10.43

Bundesrat Sebastian Kolland (ÖVP, Tirol): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Bun­desministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mit einer hoffentlich breiten Mehrheit wird heute auch der Bundesrat die rechtlichen Voraussetzungen für die Europäische Staatsanwaltschaft schaffen, die mit 1. Juni – nicht mit 1. Juli, sondern mit 1. Juni, also in wenigen Tagen – ihre Arbeit aufnehmen wird. Es ist ein Projekt, das sehr, sehr lange vorbereitet wurde. Bereits bei der Regierungskonferenz in Nizza im Jahr 2000 ist dieses Vorhaben erstmals diskutiert worden. Es ist also nicht so, dass das übers Knie gebro­chen worden wäre, sondern es ist auch ausführlich vorbereitet worden.

Es geht um die Bekämpfung von missbräuchlicher Verwendung von EU-Mitteln. Ich glau­be, das ist ein Anliegen, das uns hier allen wichtig sein sollte. Es ist nun einmal ein riesiger Kuchen, den es da zu verteilen gibt. Der EU-Finanzrahmen 2021 bis 2027 um­fasst insgesamt 1,8 Billionen Euro – eine riesige Summe –, und von diesen 1,8 Billionen Euro fließt natürlich ein großer Teil in Fördermittel, in Unterstützungsmittel. Wo so viel Geld im Spiel ist, gibt es natürlich auch Menschen und Organisationen, die Interesse daran haben, einen gewissen Teil abzuzweigen und auf ihre Konten umzuleiten.

Natürlich war die Bekämpfung – Kollege Hübner hat es gesagt – von Fördermittelbetrug bereits jetzt möglich. Ja, natürlich, das stimmt, bei internationalem Betrug steht das aber natürlich immer auch in Verbindung mit langwierigen und aufwendigen Verfahren der justiziellen Zusammenarbeit. Ich glaube, bei diesen Verfahren ist es einfach wichtig, dass große Dynamik und Tempo drinnen sind, um auch entsprechend effektiv dagegen vorgehen zu können.

Die Erfahrung hat uns nun einmal gelehrt, dass es bei organisiertem internationalen Unrecht gescheit ist, wenn man auch entsprechend international darauf reagiert und die europäische Zusammenarbeit forciert. Das Problem – die Vorrednerin hat es bereits erwähnt – ist ein großes. Wir reden von 1,2 Milliarden Euro im Jahr 2018, die die Natio­nalstaaten als Betrugssummen eingemeldet haben. Im Bereich der Mehrwertsteuer ist die geschätzte Schadenssumme um ein Vielfaches höher. Die Schätzungen gehen von 30 bis 60 Milliarden Euro, also bis zu einem Drittel des österreichischen Staatshaushalts. Es ist also eine riesige Summe, über die wir hier reden. Das ist kein Bagatelldelikt, son­dern es ist schwerer Betrug an allen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern in der Euro­päischen Union, die mit ihren Zahlungen erst das Fundament für diese Europäische Uni­on schaffen. Wer, wenn nicht wir als Nettozahler in der Europäischen Union, muss das größtmögliche Interesse haben, dass diese Mittel dem Zweck entsprechend verwendet werden, und zwar dort, wo sie auch nutzen und Sinn stiften?

Die Europäische Union hat mit der Staatsanwaltschaft genau dieses Ziel verfolgt, näm­lich den Schutz von Steuergeld und damit auch den Schutz von nationalem Interesse Österreichs als Nettozahler.

Die Frage des Subsidiaritätsprinzips ist natürlich berechtigt. Die Diskussion wurde in den letzten Jahren deshalb ja auch ausführlichst geführt. In mehreren nationalen Parlamen­ten hat es Subsidiaritätsrügen gegeben, sozusagen die Gelbe Karte, sodass man sich noch einmal intensiv Gedanken gemacht hat. Viele dieser nationalen Parlamente haben aber mittlerweile auch zugestimmt, die Europäische Staatsanwaltschaft ins Leben zu rufen. Es ist ja auch ein positives Anzeichen – weil Sie mehrere Länder angeführt haben, die offenbar auch den Sinn nicht erkennen –: 2017, als dieser Beschluss gefasst wurde, waren es 20 Länder, die mit dabei waren, jetzt zum Start, 2021, sind es bereits 22 Län­der. Ich bin überzeugt, dass Länder wie Schweden, wie (Bundesrat Hübner: Dänemark!) Dänemark und wie Irland ebenfalls noch mit an Bord kommen werden. Bei Polen und Ungarn bin ich mir nicht so sicher, aber vielleicht lassen sich auch diese Länder über­zeugen, weil dieses Vorhaben meines Erachtens einfach Sinn macht.

Ich bin bei Gott keiner, der sofort in die Hände klatscht, wenn es darum geht, dass na­tionale Verantwortlichkeiten auf europäische Ebene gehoben werden, aber dort, wo es um internationale Ereignisse, um internationale Betrugsfälle geht, macht es meines Er­achtens einfach Sinn, das auch auf dieser Ebene zu bekämpfen. Es ist ja nicht so, dass das Ganze jetzt ausgelagert wird und wir außen vor wären. Es ist nämlich so: Die Euro­päische Staatsanwaltschaft wird die entsprechenden Verfahren nach wie vor vor den nationalen Gerichten führen. Es ist also eine Hybridstruktur mit einem zentralen Bereich, angesiedelt in Luxemburg, und mit dezentralen Staatsanwälten in den jeweiligen Län­dern.

Wie gesagt, ich glaube, bei all diesen Dingen ist es wichtig, dass man nicht einem anti­europäischen Reflex aufsitzt, sondern durchaus mit Pragmatismus an die Sache heran­geht. Genau aus diesen Überlegungen heraus macht die Europäische Staatsanwalt­schaft für mich und für uns von der Volkspartei Sinn. Sie ist ausgewogen, sie ist durchaus viel diskutiert, Verbesserungen, die auch notwendig waren, wurden eingearbeitet, und ich bin überzeugt, sie wird sich auch bewähren. Deshalb bitte ich um Zustimmung. – Herzlichen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

10.48

Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bun­desrat Stefan Schennach. – Bitte, Herr Bundesrat.