16.38

Bundesrat Rudolf Kaske (SPÖ, Wien): Sehr geschätzter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Geschätzte Mitglieder des Bundesrates und Damen und Herren, die Sie noch via Livestream dabei sind! Schönen guten Abend! Ich denke, wir sind mit unserer Dringlichen Anfrage am Puls der Zeit. Kollegin Schumann hat bereits erwähnt, dass die EU-Kommission heute zu einem besseren Schutz der SaisonarbeiterInnen auf­gerufen hat. – Kleine Werbeeinschaltung: Wenn Sie auf Teletext Seite 124 schauen, dann werden Sie das finden.

Ich zitiere eine Textpassage, die wie folgt lautet: „Hunderttausende Saisonarbeiter unter­stützen [...] wichtige Bereiche der europäischen Wirtschaft [...]. Aufgabe der EU-Mitglie­der sei es, sich um diese unerlässlichen, aber schutzlosen Arbeiter zu kümmern.“ – Zitat­ende.

Geschätzte Frau Bundesministerin! Wenn ich Ihnen so bei der Anfragebeantwortung zu­gehört habe, dann kann ich mich des Eindruckes nicht erwehren, dass so im Großen und Ganzen alle paletti ist, vielleicht mit einzelnen Ausnahmen (Bundesrat Rösch: Habe ich auch so gehört, alles super!), aber, verzeihen Sie, wir sind nicht in der Sendung „Gute Nacht Österreich“, sondern es geht hier um einen Wirtschaftszweig (Heiterkeit und Bei­fall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Rösch) und um ArbeitnehmerInnen, die auch da oder dort – und ich sage das sehr bewusst – ausgebeutet werden.

Ich möchte aber eine grundsätzliche Anmerkung machen, weil mir das auch wichtig ist, in Richtung der Kollegen Bauernvertreter: Niemand, absolut niemand stellt die wertvolle Arbeit der Bauern in Österreich infrage, aber Ausbeutung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geht nicht, weder in Österreich noch in Europa noch sonst irgendwo auf der Welt. (Beifall bei der SPÖ sowie der BundesrätInnen Lackner und Steiner-Wieser.)

Sehr geehrte Frau Bundesministerin, Sie haben davon gesprochen, dass es zu einer zeitgemäßen Neufassung des Landarbeitsgesetzes kommen soll. – Das hoffe ich doch, und ich denke, die Interessenvertretungen werden das entsprechend verlangen. Das muss natürlich auch für die Erntearbeiter gelten, und ich gehe davon aus, dass dieses Landarbeitsgesetz auch für Erntearbeiter gilt.

Nun komme ich aber zu Österreich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Seit Jahren wird von der Landwirtschaft moniert, dass es einen Mangel an ErntearbeiterInnen gibt, daher gibt es jedes Jahr den Ruf nach ausländischen ArbeitnehmerInnen, und der ist jedes Jahr unüberhörbar, würde ich sagen. Die Ursachen des Arbeitskräftemangels in der Landwirtschaft werden aber seit Jahrzehnten nicht beleuchtet, auch das möchte ich sehr klar und deutlich sagen: Arbeitsbedingungen, Bezahlung und Arbeitszeit bleiben oft im Dunkeln. Liebe Frau Bundesministerin, es wird Zeit, dass Licht ins Dunkel kommt, das sage ich Ihnen ganz offen! (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Rösch.)

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat, was wohl die wenigsten wissen, ist, dass die ILO, das ist die Internationale Arbeitsorganisation, bereits im September 2003 – also vor 17 Jahren, lassen Sie sich das auf der Zunge zergehen! – ein Übereinkommen über den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft abgeschlossen hat. Viele, die den Sektor und seine Bedingungen kennen, wird es wohl nicht überraschen, dass Österreich bis heute das Übereinkommen Nummer 184 nicht ratifiziert hat. Man kann daraus nur den Schluss ziehen: Da fehlt es wohl in Österreich an der Ernsthaftigkeit, wenn es darum geht, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Erntearbeiter zu verbessern. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Rösch.)

Meine Damen und Herren, ich will es auch beim Namen nennen: Die ILO-Verweigerer seit 2003 gehören zu einer gemeinsamen politischen Familie. Ihre Namen: Josef Pröll, Nikolaus Berlakovich, Andrä Rupprechter, Elisabeth Köstinger. Ich finde, es ist eine Schande, dass im 21. Jahrhundert mit ArbeitnehmerInnen, die für die Grundversorgung hervorragende Arbeit leisten, so umgegangen wird. (Bundesrat Kovacs: Genau!) Daher, Frau Bundesministerin, werden Sie tätig! Leiten Sie die Ratifizierung des Übereinkom­mens Nummer 184 der ILO ein! (Bundesrat Rösch: Darf sie ja nicht! Das mag der Kurz nicht!)

