16.01

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Bildschirmen! Wenn man Missstände aufzeigt, braucht man Mut; man braucht besonders viel Mut, wenn die eigene Existenz durch eine Arbeit gesichert ist, in der Missstände offensichtlich an der Tagesordnung zu sein scheinen. Mut braucht man insbesondere dann, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass man etwas an der Situation ändern kann, gering ist. Mut erfordert es dann, wenn du das Geld, das du in diesen wenigen Wochen unter schwersten Bedingungen verdienst, dringendst für dich und dei­ne Familie brauchst.

Diesen Mut hat es in den letzten Wochen mehrfach gebraucht, als ErntearbeiterInnen erstmals seit Langem die unfassbaren Bedingungen, die im Bereich ihrer Arbeitszeit, ihrer Unterbringung, ihrer Bezahlung und ihrer Behandlung herrschen, öffentlich ge­macht haben. Für schwere körperliche Arbeit wurden 4 Euro die Stunde bezahlt, und das für 14 Stunden am Tag, bis zu sieben Tage die Woche, bei jeder Witterung – bei Hitze, Kälte, Nässe.

Am Ende eines solchen Tages, den du beim Spargelstechen, beim Erdbeerpflücken oder am Gurkerlflieger verbracht hast, hast du 56 Euro verdient. Davon ziehst du noch einmal täglich 4 Euro für dein Quartier und 6 Euro fürs Essen ab. Du hast an diesem Tag letztlich 46 Euro im Geldbörsel, verdient nach 14 Stunden harter körperlicher Arbeit, kniend, ge­bückt oder liegend. Am Ende des Tages kommst du dann hundemüde, ausgelaugt und erschöpft in dein Quartier zurück und findest folgende Bedingungen vor: Da teilen sich beispielsweise 21 Personen eine Toilette und ein Bad, elf Personen schlafen in einem Zimmer, dicht an dicht, teilweise in Stockbetten. Das sind keine Gerüchte, nein, die Bilder wurden im Quartier aufgenommen. Die Hygienebedingungen sind schlecht, Reinigung gibt es de facto keine – und all das in Coronazeit mit den großen Ansteckungsgefahren: kein ArbeitnehmerInnenschutz! Da kommt er nicht vorbei, der süße kleine Babyelefant. Das machst du während der Erntesaison. – Und dann? – Dann hast du deine Schuldig­keit getan und kannst gehen.

Frau Ministerin, wir reden hier über arbeitende Menschen! Wir erwarten uns, dass Sie dafür sorgen, dass diese Bedingungen umgehend unterbunden werden! Sie sind wirklich unwürdig! (Beifall bei der SPÖ.)

Es geht uns – und das will ich ganz klar sagen – nicht um ein Bashing des Bauernstan­des, es geht darum, solche Missstände zu unterbinden. Es geht uns um die Arbeitneh­merInnenrechte, um Menschenrechte, und diese sehen wir bei solchen Behandlungen ganz massiv gefährdet.

Dabei sind die Ereignisse nicht neu. Jeder und jede, der/die ein bisschen mit Interesse die Medien verfolgt, erinnert sich an die Fälle, die im Bereich der Erntearbeit ans Tages­licht gekommen sind: eingesperrte MitarbeiterInnen im Eferdinger Becken, Bilder von verdreckten Quartieren, Menschen, die von der harten Arbeit, die sie tagtäglich leisten, schwer gebeugt sind – und das in einem Bereich, der systemrelevant ist, was Sie selbst mehrfach in Pressekonferenzen betont haben.

Zugleich lassen wir in Österreich, in einem Land mit den höchsten Standards weltweit, auf die wir so stolz sind, solche unwürdigen Zustände zu. Das ist eine Schande und nicht hinzunehmen! (Beifall bei der SPÖ.)

Deshalb danke ich an dieser Stelle auch den Kolleginnen und Kollegen von der Pro­duktionsgewerkschaft PRO-GE, die in den letzten Tagen und Wochen einen erneuten Vorstoß gemacht haben und die Vertretung schlecht behandelter Erntearbeiterinnen und -arbeiter übernommen haben. Sie kämpfen an der Seite dieser hart arbeitenden Menschen, die letztendlich dafür sorgen, dass wir Obst und Gemüse in den Supermarkt und schlussendlich auf den Tisch bekommen, für eine echte Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen.

