9.32

Bundesrat Mag. Christian Buchmann (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Prä­sident! Geschätzte Frau Bundesministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren – jene hier im Hohen Haus und jene, die via Livestream dabei sind! Lieber Herr Präsident Karl Bader, auch ich möchte, bevor ich zum Thema spreche, die Gelegenheit nutzen, dir ganz persönlich, aber auch im Namen des ÖVP-Klubs herzlich Danke für deine Präsidentschaft zu sagen. Du hast es großartig gemacht. Du hast den österreichischen Bundesrat national und international repräsentiert und gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen eigene Initiativen gesetzt. Dafür gebührt dir ein großer Dank und auch ein Applaus. – Herzlichen Dank! (Beifall bei ÖVP, SPÖ und FPÖ.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen uns heute mit den wirtschaftspolitischen Zielen der Europäischen Kommission und auch mit einer ersten Bewertung durch die Frau Bundesministerin und die österreichische Bundesregierung auseinander. Ich meine, dass der Zeitpunkt für diese Aktuelle Stunde gut gewählt ist, weil sich viele Unternehmungen im Lande – die ganz großen, die Industrie mit einer gewissen Vorlaufzeit, aber auch die mittelständische Wirtschaft und die vielen Einpersonen­unter­nehmen – gerade zum Jahreswechsel Gedanken über die Zukunft und darüber machen, wie das Jahr 2020 wird, wie gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in unserer Wirtschaft die Aktivitäten gestaltet werden können, damit wirtschaftliche Prospe­rität Einzug halten kann, damit wirtschaftliches Wachstum stattfinden kann, damit Arbeitsplätze abgesichert werden können.

Bei allen Prognosen im ablaufenden Jahr, die beispielsweise auch für mein Heimat­bundesland, die Steiermark, als Wachstumssieger sehr positiv waren, aber was den Blick auf 2020 betrifft durchaus auch so manche Wolke am Horizont ausweisen, stellt sich die Frage, wie entsprechende Maßnahmen gesetzt werden können. Dazu ist es notwendig, auch den nationalen und den internationalen Kontext zu sehen, und es ist schön, mit der Frau Bundesministerin darüber reden zu können.

Wenn man über den Kontext spricht, dann geht es darum, dass wir vonseiten der Politik – die Europäische Kommission, die nationalen Regierungen, aber auch die Landesregierungen in Österreich – hinsichtlich der Ausgangslage den Blick nicht nur auf unser Land, sondern auch auf die restliche Welt richten müssen. Da ist, was die Rahmenbedingungen betrifft, schon sehr darauf zu achten, dass die Rechtsstaat­lichkeit und die Bürgerrechte – Letztere hat Kollegin Schumann angesprochen – Be­rücksichtigung finden, dass die soziale Marktwirtschaft, wie wir sie auch in meiner Gesinnungsgemeinschaft verstehen, als ökosoziale Marktwirtschaft weiterentwickelt wird, dass der faire Wettbewerb nach wie vor ein wichtiges Thema ist, der jedoch durch manche Einflüsse außerhalb Europas stark bedroht ist, dass ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum ein Gebot der Stunde ist.

Selbstverständlich, und das hängt eng mit dem Thema Arbeit zusammen, ist auch der soziale Friede ein wichtiges Thema. Alle Krisen dieser Welt beginnen damit, hat der steirische Landeshauptmann jüngst bei seiner Rede im Steiermärkischen Landtag anlässlich dessen Neukonstituierung gesagt, dass es zu Massenarbeitslosigkeit kommt. Eine solche ist zu vermeiden. Alles hat mit Arbeit zu tun, und für die Arbeit können wir Rahmenbedingungen schaffen, wir müssen aber immer im Blick behalten, dass unsere Industrie, unsere mittelständische Wirtschaft und selbstverständlich die vielen, die ihr Erwerbsleben selbst in die Hand nehmen, gute Rahmenbedingungen haben.

