13.08

Bundesrat Ingo Appé (SPÖ, Kärnten): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuseherinnen und Zuseher hier auf der Besuchergalerie und zu Hause! Gestatten Sie mir kurz einen Sidestep außerhalb der Tagesordnung: Schauen Sie mich und Kollegen Ofner an! Nein, wir sind keine Zwillinge, sondern wir haben heute aus einem guten Grund die Kärntner Landestracht an: Kärnten gedenkt heute der vor 99 Jahren erfolgten Abstim­mung zum Verbleib bei der Republik Österreich. Das ist für uns ein Feiertag. Es ist aber nicht nur deswegen ein Feiertag, sondern auch, weil Peter Handke heute den Literaturnobelpreis erhalten hat. (Allgemeiner Beifall.)

Ich darf aber zum Tagesordnungspunkt 8 kommen, nämlich zum Thema Verankerung einer Schuldenbremse in der Verfassung. Wie meine Vorredner bereits pro und contra ausgeführt haben, gehen hier die Meinungen sehr weit auseinander. Der Nationalrat hat beschlossen, dass die Verankerung einer Staatsschuldenbremse in der Verfassung erfolgen soll. Dieses Vorhaben umzusetzen wäre keine gute Idee. Schon im sportlichen Wettkampf gilt: Wer bremst, verliert.

Warum? – Eine Schuldenbremse führt bei Konjunkturabschwung zu wirtschaftsschäd­lichen Budgetkürzungen, öffnet die Tür für politische Willkür und lässt sowohl das aktu­elle Wohlstandspotenzial als auch jenes zukünftiger Generationen unausge­schöpft.

Ich möchte auf die Gründe eingehen, warum diese Schuldenbremse eine Klimaschutz-, eine Investitions- und eine Zukunftsbremse ist.

Keine Investitionen bedeutet Klimakatastrophe und höhere Strafzahlungen. Bis 2030 sind Investitionen von jährlich rund 3 bis 4 Milliarden Euro notwendig. Strafzahlungen von 6,6 bis 10 Milliarden Euro drohen bei Verfehlen der Ziele.

Keine Finanzierung des Klimaplans: Bis dato fehlen die Finanzierungszusagen im Rah­men des Nationalen Energie- und Klimaplans. Klimaschutz ist eine gesellschafts­poli­tische Aufgabe. Die Klimakrise ist ein klassisches Beispiel von Marktversagen. Klima­schutz ist ein öffentliches Gut, das öffentliche Finanzierung braucht. Investitionen kom­men allen zugute.

Schulden und Vermögen sind siamesische Zwillinge. Klimainvestitionen bringen mehr­fach Dividenden. Negative Zinsen – günstigere Investitionsbedingungen als jetzt gibt es kaum. Der Staat kann sich billiger refinanzieren als privates Kapital. Den Struktur­wandel begleitende Maßnahmen müssen ebenfalls finanziert werden: die Aus- und Weiterbildung, die Regionalentwicklung. Ein weiterer Punkt: Die Schuldenbremse wirkt prozyklisch. Sie verstärkt Krisen und gefährdet damit die wirtschaftliche und politische Stabilität. (Beifall bei der SPÖ.)

Ein wichtiges Faktum, das heute hier schon öfter angesprochen wurde: Deutschland denkt um. Mittlerweile wird erkannt, dass diese Schuldenbremse gerade in der jetzigen Situation wirtschaftlicher Unsinn war. Ich denke, dass diese aufgezählten Gründe schon allein ausreichen müssten, um ein Umdenken herbeizuführen.

Es wird eine große Herausforderung für die zukünftige Regierung sein, die Klimakrise entsprechend in Angriff zu nehmen. Es wäre dringend notwendig wie auch ökonomisch und ökologisch sinnvoll und richtig, statt der Schuldenbremse diese Klimaschutz­milliar­de so rasch wie möglich im Nationalrat als Sofortmaßnahme zu beschließen.