Sie, Frau Bundesministerin, haben mit Ihrer Kollegin Köstinger am 20. März 2020 eine Pressekonferenz gegeben. Vielleicht wissen Sie noch, was Sie und Ihre Kollegin dort präsentiert haben. Sie haben eine Homepage präsentiert: www.dielebensmittelhelfer.at, und Sie haben damit die Missstände im Bereich der Erntearbeiter und -arbeiterinnen selbst noch einmal sichtbar gemacht. Es muss Ihnen ja damals schon klar gewesen sein, was Sie damit aufmachen. Fünf Tage später, am 25. März – und damit nur knappe zwei Wochen nach dem Shutdown –, hieß es, es gäbe bereits Zehntausende InteressentIn­nen, und selbst Leasingfirmen hätten sich schon gemeldet und ihr Interesse bekundet, Personal zu verleihen.

Wenig später hat man aber von diesem Projekt nichts mehr gehört. Wenn Sie das Re­sümee der befragten Bauern beispielsweise im „Report“ am 30. Juni gesehen haben, haben Sie erfahren, dass kaum Leute bei den Landwirten ankamen, die bei der Erntear­beit geholfen hätten. Haben Sie sich in dieser Zeit nicht ein einziges Mal gefragt, warum das so ist? – Ich sage es Ihnen, und das ist auch das, was ich gemeint habe, als ich sagte, Sie selbst hätten schon zu Beginn auf die Missstände aufmerksam gemacht. Es war auf der Homepage nie, kein einziges Mal, ersichtlich, wie die Menschen, die Erntear­beit machen, bezahlt werden.

Deshalb fragen wir Sie heute auch zum Beispiel: „Haben Sie, bzw. Ihr Ministerium bei der Vermittlung von Personen über die Homepage www.dielebensmittelhelfer.at darauf Bedacht genommen, dass die Bezahlungs-, Arbeits- und Unterbringungssituation der vermittelten Personen einen entsprechenden, angemessenen Standard hat?“

Oder um in die Zukunft zu blicken: „Welche Maßnahmen planen Sie in Zukunft, um die Arbeitsbedingungen für ErntearbeiterInnen zu verbessern?“

Darauf erwarten wir uns wirklich Antworten, Frau Ministerin, es liegt nämlich in Ihrer Ver­antwortung.

Gehen wir noch einen Schritt weiter zu den Konsequenzen: Wie gedenken Sie, gegen jene schwarzen Schafe, die Menschen ausbeuten und gegen jeden Anstand, jede Mensch­lichkeit und jede gesetzliche Vorgabe verstoßen, vorzugehen? – Ich gehe davon aus, dass Sie diese Behandlung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht ignorieren wollen und können. Wir fragen Sie daher: Was sind hierzu Ihre Antworten?

Letztendlich geht es um einen Berufsstand. Reden Sie mit Ihrer Kollegin Bundesminis­terin Köstinger, und sagen Sie ihr, dass unter jenen, die mit solchen Methoden arbeiten lassen, der Ruf einer ganzen Berufssparte, jener der Bäuerinnen und Bauern, leidet. Das haben sich die vielen Anständigen – die anständig arbeiten, anständig bezahlen – schlicht­weg nicht verdient.

Reden wir noch einmal kurz von der gesellschaftlichen Verantwortung, die dahintersteht: Jahrzehntelang haben Gewerkschaften und wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemo­kraten für menschenwürdige Arbeit, gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne gekämpft. Es ist ein Thema, das wiederkommen wird, angetrieben durch die hohe Arbeitslosigkeit, die Verwerfungen der Krise im Herbst und die Digitalisierung, die uns langfristig vor He­rausforderungen stellen wird. Gleichzeitig erleben wir die Klimakrise, die wir vor Augen haben müssen. Wir wissen, der Transport von Waren ist einer der größten Klimakiller überhaupt. Die Produktion von Fleisch verschlingt unglaubliche Ressourcen. Insofern müssen wir dankbar und froh sein, dass wir in Österreich so viel gesundes Obst, Gemüse und Getreide herstellen. Es hilft uns, gesund zu bleiben, und es hilft der Umwelt.

Ich sage Ihnen aber eines: Die Menschen wollen umweltfreundliches Essen – na frei­lich! –, sie wollen aber auch menschenfreundlich produziertes Essen. Es muss beides geben: ArbeitnehmerInnenschutz und Klimaschutz. – Das ist der große Auftrag, den die­se Regierung hat, das wäre das Beste aus zwei Welten.

