19.16

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Hohes Präsidium! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren Bundesräte! Werte Gäste zu Hause via Livestream, so noch jemand unsere Sitzung mitverfolgen sollte! Man sollte es eigentlich gar nicht für möglich halten, was hinter dieser doch vielleicht recht sperrigen Gesetzesbezeichnung steckt, nämlich die Einführung des Ethikunterrichts in der Sekun­darstufe II.

Seit dem Schuljahr 1997/1998, also inzwischen über 20 Jahre lang, gab es den Schul­versuch an – wie wir im Ausschuss gehört haben – immerhin 250 Standorten quasi als Ersatzunterricht für jene Schülerinnen und Schüler, die sich vom Religionsunterricht abgemeldet hatten. Es sind, wie wir erfahren haben, im Durchschnitt immerhin 25 Pro­zent der Schülerinnen und Schülern gewesen, die dieses Angebot genutzt haben.

Dieser Schulversuch soll nun im Schulorganisationsgesetz eben eine entsprechende ge­setzliche Verankerung finden, was an sich aus meiner Sicht durchaus begrüßenswert wäre, wenn nicht auch hier wieder ein großes Wenn dabei wäre.

Jetzt wäre aus meiner Sicht die Chance groß gewesen, den Ethikunterricht auch tat­sächlich flächendeckend und für alle zu verankern. Man nimmt dem Fach aus meiner Sicht ein bisschen den womöglich doch sehr positiven Zugang der Schülerinnen und Schüler dazu, wenn es jetzt wieder von nur jenen besucht werden muss, die sich vom Religionsunterricht abmelden. So wird das Fach, denke ich, diesen Anstrich der Straf­stunde nicht los, und ich befürchte, dass die Schülerinnen und Schüler da wohl eher frei nach dem Motto vorgehen: Was ist für mich das geringere Übel? Ich denke, das ist nicht unbedingt der richtige Ansatz.

Besonders für jene, die gar keinen Religionsunterricht besuchen, weil sie ohne religiöses Bekenntnis sind, ist das eine eher fragwürdige Geschichte. Dabei sind in einer moder­nen, pluralistischen, vielfältigen und bunten Gesellschaft wie der unseren die Inhalte ei­nes Fachs Ethik aktueller denn je, wie ich finde, und eine Vermittlung für alle Schülerin­nen und Schüler wäre wichtiger und wertvoller denn je. (Beifall bei der SPÖ.)

Es geht nicht zuletzt auch um Werte, um Normen einer Gesellschaft, unserer Gesell­schaft. Es geht darum, diese Werte auch kritisch zu hinterfragen und sich daraus ein eigenes Urteil zu bilden. Es geht um unterschiedliche Weltanschauungen, es geht um Menschenrechte, die hier ein ebenso großes und bedeutendes Thema sein dürfen und müssen.

Im Zentrum steht also nicht allein die rein klassische philosophische Ethik, sondern es geht um einen viel umfassenderen Begriff, um eine umfassendere Auseinandersetzung mit den unterschiedlichsten Facetten der Ethik. Es geht um politische Ethik, um Berufs­ethik, Wirtschafts-, Rechts-, Medienethik und vieles, vieles mehr. Letztendlich soll und kann also Ethikunterricht eine wichtige Ergänzung zur Identitätsfindung, zur Persönlich­keitsbildung der jungen Menschen und vor allen Dingen zum sozialen Lernen sein.

Das ist in der Gesetzesvorlage, die wir heute zu beschließen haben, nicht in umfassen­dem Ausmaß der Fall und setzt aus meiner Sicht auch viel zu spät an, wenn wir hier erst mit SchülerInnen der 9. Schulstufe beginnen, zumal – ich darf Ihnen das in Erinnerung rufen – die SchülerInnen ja bereits mit 16 immerhin wahlberechtigt sind. Meiner Meinung nach müsste hier also bereits viel früher angesetzt werden, schon in der Sekundarstufe I.

Spannend finde ich in diesem Zusammenhang – das möchte ich schon noch erwähnen – die Position der Grünen, die sich ob des Gesetzesbeschlusses vom 20. November of­fensichtlich doch recht überglücklich gezeigt haben – wenn man das so formulieren darf. Da findet sich zum Beispiel auf der Homepage der Grünen in einem Eintrag vom Feb­ruar 2015 die Überschrift: „ETHIKUNTERRICHT FÜR ALLE SCHÜLERINNEN! – Wir Grüne sprechen uns für einen verpflichtenden ‚Ethik- [...]unterricht‘ im Umfang von“ – und so weiter – „aus. Herkömmlicher konfessioneller Religionsunterricht soll nur auf frei­williger Basis angeboten werden.“

Es wird aber noch spannender. In einer OTS-Aussendung der Grünen Wien – und das ist noch gar nicht so lange her – vom 5. März 2019 wird Klubobmann David Ellensohn zitiert, der meint: „Bildungsminister Heinz Faßmann spaltet die Schüler und Schülerinnen in religiöse und nicht-religiöse. Der Ethikunterreicht verkommt zur Strafmaßnahme ge­gen Kinder, die eine Freistunde haben.“ – So viel zu den Grünen. Ich habe ein bisschen den Eindruck, der Standort bestimmt wie so oft den Standpunkt. Glaubwürdig ist es auf alle Fälle nicht, liebe Grüne, aber zum Glück muss ich das ja nicht verantworten. (Beifall bei der SPÖ.)

