17.33

Bundesrat David Egger (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher via Livestream! Nach einem schon sehr, sehr langen Tag haben sich auch bei der ÖVP die Bundesräte und Bundesrätinnen in der ersten Reihe wieder eingefunden. Das freut uns natürlich, sie sind wahrscheinlich schon vom Abendessen zurück. Ich werde mich kürzer halten als Kollege Bernard, das verspreche ich beziehungsweise versuche ich es zumindest.

Wie sehen der echte Lebensalltag und die Lebensrealität der Pendlerinnen und Pendler aus? Zu diesen zähle ich mich selbst, zu diesen zähle ich meine Nachbarinnen und Nachbarn, gute Bekannte und Freunde. Wie wir alle wissen, müssen in Österreich mehr als die Hälfte der Erwerbstätigen aus ihrem Wohnort auspendeln, um zur Arbeit zu kommen, und das jeden Tag. Sie stehen jeden Tag im Stau, sie warten auf einen Anschlusszug, sie warten auf einen Bus, sie verpassen vielleicht die Verbindung. Ich glaube, Kollege Leinfellner hat das heute schon gesagt: Jeder vierte Pendler braucht 90 Minuten in die Arbeit. Das sind 90 Minuten Lebenszeit, 90 Minuten, die man bei der Familie verbringen kann, 90 Minuten, die man mit seinem Hobby, den Liebsten oder in den Vereinen verbringen könnte, und diese 90 Minuten rauben wir diesen Menschen. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Wie sieht die Lebensrealität aus, wenn man 90 Minuten für den Weg in die Arbeit braucht? – Viele haben nicht einmal die Möglichkeit, auf Öffis umzusteigen, denn diese gibt es in ihrem Wohngebiet gar nicht, wie Kollegin Lancaster heute schon erzählt hat.

Ein Pendlerbeispiel aus Salzburg möchte ich Ihnen mitgeben, und wir reden da nicht – unter Anführungszeichen – von einem Tal irgendwo im Lungau, im Pongau oder im Pinzgau, sondern wirklich von einem Ort im Zentralraum. 18,4 Kilometer entfernt vom Salzburger Hauptbahnhof liegt die Gemeinde Ebenau. Das ist ein Katzensprung mit dem Auto. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln kommt man jedoch nach Viertel nach sieben am Abend, also nach 19.15 Uhr, nicht mehr nach Hause. Im Hinblick darauf meine Frage: Was ist mit den Leuten, die im Handel arbeiten? Dort ist auf gut Deutsch nach 19 Uhr Sperrstunde, wie wir wissen. Was ist mit den Leuten, die bei der Polizei arbeiten, wenn jemand zum Beispiel einmal länger an einem Bericht schreibt? Was ist mit den Leuten, die als Pflegerinnen oder Pfleger in Krankenhäusern arbeiten? Diese Leute kommen nicht mehr nach Hause, und da reden wir von wochentags, von Montag bis Freitag, und nicht vom Wochenende. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Wahrheit ist, dass das kein Einzelfall ist. Dabei handelt es sich um den Zentralraum von Salzburg. Das ist kein Einzelfall. Das gibt es in jedem Bezirk im ganzen Bundesland Salzburg, und ich traue mich zu wetten, dass es das in ganz Österreich in jedem Bundesland gibt. – Ich meine, dafür sollten wir uns eigentlich ein bisschen schämen. Es ist nämlich auch die Wahrheit, dass wir jetzt eine Strafsteuer, wie ich die NoVA-Erhöhung nenne, einführen, ohne dass wir den Auto­fahrern eine Alternative, und zwar eine echte, attraktive Alternative, geben. (Beifall bei SPÖ und FPÖ. – Bundesrat Steiner: Das ist unsozial und asozial!)

