22.30

Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Mitglieder des Bundesrates! Es wurde ja schon mehrmals gesagt: Die Berichte, die hier vorliegen, das EU-Arbeitsprogramm, sind eine Art Leistungsschau. Herr Bundesrat Hübner, sozusagen zitiert frei nach Kreisky: Sie haben keine Ahnung, wie viel Lob wir im Außenministerium vertragen können.

Das ist, wie richtig gesagt wurde, ein Nachschlagewerk, eine Faktendarstellung, und ich finde es bedauerlich, dass eine solche reine Faktendarstellung von einer Fraktion abge­lehnt wird, weil sie mit den Inhalten nicht einverstanden ist. Ich will gleich zu Beginn auf ein paar Punkte eingehen, die jetzt angesprochen wurden.

Punkt eins, zum Budget: Es stimmt einfach nicht, was gesagt wird. Es ist nicht so, dass da mehr Geld rausgekommen ist. Der Anteil – und ich habe selber verhandelt – ist der Anteil am BIP. Es war klar, dass die Mitgliedstaaten hinsichtlich des BIPs gewachsen sind, daher haben wir von Anfang an gesagt, es wird im Mehrjährigen Finanzrahmen auch mehr Finanzmittel geben; aber gerade Österreich mit den Frugal Four, den sparsa­men vier, hat darauf geschaut, dass es nicht überbordend ist, und wir haben da sogar einen sehr großen Erfolg eingefahren.

Bei den maritimen Missionen, die Sie angesprochen haben, war es ebenfalls gerade Österreich, das bei der Irini-Mission vor der libyschen Küste festgestellt und sicherge­stellt hat, dass der Pullfaktor in das Mandat Eingang findet und dass sichergestellt wird, falls es zu einer Situation kommt, dass man das Gefühl hat, diese Missionen werden von Schlepperbanden missbraucht, dass die Schiffe sich verlagern. Letztlich geht es darum, Waffenschmuggel aus dem östlichen Mittelmeer – ich lasse es einmal so allgemein dar­gestellt – hintanzuhalten.

Beim Recovery Fonds ist mir Folgendes wichtig: Ich glaube, die Wahrheit liegt irgendwo zwischen SPÖ und ÖVP. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) Diese Bundesre­gierung wird sich die Chance nicht entgehen lassen, diesen Recovery Fonds voll aus­zuschöpfen, auch wenn es nicht meine Zuständigkeit ist. Der Budgetschlüssel ist aber nicht der normale Budgetschlüssel, sondern bei der Verteilung wird ausdrücklich Bezug auf die Bevölkerungsrate genommen, das BIP pro Kopf, die durchschnittliche Arbeitslo­senrate und, das ist sehr wichtig, den BIP-Verlust 2020/2021, also genau während der Krise. Es ist also ein eigener Schlüssel.

Zuletzt, da kann ich mich eigentlich nur auf Bundesrat Schreuder beziehen: Rule of Law. Es war damals gerade der österreichische EU-Vorsitz, der 2018 im Rat in der alten türkis-blauen Bundesregierung sehr professionell – ich war selber dafür zuständig – die Artikel-7-Verfahren Rule of Law gegen Ungarn und Polen durchgeführt hat. Also da müssen wir, glaube ich, auch bei den Fakten bleiben und sagen, dass wir das als Vorsitz sehr pro­fessionell und in Anerkenntnis dessen, was einfach die Fakten sind, durchgeführt haben.

Vielleicht nur ganz kurz, weil es vom einen oder anderen angesprochen wurde: Diese Berichte sind natürlich ein Blick nach hinten. Wir alle wissen aber jetzt schon, dass es uns nicht an Themen mangeln wird, wenn es dann darum geht, die Berichte 2020/2021 und folgende zu schreiben. Wenn ich sozusagen einen geopolitischen Ausblick in einem Satz machen müsste, dann würde ich sagen: Nach der Krise ist vor der Krise. Man hat sogar eher das Gefühl, dass Covid-19 ein Brandbeschleuniger ist, und wir müssen davon ausgehen, dass die massiven sozioökonomischen Folgen dieser Pandemie in Wirklich­keit politische Instabilitäten, die schon präsent sind, noch weiter anheizen und verstärken werden, gerade in den schwächsten Staaten.

