18.18

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bun­deskanzler! Ich habe den Fraktionsvorsitzenden der türkis-schwarzen Fraktion hier sel­ten so weinerlich erlebt. Normalerweise ist er ja ein gestandener Mann, jetzt wirkte er aber doch sehr weinerlich.

Warum wird der Bundeskanzler kritisiert? – Da muss man einmal ein bisschen die Augen frei machen. – Der Bundeskanzler hat sich seit der Pandemiekrise selbst als der Krisen­manager inszeniert. Die Kritik geht an den Krisenmanager. Ob er es nun ist oder sich als solcher nur inszeniert, ist eine andere Frage.

Zuerst wollte ich mich aber noch kurz an Harry Himmer wenden: Dass ich mich bei deiner Rede zweimal bemerkbar gemacht habe, war – nur, um es den anderen zu sagen – nicht etwa aus Respektlosigkeit. Wir haben, glaube ich, schon zehn Jahre hier im Bundesrat gemeinsam gefochten oder konstruktiv gearbeitet. Insofern war es keine Erstrede, in die man nicht hineinrufen darf. Harry Himmer – ich kenne ihn schon lange – hält das aus und freut sich immer, wenn er ein paar Zwischenrufe bekommt. – Und den letzten hast du ja extrem gut bewältigt. (Heiterkeit.)

Herr Bundeskanzler, ich weiß nicht, wie Sie denken – ich glaube, wir haben uns privat einmal bei einem Ganslessen beim Pfarrwirt gesehen, jeder mit seiner Familie, das ist beim Ganslessen so, und ein zweites Mal in Straßburg, als Österreich den Vorsitz hatte ‑, es muss Ihnen aber in den letzten Tagen und Wochen doch irgendwie merkwür­dig vorgekommen sein, dass dieser extrem hohe Zustimmungswert vom März hinunter­purzelt. Damals lag er bei 80 Prozent, jetzt ist er wesentlich niedriger, wenn auch noch immer auf einer mehrheitlichen Höhe. Aber zum Beispiel die „Augsburger Allgemeine“ titelte: „Krisenmanager? Die Entzauberung des Sebastian Kurz“, und woanders hieß es: „Der Kanzler ist nackt“. Fragen Sie sich da nicht, was wohl schuld daran sein könnte?

Ich habe mir gestern auf Ö1 die Sendung „Punkt eins“ angehört. Es ging um Kommuni­kation, Botschaften, Menschen in der Politik und so weiter, und da haben Leute angeru­fen. Da hat ein 18-jähriger HTL-Schüler angerufen und sich für einen 18-Jährigen er­staunlich fundiert mit der Inszenierung auf Regierungsseite in der Pandemie ausein­andergesetzt. Er hat gesagt: Ich halte dieses – wie darf man es nennen? – virologische Quartett nicht mehr aus. Ich habe das die ersten zwei Monate angeschaut, und dann ist es more of the same.

Ich weiß ja nicht, wer da die Regie führt. Irgendjemand muss ja Regie führen, mögli­cherweise ist es der Innenminister, der, bevor die vier im Gleichmarsch hineinmarschie­ren, einzählt. Irgendwo muss jemand im Hintergrund ein Zeichen geben, damit akkurat auf die Sekunde jeder seine Maske deponiert. Das ist Inszenierung! Da will man etwas abholen, holt es aber nicht ab.

Ein Kabarettist – nein, kein Kabarettist, ich entschuldige mich –, ein Schriftsteller hat über diese Inszenierung geschrieben, ich glaube, das war eine Glosse im „Falter“, und er hat wahrscheinlich ganz vielen Menschen aus dem Herzen geschrieben. Meine Mutter ist 102 Jahre alt. Im März hat sie sich das noch angeschaut, im April, wenn sie zufällig den Fernseher eingeschaltet hatte, aber seither interessiert sie dieses Quartett im Fern­sehen nicht mehr. (Ja-Rufe der Bundesräte Ofner und Steiner.)

Ganz schlimm wird es, wenn das Quartett gewechselt wird und ein bestimmter Minister darunter ist, dann ist Seenot im Land, nämlich wenn Minister Faßmann dabei ist. Dann versteht niemand mehr etwas, weder Leute aus der Schulverwaltung noch Eltern oder Schüler.

Herr Bundeskanzler, an dieser Stelle haben Sie Handlungsbedarf! Jedes Mal, wenn Faß­mann irgendwo auftaucht, kommen Fragen, Telefonate, SMS, die lauten: Was hat er gemeint? Meint er das im Ernst? (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der FPÖ.)

Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel hat einen Satz gesagt, der der Demokratie in Deutschland und in ganz Europa enorm viel Labsal gebracht hat. Sie hat gesagt: All diese Maßnahmen sind eine Zumutung für die Demokratie!, und sie hat recht.

Herr Bundeskanzler, ich hätte gerne von Ihnen einmal einen solchen Satz gehört, mit dem Sie zum Ausdruck bringen, dass all diese Maßnahmen, die gesetzt sind, eine Ein­schränkung der bürgerlichen Freiheiten sind, eine Verletzung der Rechte des Kindes – nämlich des Rechtes auf Unterricht –, eine Verletzung der Würde älterer Menschen, die zum Beispiel selbst entscheiden wollen, wen sie noch treffen und welches Risiko sie eingehen, eine Verletzung der Würde von Menschen, die knapp vor dem Tode stehen. Das hätte ich mir gewünscht, aber das ist nie gekommen.

Es fehlt uns eine ganze Reihe von Regelungen. Alle sagen: Super, dass wir Homeoffice machen!, aber wo sind die arbeitsrechtlichen Grundlagen dazu? Wo sind die Klarheiten? Zum Beispiel war ich völlig überrascht darüber – aber vielleicht kann man mich da auf­klären –, dass in Deutschland ein Unternehmer bei Homeoffice das Recht hat, in die private Wohnung seines Arbeitnehmers oder seiner Arbeitnehmerin zu gehen, weil er ja nach dem Gesetz verpflichtet ist, den Arbeitsplatz zu besichtigen, um festzustellen, ob der auch tauglich ist! Gerade Homeoffice wirft also sehr viele arbeitsrechtliche Fragen auf, aber rien ne va plus, nichts ist!

Weil mich die Frau Präsidentin so anschaut: Dazu heißt es immer, dass sich die Sozial­partner darum kümmern. Ich sage: Da sollte die zuständige Ministerin einmal mit Ideen in Vorlage treten, da doch so viele Menschen derzeit in Homeoffice arbeiten!

By the way, zu dieser interessanten Impfdebatte von vorhin: Ich weiß nicht, welcher un­glückliche Umstand dazu geführt hat, dass irgendwelche Verschwörungstheoretiker mei­ne E-Mail-Adresse haben, sodass bei mir pro Tag etwa drei E-Mails einlangen, in denen es heißt: Das Impfen ist Mord. Ich soll meine Kinder und Kindeskinder – Kindeskinder habe ich noch nicht, aber es steht da in den E-Mails – nicht impfen lassen, denn ich würde sie dadurch ermorden.

Irgendwie ist uns allen klar, dass wir, wenn der Impfstoff da ist, eine hohe Durchimp­fungsrate in der Bevölkerung brauchen. Das soll natürlich freiwillig erfolgen, aber dafür muss man werben, und dazu muss man nicht in der üblichen Quartettshow auftreten.

Ich habe im Fernsehen sehr lange der nicht gerade sehr erfolgreichen früheren Bundes­ministerin Bogner-Strauß zugehört, die heute Gesundheitslandesrätin in der Steiermark ist. Immer wieder wurde sie gefragt: Was werden Sie in der Steiermark tun?, und sie hat immer gesagt: Das ist die Kommunikation, das ist Bundessache. – Ich muss sagen, bei der derzeitigen Akzeptanz dieser Bundeskommunikation des virologischen Quartetts wird die Rate wohl kaum über 50 Prozent liegen, wenn da nicht eine entsprechende In­formation, eine entsprechende Bewerbung, ein entsprechendes Bemühen stattfinden.

Apropos Gesundheitslandesräte: Ich vermisse noch immer den Rücktritt des Gesund­heitslandesrates aus Tirol, der alles richtig gemacht hat – und alles falsch gemacht hat. Letzte Woche gab es im deutschen ZDF einen Jahresrückblick auf 2020. Dieser Jahres­rückblick hat so berührend angefangen, dass mir beim Zuschauen fast die Tränen ge­kommen sind, er hat nämlich mit Ischgl angefangen: Da saß ein junger Mann, dessen Vater knapp 51 Jahre alt war und keine Vorerkrankungen hatte. Der Vater war in Ischgl, und zehn Tage, nachdem er Ischgl verlassen hatte, war er tot. Dieser junge Mann hat all das erzählt.

Neben ihm saß eine Dame, 52 Jahre, die in Ischgl war, mit ihrem Mann dort gegessen hat – im Kitzloch gibt es ja auch etwas zum Essen, nicht nur zum Saufen – und danach zwei Monate im Koma lag.

