9.15.20

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zusehe­rinnen und Zuseher! Zuerst an den Kollegen gewandt, der jetzt das Schild hergestellt hat: Also ganz ehrlich, ich hoffe, Sie verhöhnen die Menschen, die jetzt arbeitslos sind, die keine Arbeit haben, nicht mit diesem Schild, und ich hoffe sehr, dass Sie dadurch nicht diese schwierige Arbeitsmarktsituation verharmlosen. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.) Ich hoffe auch, dass Sie dann mit dem Schild dastehen, wenn die Arbeitslosigkeit im Herbst und Winter wieder hochgeht. Dann werde ich darauf warten, dass dieses Schild wieder da steht. Es ist sehr gefährlich, was Sie jetzt gemacht haben: eine Verharmlo­sung. (Ruf bei der ÖVP: Eine eigenwillige Interpretation!)

Und nun zur Sache: Am 23.1. fand eine groß angelegte Presseaktion der Bundesregie­rung zum Thema Lehre statt. Dabei wurde verkündet, dass die Zahl der Lehrlinge 2019 österreichweit um 1 196 junge Leute angestiegen ist, und das ist wunderbar. Das Jahr 2020 sollte zum Jahr der Lehre werden. Wirtschaftskammerpräsident Mahrer sagte: „Wir wollen dem Thema in Österreich mehr Respekt und Anerkennung zollen, denn Lehr­jahre sind Chancenjahre!“ – Auch das ist wunderbar und gut.

Jetzt aber ist es Mitte Juli 2020, und es ist alles anders. Die Coronakrise hat die Situation für junge Menschen in Österreich dramatisch verschlechtert. Die Arbeitslosigkeit der Jugendlichen unter 25 Jahren hat sich verdoppelt. Im Herbst werden voraussichtlich 7 000 bis 8 000 Lehrstellen fehlen. Im Mai war bereits ein Anstieg von 103,8 Prozent von Jugendlichen ohne Job zu verzeichnen – und was hat die Regierung getan? Leider nicht viel: nur Tröpfchen auf den heißen Stein, wie in allen Bereichen, die die Arbeitnehmerin­nen und Arbeitnehmer betreffen. (Bundesrat Spanring: Pressekonferenzen haben sie gemacht!)

Die Fördertöpfe für die Lehrlingsausbildung wurden weiter erhöht – wunderbar: nach dem Gießkannenprinzip ohne Qualitätskriterien. Das kann doch nicht die einzige Antwort auf das drängende Problem des Fehlens von Lehrstellen sein. Gestern haben wir gehört: In Oberösterreich gibt es genug Lehrstellen. Dann würde ich vorschlagen, geben wir da den Unternehmen die Förderung nicht, die sie wollen, weil es ja genug Lehrstellen gibt. Warum braucht man dort dieses motivierende Instrument, anstatt dass man sagt, man fördert regional dort, wo es schwierig ist, Lehrstellen zu finden? Darüber sollte man re­den. Und ich glaube, das Gleiche würde auch für Niederösterreich gelten, wenn man sagt: Dort gibt es genügend Lehrstellen! – was ich eindeutig bezweifle.

Bitte, schaffen Sie doch nicht eine verlorene Generation, indem Sie nicht handeln! Ver­zweifelte Jugendliche, die nicht wissen, wie es im Herbst weitergehen soll, verzweifelte Eltern, die sich wünschen, dass ihre Kinder eine gute, zukunftsgerichtete Ausbildung erhalten, und jetzt fürchten müssen, dass die Kinder ein Jahr bei ihnen zu Hause, ohne Perspektive, sitzen: welch unglaubliche Belastungen für die jungen Menschen und für die Eltern! Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist es unerträglich, und es wäre all das nicht notwendig, wenn die Regierung endlich gehandelt hätte. Das Jahr 2020 wird nicht zum Jahr der Lehre werden, im Gegenteil: Es wird wohl auch zum Jahr der Jugendarbeitslosigkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

