Antrittsansprache des Präsidenten

Präsident Dr. Peter Raggl: Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Es freut mich, dass wir uns heute schon wieder sehen – in aller Frische. Geschätzte Frau Landtags­prä­sidentin auf der Galerie! Meine lieben Familienmitglieder! – Da haben es offensichtlich noch nicht alle geschafft aufzustehen. Meine lieben Mitarbeiter aus dem Tiroler Bauern­bund! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseher via Livestream, aber auch liebe Zuseher via ORF III! Ich darf euch alle recht herzlich hier im Bundesrat beziehungsweise vom Bundesrat aus begrüßen!

Am 1. Juli haben wir – Tirol – in einem sehr feierlichen Festakt auf Schloss Ambras die Präsidentschaft im Bundesrat von der Steiermark, von Präsident Christian Buchmann, übernehmen dürfen. Gemeinsam mit meinen KollegInnen im Präsidium, Günther Novak aus Kärnten und der Vorarlbergerin Christine Schwarz-Fuchs, führe ich nun die nächsten sechs Monate den Vorsitz in der Länderkammer.

Ich habe das Amt des Bundesratspräsidenten mit großer Freude übernommen, weil ich überzeugt bin, damit gemeinsam mit meinen Vorgängern, aber auch mit meinen Nach­folgern einen wesentlichen Beitrag für die Weiterentwicklung des Bundesrates leisten zu können.

Lieber Herr Landeshauptmann, ich möchte dir, aber auch dem Tiroler Landtag auch an dieser Stelle noch einmal ein recht herzliches Dankeschön für die große Ehre sagen, die mir durch die Übertragung der Präsidentschaft durch den Tiroler Landtag zuteilgeworden ist. Ein herzliches Dankeschön auch dafür, dass wir gestern mit dem landesüblichen Empfang und dem Tirolabend den Beginn des Vorsitzes würdig und, wie ich glaube, für den einen oder anderen auch unvergesslich und gebührend feiern konnten.

Ich bin sehr stolz, die Tiroler Fahne weht seit gestern vor dem Parlament – die Hofburg ist derzeit also in Tiroler Hand. Die Präsidentschaftskanzlei ist ja nicht so weit entfernt, unser Bundespräsident stammt ja auch aus Tirol, er ist Landecker. Wir sind sehr stolz darauf, dass wir gemeinsam mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen in der Hofburg ein bisschen etwas machen dürfen.

Ich bedanke mich ganz ausdrücklich bei meinem Vorgänger im Amt, dem steirischen Bundesrat Christian Buchmann. Christian, du hast dem Ruf des Bundesrates als Zu­kunfts- und Europakammer alle Ehre gemacht und den Vorsitz sehr souverän geführt. (Allgemeiner Beifall.)

Deine Initiativen zur Konferenz zur Zukunft Europas haben, glaube ich, einen sehr wichtigen Beitrag Österreichs geleistet, um Europa wieder näher an die Bürgerinnen und Bürger heranzubringen. Lieber Christian, noch einmal herzlichen Dank für deinen Ein­satz und deine erfolgreiche Präsidentschaft.

Den gestrigen Abend, ich habe ihn schon angesprochen, konnten wir ja beinahe so feiern, wie wir es von früher gewohnt waren, in einer gewissen Normalität. Ich bin über­zeugt, dass die nächsten sechs Monate meiner Präsidentschaft unter einem sehr guten Vorzeichen stehen. Meine geplanten Veranstaltungen werden hoffentlich ohne größere Einschränkungen stattfinden können. Die Halbjahre meiner letzten drei Vorgänger waren ja von der Pandemie gezeichnet: Noch nie hatten wir so viele Sitzungen und Sonder­sitzungen im Bundesrat zu bewältigen, und ich bin sehr froh, dass jetzt voraussichtlich wieder Normalbetrieb im Parlament einziehen kann.

Mittlerweile haben wir das Virus im Griff, und mit vollem Elan können wir alle darangehen, die Wirtschaft wieder anzukurbeln.

Ich habe für meine Präsidentschaft das Motto „Starke Regionen, starke Republik“ ge­wählt. Damit wird das von meinen Vorgängerpräsidentschaften begonnene General­thema nach dem Masterplan Ländlicher Raum, damals initiiert von unserem Landwirtschafts­minister Andrä Rupprechter, fortgeführt – und ich glaube, es ist in der Zwischenzeit auch im Bundesrat sehr erfolgreich angekommen. Ich werde dabei meine Schwerpunkte auf die Förderung der Chancengleichheit von Stadt und Land legen sowie versuchen, eine noch bessere Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und Tourismus nach der Pandemie zu erreichen.

