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Volksanwalt Mag. Bernhard Achitz: Frau Vorsitzende! Hoher Bundesrat! Meine Da­men und Herren! Liebe Kollegen! Auch ich freue mich sehr über das geäußerte Lob und werde es selbstverständlich an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitergeben.

Es freut mich auch, dass Sie sich so ausführlich mit unseren Berichten beschäftigen. Ich halte das für sehr, sehr wichtig, denn wir berichten über Probleme, die Menschen in Österreich haben; über Probleme, die sie mit der Verwaltung haben, über Probleme, die sie mit Einrichtungen potenzieller Freiheitsentziehung wie Gefängnissen, Pflegeheimen, Psychiatrien, Krankenhäusern oder Jugendwohlfahrtseinrichtungen haben, und diese Probleme muss man sehr ernst nehmen.

Wie Kollege Amon gesagt hat, führt unser Einschreiten in vielen Fällen schon dazu, dass die Behörden ihre Vorgangsweise ändern, dass die genannten Einrichtungen dafür Sor­ge tragen, dass Missstände beseitigt werden. Das ist gut, das sollte man auch wissen. Es gibt darüber hinausgehend aber Probleme, auf die die Behörden, auf die die Ein­richtungen, die kritisiert werden, selbst bei bestem Willen nicht positiv reagieren können, weil die Rechtslage, weil die politischen Rahmenbedingungen das nicht zulassen. Bei den Einrichtungen sind es sehr oft die Finanzen, die Verbesserungen nicht zulassen. Das ist besonders für die Politik wichtig zu wissen, und das ist auch der Grund, warum diese Berichte hier in den Gesetzgebungsorganen diskutiert werden müssen und so wichtig sind.

Im Bundesrat möchte ich Ihre Aufmerksamkeit besonders auf ein paar Problembereiche lenken, die die Schnittmenge von Bundesgesetzgebung und Landesgesetzgebung be­treffen, weil das erfahrungsgemäß bei den Menschen auch zu großem Unverständnis und zu großen Problemen führt. Im Covid-19-Band zieht es sich wie ein roter Faden durch, dass die Menschen einheitliche Vorgehensweisen wollen, wenn man sich schon mit so heiklen Fragen wie Einschränkung von Grundrechten im Verhältnis zum Schutz der Gesundheit der Allgemeinheit beschäftigt.

Was für die Leute vollkommen unverständlich ist und was zu mangelnder Akzeptanz führt, ist, wenn man in diesen heiklen Fragen in einem Bundesland so vorgeht und in einem anderen Bundesland anders vorgeht. Wenn Sie Beispiele dafür wollen, kann ich Ihnen gerne welche nennen. Die Pflegeheime wurden schon erwähnt: Die Ausgangsbe­schränkungen für die BewohnerInnen von Pflegeheimen waren in einzelnen Bundeslän­dern durchaus unterschiedlich, ebenso die Besucherregelungen.

In Tirol durfte man etwas, das man in Niederösterreich nicht durfte. In Niederösterreich durfte man dafür etwas anderes, das in Oberösterreich nicht möglich war. Das ist dann so weitergegangen, auch bei den Impfungen wurden verschiedene Priorisierungen vor­genommen, je nachdem in welchem Bundesland man gerade war und was die jeweilige Landesregierung für wichtig erachtet hat.

Das hat dazu geführt, dass die Akzeptanz für viele Maßnahmen gesunken ist, dass die Leute kein Verständnis mehr für Vorschriften gehabt haben. Ich glaube, es ist wichtig zu wissen, dass man sich, um die Akzeptanz zu erhöhen, um insgesamt die Maßnahmen wirksamer zu gestalten, bemühen sollte, eine bundesweit einheitliche Vorgangsweise zu wählen. Es wäre im Übrigen in der Pandemie durchaus möglich, dass der Gesundheits­minister da eine einheitliche Vorgabe macht, die dann, auch wenn es landesgesetzliche Materie ist, für die Bundesländer verpflichtend ist. Das zieht sich wie ein roter Faden durch und sollte, glaube ich, in Zukunft berücksichtigt werden.

Was im Covid-19-Band noch sehr auffällig ist, ist, dass durch die Pandemie herausge­kommen ist, wie anfällig unser Pflegesystem ist. In der 24-Stunden-Betreuung hatten wir im ersten Lockdown die Situation, dass es überhaupt keine 24-Stunden-BetreuerInnen in Österreich mehr gegeben hat, weil die die Grenze nicht überschreiten durften. Der Lockdown hat zu verstärkten Grenzkontrollen oder Grenzschließungen geführt. Die 24-Stunden-BetreuerInnen kommen zu nahezu 100 Prozent aus osteuropäischen Län­dern, sie konnten in Österreich nicht einreisen, das System der 24-Stunden-Pflege ist einige Wochen darniedergelegen.