Seit Mai – oder vielleicht auch schon seit April – kennen Sie die Entwicklung und handeln nicht. Jugendarbeitslosigkeit muss mit allen Mitteln bekämpft werden! Wir können und wir dürfen uns eine Jugend ohne Perspektiven nicht leisten, weil wir Fachkräfte brau­chen, weil wir mitten im größten Wandel der Arbeitswelt stehen und die Digitalisierung neue Formen der Ausbildung fordert. Jetzt ist es Zeit, Jugendliche weiter zu qualifizieren, weil es für die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels in vielen Fachbereichen gut ausgebildete Fachkräfte braucht. Ohne sie können umweltfreundliche Technologien nicht praktisch umgesetzt werden.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten fordern eine Lehrplatzgarantie. All jene Jugendliche, die jetzt keine Lehrstelle finden, müssen einen garantierten Platz in einer überbetrieblichen Lehrwerkstätte bekommen. Wir wollen, dass niemand zurückgelassen wird. Wie startet man ins Berufsleben, wenn einem signalisiert wird, niemand braucht einen, niemand interessiert sich dafür, wie ich zu einer Berufsausbildung komme? – Das darf nicht sein. Es braucht die Lehrstellengarantie. Auch der öffentliche Dienst ist jetzt als Arbeitgeber gefordert, ein verstärktes Angebot an Lehrstellen bereitzustellen. Das müsste selbstverständlich sein. Ich habe vom Bund diesbezüglich noch nichts gehört.

Fakt ist, dass die Regierung zu handeln verpflichtet ist. Ich darf an das Ausbildungs­pflichtgesetz erinnern, das 2016 unter Sozialminister Hundstorfer umgesetzt wurde. Da­rin wird die Verpflichtung zu einer Bildung und Ausbildung für Jugendliche nach der Schulpflicht bis zum 18. Lebensjahr vorgeschrieben. Also bitte nicht den Schmäh brin­gen: Wir machen Goodwill-Aktionen und wir gründen Arbeitskreise! Es besteht für Sie eine Verpflichtung, der Sie nachkommen müssen. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir fordern weiters: Die Ausbildungsgarantie bis 25 Jahre muss wieder eingeführt wer­den. Jeder, jede ÖsterreicherIn unter 25 Jahren hat das Recht auf eine Berufsausbil­dung. Diese Garantie wurde unter der ersten Regierung Kurz abgeschafft, jetzt muss sie wieder aufleben. Ziel ist es, junge Menschen zu qualifizieren. Das hilft ihnen am besten für ihre Zukunft am Arbeitsmarkt.

Die Stadt Wien hat da bereits vorausschauend wesentliche Umsetzungsschritte gesetzt: ein 17-Millionen-Euro-Investitionspaket für Jugendliche, die besonders von der Corona­krise betroffen sind. Gemeinsam mit dem Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds, dem Waff, werden rasch Schritte gesetzt, um zu helfen: 10 Millionen für die überbetriebli­chen Lehrwerkstätten, 7 Millionen für die Qualifizierung junger, arbeitsloser Wienerinnen und Wiener mit Hilfe des Qualifikationspasses und eine Jugendstiftung zur Qualifizierung in Zukunftsberufen. Das ist beispielgebend.

Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass sich im Herbst und Winter die Si­tuation am Arbeitsmarkt noch schlimmer darstellen wird. Umso schlimmer ist dieses Schild, das Sie da hergestellt haben. Es ist leider mit Insolvenzen zu rechnen, und die Entwicklung der Auftragslage in Industrie und Baugewerbe wird sich wahrscheinlich, zu­sätzlich zur saisonbedingten Arbeitslosigkeit, noch verschlechtern. Wegschauen, wie Sie es tun, hilft da nicht. Ab sofort müsste bereits ein Masterplan gegen die Jugendar­beitslosigkeit feststehen. (Beifall bei der SPÖ.)