Anscheinend wirft man schon das eine oder andere Prinzip über Bord, wenn man dafür eine Regierungsbeteiligung erhält.

Geschätzte Damen und Herren, lassen Sie mich aber noch zu einem anderen Thema kurz Stellung nehmen, nämlich zum Projekt 100 Schulen, das ja zunächst einmal wirklich als Prestigeprojekt von der Regierung präsentiert wurde, und das, wenn man genauer hinschaut, letztendlich eigentlich zu einem mickrigen Minipaket zusammengeschrumpft ist, zumal immerhin ganze 15 Millionen Euro dafür veranschlagt wurden.

Wir haben es zwar heute schon einmal gehört, aber es passt auch der Vergleich hier sehr gut: 30 Millionen Euro zusätzlich, in Summe 210 Millionen Euro verpasst sich diese Bundesregierung selbst im Budget für Marketing, für PR, das hier beschlossen wurde. Das muss man sich in Wahrheit einmal auf der Zunge zergehen lassen: Sie geben also doppelt so viel Geld – und das dürfen wir nicht vergessen: Geld der Österreicherinnen und Österreicher – für ein Marketingunternehmen aus. Und da wundern Sie sich, wenn man dann den unguten Eindruck hat, dieser Regierung ist schlicht und einfach ihre Selbstinszenierung mehr wert als die Bildung unserer Kinder und unserer Jugend? (Bei­fall bei der SPÖ.)

Dabei – das wissen Sie selbst genauso gut wie wir – bräuchte es ein Vielfaches an Res­sourcen, um im Bildungsbereich für Gerechtigkeit zu sorgen. Das hat auch die Arbeiter­kammer in einer Studie zum Chancenindex festgestellt und sehr deutlich bestätigt, denn Bildung in Österreich ist nicht gerecht. Das bestätigt auch – das wissen Sie – der Natio­nale Bildungsbericht aus dem Jahr 2018. Dort steht auf Seite 199: Es „zeigen sich deutli­che Ungleichheiten im österreichischen Schulsystem. Die Bildung der Eltern ist ein ent­scheidender Faktor für den Kompetenzerwerb der Kinder – dies gilt für alle Kompetenz­bereiche und alle untersuchten Altersgruppen. Deutliche Unterschiede im Kompetenzer­werb zeigen sich darüber hinaus nach dem soziökonomischen Hintergrund der Fami­lie“ – und so weiter und so fort.

Das heißt, es sind zwei wichtige Fakten, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben: Bildung wird in Österreich leider immer mehr vererbt, und es gibt sogenannte Brenn­punktschulen, deren man sich entsprechend annehmen muss.

Die Arbeiterkammer hat also angelehnt an den kanadischen Learning Opportunities In­dex Österreichs Schulen in Cluster nach Kriterien, wie eben zum Beispiel sozioökonomi­scher Hintergrund der Eltern oder auch geografische Gegebenheiten und vieles mehr, eingeteilt. Insgesamt gibt es sieben Cluster, wobei die Clusterstufe-1-Schulen einen ge­ringen Bedarf an zusätzlicher Unterstützung haben, und Schulen, die zum Beispiel dem Cluster 5, 6 oder 7 zuzurechnen wären, einen hohen bis sehr hohen Bedarf haben. Und die Arbeiterkammer hat festgestellt, dass es in Österreich lediglich 13 Prozent Schulen in den Stufen 1 und 2, aber 17 Prozent Schulen in den Stufen 5 bis 7, die also unbedingt stärker gefördert werden müssen, gibt.

Das heißt, die Schulen brauchen, um den Schülerinnen und Schülern die bestmögliche Lernumgebung bieten zu können, um etwaige Defizite aufgrund dieses Faktums, das ich genannt habe, auszugleichen, ganz besondere Ressourcen, nämlich personelle Res­sourcen, räumliche Ressourcen, auch Ressourcen, was das Lernmaterial betrifft, und vieles, vieles mehr.

Eines ist auch klar: Die Coronakrise verschärft diese Situation zusätzlich ganz immens und macht natürlich die Bildungsschere in Österreich noch viel, viel weiter auf, wenn wir nicht rechtzeitig gegensteuern. Da kann man die Augen davor verschließen, so viel man möchte, aber das wird daran nichts ändern.

Daher bringe ich folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Doris Hahn, MEd MA, MMag. Dr. Karl-Arthur Arlamovsky, Kolle­ginnen und Kollegen

betreffend „flächendeckende Umsetzung des Chancenindex“

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung wird aufgefordert, das 100-Schulen-Projekt sofort zu einem flächendeckenden Chancenindex auszubauen und die für alle Schularten vorgesehene Verordnung zur chancenindexierten Mittelverteilung zu erlassen.“

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Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, vor allem geschätzte KollegInnen der Regie­rungsfraktionen! Ich wünsche mir wirklich, dass Sie hier die richtigen Prioritäten setzen. Wenn Ihnen der Einsatz eines Marketingunternehmens 30 Millionen Euro wert ist, zei­gen Sie, dass Ihnen die Bildung unserer Jugend noch mehr wert ist. Ich darf daher an Ihre Vernunft appellieren und hoffe auf Zustimmung zu unserem Antrag. – Danke. (Bei­fall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

19.26

Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Der von den BundesrätInnen Doris Hahn, Dr. Karl-Arthur Arlamovsky, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsan­trag betreffend „flächendeckende Umsetzung des Chancenindex“ ist ordnungsgemäß eingebracht, genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Sebastian Kolland. – Bitte, Herr Bundesrat.