Betrachten wir das nicht nur isoliert für Österreich! In Deutschland erleben wir einen der größten Coronacluster überhaupt: in der Fleischfabrik der Firma Tönnies. Dass so etwas passiert und sich Tausende Menschen in der Arbeit mit Corona anstecken, ist epidemio­logisch einfach Wahnsinn. Das darf nicht passieren! Was aber dadurch zutage gekom­men ist, ist noch viel erschütternder: Dort passiert Ausbeutung, und zwar auf einem ähn­lichen Level, wie es aktuell bei Teilen der Erntearbeiter und Erntearbeiterinnen passiert. Diese Menschen schleppen sich, weil sie keine gescheiten Arbeitsverträge haben – die arbeiten dort alle mit Werkverträgen –, in die Arbeit, auch wenn sie krank sind. Sie ver­dienen einen Bettel, und es herrschen Arbeitsbedingungen, die sich viele, die da herin­nen sitzen, nicht einmal vorstellen können. Das ist kein auf Deutschland beschränktes Problem, es ist ein europäisches Problem. Die Herstellung von Lebensmitteln, egal aus welchem Bereich, stützt sich oft auf Ausbeutung. Das ist der Preis für billig!

Wie aktuell unsere Dringliche Anfrage heute ist, zeigt eine Aussendung der EU-Kommis­sion, die heute am Nachmittag erschienen ist: Die EU-Kommission will Saisonarbeiter besser schützen. Brüssel ruft die Mitgliedsländer auf, angemessene Unterbringungs- und Gesundheitsstandards zu gewährleisten und deren Einhaltung intensiver zu kontrol­lieren. Das Thema ist ein wichtiges, das Thema ist ein dringliches, und es ist gut, dass es heute angesprochen wird. Wir freuen uns auf Ihre Antworten, Frau Bundesminister. (Beifall bei der SPÖ.)

Diesen Umstand der billigen, menschenunwürdigen Produktion können wir nicht hinneh­men. Wir reden hier über einen der relevantesten Bereiche überhaupt. Wir dürfen nicht dulden, dass für jene Menschen, die tagtäglich für unsere Lebensmittel sorgen, eine Le­bensgrundlage nur mit Mühsal und erlittener Ausbeutung zu schaffen ist. Das können wir uns als Gesellschaft nicht leisten, und Sie, Frau Bundesministerin, müssen nicht nur in Österreich, sondern genauso auch auf europäischer Ebene aktiv werden. Der Aufruf der Kommission ist eindeutig. Sprechen Sie mit Ihren KollegInnen, machen Sie Konzep­te, erstellen Sie einen Plan und setzen Sie diesen um! Kümmern Sie sich darum, dass die Lebensmittelerzeugung europaweit endlich zu einem fairen Arbeitsfeld wird, und ge­hen wir da als reiches Land mit hohen Standards beispielhaft voran!

Die Forderungen sind klar. Sie finden sich auch auf der Homepage von www.sezo­nieri.at, die von der Produktionsgewerkschaft PRO-GE bereitgestellt wird.

Es braucht erstens normale Arbeitszeiten, bei denen Überstunden bezahlt und Ruhe­zeiten eingehalten werden, und eine höhere Entlohnung von Wochenend- und Feier­tagsarbeit.

Es braucht zweitens eine Bezahlung, die sich zumindest am in den Bundesländern üb­lichen Mindestlohn inklusive der Auszahlung von Sonderzahlungen, also der anteiligen Auszahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld, orientiert.

Es braucht drittens die sozialrechtliche Absicherung für Erntearbeiterinnen und -arbeiter, also den Anspruch auf Urlaub und Krankenstand, die Zurverfügungstellung eines sau­beren und zumutbaren Quartiers, den Schutz durch richtige Ausrüstung und auch Schutz im Falle einer Schwangerschaft.

All das sind Dinge, die im Bereich der Erntearbeit anscheinend nicht selbstverständlich sind, und das sollte es nicht geben. Das geht gar nicht! Wir wollen solche Dinge, wie wir sie in jüngster Vergangenheit hatten, nicht mehr in den Zeitungen lesen, nicht im Radio hören und nicht in den Nachrichten sehen, aber nicht, weil sie nicht mehr gezeigt wer­den – es ist wichtig, dass man das zeigt –, sondern weil es einfach nicht mehr stattfindet.

Deshalb wollen wir heute detaillierte Auskünfte über die Pläne der Frau Ministerin und der Bundesregierung in diesem Kontext, und lassen Sie mich betonen: Wir wünschen uns diesmal wirklich klare Antworten und nicht einen Auftritt, wie ihn der Herr Finanz­minister vor zwei Wochen geliefert hat. Es geht um eine Zukunftsfrage. Werden wir im Idealfall auch hier in Österreich Menschen finden, die Erntearbeit machen, oder nicht? Es geht um nicht weniger als um unsere Lebensmittel. Schaffen wir jenen, die uns damit versorgen, eine gute Lebensgrundlage! Glück auf! (Beifall bei der SPÖ.)

16.14

Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Zur Beantwortung hat sich die Frau Bun­desministerin für Arbeit, Familie und Jugend zu Wort gemeldet. Ich erteile ihr dieses. – Bitte.