297/A(E)-BR/2021

Eingebracht am 24.06.2021
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Entschließungsantrag

 

der Bundesrät*innen Korinna Schumann, Sandra Gerdenitsch, Daniela Gruber-Pruner,

Genossinnen und Genossen

 

betreffend flächendeckende Versorgung für LGBTIQ-Jugendliche.

 

Gerade Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene stehen nach mehr als einem Jahr der Corona-Pandemie vor enormen psychosozialen Herausforderungen. Zahlreiche Studien zeigen, dass diese Gruppe besonders hart von Lockdowns, Home-Learning und den Folgen aufgrund der Einschränkungen während der Pandemie betroffen sind. Das Ansteigen von Depressionen, Angst- und anderen psychischen Erkrankungen unter Kindern und Jugendlichen wird unsere Gesellschaft auch in den kommenden Jahren noch massiv beschäftigen – die Politik hat genau daher die Pflicht, die dringend notwendigen Ressourcen für den Ausbau einer umfassenden, flächendeckenden psychosozialen Versorgung junger Menschen in Österreich sicherzustellen!

 

Besonders hart getroffen werden von den aktuellen psychosozialen Belastungen insbesondere jene Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die bereits vor der Pandemie marginalisiert und in vulnerablen Situationen waren. Ein zentrales und international viel diskutiertes Beispiel dafür sind junge LGBTIQ-Personen – die großen Herausforderungen vor denen diese Gruppe in der besonders schwierigen Zeit als Jugendliche und junge Erwachsene ohnehin schon stehen, werden durch die Einschränkungen der Pandemie-Bekämpfung vervielfacht. Seit Jahren zeigen internationale Studien, dass junge LGBTIQ-Personen deutlich häufiger unter psychosozialen Belastungen, psychischen Erkrankungen und sogar einem deutlich höheren Suizid-Risiko leiden als der Durchschnitt ihrer Altersgenoss*innen. Diese Phänomene werden durch die aktuelle Krise noch verschlimmert.

 

Umfassende Daten zur Situation von LGBTIQ-Jugendlichen liegen beispielsweise aus den USA vor. Dort zeigte das Selbstmordpräventionsprojekt „The Trevor Project“: „Über 40 Prozent der queeren Jugendlichen gaben an, dass sich die Pandemie auf ihre Fähigkeit, ihre Identität auszudrücken, ausgewirkt hat. Besonders betroffen sind trans und nichtbinäre Jugendliche, die dem zu 56 Prozent zustimmten. (…) Über die Hälfte aller befragten LGBTIQ-Jugendlichen haben seit dem Ausbruch des Coronavirus Symptome von Angst und Depressionen verspürt. (…) Zu schaffen machte den LGBTIQ-Jugendlichen der verringerte Zugang zur psychosozialen Versorgung und dass sie ihre Identität nicht mehr im gleichen Maße ausdrücken können. Ein Drittel aller queeren Jugendlichen gab an, dass sie zu Hause nicht in der Lage seien, sie selbst zu sein, und fast ein Drittel der trans und nicht-binären Jugendlichen fühlte sich seit Beginn von COVID-19 in ihrer Lebenssituation unsicher. Einer von drei queeren People of Color (32 Prozent) gab an, dass ihre Lebenssituation durch die Corona-Pandemie «viel stressiger» geworden sei als zuvor. Auch Mobbing im eigenen Umfeld macht den amerikanischen Jugendlichen zu schaffen.“[1]

 

Aber auch in Europa ist die Dringlichkeit der Lage längst klar. So warnt der Deutsche Lesben- und Schwulenverband vor den Auswirkungen der Krise besonders auf junge LGBTIQs: Fehlende psychosoziale Versorgung und der unzureichende Ausbau von (Coming-Out) Beratungsstellen würden in der aktuellen Situation vom Wegfall wichtiger Infrastruktur und Begegnungsorte im ehrenamtlichen Bereich ergänzt. Das Fehlen niederschwelliger Supportgruppen aufgrund der Pandemie könnte sowohl auf die psychische Situation als auch auf die langfristige Entwicklung von jungen LGBTIQ-Personen massiv negative Auswirkungen haben.[2] Am Beispiel von LGBTIQ-Jugendlichen zeigt sich die dringende Notwendigkeit, nicht nur schnellstmöglich in den generellen Ausbau der psychosozialen Versorgung junger Menschen zu investieren, sondern auch eigene Angebote für marginalisierte und besonders vulnerable Menschen innerhalb dieser Gruppe zu schaffen.