Tirol wird jetzt mit großer Motivation darangehen, verloren gegangene Arbeitsplätze im Tourismus wiederzubeleben, Arbeitsplätze abzusichern und neue zu schaffen, und wir werden zusammenhelfen, um der im Zusammenhang mit dieser Krise auch in Bedräng­nis geratenen Tiroler Landwirtschaft zu helfen, damit man gemeinsam positiv in die Zukunft schauen kann. Das wird eben durch eine noch bessere Zusammenarbeit zwi­schen Landwirtschaft und Tourismus geschehen. Wir wissen, gerade im vom Tourismus geprägten Land Tirol, aber auch in anderen Tourismusgebieten sind die Bereiche sehr voneinander abhängig.

Es braucht ein positives Zusammenspiel dieser Sektoren, weil sie einen sehr wesent­lichen Wirtschaftsimpuls für die österreichische Wirtschaft insgesamt geben können. Ich möchte während meiner Präsidentschaft mit vielen Partnern das Gespräch suchen und gemeinsam mit ihnen ressort-, sparten-, aber auch parteiübergreifende Perspektiven insbesondere für die ländlichen Regionen entwickeln.

Wir sind letzte Woche im Rahmen eines Fachgesprächs zum Thema „Post-Corona: Neue Impulse für Tourismus und Landwirtschaft“ im Palais Epstein zu dem Schluss gekommen, dass ein Coronaneustart in den Regionen untrennbar mit Tourismus und Landwirtschaft verbunden ist.

Der ländliche Raum, das müssen wir wissen, und damit auch der Vertretungsanspruch von uns Bundesräten, ist die Heimat von zwei Dritteln der österreichischen Bevölkerung. Es wohnen über fünf Millionen Menschen in ländlichen Gemeinden, und gerade des­wegen möchte ich die Tiroler Vorsitzführung nutzen, um Themen ins Zentrum zu rücken, die den Menschen am Land am Herzen liegen: von der Breitbandversorgung über Mobilität und Digitalisierung bis hin zur Nahversorgung und medizinischen Versorgung.

Wir brauchen in Österreich einen wirtschaftlich starken, lebendigen ländlichen Raum. Die Weichen für die Zukunft müssen wir jetzt stellen, damit das Leben am Land weiterhin attraktiv und lebenswert bleibt und die Abwanderung für die nächsten Generationen nicht zum Thema wird. Ziel der von mir initiierten Enquete am 20. Oktober hier im Haus wird es daher sein, neue Wertschätzung für den ländlichen Raum zu gewinnen. Die drei Bundesministerinnen Leonore Gewessler, Elisabeth Köstinger und Margarete Schramböck werden dazu sprechen, und der bekannte Zukunftsforscher Matthias Horx wird uns seine Vorstellungen von einer neuen Partnerschaft von Stadt und Land präsentieren – ich glaube, das ist ein sehr spannender Ansatz. Ich lade euch alle schon heute dazu ein.

Am Beispiel der Almwirtschaft werde ich dann gemeinsam mit unserem Landeshaupt­mann am 18. August auf einer Alm in meiner Region die politischen Rahmenbedingun­gen für Landwirtschaft und Tourismus ausleuchten und überlegen, wie wir mit den regionalen Stärken neu durchstarten können, um unsere Zukunft zu gestalten.

Es ist uns im Bundesrat in den letzten Jahren, glaube ich, sehr gut gelungen, diesen auch als Zukunfts- und Europakammer zu positionieren. Wir sind in vielen Bereichen Themensetzer, wie zum Beispiel – wenn ich an das Vorsitzmotto der Landtags­prä­sidentin denke – bei den Themen Pflege, Schutz des Trinkwassers – von Präsident Appé gewählt –, Digitalisierung, Entwicklung des ländlichen Raums oder beim Thema Zukunft Europas – von Präsident Buchmann gewählt. Mit diesen Themen waren wir den tages­politischen Diskussionen oft voraus.