Es ist daher auch ein Gebot der Zeit, dass Erntearbeiter ausnahmslos richtig ange­meldet werden – Kollegin Schumann hat es schon erwähnt. In diesem Zusammenhang gibt es bei der zuständigen Gewerkschaft PRO-GE immer wieder Beschwerden, dass ErntearbeiterInnen den Kollektivvertragslohn nicht ganz korrekt ausbezahlt bekommen, insbesondere was Überstundenzuschläge und Sonderzahlungen betrifft.

Ein weiteres Problem sind auch die Arbeitszeitaufzeichnungen. Die Arbeitszeitaufzeich­nungen – ich sage das so offen, wie ich es mir denke – sind oft das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind. Ich habe große Zweifel daran, ob das mangels Sprach­kenntnissen mancher Erntearbeiterinnen und Erntearbeiter überhaupt richtig gelesen werden kann, sodass viele gar nicht wissen, was sie denn da unterschreiben. Das muss man ganz offen sagen. Dann kommt noch dazu – und das ist ja in dieser ORF-Ge­schichte sehr klar und deutlich herausgekommen –, dass aus Angst um den Arbeitsplatz, den man nicht verlieren möchte, da oder dort falsche Dokumente unterschrieben wer­den.

Meine Damen und Herren, es ist hoch an der Zeit, dass diese Praktiken, wie gesagt, aufhören. Aus meiner Sicht – und Sie haben das angesprochen, Frau Bundesminis­terin – braucht es mehr Kontrollen bezüglich der Arbeitszeiten, und der Arbeitsmarkt im Bereich der Landwirtschaft ist zu attraktivieren. Nur so wird dieser Bereich auch für hei­mische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer interessanter werden. Die Covid-Krise hat gezeigt, dass die Aufrufe nach ErntearbeiterInnen im Inland gefruchtet haben, doch eigentlich – und das unterstelle ich jetzt, sage ich sehr offen – will man sie ja gar nicht. (Bundesrätin Schumann: Richtig!)

Wie schon erwähnt, ist es höchst an der Zeit, arbeits- und sozialrechtliche Missstände einzudämmen. Die Kontrollmechanismen und Institutionen, die das überprüfen, müssen daher gestärkt werden. Neben den arbeitsrechtlichen Bedingungen – Sie haben es an­gesprochen – sind dem Gesundheitsschutz und den Hygienestandards großes Augen­merk zu schenken. Ich denke, Sie sind dafür der richtige politische Ansprechpartner, aber – auch das sage ich ganz offen – nicht nur für die Arbeitgeber, sondern vor allem auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bun­desrates Rösch.)

Frau Bundesministerin, Sie sind mitverantwortlich dafür, wie die Zukunft der Erntearbei­terInnen gestaltet wird. Zu einer gerechten, nicht ausbeuterischen, nachhaltigen Lebens­mittelproduktion trägt auch die Förderung kleinbäuerlicher statt agrarindustrieller Struk­turen bei. Wir fordern daher ernährungspolitische Rahmenbedingungen, die Erntearbei­terInnen und Bauern und Bäuerinnen nicht gegeneinander ausspielen. Das halte ich für ganz, ganz wichtig. Es ist wichtig, nicht wegzuschauen, sondern hinzuschauen, denn nur damit verändert man die Situation.

Zum Schluss möchte ich bemerken: Stellen Sie, Frau Bundesministerin, die arbeitenden Menschen in diesem lebenswichtigen Wirtschaftszweig in den Vordergrund, denn ohne diese Menschen findet die Ernte nicht statt! – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Rösch.)

Verzeihen Sie, Herr Präsident, ich muss noch ein Postskriptum anbringen, das habe ich überlesen. – Es gab die Frage 17, Frau Bundesministerin: Da möchte ich Sie noch ei­nmal um eine konkrete Antwort bitten. Da ging es nicht nur um die europäischen Förde­rungen, sondern es ging auch um die nationalen Förderungen. Vielleicht habe ich das überhört. – Danke vielmals. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Rösch.)

16.49

Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Als Nächster ist Herr Bundesrat Ernest Schwindsackl zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Bundesrat.