9.35

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Landeshauptfrau! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste hier auf der Galerie und zu Hause vor den Bildschirmen! Lassen Sie mich zunächst einmal meinen Dank auch an Sie, Frau Landeshauptfrau, dafür aussprechen, dass Sie an dieser Stelle die Bedeutung, die Wichtigkeit des Bundesrates auch noch einmal unterstrichen und hervorgehoben haben! Ich glaube, das kann man auch in Richtung der Öffentlichkeit nicht oft genug wiederholen. Wir alle üben unsere Tätigkeit mit viel Herzblut aus, und das natürlich gemeinsam, in Kooperation mit den Ländern und mit den Gemeinden. Das kann man nicht oft genug unterstreichen – vielen Dank dafür! (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie bei BundesrätInnen der FPÖ.)

Ich möchte aber nun auf ein Thema eingehen, das auch in der Enquete, die gestern hier stattgefunden hat, behandelt wurde. Das Land Niederösterreich hat ja diese 3D-Strategie – Digitalisierung, Dezentralisierung und Deregulierung – ins Zentrum des politischen Handelns gestellt. Wir haben auch soeben noch einmal vom Masterplan ländlicher Raum gehört. Ich glaube, es ist unbestritten, dass wir die digitale Revolution nicht vor uns haben, sondern dass wir vielmehr mittendrin stecken. Die Digitalisierung greift natürlich in alle unsere Lebensbereiche, in alle Wirtschaftsbereiche, in alle gesellschaftlichen Bereiche ein, mit allen Vor- und Nachteilen, mit allen Chancen und Risken, die wir an dieser Stelle bereits mehrfach und ausgiebig diskutiert haben.

Dass das Land Niederösterreich verschiedene Offensiven im Bereich digitale Bildung und Breitbandausbau vorantreibt, neue Arbeitsmodelle wie zum Beispiel Teleworking, Crowdworking und vieles andere mehr ermöglicht, ist natürlich begrüßenswert, und natürlich unterstützen wir das auch. So ist es ja nicht zuletzt die Aufgabe der Politik, darauf zu achten, dass die Menschen auch die Möglichkeit haben, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, sodass eben kein digitales Prekariat entsteht, worauf auch, wenn ich darauf hinweisen darf, Hannes Androsch in seiner Funktion als Aufsichts­ratsvorsitzender des Austrian Institute of Technology immer wieder aufmerksam ge­macht hat.

Wir wissen, durch die Digitalisierung nehmen prekäre Beschäftigungen, also unsichere, oft befristete Arbeitsverhältnisse, leider genauso zu wie Arbeitsverhältnisse, bei denen die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben, auch jene zwischen ArbeitnehmerIn und ArbeitgeberIn zunehmend verschwimmen. Da hat die Politik entsprechend gegen­zusteuern und entsprechende Maßnahmen zu setzen.

Politik und damit auch politische Entscheidungen dürfen aus meiner Sicht aber nicht Selbstzweck sein, sondern müssen in erster Linie und generell – und damit komme ich zum zweiten D, nämlich der Dezentralisierung – die Rahmenbedingungen dafür schaf­fen, dass die Menschen ein in den unterschiedlichsten Aspekten gelingendes Leben führen können. Das betrifft das Wohnen genauso wie die Arbeit, die Gesundheit und die Pflege, die Bildung, den Bereich der Sicherheit und der Versorgungssicherheit, ja, auch Dinge wie zum Beispiel Mobilfunk und Glasfaseranschluss, aber auch Möglich­keiten im Bereich Freizeitaktivitäten gehören eindeutig dazu. Ich glaube, da werden Sie mir alle zustimmen, da sind wir uns einig.

Wo wir uns aber anscheinend doch massiv unterscheiden, ist im Grunde – wenn ich es flapsig formulieren darf – so ein bisschen wie die Frage nach Henne und Ei, nämlich darin, was prioritär zu sehen ist und was in der politischen Anstrengung auch Priorität haben muss. Dass durch die Dezentralisierung und Dekonzentration, wie wir es ges­tern gehört haben, Arbeitsplätze in den ländlichen Regionen angesiedelt werden sollen, um damit die Abwanderung in die Städte abzuschwächen, ist natürlich nicht per se abzulehnen. Ein Arbeitsplatz in einer unter Umständen infrastrukturell noch eher schwach ausgebauten Region wird mich als Betroffene aber nicht dazu bringen, mich dann auch dort anzusiedeln, wenn dort beispielsweise der öffentliche Verkehr nicht gut genug ausgebaut ist, wenn mir dort Kinderbetreuung nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung steht, wenn es dort vielleicht keinen Hausarzt, keinen Gemeindearzt gibt und wenn der nächste Bankomat 10 Kilometer entfernt ist. Das alles sind Grundvoraus­setzungen, die gegeben sein müssen, und es bedarf natürlich auch aller Anstrengun­gen der Politik, um den ländlichen Raum entsprechend zukunftsfit zu machen. (Beifall bei der SPÖ.)

Mein Dank gilt an dieser Stelle unserem Landeshauptfrau-Stellvertreter Franz Schnabl, der in diesem Zusammenhang nämlich ein sehr umfassendes Modell, einen Zehn-Punkte-Plan, für Niederösterreich vorgestellt hat, der genau diesem Ziel, nämlich den ländlichen Raum zu stärken, auch tatsächlich Rechnung trägt.