Damit beginnt der Jahresrückblick 2020 im deutschen Fernsehen. Die erste Runde jener, die zurückgeblickt haben, das waren Hinterbliebene oder Opfer. Die Opfer wurden zu diesem Rückblick zum Teil von ÄrztInnen begleitet. Und nach wie vor gibt es in einem Bundesland einen Gesundheitslandesrat, der alles richtig gemacht hat! Ich glaube, der Schaden, den er angerichtet hat, ist enorm.

Dann darf man sich nicht darüber wundern, dass ein Parteifreund unseres Bundeskanz­lers im ZDF sagt: Ich weiß nicht, wer es bereitstellen soll, aber irgendjemand muss doch dafür sorgen, dass in Wien endlich Vernunft einkehrt! – Damit waren der Wintertouris­mus, das Skifahren und die Winterhotellerie gemeint.

Das heißt, wir haben Deutschland nichts entgegenzuhalten, außer Artikeln, dass Glanz und Glorie unseres Kanzlers am Schwinden sind.

Vorhin haben mir ja, glaube ich, Kollege Bader, aber auch andere – ah, Kollege Himmer auch – gesagt: Diskussion ist wichtig. – Ja, ja, Diskussion ist schon wichtig, aber hinter­fragen wir einmal, was da in letzter Zeit so diskussionswürdig war: Wie kann man sich 210 Millionen Euro für Werbung einstecken und einfach die Covid-Krise dafür ausnüt­zen? (Bundesrat Seeber: Steckt gar nicht was ein!) – Das ist unanständig, und dieses Geld hätte man für die Erhöhung des Arbeitslosengeldes nützen können. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Sie haben sich gestern oder vorgestern in der „ZIB 2“ heftig gewehrt, Herr Kanzler, man kann es ja auch nachschauen, aber was ich ganz unanständig finde: wenn man eine Kluft zu Menschen mit Migrationshintergrund bildet, die in die Heimat fahren, und die jetzt zu den Sündenböcken dafür macht, dass es zu einer zweiten - - (Bundesrat Seeber: Hat er nicht gemacht!) – O ja! (Bundesrat Seeber: Hat er nicht gemacht!) – Er behauptet das (Bundesrat Seeber: Stimmt so nicht!), man muss sich den Originalton anhören, dann weiß man, was gesagt wurde, außer man hält sich die Ohren zu und stellt sich taub.

Was ich auch interessant gefunden habe: Herr Kanzler, Sie haben in den letzten Tagen in einem Interview auch das Wort Ausgangssperre verwendet. Wir haben keine Aus­gangssperre! Wir sind ein demokratisches Land und haben keine Ausgangssperre. Wir haben Empfehlungen, was wir zu tun haben, über Hygiene, Abstand und Maske – Maske und entsprechende Hygiene sind jedem zumutbar –, aber wir haben keine Ausgangs­sperre. Ich glaube, ich habe hier schon einmal darüber referiert, dass ich im März im 19. Bezirk von der Polizei aufgehalten und gefragt wurde: Was wollen Sie? Es ist Aus­gangssperre. – Dann habe ich gesagt: Sie sind von Ihrem Minister rechtlich schlecht informiert, denn es gibt keine Ausgangssperre. – Er hat gesagt: O ja, wir haben Aus­gangssperre. – Ich habe gesagt: Schauen Sie, in meinem Auto ist eine Einkaufstasche. Ich fahre jetzt einkaufen, es gibt keine Ausgangssperre, und Sie sehen auch, dass ich – im Gegensatz zu Ihnen – eine Maske trage. Sie halten mich auf, und das ohne Maske. – Dann hat er noch zu mir gesagt: Lassen wir es gut sein, fahren Sie weiter! – Dann habe ich gesagt: Nichts lassen wir gut sein: Sie haben unrecht, und Sie rufen jetzt im Innen­ministerium an, damit Sie nicht den Nächsten nach mir aufhalten und sagen: Ausgangs­sperre, sofort nach Hause! (Heiterkeit bei der FPÖ.) – Wir haben das mit „Lassen wir es gut sein“ dann einmal gestrichen.