Wenn man nur die Themenliste durchgeht, die momentan einen Außenminister massiv beschäftigen:

Äthiopien, ethnische und soziale Bruchlinien, die aufbrechen: Ich zitiere jemanden, der nicht zitiert werden will, einen internationalen Kollegen, der sagt: Äthiopien droht, das nächste Syrien zu werden. Die Situation ist zum Teil dramatischer, als sie in der Öffent­lichkeit dargestellt wird. Grenzstreitigkeiten mit dem Sudan werden militärisch ausge­fochten. Eritreische Truppen haben schon längst Fuß gefasst, wir haben weiterhin kei­nen humanitären Zugang in die Region und Vermittlungsbemühungen stoßen weiterhin auf taube Ohren.

Jemen: die größte humanitäre Katastrophe weltweit; 80 Prozent der Bevölkerung sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, und mehr als die Hälfte der Bevölkerung von circa 30 Millionen Menschen hat nicht genügend zu essen. Ja, wir Österreicher haben unsere Hilfe doch auf namhafte 6 Millionen Euro aufgestockt, aber wir wissen, das ist nur ein Notverband, eine Notfallmaßnahme, ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Wunde, die im Jemen seit Jahren geschlagen wird, wird nicht durch humanitäre Hilfe zu heilen sein, sondern es braucht hier in Wirklichkeit eine politische Lösung, die noch in weiter Ferne liegt.

Myanmar: Sie alle lesen das in den Medien. Wenn man Myanmar beobachtet, fühlt man sich in die Vergangenheit versetzt, sozusagen ins Zentral- oder Lateinamerika der Sech­zigerjahre. Die Militärjunta wird immer aggressiver, immer brutaler. Die Proteste werden immer brutaler niedergeschlagen. Trotz Ausnahmezustand, trotz Verhaftungen, trotz täglicher Berichte über Tote gehen die Proteste aber weiter, und ich glaube, es ist ganz richtig, dass die Europäische Union da eine sehr klare Linie gefunden hat und einmal als ersten Schritt die gesamte EU-Entwicklungshilfe auf Eis gelegt hat, Sanktionen in den Raum gestellt und die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen, natürlich allen voran jene von Aung San Suu Kyi, gefordert hat. (Zwischenruf des Bundesra­tes Schennach.)

Hongkong, Belarus, Russland: Auch da stehen die demokratiepolitischen Ampeln klar auf Rot, und ja, ich stehe auch dazu: Wir haben uns nach einer langen, sehr intensiven Debatte beim letzten EU-Außenministerrat auf weitere sehr präzise, gezielte Sanktionen gegen Russland, gegen Personen im Bereich der Staatsanwaltschaft und des Strafvoll­zugs geeinigt, aber wir müssen hier weiterhin doppelgleisig fahren: einerseits Kante dort, wo notwendig, andererseits Dialog dort, wo möglich.

Ich will aber nicht nur negative Entwicklungen erwähnen, es gibt auch einige Bereiche, in denen es durchaus positive Entwicklungen gibt. Ein Bereich wurde hier schon er­wähnt: zum Beispiel Libyen. Dort gibt es jetzt zum ersten Mal wieder eine Übergangsre­gierung. Die Waffen schweigen vorübergehend, im Dezember sollen Wahlen stattfinden. Die Regierung wurde jetzt gerade vom Parlament bestätigt und, was schon bemerkens­wert ist, es gibt fünf weibliche Ministerinnen, auch das Außenministerium wird künftig von einer Frau geleitet. Das halte ich für ein sehr encouragierendes Signal, aber man darf nicht allzu optimistisch sein: Es gibt noch keine Regelung zum Abzug der Söldner und der internationalen und ausländischen Truppen, die dort aktiv sind, und wir sind weiterhin nicht in der Lage, dem massiven Waffenschmuggel, der in Richtung Libyen stattfindet, wirklich Einhalt zu gebieten.