Man könnte jetzt sagen: Alles nicht so schlimm, es gibt ja viele Pflegeeinrichtungen in Österreich. Diese waren aber genauso anfällig, auch die haben darunter gelitten, dass Pendlerinnen und Pendler aus der Slowakei, aus Tschechien, aus Ungarn nicht über die Grenze kommen konnten. Natürlich hat es noch Beschäftigte gegeben, die in Österreich ihren Wohnsitz hatten und nicht über eine Grenze mussten. Diese waren dadurch allerdings doppelt belastet. Sie waren zum Teil natürlich auch krank, weil sie sich ange­steckt haben, hätten zum Teil in Quarantäne gehen sollen. All das hat zu Riesenperso­nalengpässen geführt und dazu, dass die, die gesund und arbeitsfähig und in den Pfle­geeinrichtungen, in den Krankenhäusern im Einsatz waren, immens belastet waren und enorm viele Überstunden geleistet haben.

Aus unserer präventiven Menschenrechtskontrolle wissen wir, dass genau dies die ge­fährlichen Situationen sind, in denen die Beschäftigten nicht aus bösem Willen, sondern aus Überforderung Dinge tun, die menschenrechtlich nicht angebracht sind. Darauf müs­sen wir unseren Fokus in Zukunft richten. Wir müssen das System krisenfester machen. Wir müssen in die Pflege, in die Betreuung von älteren, aber auch von behinderten Men­schen, in die Jugendwohlfahrtseinrichtungen und dergleichen mehr investieren. Wir müssen die Beschäftigten dort entlasten, wir müssen ihnen wieder Freude am Beruf geben.

Weil ich schon bei den Pflegeeinrichtungen bin und weil ich gesagt habe, ich möchte besonders auf Dinge an der Schnittstelle zwischen Bund und Ländern hinweisen: In der nachprüfenden Kontrolle – vollkommen unabhängig von Covid-19 und der Pandemie – ist uns ein Phänomen aufgefallen, das auch immer wieder zu großen Problemen führt. Sie haben Ihre Eltern in einem Pflegeheim in Oberösterreich, um irgendetwas zu sagen, sind aber beruflich in Wien tätig. Die Anknüpfungspunkte in Oberösterreich für die Eltern, die Verwandten dort, die Freunde dort werden weniger, Ihr Lebensmittelpunkt ist Wien, Sie wollen die Eltern vom Pflegeheim in Oberösterreich in ein Wiener Pflegeheim ho­len. – Versuchen Sie das einmal! Es scheitert an der Finanzierung, weil die Oberösterrei­cher sagen: Wir zahlen selbstverständlich ein oberösterreichisches Pflegeheim; nach Wien schicken wir euch das Geld nicht nach. Die Wiener sagen: Wir zahlen selbstver­ständlich, wenn ein Wiener bei uns ins Pflegeheim geht; einen Oberösterreicher nehmen wir aber nicht und zahlen dafür nicht. Das kann es wohl nicht sein.

Früher hat es dazu eine 15a-Vereinbarung zwischen den Bundesländern gegeben, in der diese Problematik geregelt wurde. Diese ist irgendwann einmal, ich weiß nicht aus welchen Gründen, aufgekündigt worden. Jetzt gibt es eine derartige Vereinbarung nicht und man ist immer darauf angewiesen, zu schauen, wie die bilateralen Vereinbarungen gerade ausschauen. Ist es möglich oder ist es nicht möglich, man kommt da zu den skurrilsten Ergebnissen. Wir hatten einen Fall, da ist jemand von Kärnten ins Burgenland gewechselt. Das war, was die Finanzierung betrifft, so gut wie nicht möglich, in die an­dere Richtung wäre es interessanterweise gegangen. Das hängt dann von der jeweiligen landesgesetzlichen Regelung ab, und das sollte es doch wohl nicht sein.

Abschließend vielleicht noch: Wir verlieren unsere Anliegen, die wir in den Berichten äußern, nicht aus den Augen. Deshalb möchte ich Ihr Augenmerk auf einen Bericht len­ken, der heute nicht vorliegt, sondern den wir schon letztes Jahr diskutiert haben, den Sonderbericht über Menschen mit Behinderung, die in Werkstätten arbeiten und dort nur ein Taschengeld und kein Entgelt bekommen.

Warum erlaube ich mir, das zu erwähnen, obwohl es nicht auf der Tagesordnung steht? – Weil wir auch dort so eine interessante Situation haben, in der der Bund sagt: Die Länder sollen denen doch ein Entgelt zahlen, dann ist die Geschichte erledigt, dann sind die versichert. Dafür sind aber die Länder zuständig. Die Länder sagen: Der Bund soll doch eine Sondersozialversicherungsbemessungsgrundlage schaffen, dann wären die Leute auch versichert. In diesem Spannungsfeld bleiben die Betroffenen auf der Stre­cke.

Vielleicht – das wäre meine Hoffnung, der ich zum Schluss Ausdruck verleihen möchte – kann der Bundesrat als Länderkammer da auch ein bisschen eine Mediations- oder Ver­mittlungsfunktion einnehmen, um genau in solchen Situationen die Menschen zufrieden­zustellen und zu einer vernünftigen Lösung beizutragen. – Herzlichen Dank. (Allgemei­ner Beifall.)

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