18.40

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Werter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! Herr Bundesminister, wenn man Ihren Bericht zum Arbeitsprogramm 2021 liest, beschleicht einen das Gefühl, er wurde unter dem Motto: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste!, erstellt, aber übermäßige Vorsicht verhindert notwendige Veränderun­gen zum Positiven.

Oder ist diese extreme Zurückhaltung und teilweise sogar Ablehnung all der Ver­besserungsvorhaben der EU dem Umstand geschuldet, dass man bei der eigenen ÖVP-Spendergruppe nicht anecken wollte? Das wäre ganz schlecht, denn das geht auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Klein- und Mittelbetriebe.

Herr Bundesminister, können Sie bitte erklären, warum Sie sich nicht am Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping in Europa beteiligen? Der Kampf für europaweit faire Löhne und gegen Sozialdumping ist gerade jetzt eine der wichtigsten europäischen Bemü­hungen. Es liegt ein Vorschlag der EU vor, da aktiv zu werden die Richtlinie über ange­messene Mindestlöhne in der EU , und Sie lehnen ihn ab. Dabei ist der Vorschlag ja sehr umsichtig formuliert, er legt weder ein gemeinsames Mindestlohnniveau fest, noch verpflichtet er die Mitgliedstaaten zur Einführung gesetzlicher Mindestlöhne.

Länder, in denen weniger als 70 Prozent der ArbeitnehmerInnen tarifvertraglich abge­deckte Löhne haben, müssen demnach einen Aktionsplan vorlegen. Länder mit gesetz­lichen Mindestlöhnen sollen klare Kriterien zur Festlegung des Mindestlohns anwenden. Für 24 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Europa würde diese Richtlinie höhere Löhne bedeuten. Dazu muss man aber wissen, dass 20 Millionen Beschäftigte in Europa nicht von ihrer Arbeit leben können. Und wenn das eine Regierung nicht dazu motiviert, die Richtlinie zu unterstützen, dann fehlt ihr halt das Herz für die Arbeitneh­merinnen und Arbeitnehmer, aber das haben wir schon oft erlebt.

Wettbewerbsdruck und ein niedriger gewerkschaftlicher Organisierungsgrad sind nur zwei Gründe, warum Löhne und Gehälter auch in der EU oft nicht zum Leben reichen, Betriebspleiten in Krisen tun ihr Übriges. Jeder zehnte Beschäftigte in der EU ist trotz Arbeit armutsgefährdet. Zwar gibt es in 21 Mitgliedsländern gesetzliche Mindestlöhne, aber die sind vielerorts zu niedrig, das Gefälle zwischen den Ländern ist extrem groß. Liegt der Bruttomindestlohn in Luxemburg bei monatlich 2 140 Euro, so sind es in Bulgarien 310 Euro. Vor allem ist das nicht nur ein Problem vor Ort, sondern es hat Einfluss auf die umliegenden Staaten. Beispiel Österreich: Wenn in Ungarn, Tschechien und der Slowakei der Durchschnittslohn niedriger ist, bezahlen österreichische Betriebe ungarischen, tschechischen und slowakischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern viel weniger, als es in Österreich üblich ist. Ob Tourismus oder Gastronomie, Bau­gewerbe oder 24-Stunden-Betreuung: Sie funktionieren, weil ausländische Arbeitskräfte in Österreich zu Billiglöhnen arbeiten.

Die Betriebe drohen auch gern mit der Möglichkeit, ins billige Ausland abzuwandern. Wir erleben das ja jetzt ganz stark bei den Ereignissen rund um MAN. Österreich ist ein Hotspot für Arbeitskräftemobilität, mit vielen Pendlern und Pendlerinnen aus den angrenzenden Nachbarländern. Am Ende heißt das, Lohndruck für alle Beschäftigten in diesen Branchen. Ich darf darauf hinweisen, dass die Bruttomonatseinkommen bei Voll­zeitbeschäftigung in Bulgarien 617 Euro betragen, in Rumänien 955, in Ungarn 1 020, in Polen 1 167. Im Vergleich dazu liegt das Bruttomonatseinkommen in Österreich bei 2 946 Euro.

In Brüssel kursiert dazu ein Brief, den Sie, Herr Bundesminister, unterstützt und unter­zeichnet haben, gemeinsam mit den Ministern aus acht weiteren EU-Ländern. Sie ver­weisen auf ausstehende Erläuterungen des juristischen Dienstes, machen aber klar, dass Sie ohnehin keine verbindlichen Vorgaben zu Mindestlöhnen wollen, sondern bloß Empfehlungen. Folglich müsste ja niemand etwas in Bewegung setzen. „Wir denken,“ – so darf ich zitieren – „dass eine Empfehlung ein besseres rechtliches Instrument ist, weil es den Mitgliedsstaaten die Flexibilität ermöglicht, die Ziele des Vorschlags zu er­reichen“, schreiben Sie, Herr Bundesminister, und die Ministerkollegin in dem Brief. Das heißt übersetzt, an Empfehlungen müssen sich die Staaten nicht halten, weshalb sie flexibler in Bezug auf Mindestlöhne bleiben.