Es geht um die Lehrstellengarantie, aber es geht auch um die Frage: Welche Perspek­tiven haben junge Menschen in der Coronazeit nach der Matura auf einem schwer be­lasteten Arbeitsmarkt? Sind genug Studienplätze in Fachhochschulen und Universitäten vorhanden, um diesen jungen Erwachsenen den Weg in eine weitere Ausbildung zu er­möglichen? Es braucht da ressortübergreifende Initiativen – auch unter Einbeziehung des Bildungsministeriums und Wissenschaftsministeriums. Die ausreichende Finanzie­rung der überbetrieblichen Lehrwerkstätten und des universitären Bereichs muss be­reitgestellt werden, um Perspektiven anbieten zu können. Es ist heute der 16. Juli und es ist unbegreiflich, warum nicht bereits ein fertiges Konzept zur Bekämpfung der Ar­beitslosigkeit von jungen Menschen bereitsteht.

Neulich hat mir eine 23-jährige Frau gesagt: In meinem Leben ist es bereits die zweite schwere Wirtschaftskrise, die ich erlebe, und ich mache mir unglaubliche Sorgen, wie meine berufliche Zukunft aussehen wird. – Das ist Realität, und sie und alle jungen Men­schen, die jetzt vor diesen Problemen stehen, brauchen schon heute Antworten.

Frau Bundesministerin, die MitarbeiterInnen im AMS leisten in den letzten Monaten, vor allem in der Umsetzung des erfolgreichen Sozialpartnermodells der Kurzarbeit, Großarti­ges. Die Beratung und Betreuung von Arbeitslosen ist jetzt extrem wichtig. Die Mitarbei­terinnen und Mitarbeiter des AMS arbeiten am Limit. Bitte, warum gibt es noch immer nicht die angekündigten zusätzlichen 500 Planstellen für das AMS? Sie werden dringend gebraucht. Handeln Sie endlich! (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der FPÖ.)

Als Arbeitsministerin sollte es selbstverständlich sein, sich gerade für jene starkzuma­chen, die in der Coronakrise so Übermenschliches geleistet haben. Klatschen und schö­ne Reden sind zu wenig. Die Heldinnen und Helden der Coronakrise in den systemre­levanten Berufen warten noch immer auf ihre finanzielle Anerkennung: Noch immer gibt es keinen Coronatausender für sie – nur Beifall und schöne Worte und kein Herz für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer! (Beifall bei der SPÖ.)

Frau Arbeitsministerin! Ich darf Sie noch auf eines von vielen weiteren Problemen am Arbeitsmarkt hinweisen: Die Arbeitslosigkeit von Frauen geht wesentlich langsamer zu­rück als jene von Männern. Der Einbruch in den nicht systemrelevanten Bereichen wie Tourismus und persönliche Dienstleistungen hat besonders negative Auswirkungen auf die dort beschäftigten Frauen. Ebenso wissen wir, dass Frauen den Hauptteil der gering­fügig Beschäftigten bilden. Die großen Probleme beim Kinderbetreuungsangebot, die nicht ausreichende Regelung der Sonderbetreuungszeit: All das sind Faktoren, die sich negativ auf die Beschäftigung von Frauen auswirken. Frauen übernehmen, besonders in der Krise, den Löwenanteil der unbezahlten Arbeit in Österreich, und sie dürfen auf keinen Fall zu den Verliererinnen am Arbeitsmarkt werden.

Wir wollen nicht, dass junge Menschen abgehängt werden. Junge Leute wollen arbeiten. Arbeit bedeutet Identität. Wenn man keine Arbeit hat, kommt es zu einem Verlust von Sozialkontakten und Status. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten fordern Lehrstellen und Ausbildungsgarantien und sagen Nein zu einer Lost Generation und Ja zu einer Generation mit Zukunft. – Glück auf! (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundes­rates Rösch.)

9.25

Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ing. Bernhard Rösch. – Bitte, Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.