15.53

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich glaube, wir sind uns über alle Fraktionsgrenzen hinweg einig, dass es gilt, den ländlichen Raum zu stärken, ihn auf den verschiedensten Ebenen aufzuwerten und die Landflucht einzudämmen. Ländlicher Raum muss wieder attraktiver werden, da sind wir uns eindeutig einig.

Es gibt verschiedene Stellschrauben, an denen gedreht werden muss. Es braucht den Ausbau der Infrastruktur, des öffentlichen Verkehrs, der digitalen Versorgung, eine Antwort auf die Frage der besten Pflege älterer Menschen, Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz – sehr viele junge Mütter sagen uns, das fehlt im ländlichen Raum und das verunmöglicht ihnen Vollzeiterwerbstätigkeit völlig –; es braucht eine gute Gesundheitsversorgung, und es braucht qualitätsvolle Arbeitsplätze, Arbeit, von der man auch gut leben kann.

Ich möchte jetzt als positives Beispiel das Burgenland nennen, das diesbezüglich ganz wichtige Schritte gesetzt hat, um die Menschen bei den Herausforderungen gerade im ländlichen Raum zu unterstützen, in der Frage der Betreuung und in der Frage der Pflege. Das ist wirklich vorbildhaft. (Bundesrätin Mühlwerth: Das Burgenland, unglaub­lich!)

Was den Menschen besonders im ländlichen Raum Unwohlsein verursacht, ist das Gefühl des Zurückgelassenwerdens. Wenn die Polizeistation geschlossen wird, wenn es keine Post und kein Geschäft mehr gibt, dann fühlt man sich zurückgelassen. Da muss es Möglichkeiten geben, den ländlichen Raum zu unterstützen und ihn attraktiver zu machen.

Was wir sicher nicht unterstützen, ist eine aggressive Abgrenzung zu urbanen Zentren wie zur Bundeshauptstadt Wien. Vorausschauende Politik führt zusammen und divi­diert nicht auseinander. Die Wienerinnen und Wiener waren wirklich im größten Aus­maß bestürzt vom Sager des damaligen Kanzlers Sebastian Kurz, der gesagt hat, dass in Wien immer weniger Menschen in der Früh aufstehen, um zu arbeiten, und in immer mehr Familien nur mehr die Kinder in der Früh aufstehen, um in die Schule zu gehen. (Bundesrat Steiner: Recht hat er gehabt! In einem anderen Bundesland schläft man nicht bis 11! Man schläft nur in Wien bis 11! – Bundesrätin Mühlwerth: Das stimmt auch! – Zwischenrufe bei der SPÖ.) – Also ganz ehrlich: Keinem anderen würde das einfallen. Keinem von uns würde einfallen, über die Bewohner eines anderen Bun­deslandes so zu sprechen. (Bundesrätin Grimling: Wo wohnt er denn?) Ganz ehrlich: Das ist keine Politik, die wirklich gescheit ist und die Sinn macht, aber wirklich nicht! (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrätin Mühlwerth: Recht hat er ...!)

Festzuhalten ist, dass eine Vielzahl von Dienststellen – Polizeidienststellen, das Sozial­ministe­riumservice, Bezirksgerichte, Arbeitsinspektorate und vieles mehr – in den Ländern angesiedelt sind, und zwar sehr erfolgreich zum Service der Menschen. Zwei Drittel der öffentlich Bediensteten arbeiten in den Bundesländern, ein Drittel in Wien. (Zwischenrufe bei ÖVP und SPÖ.) Die Verantwortung und die Möglichkeiten für die Dezentralisierung liegen ja sehr wohl auch bei den Ländern, die da Schritte setzen können, um zu dezentralisieren und den ländlichen Raum zu stärken. Wenn man aber nur das Umweltbundesamt nach Klosterneuburg – ein paar Kilometer außerhalb von Wien – verlegt, dann ist das nicht jene Dezentralisierung und Stärkung des ländlichen Raums, von der wir reden. (Bundesrat Schennach: Das ist nur Schikane gegen die Beschäftigten! – Beifall bei der SPÖ.) Dieser Schritt wurde zu Recht vom Rech­nungshof und auch von der Belegschaft kritisiert. (Bundesrat Steiner: Schikane wie in der SPÖ-Zentrale: vor Weihnachten kündigen! Schennach, du Gscheiter! – Zwischen­ruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Es wäre wesentlich besser, eine andere Formulierung für dieses Gesetz zu wählen, etwa jene Formulierung, die von uns vorgelegt wurde, die da lautet: Erfordert demnach der Gegenstand der Vollziehung eine dezentrale Behördenorganisation, ist eine ausge­wogene Verteilung der Standorte der nachgeordneten Verwaltungsbehörden, Ämter und sonstigen Einrichtungen des Bundes auf das gesamte Bundesgebiet anzustreben.