Kollege Bader ist jetzt leider nicht mehr da. Ich wollte ihm nämlich sagen: Es ist doch nicht so, als hätte die ÖVP in der Regierung nichts zu sagen, seien wir doch ehrlich! Oder? (Beifall bei SPÖ und FPÖ.) Sonst fahren Sie doch auch überall über die Grünen drüber. Gott sei Dank – ich betone: Gott sei Dank! – hat sich aber die Vizepräsidentin bereit erklärt, bei unserem Antrag mitzustimmen, um hier keine Verhinderung der Infra­strukturausbauten durchzuwinken, sondern weiterzumachen und voranzutreiben. Des­wegen danke ich Ihnen, Frau Vizepräsidentin! (Beifall bei SPÖ und FPÖ sowie Bravoruf des Bundesrates Ofner.) 

Ich habe es vorhin schon betont: Auf der einen Seite bestrafen wir die PendlerInnen, also die Leistungsträger, die jeden Tag fleißig arbeiten gehen, auf der anderen Seite bieten wir ihnen aber keine Alternative, auch keine Alternative zum Stau.

Ich glaube, Kollegin Kittl hat gestern den Umstieg auf die E-Mobilität angesprochen. – Das ist wichtig, das ist richtig, das ist gut. Heute, lieber Kollege Adi Gross, ist gesagt worden, dass ihr so viel Geld wie noch nie in die Hand nehmt. – Auch das ist wichtig und gut. Es kann sich aber nicht jeder ein E-Auto leisten. 40 000 Euro aufwärts zahlt man für einen ID.4 – und das soll keine Werbeeinschaltung sein –, 40 000 Euro aufwärts für einen Hyundai Ioniq beziehungsweise 50 000 Euro, 60 000 Euro oder 70 000 Euro! Das können sich vielleicht die Privilegierten, die Familienmitglieder der ÖVP, leisten, aber nicht die fleißigen Leistungsträgerinnen und Leistungsträger in diesem Land. (Beifall bei SPÖ und FPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Für mich ist ganz, ganz klar, das sagt mir der Hausverstand, Frau Minister: Der Umstieg auf E-Mobilität beziehungsweise auf alternative Antriebsmöglichkeiten muss erstens wirklich leistbar für alle und zweitens auch praktikabel sein. Es geht nicht, dass man nur 200 oder 300 Kilometer weit kommt und unter Umständen keine Tankmöglichkeit hat. Das ist nämlich im Alltag und in der Lebensrealität der fleißigen Leistungsträger auf gut Deutsch zum Vergessen.

Die Wahrheit ist außerdem auch, dass man, wenn man die Flugverbindung von Wien nach Salzburg oder umgekehrt streicht, damit das Klima nicht rettet! (Beifall bei SPÖ und FPÖ.) Vom weltweiten CO2-Ausstoß sind nämlich circa 3 Prozent auf den Flugver­kehr zurückzuführen. Ein großer Teil des CO2-Ausstoßes kommt aus der Strom- und Wärmeerzeugung. Ich möchte in diesem Zusammenhang das Burgenland nennen, das als Bundesland quasi mit gutem Beispiel vorangeht. Dort gibt es bereits 500 Wind­kraftanlagen, und es werden 170 Prozent mit diesen Windkraftanlagen produziert. – Das nenne ich ein Vorreiterbundesland, sehr geehrte Damen und Herren! (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Wenn wir wirklich etwas für die Pendlerinnen und Pendler erreichen wollen, meine sehr geehrten Damen und Herren, dann brauchen wir echte Alternativen mit einem attraktiven Angebot, ohne dass man im Stau stehen muss. Diesfalls möchte ich die Stadt Wien als Vorreiterbeispiel nennen. Dort gibt es ein klares Bekenntnis von der Politik und von den städtischen Betrieben: Es fährt alle paar Minuten eine Straßenbahn beziehungsweise Bim oder eine U-Bahn. Das ist gut und wichtig, das gibt es aber draußen auf dem Land nicht, etwa in Kärnten oder in der Steiermark. Das gibt es dort nicht. Wie gesagt, ich habe vorhin das Beispiel genannt: Es handelt sich um eine Strecke von 18,5 Kilometern, und nach Viertel nach sieben am Abend fährt kein Bus mehr. Das kann es nicht sein!