Wir sind auch die Europakammer des Parlaments, und deshalb dürfen wir trotz der vielen Verschiedenheiten und Herausforderungen den Glauben an die Zukunft der EU nie verlieren. Europa ist unsere Heimat. Wir haben stets viel mehr, das uns verbindet, als das uns trennt. Natürlich sind dabei jene europäischen Grundregeln wie die Rechts­staatlichkeit oder die Freiheit der Meinung und damit der Medien in allen Mitgliedstaaten vollständig zu gewährleisten.

In einem geeinten Europa muss es so viel Föderalismus wie möglich und so viel Zen­tralismus wie nötig geben. Eine föderalistische Auslegung von Rechtsstaatlichkeit oder Meinungsfreiheit kann es jedenfalls nicht geben. Föderalismus ist dagegen im Wett­bewerb gefragt: Wer gute Lösungen hat, wer innovativ ist, soll nicht durch ein über­bordendes zentrales Regelwerk, vor allem in Brüssel, in der Weiterentwicklung behindert werden. Europa soll in einem Wettbewerb der Ideen stehen, in dem auch große Staaten von kleineren Staaten lernen können – etwa im Bereich der Digitalisierung, wo es gerade kleine Staaten sind, die den großen die Messlatte gelegt haben.

In Österreich haben wir diesbezüglich entsprechenden Aufholbedarf. Wir müssen uns noch gehörig anstrengen, um eines Tages ein digitaler Spitzenreiter zu sein und auch den Regionen eine faire Chance zu geben, ihnen den technischen Anschluss an die städtischen Gebiete zu ermöglichen. Da gibt es wirklich noch viel Potenzial für Inno­vationen zum gemeinsamen Besten von Stadt und Land. Gerade der Föderalismus trägt sich hier gemeinsam, um etwas zum Besten beizutragen. Mehr Gemeinsamkeit – das gilt für die EU, das gilt auf nationaler Ebene, und das gilt auch im Umgang der Bür­gerinnen und Bürger miteinander.

Ich habe schon eingangs erwähnt: Wir glauben, dass wir jetzt in einen parlamentarischen Normalbetrieb wechseln können. Covid‑19 wird uns trotzdem noch länger beschäftigen. Die Pandemie hat viele gute Eigenschaften in uns hervorgekehrt, etwa den Willen, einander zu helfen und aufeinander Rücksicht zu nehmen. Sie hat aber auch, und das ist die negative Seite, überbordenden Egoismus, Gleichgültigkeit gegenüber der Ge­mein­schaft und einen zunehmend feindseligen Umgangston, insbesondere in den sozia­len Medien, mit sich gebracht.

Der Herr Landeshauptmann hat es gestern schon angesprochen: Auch hier im Hohen Haus und zum Teil auch in den Landesparlamenten hat sich der Ton in den Debatten deutlich verschärft. Ich hoffe, und das wirklich inständig, dass mit dem Rückgang der Pandemie auch unsere Diskussionskultur wieder besser wird, denn wenn die Öffent­lichkeit von der Kampfrhetorik der Parlamentarier noch angespornt wird, wird sich die Situation mit Sicherheit nicht verbessern.

Bald wird diese Pandemie der Vergangenheit angehören, davon bin ich überzeugt. Wir alle werden uns dann fragen lassen müssen, was jeder Einzelne von uns dafür getan hat. Bleiben wir als Scharfmacher oder als verantwortungsvolle Mandatare, die sich für die Bürgerinnen und Bürger eingesetzt haben, die fähig waren, Kompromisse zu schließen und das Wohl des Ganzen über persönliche Profilierung zu stellen, in Erin­nerung?

2021 soll für uns alle ein Jahr des Aufbruchs, des Comebacks aus der Gesundheits- und Wirtschaftskrise werden. Gemeinsam sollen sich Bund und Länder, Gemeinden und Städte dafür einsetzen, dass wir unser gewohntes Leben Stück für Stück zurück­ge­winnen und unsere Wirtschaft wieder aufgebaut wird. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen – und damit komme ich zum Schluss –, ich lade euch alle herzlichst ein, in den nächsten Monaten in euren Ländern Botschafter unserer Zukunfts- und Europakammer zu sein und in gegenseitiger Wertschätzung ein positives Bild des Bundesrates in unserer Zukunft zu vermitteln. Dafür wünsche ich uns allen viel Erfolg. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen, bei BundesrätInnen der FPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)