Was wir diskutieren müssen: Seien wir froh, dass die Europäische Union die Impfdosen einkauft, denn wir sehen, dass wir Masken zu einem wesentlich überteuerten Preis be­kommen haben. Was wir natürlich an unserem Kanzler kritisieren müssen – daran ist ausnahmsweise nicht Tilg schuld, sondern unser Kanzler –: Als es zur Massenflucht, zur panikartigen Massenflucht aus Ischgl und aus dem Paznauntal kam, als plötzlich nicht einmal mehr die Züge gehalten haben und all die Leute von Ischgl nach Innsbruck gefahren sind und sich in den verschiedensten Hotels einquartiert haben, hat das wiede­rum zu einer Ausbreitung des Virus geführt. Hätte man das korrekt gemacht – nicht wie­der eine Pressekonferenz, nicht wieder einen Überfall –, und zwar jene, die auch die Kompetenz dazu haben, dann wäre das nicht so geworden.

Zur zweiten Welle: Ich kenne Dutzende Stellungnahmen – man muss nur herumhören, man muss entsprechende wissenschaftliche Sendungen sehen –, in denen gesagt wur­de, die zweite Welle wird kommen. Eine sehr gute Bekannte von mir, Krankenschwester im AKH, hat zu mir gesagt: Die kommt, die zweite Welle, spätestens im Oktober ist sie da. – Aber wir haben im Sommer nichts getan. Wir haben uns gefreut, dass an den Kärntner Seen die Hotels super ausgebucht waren, im Burgenland und in der Steiermark auch; aber es gab keine Vorbereitung, vor allem nicht im Bereich der Schule. Hätten wir im Bereich der Schule eine andere Vorbereitung gehabt – wir sehen, wie das in Deutschland mit den Schulen trotz Diskussion gehandhabt wird –, hätten wir die Schulen nicht schließen müssen. Ja, ich weiß, es gibt Betreuung in den Schulen, aber wir rauben den Kindern, der Jugend ihre Zeit als Kinder und Jugendliche! (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Herr Arlamovsky, wir verhindern auch die Gleichstellung des Bildungsangebotes für al­le – unabhängig von ihrer Herkunft, ihres Familienbackgrounds. Ihre Initiative war richtig. Das hätte niemals stattfinden dürfen.

Es hat ja immer geheißen: „Koste es, was es wolle“. Die Pensionisten und Pensionistin­nen merken gerade, was es kostet: Ihnen wird ein Teil der Pension gestohlen.

Wenn man weiterschaut, muss man sagen: In die Finanzierung des Gesundheitssys­tems wurde im Sommer wenig investiert, und gleichzeitig haben wir eine Disbalance: Auf der einen Seite bekommen die Unternehmer und Unternehmerinnen Geld, auf der ande­ren Seite ziert sich diese Regierung, das Arbeitslosengeld substanziell zu erhöhen, damit jeder ein gerechtes und gutes Leben hat. (Bundeskanzler Kurz spricht mit Präsidentin Eder-Gitschthaler. – Zwischenruf der Bundesrätin Schumann.)

Bitte, was ist passiert? – Ich komme zum Schluss, Herr Kanzler. (Bundesrat Köck: Wo­rum ist es gegangen? ... kurz zusammenfassen, was Sie gesagt haben?) Ja, das mache ich gern.

Interessant ist übrigens – ich habe einem WHO-Gesundheitsexperten sehr genau zu­gehört –, dass Afrika mit der Covid-Krise ganz anders umgeht und dass diese derzeit nicht die Hauptsorge in Afrika ist. Weil die dort so pandemieerprobt sind, ist die Covid-Krise eine kleinere Krise. Die Hauptkrise derzeit sind die Masern, auch dagegen ist eine Impfung notwendig. Masern töten derzeit in Afrika und nicht Covid. Das heißt, eine Ge­sellschaft kann pandemiegestresst oder -erfahren sein.

Ein Schlusswort noch zur Impfdiskussion und zu Verschwörungstheorien: Liebe FPÖ, ihr müsst da ein bisschen Abstand nehmen, ihr seid zu nahe an den Verschwörungstheo­retikerInnen. Ich sage nur eines: Die Covid-Krise hat nicht Bill Gates erfunden. Ich hoffe, dem stimmen wir alle zu. Bill Gates hat nicht die WHO gekauft, er hat nur einen Teil seines Vermögens dorthin transferiert (Bundesrat Seeber: Die FPÖ ist da nicht so si­cher!), nachdem - -

18.38

Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Die 20 Minuten Redezeit sind um, Herr Kollege Schennach. (Beifall bei der SPÖ für den das Rednerpult verlassenden Bundes­rat Schennach.)

Ich begrüße auf der Regierungsbank Frau Bundesministerin Elisabeth Köstinger und Herrn Bundesminister Dr. Heinz Faßmann. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Markus Leinfellner. – Bitte, Herr Bun­desrat, ich erteile es Ihnen.