Bundesrätin Andrea Michaela Schartel (FPÖ, Steiermark): Herr Minister! Wie gesagt, es steht die Reformierung des Arbeitslosengeldbezuges, des kompletten Systems der Arbeitslosenversicherung im Raum, wobei eine Reformierung sicherlich zu begrüßen ist. Man sollte vor allem, finde ich, auch immer einen Unterschied machen, warum jemand arbeitslos geworden ist. Es gibt sehr, sehr, sehr viele Menschen, die unverschuldet in die Arbeitslosigkeit kommen, die jenen gegenüberstehen, die vielleicht selbst ein biss­chen dazu beigetragen haben. Deshalb meine Frage:

1928/M-BR/2021

„Welche Gruppe der Arbeitslosenversicherten wird durch Ihre Reform des Arbeitslosen­versicherungsgeldes zu den Verlierern zählen?“

Präsident Dr. Peter Raggl: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank für die Frage. Ich möchte auf Ihren Einleitungssatz eingehen: Genau diese Differenzierung, die Sie an­sprechen, ist mir wichtig, weil es einfach sehr unterschiedliche Gründe gibt, arbeitslos zu sein, und man kennt natürlich beide Seiten. Ich habe immer wieder Gespräche mit Arbeitslosen und ich werde auch im Rahmen dieser Reformdiskussion Arbeitslose tref­fen und mit ihnen sprechen.

Es gibt auf der einen Seite jene, die älter sind, vielleicht gesundheitliche Einschränkun­gen haben, 50, 100 Bewerbungen schreiben und keine Einladung bekommen. Es gibt aber natürlich auch diejenigen, die eine ganz gute Ausbildung haben, Arbeitslosengeld beziehen, nebenbei geringfügig dazuverdienen, vielleicht noch dem Nachbarn etwas helfen und damit ganz gut dastehen – und die eigentlich relativ einfach einen Job an­nehmen könnten, wenn es dieses Angebot gibt, und das vielleicht nicht tun. Ich glaube, die Differenzierung ist also ganz entscheidend.

Verlierer kann ich noch nicht identifizieren, weil wir natürlich nicht wissen, wie die Reform ausgestaltet sein wird. Wir haben ja gesagt, wir wollen eine breite Reformdiskussion führen. Die Idee ist, bis Ende des Jahres erste Ergebnisse zu haben und im nächsten Jahr, im ersten Quartal, einen Vorschlag, wie die Ausgestaltung eines Gesamtpakets aussehen sollte; dem kann ich jetzt nicht vorgreifen.

Das Ziel eines Arbeitsministers ist natürlich, dass es möglichst viele Gewinner gibt, und Gewinner sind aus meiner Sicht Personen, die möglichst rasch wieder Beschäftigung finden, wenn sie arbeitslos geworden sind. Österreich ist, glaube ich, was die Arbeits­losenversicherung, den Arbeitsmarkt und das Arbeitsmarktservice betrifft, ganz gut auf­gestellt. Wir haben in diesem Bereich aber noch Potenzial. Ein durchschnittlicher Arbeits­loser ist im Moment 120 Tage arbeitslos; es gibt aber Länder, in denen der Durchschnitt bei 80, 90 Tagen liegt. Wenn wir es schaffen würden, Menschen schneller in Beschäf­tigung zu bringen, wäre das, glaube ich, im Interesse aller. Wir würden die Arbeitslo­senversicherung entlasten und wir würden gleichermaßen Menschen wieder rasch in Beschäftigung bringen, damit sie mehr verdienen, als sie Arbeitslosengeld bekommen – das wäre das Ziel. (Bundesrätin Schartel: Danke!)

Präsident Dr. Peter Raggl: Zusatzfrage, Frau Bundesrätin Schartel? – Bitte.

Bundesrätin Andrea Michaela Schartel (FPÖ, Steiermark): Ich habe noch eine Zu­satzfrage. Sie haben vorhin meinem Kollegen Arthur Spanring gesagt, Sie sind wirklich davon überzeugt, dass durch die Einführung der 3G-Regel niemand vom Arbeitsmarkt gedrängt werden wird. Wir sind davon überzeugt, dass die Praxis Sie bedauerlicher­weise eines Besseren belehren wird.

Deshalb meine Zusatzfrage: Mit welchen Sanktionen müssen Arbeitslose rechnen, wenn sie aufgrund der Nichteinhaltung der 3G-Regel an ihrem Arbeitsplatz gekündigt werden?

Präsident Dr. Peter Raggl: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit Mag. Dr. Martin Kocher: Es gibt aus meiner Sicht aufgrund der Möglichkeit, Tests in Anspruch zu nehmen, auch für diejenigen, die nicht geimpft sind, keinen Grund, nicht die 3G-Regel einzuhalten – außer einer generellen Weigerung. (Bundesrat Steiner: ... medizinische Gründe!)

Es gibt zwei Möglichkeiten oder verschiedene Systeme, die dahinterstehen. Die eine Sache ist das COVID-19-Maßnahmengesetz, da beim Verstoß gegen das COVID-19-Maßnahmengesetz gewisse Strafen vorgesehen sind. Das sind Verwaltungsstrafen, die klarerweise vorgesehen sind, wenn man die 3G-Regel bei einer Veranstaltung nicht ein­hält oder wenn man im Supermarkt keine Maske trägt. – Das sind die Covid-Maßnah­men.