Wie Dezentralisierung nicht geht, das haben wir dagegen am Beispiel des Umwelt­bundesamtes gesehen – und bitte verstehen Sie mich jetzt nicht falsch, ich bin ja eine Vertreterin des betroffenen Bezirks Tulln; da geht es um die Umsiedlung des Umwelt­bundesamtes nach Klosterneuburg. Natürlich wären 500 Arbeitsplätze dort prinzipiell sehr erfreulich und positiv zu bewerten, aber das, muss man auch dazusagen, ginge auf Kosten einer anderen Stadt, nämlich der Stadt Wien, und noch dazu unter dem Deckmantel der Stärkung des ländlichen Raums. Wohlgemerkt sprechen wir bei Klos­terneuburg von der drittgrößten Stadt Niederösterreichs, die noch dazu exakt 3,3 Kilo­meter vom aktuellen Standort des Umweltbundesamtes entfernt ist. Das wirkt für mich dann doch ein wenig doppelzüngig.

Die geschätzten Kosten der Übersiedlung von rund 50 Millionen Euro kommen dann aus meiner Sicht noch sehr erschwerend hinzu. Ich habe dazu eine kleine Rechnung für meinen Bezirk angestellt: Mit dieser Summe könnte man nämlich im Bezirk Tulln die ganztägige Betreuung aller Kinder in den rund 180 Kindergartengruppen, die wir haben, für die nächsten zehn Jahre sicherstellen – und das für die Eltern völlig kosten­los. Ich glaube, das wäre eine wirkliche Investition in die Zukunft unseres Landes und in dem Fall in unseren Bezirk. (Beifall bei der SPÖ.)

Es ist ja gestern im Rahmen der Enquete und auch heute im Bundesrat immer wieder betont worden, dass eine Dezentralisierung nur im Miteinander der Städte und der ländlichen Regionen und ganz besonders auch im Miteinander mit den betroffenen Bediensteten passieren kann. Auch in dieser Hinsicht wird das Umweltbundesamt wohl keinen Best-Practice-Preis gewinnen. Es zeigt eher, wie es nicht geht und dass das vielzitierte Miteinander dann doch nur ein Lippenbekenntnis geblieben ist. Anders ausgedrückt: Es ist nicht alles Gold, was glänzt, auch in Niederösterreich nicht.

Außerdem erscheint es mir mehr als widersprüchlich, auf der einen Seite eine Stär­kung des ländlichen Raums zu betonen und auf der anderen Seite durch den Be­schluss der Schuldenbremse genau das Gegenteil davon wirklich umzusetzen. Ohne entsprechende Investitionen in all den Bereichen, die ich vorhin genannt habe – besonders jetzt, da wir uns langsam, aber sicher von der Phase der Hochkonjunktur verabschieden müssen –, wird es nicht gehen. Eine Schuldenbremse und aus meiner Sicht de facto eine Investitionsbremse wird zu einer Schwächung des ländlichen Raums führen, wenn wir nicht entsprechend gegensteuern.

In diesem Sinne brauchen wir auch über den Speckgürtel der Städte hinaus ent­sprechend leistbaren Wohnraum als eine wichtige Grundvoraussetzung ganz beson­ders für die Jungen, wie wir heute auch schon gehört haben. Wir brauchen einen Aus­bau des öffentlichen Verkehrs – das 365-Euro-Ticket ist immer noch nicht angegangen worden –, einen Ausbau der ganztägigen Kinderbetreuung sowie natürlich auch der ganztägigen Bildung in Ganztagsschulen. Ich muss darauf hinweisen, dass es in Nie­derösterreich immer noch nur eine einzige verschränkte Ganztagsmittelschule gibt – also ich glaube, da haben wir noch viel Luft nach oben. Ein bisschen stolz darf ich darauf sein, dass diese verschränkte Ganztagsmittelschule ausgerechnet in meinem Bezirk entstanden ist, nämlich in unserer SPÖ-geführten Gemeinde im Bezirk, in Zwentendorf. Diesbezüglich haben wir aber, wie gesagt, noch viel Luft nach oben.

Wir brauchen eine optimale Gesundheitsversorgung, und ich glaube, alleine die Erhöhung der Zahl von Studienplätzen wird es nicht sein, die den Hausärztemangel bekämpfen wird. Wir müssen uns um die Pflegenahversorgung Sorgen machen, und dabei geht es nicht um großvolumige Pflegeeinrichtungen, sondern natürlich auch um die Möglichkeit, möglichst zu Hause pflegen zu können.

Wir brauchen eine Sicherstellung der wichtigsten Nahversorgungsinfrastruktur, wie eben Lebensmittelversorger, Postämter, Bankomaten und vieles dergleichen mehr. Wir brauchen das alles natürlich auch in Kombination mit sozial verträglichen Klimaschutz­maßnahmen. Ich glaube, das ist der wirklich notwendige Masterplan ländlicher Raum. Das ist wirklich nah an den Menschen und das wird dann auch die Menschen wirklich bereit für die Zukunft machen.

Das muss, so glaube ich, bei all den unterschiedlichen Meinungen und unter­schied­lichen Ansichten unsere gemeinsame Anstrengung sein: dass wir die Gemeinden, natürlich auch die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister nicht alleine lassen und dafür sorgen, dass der ländliche Raum entsprechend aufgewertet wird. – Vielen Dank. (Bei­fall bei der SPÖ.)

9.45

Präsident Karl Bader: Ich darf eine Schülergruppe aus dem Bezirk Lilienfeld, nämlich aus dem BG/BRG Lilienfeld, als Besucher unserer Sitzung sehr herzlich willkommen heißen. – Schön, dass ihr da seid und euch für den Bundesrat interessiert. (Allge­mei­ner Beifall. – Zwischenrufe bei der ÖVP. – Zwischenruf der Bundesrätin Schumann.)

Es wird heute auch noch eine dritte Besuchergruppe aus dem Bezirk Lilienfeld er­wartet – aller guten Dinge sind drei. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der ÖVP.) Gerade die SPÖ-Fraktion kann gespannt sein, wer das ist.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Andreas Arthur Spanring. Ich erteile ihm dieses.