Nicht Italien, Bulgarien oder die Schweiz sind das Vorbild für diese Schuldenbremse, sondern Deutschland. Es wurde im Ausschuss auch bestätigt, dass Deutschland als Vorbild für diese Schuldenbremse gilt. Wie schaut der Vergleich zwischen Deutschland und Österreich aus? – Deutschland weist laut Eurostat für das Jahr 2018 staatliche Bruttoanlageinvestitionen, das heißt vor der Abschreibung, im Ausmaß von 2,3 Prozent des BIPs aus, Österreich 3 Prozent, und das nicht erst seit 2018. In den vergangenen zehn Jahren investierte der Staat in Deutschland durchschnittlich 2,2 Prozent des BIPs pro Jahr und in Österreich waren es 3,1 Prozent. Die Zufriedenheit in Wien und Graz mit der Infrastruktur ist auch höher als in deutschen Städten. Eurostat fragte diese Zufriedenheit ab und bezog sich dabei auf 28 deutsche Städte sowie Graz und Wien. In den deutschen Städten waren 80,5 Prozent der Befragten sehr zufrieden oder zufrieden mit den öffentlichen Räumen wie Märkten, Plätzen oder Fußgängerzonen. In Österreich liegt die Zufriedenheit bei 88,5 Prozent. Mit dem Zustand von Straßen, Gebäuden und Umgebung waren in Deutschland 61,8 Prozent zufrieden, in Österreich 87 Prozent.

Deutschland hat ein Jahrzehnt zur Modernisierung verloren. Es wäre vieles möglich gewesen bei dieser guten Konjunktur: der Aufbau von Infrastruktur, der Kampf gegen den Niedriglohnsektor, die Bekämpfung der Altersarmut. Mit Hartz-Riester-Reformen sind Probleme allerdings verschärft worden, auch wenn partiell gegengesteuert wurde. In Summe muss man in Deutschland und damit auch in Europa aber von einem ver­lorenen Jahrzehnt sprechen. Es ist daher dringend erforderlich, diese Zukunftsbremse mit ihren negativen Auswirkungen endlich breit zu diskutieren.

Kollege Buchmann! Sie haben angesprochen, dass man den zukünftigen Generationen verpflichtet ist. Es bedarf dringend eines Mehr an Investitionen, denn Generationen­gerechtigkeit heißt nicht, marode Schulen, marode Straßen, marode Brücken, marode Krankenhäuser, ein wehrunfähiges Bundesheer, zu wenig Polizeistationen, zu wenig Pflegeheime und eine nicht intakte Umwelt zu vererben. (Beifall bei der SPÖ.)

Für uns als Bürgermeister stellt sich die Frage: Welche Auswirkungen hat diese Schul­denbremse auf die Gemeinden? Als ich einen Auskunftsbeamten in einer Sitzung des Finanzausschusses mit dieser Frage konfrontiert habe, erhielt ich folgende Antwort – diese wird Sie überraschen –: Er konnte es uns nicht sagen, da die Verhandlungen mit dem Österreichischen Städtebund und dem Gemeindebund noch gar nicht abge­schlossen sind. – Und wir sollen heute hier als Länderkammer die Zustimmung zur Verankerung eines Gesetzes im Verfassungsrang erteilen, obwohl hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen für unsere Gemeinden heute keiner sagen kann, wohin die Reise geht!

Hier im Bundesrat sitzen 15 BürgermeisterInnen und VizebürgermeisterInnen. Schon jetzt haben es die Bürgermeister schwer und unser Job ist nicht einfach. Mit dem Be­schluss der Schuldenbremse stehen die Bürgermeister mit einem Fuß im Kriminal. (Bundesrat Samt: Das ist jetzt aber schon leicht übertrieben! – Rufe und Gegenrufe zwischen SPÖ und FPÖ.) Es kann nämlich passieren, dass wir im Feber auf Basis der Konjunkturprognosen die Erbauung eines Kindergartens beschließen, und ein Jahr später sind die Konjunkturprognosen nicht so wie vorhergesagt, die Finanzierung ist nicht mehr gewährleistet und wir haben ein Defizit gebaut. Was ist dann? – Die Bür­germeister, die die Investitionen vorangetrieben haben, kommen in die Situation, die Verfassung gebrochen zu haben. Wollen wir das wirklich? Oder bauen wir damit wie­der ein zusätzliches Szenario auf, um künftig noch mehr Menschen von der politi­schen Arbeit abzuschrecken?

Rückblickend auf die Enquete des gestrigen Tages möchte ich feststellen: Diese hat ganz deutlich zutage gebracht, dass bei der Stärkung des ländlichen Raums und bei der Bekämpfung der Abwanderung in die Zentralräume der Bund, die Länder und die Gemeinden vor großen finanziellen Herausforderungen stehen. Eine Investitions- und Zukunftsbremse wäre ein Todesstoß für diese Regionen. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Städte und Gemeinden sind in Österreich Wirtschaftsmotoren, die sehr stark dazu beitragen, die Konjunktur zu stabilisieren und damit Beschäftigung vor Ort speziell für Klein- und Mittelbetriebe zu sichern. Denn wie heißt es so schön? – Geht es den Menschen und Gemeinden gut, geht es auch der Wirtschaft gut. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

13.18

Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Klara Neurauter zu Wort. Ich erteile es ihr.