Was wir wirklich brauchen, um eine Mobilitätswende in den Bundesländern einzuleiten, ist nicht nur das 1-2-3-Ticket, das eh noch nicht wirklich auf Schiene ist. Eine Kosten­reduktion ist zwar wichtig, es braucht aber nicht nur günstige Tickets, sondern es braucht einen Taktfahrplan, es braucht Carsharingmodelle. Es braucht auch Fortschritte in der Wasserstofftechnologie, ich glaube, dafür gibt es nicht einmal zwei Handvoll Tankstellen in ganz Österreich, da sollte man ein bisschen aufs Tempo drücken. Man braucht auch Ladeinfrastruktur für die E-Mobilität, damit das auch wirklich alltagstauglich wird. Vor allem brauchen wir einen Ausbau der Öffiangebote. Es braucht mehr S-Bahn-Halte­stellen. Jetzt muss ich eine Lanze für unser Bundesland brechen: Es braucht S-Bahn-Haltestellen im Pinzgau, im Pongau, im Lungau. Wir reden hier von Verlängerungen. Wir reden vom O-Bus-Netz der Stadt Salzburg, das in die Umlandgemeinden ausgebaut werden muss. Dabei sollte man nicht immer den Ball zwischen Bund und Land hin und her spielen, sondern sollte das einfach umsetzen. Man nimmt eh so viel Geld in die Hand, und daher sollte man auch in diesen Bereich endlich investieren.

Ich möchte ein konkretes Infrastrukturbeispiel nennen. Frau Minister, Sie haben heute gesagt, dass die Infrastruktur für diese Mobilitätswende – wie ich es einmal nennen möchte – ausschlaggebend ist. Jetzt frage ich: Wo ist die halbe Milliarde Euro für die Regionalbahnen, etwa wenn es um die Modernisierung und den Erhalt der Murtalbahn geht? (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Gott sei Dank ist da – unter Anführungszeichen – nicht mehr passiert! Ich wiederhole das in Anbetracht der Bilder aus den Nachrichten: Gott sei Dank! Die Murtalbahn ist nämlich ein fixer Bestandteil für die Mobilität der Pendlerinnen und Pendler, der fleißigen Leistungsträger, der Schülerinnen und Schüler und der Pensionistinnen und Pensionis­ten. Wo ist zum Beispiel das Geld aus dem EU-Recoveryfund? Davon hätte man ja auch etwas heranziehen können, um die Murtalbahn zu modernisieren. Das ist Geld, das, wie wir von der SPÖ meinen, den Pendlerinnen und Pendlern in diesem Land zusteht, die jeden Tag fleißig in die Arbeit fahren und hier ihre Steuern bezahlen. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Ich weiß, dass man sich bei der Murtalbahn in der ÖVP nicht ganz einig ist. Landesrat Schnöll möchte sie Gott sei Dank erhalten, Landeshauptmann Schützenhöfer möchte sie abschaffen. – So. Deshalb hätte ich, wenn wir diese Bahn nicht umbringen wollen, Frau Minister, heute hier gerne ein Bekenntnis von Ihnen, dass Sie für diese Bahn sind, dass Sie diese Bahn unterstützen werden und die Bundesländer und die Gemeinden nicht im Regen stehen lassen.

Abschließend wollte ich noch sagen: Ich gehe davon aus, dass Sie persönlich das wahrscheinlich wollen, dass es aber vielleicht der Finanzminister nicht will. Bitte setzen Sie sich für diese Bahn ein! Das ist ein Mosaiksteinchen, ein kleines Puzzleteil, um die Mobilitätswende in Österreich einzuleiten, denn: Rettet das Klima!, zu posten oder zu plakatieren wird in Zukunft einfach zu wenig sein. Wir wollen ein Bekenntnis zur Murtal­bahn. Wir wollen die Mobilitätswende für die fleißigen Leistungsträgerinnen und Leis­tungsträger in diesem Land. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

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