 

In Österreich wird die Dringlichkeit dieser Situation besonders deutlich, da die Republik – im Gegensatz zu Ländern wie Deutschland – über ein wenig ausgebautes Netz an Beratungs- und Betreuungseinrichtungen für junge LGBTIQ-Personen verfügt. Wichtige Unterstützungsarbeit für diese Gruppe wird vor allem von NGOs geleistet, die dabei oft mit wenigen finanziellen Mitteln zentrale soziale Verantwortung übernehmen. Außerhalb der Bundeshauptstadt, die auf eine lange Tradition von queerer Jugendarbeit zurückblicken kann und diese momentan weiter ausbaut, gibt es nicht in jedem Bundesland professionelle und qualitativ hochwertige Angebote im hauptamtlichen Bereich. Dort wo Angebote existieren, werden sie aus verschiedenen Budgets, meist nicht ausreichend, finanziert. Das klare Ziel einer umfassenden und flächendeckenden, professionellen Versorgung und Betreuung von LGBTIQ-Personen in diesem prägenden Alter ist damit noch weit entfernt.

 

Es ist daher höchste Zeit, dass die Bundespolitik handelt und Österreich in dieser Versorgungsfrage zu anderen EU-Ländern aufschließt. Die Corona-Krise hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, zu garantieren, dass jedem jungen Menschen in diesem wichtigen Zeitraum seiner Entwicklung die bestmögliche Unterstützung und Hilfe zukommt. Bis heute gibt es im Bundesministerium für Frauen, Familie, Jugend und Integration im Bundeskanzleramt keinen eigenen Budgettopf zu Finanzierung flächendeckender Angebote für LGBTIQ-Jugendliche und damit ihrer Familien. Junge Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität ohnehin immer noch genug Herausforderungen erfahren müssen, haben es verdient, dass sich die Bundespolitik dieses Missstands annimmt und ausreichend Mittel zur Verfügung stellt. Dieser Schritt muss als Teil eines umfassenden Plans zum Auf- und Ausbau flächendeckender psychosozialer Versorgung aller Menschen in Österreich erfolgen.

 

Die unterfertigten Bundesrätinnen und Bundesräte stellen daher nachstehenden

 

Entschließungsantrag

 

Der Bundesrat wolle beschließen:

 

„Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Frauen, Familie, Jugend und Integration im Bundeskanzleramt, wird aufgefordert, umgehend einen eigenständigen, zweckgewidmeten Fördertopf zu schaffen, um mindestens eine hauptamtliche Einrichtung für LGBTIQ-Jugendarbeit im Rahmen von Beratungsstellen in jedem Bundesland sicherzustellen. Diese Einrichtungen sollen innerhalb eines Jahres, nach Möglichkeit unter finanzieller Mitwirkung der Länder, flächendeckend als zentrale Anlaufstellen für LGBTIQ-Jugendliche und deren Familien, sowie für andere Anbieter*innen von offener Jugendarbeit und Lehrer*innen dienen.“

 

 

 

 

Zuweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie und Jugend



[1] https://mannschaft.com/corona-und-polizeigewalt-stresst-lgbtiq-jugendliche-besonders/

[2] https://www.lsvd.de/de/ct/2067-Corona-Auswirkungen-auf-Lesben-Schwule-Bisexuelle-trans-und-intergeschlechtliche-Menschen#zuhause-ein-sicherer-ort