Zweites sehr vorsichtig positives Zeichen: Iran. Ich muss wirklich dem Leiter der Interna­tionalen Atomenergiebehörde hier in Wien, Rafael Grossi, Dank und Lob aussprechen, der es in seinen Verhandlungen vor zwei Wochen in Teheran sozusagen 5 Minuten vor 12 geschafft hat, eine dreimonatige Atempause zu verschaffen. Jetzt haben wir für drei Monate ein kurzes Mondfenster, in dem vielleicht noch die Diplomatie einsteigen kann. Noch haben wir eine Pattstellung, noch haben wir die Situation, dass beide Seiten nicht nachgeben wollen, aber es gibt zumindest die Möglichkeit, dass hier Diplomatie wieder greift. Wien steht natürlich als Austragungsort für diese Gespräche zur Verfügung.

Letzter Punkt, der schon angesprochen wurde und der mir – und ich glaube, uns allen hier – sehr wichtig ist: Auch da, glaube ich, gibt es einen breiten Konsens in diesem Haus: der Westbalkan, unsere Nachbarschaft im weitesten Sinne. Ich freue mich sehr, dass da wieder Bewegung reingekommen ist. Offen gestanden, 2020 war ein verlorenes Jahr für diese Region. Es ist mir sehr wichtig, und das merke ich auch in den Gesprä­chen: Wir dürfen nicht den Eindruck vermitteln, dass Europa nur auf sich selbst schaut, mit sich selbst beschäftigt ist und wir auf diese Region vergessen.

Das dürfen wir schon als Österreicher gar nicht zulassen. Nicht nur, dass wir Investor Nummer eins dort sind, wir haben auch eine halbe Millionen Menschen hier in Öster­reich, die familiären Hintergrund in dieser Region, die Beziehungen dorthin haben. Wir sind kulturell verflochten. Für uns ist es also eine wesentliche Wahrnehmung von Eigen­interesse, dass wir uns für diese Region einsetzen, und ich freue mich sehr, dass wir jetzt, neun Mitgliedstaaten gemeinsam, eine Initiative gestartet haben, dass wir eine strategische Diskussion – oder ich sage einmal, eine strategischere Diskussion – auf Ratsebene in der EU zum Westbalkan haben wollen.

Ich habe gerade diese Woche gemeinsam mit meinem tschechischen und slowakischen Kollegen im Rahmen des sogenannten Slavkov-Formats oder Austerlitz-Formats, wo gerade wir – Österreich – den Vorsitz führen, mit dem portugiesischen Kollegen gespro­chen, und er hat mir zugesichert, dass sie dieser Region dieses Jahr wieder mehr Auf­merksamkeit schenken wollen. Auch die slowenische Präsidentschaft ab Juli hat da ein sehr großes Ambitionsniveau.

Ich glaube, wir müssen – und da sind wir uns in diesem Haus vermutlich einig – alles daransetzen, dass 2021 nicht wieder ein verlorenes Jahr für diese Region wird, denn es gibt in der Politik kein Vakuum. Wenn sich Europa abwendet, werden andere, dritte Staa­ten, dritte Akteure in dieses Vakuum hineinstoßen. Wir sehen es jetzt teilweise auch schon bei der sogenannten Impfpolitik, dass da China oder Russland versuchen, klar ihre Narrative vorzubringen. Also ich glaube, da haben wir ein gemeinsames Interesse, und ich freue mich, dass Österreich sich da auf jeden Fall weiterhin engagiert zeigen wird und dass die Hoffnung besteht, dass 2021 für die EU-Annäherung des Westbalkans ein besseres Jahr werden wird. – Danke. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

22.39

Präsident Mag. Christian Buchmann: Nächster Redner ist Bundesrat Peter Raggl. – Bitte, Herr Vizepräsident.