16.48

Bundesrat Dominik Reisinger (SPÖ, Oberösterreich): Herr Bundeskanzler, es macht immer wieder aufs Neue fassungslos, wie Sie, ohne mit einer Wimper zu zucken, so wichtige und zentrale Fragen einfach vom Tisch wischen! Ich frage Sie hier: Wer sonst als der Regierungschef selbst ist in der Verantwortung, solche zentralen Fragen bei einem so wichtigen Thema zu beantworten – Ressort hin oder her? (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der FPÖ.) Ich kann Ihnen auch gleich sagen, dass wir nicht lockerlassen werden. Es folgen natürlich auch schriftliche Anfragen an Sie und an die Ministerien.

Nun zu meinem Redebeitrag. Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor allem auch liebe Zuhörerinnen zu Hause! „Allein­erziehende fordern nachhaltige Hilfen“, „Jeder sechste Haushalt kann Fixkosten nicht mehr stemmen“, „Wir züchten uns ein riesiges Armutsproblem“, „Armut erreichte Mitte der Gesellschaft“, „Eine Krise der Kinderarmut“, „Schau auf dich, schau auf mich: Wer schaut auf die Kinder?“ (Beifall bei der SPÖ.) – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das sind nicht meine Worte, nein, das ist ein Auszug von Schlagzeilen der letzten Wochen aus den österreichischen Medien. Es sind ernüchternde Schlagzeilen, die bei uns die Alarmglocken läuten lassen und uns eigentlich zum dringenden Handeln auffordern sollten.

Die Coronakrise – das ist kein Geheimnis mehr – hat sich längst von der Gesund­heits­krise zu einer Wirtschafts- und Finanzkrise ausgeweitet und schlägt gerade jetzt dra­matisch auf die Familien durch. Wenn ich ganz pauschal von Familien spreche, meine ich die unterschiedlichsten Familienformen, egal ob AlleinerzieherInnen, ob Ein- oder Mehrkindfamilien.

Es ist absolut alarmierend und für die Betroffenen beängstigend, wenn man sich an­schaut, wie sich die Coronakrise auf die wirtschaftliche Situation der Haushalte auswirkt. Jeder sechste Haushalt – das sind in Österreich rund 500 000 Haushalte – kann seine Fixkosten nicht mehr bezahlen. Vier von zehn Haushalten müssen finanzielle Einbußen hinnehmen. Im Schnitt sind das rund 640 Euro pro Monat, die weniger zur Verfügung stehen. Wird das Einkommen durch selbstständige Arbeit erwirtschaftet, erhöht sich das Minus sogar auf rund 1 000 Euro pro Monat.

Dann gibt es noch regionale Unterschiede, die sich durch den sogenannten Touris­mus­effekt ergeben. Das heißt, dass diese Einkommenseinbußen verstärkt vor allem in den Ländern Burgenland, Salzburg und Tirol auftreten.

Wenn man vor Augen hat, dass fast die Hälfte der Familien davon betroffen ist, kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergeben. Dieses Gefühl habe ich aber, wenn ich mir das zögerliche Handeln der Bundesregierung anschaue. Herr Bundeskanzler, das von Ihnen als großer Wurf gefeierte Familienpaket ist kein großer Wurf, ganz im Gegen­teil, es hat enorme Schwachstellen. Es ist nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, es verpufft noch während der Beschlussfassung hier im Parlament, weil es einfach zu wenig ist, was Sie da für die Familien und die Kinder tun.

Mit diesen Maßnahmen sichern Sie unsere Familien nicht nachhaltig ab, mit diesen Maß­nahmen nehmen Sie unseren Familien die Ängste und Sorgen nicht – nein, mit diesem Paket, das mehr den Anschein einer Almosengabe als den eines echten Hilfspaketes hat, geht die Krise in die nächste Runde.

Herr Bundeskanzler, ich frage Sie: Glauben Sie echt, dass man einer Familie, die Sozial­hilfe beziehen muss, mit einer Einmalzahlung in Höhe von 200 Euro wirklich und nachhaltig helfen kann? Wenn Sie das glauben, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn wir Ihnen Herz- und Empathielosigkeit vorwerfen.

Eines möchte ich auch noch von Ihnen wissen: Wohin ist denn eigentlich Ihr Verant­wortungsbewusstsein als höchster Repräsentant der christlich-sozialen Volkspartei verschwunden? – Mit christlich-sozial hat Ihre Politik nämlich nur mehr sehr wenig am Hut. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Bader.)

Im Grunde wäre es sehr einfach, wenn Sie nur den Experten Ihr Gehör schenken würden, denn auch die Expertise der Fachwelt stellt den Regierungsmaßnahmen kein gutes Urteil aus. Unisono hört man, dass diese Hilfen zu wenig, nicht zielgerichtet sind, sprich, nicht bei den Richtigen ankommen. (Bundesrat Schennach: Und langsam!) – Und langsam.

Dazu kommt, dass sich die prekäre finanzielle Situation der Familien natürlich im Kon­sumverhalten niederschlägt. Die Menschen müssen sparen, um wenigstens die Fix­kosten abdecken zu können. Dass das auch volkswirtschaftliche Auswirkungen hat, ist selbstredend. Damit lässt sich auch der Wirtschaftseinbruch, den wir derzeit erleben, besser erklären. Kurzum: Mit Ihrer Politik, Herr Bundeskanzler, lässt sich diese Krise weder für die Familien noch für den Staat abwenden beziehungsweise abfedern.

