15.52

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Hohes Haus! Leider ist nie­mand von der Regierung hier. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Zuse­herinnen und Zuseher! Kurz zur Erinnerung: 2019 wurde die damalige Mindestsicherung trotz vieler, vieler, vieler Warnungen von ExpertInnen und PraktikerInnen durch das So­zialhilfe-Grundsatzgesetz ersetzt. Aus unserer Sicht war die damalige Mindestsicherung das letzte Netz im österreichischen Sozialstaat und hatte eine kaum zu überschätzende Bedeutung, wenn es darum geht, Menschen ein finanzielles Existenzminimum sicherzu­stellen.

Das aktuelle Sozialhilfe-Grundsatzgesetz kann das nicht und erfüllt diese Aufgabe nicht. Es hält Menschen in Armut. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Die Kritik an diesem aktuellen Grundsatzgesetz kommt nicht nur von uns, nicht nur von unserer Fraktion: Mittlerweile, und zwar im März 2021, haben auch alle neun Soziallan­desräte beziehungsweise Soziallandesrätinnen gemeinsam erklärt, dass es eine Eva­luierung dieses Systems braucht, und es braucht auch eine Behebung der Schwächen, und zwar zumindest durch eine Reform.

Sie alle wissen es, und immer wieder betone ich es: Armut von Menschen zu akzeptieren ist in höchstem Maß unverantwortlich, weil wir alle wissen, dass Armut krank macht, dass Armut Menschen daran hindert, im Arbeitsmarkt integriert zu werden und so weiter. Menschen in Armut leben zu lassen ist nicht nur ein Problem für diese Menschen, son­dern es ist ein Problem für die gesamte Gesellschaft.

Gerade Anfang dieser Woche haben sich viele Kinderärztinnen und Kinderärzte gemel­det, das war sozusagen ein Aufschrei aus dem Grund, dass Armut schon bei Kleinstkin­dern erkennbar ist, weil ihr Gesundheitszustand schlechter ist, weil ihr Entwicklungs­stand schlechter ist, und Kinder tragen dieses Paket ihr ganzes Leben mit. Sie haben also von Anfang an einen Startnachteil, den man nicht gut wieder aufholen kann. Das können wir als Gesellschaft nicht wollen und nicht akzeptieren! (Beifall bei der SPÖ.)

Wir als Sozialdemokratie haben gemeinsam mit dem Kollegen von den NEOS einen Antrag eingebracht, in dem wir erneut dieses unter Türkis-Blau entstandene Sozialhilfe-Grundsatzgesetz kritisieren und auch eine Reparatur fordern.

Es gibt dazu auch ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, und seither, seit diesem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, herrscht Stillstand. Es passiert nichts, um die­sen Missstand zu beheben. Was hat der Verfassungsgerichtshof damals kritisiert? – Er sagt, verfassungswidrig war einerseits die Kinderstaffelung, dass nämlich nicht jedes Kind denselben Betrag bekommt. Es war außerdem verfassungswidrig, einen Arbeits­qualifikationsbonus zu benennen, und es hat den Gleichheitsgrundsatz verletzt, auf­grund von fehlenden Sprachkenntnissen Kürzungen festzusetzen. All das ist aufgelistet, all das steht im Raum, es wurde bisher nicht behoben. Wir setzen noch hinzu, dass wir bemängeln, dass statt Mindestleistungen jetzt mit Maximalbeiträgen gearbeitet wird. Das ist aus unserer Sicht nicht zulässig.

Wir haben gerade in der Covid-Krise gesehen – und sehen es immer noch –, dass ein funktionierendes Sozialsystem, eine funktionierende Mindestabsicherung für unsere Ge­sellschaft absolut notwendig sind und dass sich die Menschen das auch verdient haben.

Wir hatten in unserem Antrag den Sozialminister – leider ist er heute krank – aufgefor­dert, umgehend mit den Ländern in Verhandlungen zu treten und dem Parlament bis zum Sommer nächsten Jahres ein Gesetz vorzulegen, das tatsächlich armutsvermei­dend und armutsbekämpfend wirkt.

Einige Organisationen und einige NGOs, die in diesem Bereich mit armutsbetroffenen Menschen arbeiten, sagen, eine Reparatur, eine Reform reicht nicht, es braucht ein neues Grundsatzgesetz. Sie formulieren auch Kriterien, die ich noch einmal mitformulie­ren möchte, die in diesem Bereich notwendig wären. Es geht darum, dass man Men­schen, die von Armut betroffen sind, ein menschenwürdiges Leben sichert. Es geht auch darum, Sicherheit und Stabilität zu organisieren und verstärkt auf Integration zu setzen. Auch das ist wichtig. Es geht darum, Menschen vom Rand in die Mitte der Gesellschaft zu holen, indem man sie in den Arbeitsmarkt, in die Bildung und so weiter integriert.

Was jetzt aber de facto der Fall ist: Es gibt einen viel höheren Verwaltungsaufwand, als es bisher der Fall war, und am Schluss kommt bei den Menschen weniger an. Das ist aus unserer Sicht nicht sinnvoll.

Ziel eines modernen sozialen Netzes müsste sein, erstens Grundrechte statt Almosen zu gewähren, zweitens Chancen statt Abstieg zu sichern, drittens sozialer Ausgleich statt Spaltung und viertens die Achtung und die Wertschätzung aller Menschen, statt sie zu beschämen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Wir hätten es enorm wichtig gefunden, dass dieser Aufruf, der auch von den Soziallan­desrätinnen und Soziallandesräten kommt, ernst genommen wird, dass eine Verbesse­rung eingeleitet wird. Wir sind nicht damit einverstanden, dass unser Antrag abgelehnt wird.

Ich schließe mit den Worten einer großen Plattform, die sich Wir gemeinsam nennt. Da heißt es: „Wir brauchen eine neue Mindestsicherung, die Existenz, Chancen und Teilha­be sichert.“ – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

15.59

Vizepräsident Günther Novak: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Sonja Zwazl. Ich erteile ihr das Wort. – Bitte.