Diese Formulierung wäre aus zwei Gründen sinnvoll gewesen. Erstens: Eindeutig klar ist, dass die ÖVP, die FPÖ und leider auch die Grünen die vorgelegte Formulierung beschließen werden und damit einen weiteren Keil zwischen Stadt und Land treiben – mit besonderer Zielrichtung auf die Stadt Wien. Zweitens ist die vorliegende Ge­setzesformulierung eindeutig verfassungswidrig. (Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Die letzte Bundesregierung hat eines bewiesen: Sie war nicht willens, trotz mehrfacher Hinweise, Gesetze verfassungskonform und im Interesse der Menschen zu gestalten. (Bundesrätin Steiner-Wieser: Gut war die Regierung!) Wenn man sich die großen Flaggschiffe der türkis-blauen Regierung ansieht, dann erkennt man, sie haben ihre Segel verloren oder sind im Sinken begriffen. (Bundesrätin Mühlwerth: Elf wurden aufgehoben in Wien!) Lassen Sie mich anführen: Überwachungspaket, Bundestrojaner, Sectioncontrol – aufgehoben (Bundesrätin Mühlwerth: Elf aufgehoben in Wien!); Teile der Sozialversicherungsreform – aufgehoben. (Zwischenruf des Bundesrates Schilchegger.) Natürlich waren wir auch nicht glücklich darüber, dass manche Teile nicht aufgehoben wurden, aber, Kollege Schilchegger, es hilft nichts, man muss die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes annehmen (Bundesrat Steiner: Das machen wir ja!); und das ist auch gut und richtig so. Das kann man nicht schönreden. Ich meine: Wenn etwas nicht geht, geht es halt nicht. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Und ganz ehrlich: Der Zustand, dass die Parität nicht aufgehoben wurde, ist ein großes politisches Problem, weil nun 160 000 Dienstgeber über - - (Bundesrat Steiner: Also das nehmen wir jetzt nicht zur Kenntnis?!) – Wir nehmen es zur Kenntnis, aber es bedarf einer politischen Veränderung. (Bundesrat Steiner: Nicht mit zweierlei Maß messen! – Zwischenrufe bei der SPÖ.)  Nein, das ist nicht zweierlei Maß. (Bundesrat Steiner: Ja, ja!) Der Verfassungsgerichtshofentscheid ist völlig in Ordnung (Zwi­schen­rufe der BundesrätInnen Hackl und Preineder), aber es gilt, eine politische Handlung zu setzen. 160 000 Dienstgeber entscheiden über die Beiträge und die Leistungen von 7,2 Millionen Versicherten. – Das kann es doch nicht sein, aber wirklich nicht! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Die Arbeitgeberseite schafft an: An der Krankenordnung haben wir bereits gesehen, was sich die Arbeitgeberschaft gerne wünschen würde. Na, das glaube ich: ein Spitzel­tum in Bezug auf Krankenstände. (Ruf bei der ÖVP: „Spitzeltum“!) – Nur mit Müh und Not konnte das vonseiten der Gewerkschaft verhindert werden. So schaut es nämlich wirklich aus. (Bundesrat Steiner: Ja, weil die Gewerkschaft auch nicht mehr das ist, was sie einmal war!)  Oh, die ist aber stärker, als man denkt. (Heiterkeit bei der FPÖ.)