Leider wird auch die Langzeitarbeitslosigkeit in der nächsten Zeit ansteigen, und damit steigt auch die Armutsgefahr für die Betroffenen, klarerweise auch für die Kinder. Diese Krise wird sich zuspitzen, die Folgen sind Perspektivenlosigkeit und eine enorme psychi­sche Belastung. Die aktuelle Kriminalstatistik zeigt, dass sich diese psychische Druck­situation in ihrer Ausweglosigkeit immer öfter in Form von Gewaltausübung entlädt. Die Opfer sind Frauen und Kinder: Unfassbare elf Frauenmorde bis jetzt in diesem Jahr – wir haben es heute schon mehrmals gehört – und überfüllte Kinderpsychiatrien sind eine erschütternde und beängstigende Bilanz, die wir als SPÖ keinesfalls hinnehmen können und werden. (Beifall bei der SPÖ.)

Um dieser dramatischen Entwicklung entgegenzuwirken, ist dem Gewaltschutz jetzt oberste Priorität einzuräumen. Wo sind aber Ihre Konzepte dazu, Herr Bundeskanzler? Die Erfolgschancen des Gewaltschutzgipfels vom Montag sind ja gleich null, wenn man gleichzeitig ausruft, dass weder mehr Geld noch mehr Personal zur Verfügung gestellt wird. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich gebe zu, Sie sind aufgrund des Drucks einen Tag später zurückgerudert, die gleichen Fragen aber bleiben: Was und wie viel kommt wann und hilft wem? (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.)

Nun einige Worte zu den Vorgängen an unserer EU-Außengrenze: Auch davon sind Familien und Kinder massiv betroffen. Wir haben das mehrmals hier im Parlament thematisiert: Die Vorgänge sind beschämend, die Zustände in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln sind mit unseren europäischen und auch österreichischen Grundwerten in keinerlei Hinsicht vereinbar. Andererseits wird – und da sage ich: Gott sei Dank – die Allianz der Hilfsbereitschaft immer und immer größer. Ob die Initiative Bürgermeister mit Herz aus Oberösterreich, die klare Positionierung der Bischöfe und der Kirche in dieser Frage oder die vielen Aktivitäten in der Zivilgesellschaft: Es werden täglich mehr, die da ein konsequentes Handeln der Regierung, vor allem die Rettung von Kindern und Familien aus diesen unmenschlichen Situationen, fordern. Herr Bun­deskanzler, stellen Sie sich nicht länger ins Abseits und werden Sie endlich aktiv!

In dieser Angelegenheit gibt es vielerorts Initiativen für die dringend gebotene mensch­liche Lösung, so auch in meiner Gemeinde Haslach in Oberösterreich. Ich darf das kurz schildern: Unter dem Motto Hassfasten, 40 Tage Menschlichkeit wurden vor Ostern die gesamte Fastenzeit hindurch von der Pfarre, der Katholischen Jugend und dem Verein Mensch & Arbeit Kundgebungen und Aktionen gesetzt. In diesen 40 Tagen wurden viele Botschaften aus der Bevölkerung gesammelt, und diese Botschaften wurden mir mit der Bitte übergeben, ich möge sie der Bundesregierung überreichen. Diese Aktion läuft noch immer.

Herr Bundeskanzler, bei nächster Gelegenheit werde ich Ihnen diese Botschaften­samm­lung zukommen lassen. Ich hoffe sehr, dass diese Botschaften Sie zum Umdenken bewegen und Ihrer Politik eine menschliche Wende geben werden. Menschenrechte enden nämlich nicht an der eigenen Haustür, sie enden auch nicht an Landesgrenzen, sie gelten überall, für jedermann und jede Frau. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bun­desrates Arlamovsky.)

Noch eine Botschaft an die Grünen: Es würde Ihnen gut stehen, wenn Sie gerade bei diesem Thema mehr Druck auf Ihren Koalitionspartner ausüben oder aussprechen könn­ten. (Beifall bei der SPÖ.)

Abschließend darf ich folgenden Antrag einbringen:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Mag. Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Richtlinien zum Familienhärteausgleich“

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Frauen, Familie, Jugend und Integration im Bundeskanzleramt, wird aufgefordert, die Richtlinien des Corona-Familienhärtefonds dahingehend zu ändern, dass

- geringfügig Beschäftigte einen Anspruch auf Zuwendung auf den Familien­härte­aus­gleich erhalten;

- bei getrennt lebenden Eltern beide Elternteile Anspruch auf Zuwendung haben, sofern Unterhalt für die Kinder bezahlt wird;

- Selbstständige, unabhängig vom Anspruch auf Zuwendung durch den Härtefonds der WKO, Anspruch auf Zuwendung durch den Corona-Familienhärtefonds haben,

- Personen, die innerhalb der letzten 12 Monate mehr als drei Monate arbeitslos oder in Kurzarbeit waren, ein weiteres Mal Unterstützung aus dem Familienhärteausgleich er­halten.“

*****

Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

17.00

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Der von den Bundesräten Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „Richtlinien zum Familienhärteausgleich“ ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Ver­handlung.

Des Weiteren zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Marlene Zeidler-Beck. Ich erteile ihr dieses.