanden sind. (Fortsetzung Bundesrat) keg

HINWEIS: Plenarsitzungen werden live in der Mediathek übertragen und sind als Video-on-Demand verfügbar.


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