Die Sozialhilfe: Erst vorgestern wurde das nächste Urteil des Verfassungsgerichtshofes bekannt. Das Herzstück der Sozialhilfe Neu wurde vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erkannt und aufgehoben. – Na, bum! (Bundesrätin Mühlwerth: Was hat das mit dem Antrag zu tun? – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Nicht umsonst hat die Bundesratsfraktion der SPÖ hier einen Prüfantrag eingebracht und Recht bekommen. Noch in starker Erinnerung sind uns die Wortspenden zum Thema Sozialhilfe Neu von ÖVP und FPÖ in Richtung Wien: „[...] ‚es wird nichts so heiß gegessen, wie gekocht wird. Wir schauen uns das alles in Ruhe an.‘ Danach werde die Regierung einen Entwurf vorlegen. Sollte Wien diesen nicht umsetzen, dann sei eine Verfassungsklage seitens des Bundes denkbar, so Hartinger-Klein.“

Wie klug war es, in Wien diese Umsetzung gar nicht in Betracht zu ziehen. Für Bun­desländer wie Niederösterreich und Oberösterreich, die die Sozialhilfe Neu bereits umgesetzt haben, wird das Ganze nun ein bisschen schwieriger. Das hätte man sich ersparen können – auch, was die Verwaltungskosten anbelangt. Ebenso hätten wir uns das unwürdige Schauspiel, das zu großer Verunsicherung jener führte, die am drin­gendsten Unterstützung brauchen, ersparen können. (Bundesrätin Mühlwerth: Könnte man jetzt wieder zum Thema zurückfinden? – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Ein weiterer Punkt, der uns wirklich bestürzt, ist, dass das Teileinspruchsrecht des Bundesrates, das wir nun gemeinsam mit der FPÖ einfordern, von der ÖVP und von den Grünen nicht unterstützt wird. (Bundesrätin Mühlwerth: Ja und? Mehrheit ist Mehrheit!) – Es ist so, Mehrheit ist Mehrheit. Wir wollen aber schon darauf hinweisen, dass wir doch alle ein Interesse daran haben, den Bundesrat in seinen Möglichkeiten zu stärken. Wir wundern uns doch sehr, zumal doch die Landeshauptleute genauso wie die Landtagspräsidenten gefordert haben, den Bundesrat endlich zu stärken und ihm dieses Teileinspruchsrecht zu ermöglichen – und dann geht man da nicht mit. (Bun­desrat Brunner: ... SPÖ immer dagegen gewesen!) Das ist leider schade. Die ÖVP war da ebenso wenig zu Gesprächen bereit wie in der Frage der Dezentra­lisie­rung, was ich bedauere und auch politisch nicht verstehen kann. (Bundesrätin Mühlwerth: Wo seid denn ihr gesprächsbereit? – Zwischenruf der Bundesrätin Grimling.)

Dieses Recht würde den Bundesrat aufwerten. (Bundesrat Brunner: Ihr wart immer dagegen bisher! Mein Gott, ist das peinlich!) Es wäre ganz, ganz wichtig und es tut uns sehr, sehr leid, vor allen Dingen (Zwischenruf des Bundesrates Steiner), weil der frühere Präsident des Bundesrates Weiss zweimal einen Antrag zur Möglichkeit des Teileinspruchsrechtes eingebracht hat, der einstimmig angenommen wurde, und Sie jetzt nicht mitgehen. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Man muss sich fragen: Warum geht man nicht mit? Ist es schon eine Vorleistung, damit der Bundesrat nicht an Stärke gewinnt? – Das tut mir sehr, sehr leid.

Abschließend kann ich nur sagen: Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten standen bis zum Schluss für Verhandlungen zur Verfügung und sind auch weiterhin bereit, gemeinsam eine Lösung zu finden – jedoch eine, die sich im Rahmen der Ver­fassung bewegt und nicht Stadt gegen Land ausspielt. (Bundesrat Steiner: Es hat wieder niemand mit ihnen geredet!)

Stärken wir endlich den Bundesrat und stellen wir das Gemeinsame vor das Tren­nende! (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrätin Eder-Gitschthaler: Da gibt es bessere Anlaufstellen als uns! – Bundesrätin Mühlwerth: … normalerweise … Therapeuten!)

16.02

Vizepräsident Michael Wanner: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Präsident Karl Bader. Ich erteile es ihm.