Wir sind recht stolz und wirklich von ganzem Herzen stolz auf den hohen Grad der kollektivvertraglichen Deckung in Österreich. 98 Prozent der unselbstständigen Beschäf­tigungsverhältnisse sind durch Kollektivverträge geregelt – eine Leistung der funktio­nie­renden Sozialpartnerschaft in Österreich, im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und auch im Interesse der Wirtschaft. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten und auch die Gewerkschaft sehen den Richtlinienvorschlag als positiv. Die Gefahr der Aushöhlung des Kollektivvertrags­sys­tems in Österreich ist wohl nicht gegeben, da der Vorschlag ja sehr vorsichtig formuliert ist. Wir werden uns ganz vehement dafür einsetzen, dass aus der Richtlinie keine Empfehlung wird. Ich darf die klaren Worte des ÖGB-Präsidenten Katzian zitieren, er sagt: Eine Empfehlung ist zwar nett, aber am Ende des Tages kannst es einrexen, weil in Wirklichkeit kannst du dann machen, was du willst. – Zitatende. (Heiterkeit der Bun­desrätin Grimling.)

Herr Bundesminister, zaudern Sie auch nicht bei der Umsetzung der Verbesserung für Plattformbeschäftigte! Wenn sich die Regierung so intensiv der Förderung der digitalen Weiterentwicklung in unserem Land annimmt, was ja durchaus positiv ist, dann müsste ja der logische Schritt sein, dass Sie sich gegen die Ausbeutung von Menschen, die Dienstleistungen über Plattformen erbringen, einsetzen. Nein, logisch ist das nur, wenn man ein Herz für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hätte, und das fehlt der Regierung wieder einmal. Sie sagen im Bericht nur, dass Sie prüfen werden und verweisen auf einen bisher umfangreich bestehenden Rechtsbestand. Das heißt über­setzt, es braucht da keine Verbesserungen mehr, es ist eh schon alles da, ist schon alles vorhanden.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden den Bericht nicht zur Kenntnis nehmen. Diese brennenden Themen verlangen ein beherztes Handeln für die Zukunft Europas und die Zukunft der Arbeit. Die Haltung der Regierung wir prüfen und ist eh schon alles ausreichend geregelt oder wir lehnen ab  verhindert eine positive Ent­wicklung in Richtung eines wirklich sozialen Europas, eines Europas, in dem die Be­schäftigten gute Arbeitsbedingungen und gerechte Chancen haben und ordentlich be­zahlt werden.

Nur das wird in und nach der Pandemie den Zusammenhalt und den sozialen Frieden garantieren. Vom EU-Sondergipfel morgen und übermorgen in Porto könnte ein wich­tiges Signal des Aufbruchs ausgehen, eben die Initiative für europäische Mindestlöhne, Verbesserung der Plattformarbeit, mehr Demokratie in der Arbeitswelt und vor allen Dingen der Versuch, die Einkommensschere zwischen Frauen und Männern zu schließen – da muss gehandelt werden, auf europäischer Ebene und auch in Österreich ist noch extrem viel zu tun, unsere Einkommensschere ist bei Weitem zu groß.

Im Zusammenhang mit den ambitionierten und ganz, ganz wesentlichen Klimazielen der EU werden wir nur dann erfolgreich sein, wenn die soziale Situation für alle Menschen abgesichert ist. (Beifall bei der SPÖ.) Ein sozial gerechter Übergang im bereits voll im Gange befindlichen Wandlungsprozess von Arbeit und Wirtschaft muss das Ziel allen politischen Arbeitens sein. Wir Sozialdemokraten wissen ganz sicher, ein Green Deal funktioniert nur mit einem Social Deal. Wir lassen niemanden zurück (Zwischenruf bei der ÖVP), dazu stehen wir auf jeden Fall. (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn Sie, Herr Minister, jetzt vielleicht sagen: Na ja, das ist das Gesagte, die übliche Oppositionskritik!, muss ich sagen: Nein, ganz und gar nicht! Diese Bundesregierung richtet ihr Handeln ja immer fokussiert auf Umfrageergebnisse aus, ich darf Ihnen das Ergebnis der Umfrage des Eurobarometers 2021 zur Kenntnis bringen: 88 Prozent der Europäerinnen und Europäer sagen, dass ihnen ein soziales Europa wichtig ist.

Ich hoffe, dass Sie zumindest dieses Befragungsergebnis dazu motiviert, Ihre Haltung endlich zu ändern. Glück auf! (Beifall bei der SPÖ.)

18.48

Präsident Mag. Christian Buchmann: Ich begrüße bei uns im Bundesrat Frau Staats­sekretärin Andrea Mayer. Herzlich willkommen! (Beifall bei BundesrätInnen von Grünen, ÖVP, SPÖ und FPÖ.)

Ich erteile Frau Bundesrätin Heike Eder das Wort. – Bitte.