Was sind jetzt die Herausforderungen angesichts des Jahreswechsels und einer neuen Europäischen Kommission, eines neuen Europäischen Parlaments und der politischen Situation, wie wir sie in Österreich vorfinden? Ein Thema ist selbstverständlich der Transformationsprozess, der mit dem Klimawandel zusammenhängt. Von meiner Vorrednerin sind der Just Transition Fund und die Frage, wie dieser zur Anwendung kommen kann, welche Möglichkeiten es da gibt, angesprochen worden. Es geht um einen verschärften internationalen Standortwettbewerb. Vergessen wir nicht, dass es auf der Welt große Einflussbereiche gibt, von China über die Vereinigten Staaten von Amerika bis hin zu Großbritannien, das in wenigen Wochen die EU verlassen wird! Ich glaube, zur Stunde findet in London die Queen’s Speech statt, in der die Queen die Regierungserklärung der Regierung Johnson vortragen wird. Der Austritt Großbritan­niens aus der Europäischen Union mit Ende Jänner kommenden Jahres soll forciert werden, und die Übergangsfrist soll dann sehr ambitioniert mit elf Monaten – bis Ende 2020 – festgelegt werden. Großbritannien wird dann auch ein wesentlicher Mitbewerber auf nationalen und internationalen Märkten sein.

Wir haben gestern im Europaausschuss des österreichischen Bundesrates die Mög­lichkeit gehabt, uns mit dem Botschafter des Vereinigten Königreiches Robert Leigh Turner auszutauschen, um ihm auch zu sagen, dass es nicht nur seitens Österreichs, sondern auch seitens Europas große Erwartungen gibt und dass ein Freihandels­abkommen alleine nicht die Lösung sein kann, sondern dass wir schon sehr stark auf die Rechtsstaatlichkeit, auf die europäischen Werte und insbesondere auf die Bürger­rechte einen Blick werfen und dass es uns ganz besonders wichtig ist, diesbezüglich zu einem fairen Abkommen zu kommen.

Nachhaltige Wirtschaft ist im Hinblick auf den Klimawandel ein wesentliches Thema, und die Zukunft der EU insgesamt und die Entscheidungen, die österreichische Unter­nehmungen in diesem Zusammenhang treffen, spielen natürlich auch auf ganz spe­zielle Märkte hin. Wir haben hier wiederholt diskutiert, dass ein Land die EU verlässt, dass es aber sechs weitere – in Südosteuropa, am Balkan – gibt, die gerne näher an die Europäische Union heranrücken möchten. Wir haben sehr oft darüber diskutiert, wie schwierig das Verhältnis der Europäischen Union zur Türkei ist. Wir haben uns auch wiederholt damit auseinandergesetzt, dass Russland ein nicht unwesentlicher Partner für uns sein könnte, wenn es wieder auf eine Spielwiese zurückkäme, auf der Menschenrechte gesehen werden und nationale Vereinbarungen entsprechend einge­halten werden können.

Die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und die österreichische Bundesregierung stehen also vor großen Herausforderungen. Das tun aber auch die österreichischen Unternehmungen. Daher ist es entscheidend, zu wissen, wohin Europa sich wendet und wie die österreichische Bundesregierung sich verhält. Ursula von der Leyen hat als neue Kommissionspräsidentin sechs politische Leitlinien formuliert, nämlich: „Ein europäischer Grüner Deal“, „Eine Wirtschaft, deren Rechnung für die Menschen aufgeht“, „Ein Europa, das für das digitale Zeitalter gerüstet ist“, „Schützen, was Europa ausmacht“, „Ein stärkeres Europa in der Welt“ und „Neuer Schwung für die Demokratie in Europa“. Das sind ambitionierte Leitlinien. Wie diese dann mit konkreten legislativen und nicht legislativen Maßnahmen umgesetzt werden, wird sich weisen.

Das weiß möglicherweise die Frau Bundesminister, wir wissen es noch nicht, weil die Kommission erst am 29. Dezember ihre diesbezüglichen Vorhaben kundtun wird. Wir werden sehr genau beobachten – auch als österreichischer Bundesrat –, wie davon unsere Unternehmungen und die Menschen in den Unternehmungen betroffen sind.

Was erwartet sich ein österreichisches Unternehmen von der Europäischen Kom­mis­sion und von der österreichischen Bundesregierung? – Es erwartet sich verlässliche, belastbare Rahmenbedingungen. Es erwartet sich einen fairen Wettbewerb im EU-Binnenmarkt, aber darüber hinaus auch in der Welt. Es erwartet sich selbst­ver­ständ­lich, ein Klassiker, den Abbau von Bürokratie – wie es im Englischen heißt: the cutting of red tape – und es erwartet sich sehr zielgerichtete Anreizmodelle, um Investitionen, die auch angesprochen worden sind, und zwar nicht nur öffentliche Investitionen, sondern auch private Investitionen, in die Zukunft zu setzen.

Dafür ist aus meiner Sicht – wir haben das gestern auch kurz im EU-Ausschuss bei der Diskussion um den Grünen Deal angesprochen – eine gewisse Technologieneutralität wichtig und erforderlich. Die Politik soll also die Rahmenbedingungen und die Ziele vorgeben, aber unsere universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sollen dann gemeinsam mit der Forschung und Entwicklung in den Betrieben und den Innovationsabteilungen in den Betrieben eine bestmögliche Zielerreichung anstreben.

Dazu ist es auch notwendig, dass Europa entsprechende Förderungsprogramme auf­stellt, Förderungsprogramme für die Industrie, sodass nicht nur in Überschriften über die Reindustrialisierung gesprochen wird, sondern es tatsächlich ein Modell dafür gibt, wie die technologische Führerschaft von länderübergreifenden Wertschöpfungsketten in Europa ausgebaut werden kann oder diese zu einer neuen Führerschaft gebracht werden können. Das ist insbesondere im Hinblick auf die Arbeitsplätze ganz wichtig.

Zum Zweiten: Für die KMUs ist der Binnenmarkt natürlich ein wesentliches Thema. Sie wissen, dass wir eine Exportnation sind. Sie wissen, dass jeder zweite Arbeitsplatz in Europa unmittelbar Auswirkungen auf die österreichischen Betriebe hat, und daher müssen wir exportintensiv bleiben, der Heimmarkt Österreich ist dafür zu klein. Dafür ist es notwendig, dass die Implementierung dieses EU-Binnenmarkts voranschreitet, aber mit fairen Rahmenbedingungen – eine bessere Rechtsetzung, Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit sind da entsprechend Thema.

Schließlich drittens die Handelspolitik: Wenn unsere Unternehmungen sehr stark im Export verankert sind, dann hat das natürlich Auswirkungen, wenn es Länder wie bei­spielsweise die Vereinigten Staaten von Amerika, aber auch China gibt, in denen von der Multilateralität abgegangen werden soll und nur mehr bilaterale Gespräche und Verträge aufgebaut werden sollen, womit eine gewisse Marktmacht zum Durchbruch kommen soll. Ich glaube, da müssen wir sehr sensibel sein und darauf schauen.

Ich weiß, dass das Bundesministerium sehr daran interessiert ist, auch die WTO weiterzuentwickeln. Diese ist für uns eine wesentliche Institution. Das wird aktuell von den Vereinigten Staaten etwas differenzierter gesehen, sie ist aber für uns nicht ganz unwesentlich.

Selbstverständlich ist auch das Verhältnis zu Großbritannien nach dem Prozess der Scheidung, der Divergenz, wie es Michel Barnier als EU-Chefverhandler genannt hat, neu zu gestalten, hin zu einer Konvergenz, neben der Regelung wie - -

Präsident Karl Bader: Ich bitte um das Schlusswort!

Bundesrat Mag. Christian Buchmann (fortsetzend): Jawohl, Herr Präsident! – Wie es Michel Barnier gesagt hat, ist neben der Divergenz auch die Konvergenz zu gestalten, um zu einer gemeinsamen Arbeit zu kommen.

Es wird uns die Arbeit nicht ausgehen. Es sind spannende Themenbereiche, die unmit­telbare Auswirkungen auf die österreichischen Unternehmungen haben und insbeson­dere auf die Menschen, die in diesen Unternehmungen arbeiten. – Danke vielmals für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der ÖVP, bei BundesrätInnen der FPÖ sowie der Bun­desrätInnen Schumann und Schreuder.)

9.44

Präsident Karl Bader: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Rein­hard Pisec. Ich erteile es ihm.