Natürlich ist es so, dass Betriebe die bestehenden arbeitsrechtlichen Möglichkeiten ha­ben, mit Menschen in ihren Betrieben umzugehen, die sich generell nicht an Regeln halten. Da haben wir aber nichts geändert, da sind die Regeln völlig gleich – es gibt keine Verschärfung, es gibt keine Veränderung. Es gibt arbeitsrechtliche Konsequenzen, wenn sich jemand nicht an betriebliche Regeln hält; die sind aber nicht verändert und sind auch nicht spezifisch an Covid angepasst.

Präsident Dr. Peter Raggl: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet hat sich Bundesrätin Judith Ringer. – Ich bitte um die Zusatzfrage.

Bundesrätin Ing. Judith Ringer (ÖVP, Oberösterreich): Geschätzter Herr Minister, ich möchte noch einmal auf die Arbeitslosenversicherung Neu zurückkommen: Was sind da die konkreten Ziele?

Präsident Dr. Peter Raggl: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank für die Frage. Wir haben uns als Ziel gesetzt, dass wir möglichst rasch möglichst viele Menschen in Be­schäftigung bringen. Ich glaube, das sollte das Ziel aller sein, auch aller Parteien hier im Parlament. Die Frage ist natürlich, wie das passiert.

Mir ist sehr wichtig, dass als zweites Ziel auch festgeschrieben ist, dass durch die Ar­beitslosenversicherung im Fall der Arbeitslosigkeit Einkommenssicherung passiert – es ist ja eine Versicherung, deswegen sollte das Einkommen gut abgesichert sein, wenn man arbeitslos wird. Wir wollen eben, wenn jemand arbeitslos wird, die Vermittlung be­schleunigen und Menschen rasch in Beschäftigung bringen.

Ein viertes Ziel ist der treffsichere Mitteleinsatz. Idealerweise fördern wir Personen, die Förderung brauchen, noch stärker und aktivieren Personen, die wir aktivieren müssen, noch etwas stärker. Wenn uns das gelingt, dann wären wir, glaube ich, bei der Reform erfolgreich gewesen. Das wäre meine Einschätzung. – Danke.

Präsident Dr. Peter Raggl: Ich bitte um die Zusatzfrage von Bundesrat Stefan Schen­nach.

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben vorhin auf eine Zusatzfrage meiner Kollegin Grimling geantwortet, Sie wären missinter­pretiert worden, was die Kürzung des Arbeitslosengeldes betrifft.

Im Juli 2020 – das ist jetzt keine Interpretation – haben Sie eine Pressekonferenz ge­geben, bei der Sie gesagt haben, Sie werden den Druck auf Arbeitslose erhöhen und sie durch Sanktionen motivieren. Sie haben gesagt, Arbeitslosengeld und Notstandshilfe sollen im Falle einer Ablehnung eines Jobs für acht Wochen gestrichen werden. – Das ist dann also die Radikalkürzung, wenn man acht Wochen lang Arbeitslosengeld und Notstandshilfe streicht.

Eine letzte Bemerkung: Sie kommen gerade von einer Studienreise aus den USA zu­rück - -

Präsident Dr. Peter Raggl: Bitte eine Fragestellung und kein Koreferat! – Bitte. (Hei­terkeit bei der FPÖ. – Zwischenrufe bei der SPÖ. – Bundesrätin Steiner-Wieser: Das war jetzt nicht in Ordnung!)

Bundesrat Stefan Schennach (fortsetzend): Ich wollte nur fragen, welche Erkenntnisse der Minister für sein Feld in den USA gewonnen hat – das ist ja nicht so schlimm, oder? Ich glaube, der Herr Minister lächelt und freut sich, dass er Auskunft geben kann. (Bun­desminister Kocher: Ich freu mich, dass ich lächeln darf!)

Präsident Dr. Peter Raggl: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank. Ich möchte aber zuerst auf die Einleitung eingehen. Sie haben gesagt „Juli 2020“, gemeint war Juli 2021. Ich möchte schon noch einmal klarstellen: Wir haben damals über bestehende Sank­tionsmöglichkeiten bei der Vermittlung gesprochen. Wir haben also damals gar nichts verändert. Wir haben nur den Status quo ante wiederhergestellt, weil einige Regeln auf­grund der Coronapandemie außer Kraft gesetzt wurden.

Dafür, dass sie außer Kraft bleiben, habe ich mich auch eingesetzt, als ich Minister wur­de, weil der Arbeitsmarkt natürlich im Laufe des Winters so dysfunktional war, es so wenige offene Stellen gab, dass es keinen Sinn machte, Menschen mit Sanktionen zu bedrohen, weil es einfach sehr wenige Möglichkeiten gab. Dass aber nach einer Erho­lung und nachdem die Arbeitslosenzahlen wieder auf dem Niveau von vorher waren, Regeln wiederhergestellt werden, die generell gelten, die im Gesetz vorgesehen sind und die auch unter sozialdemokratischen Arbeitsministern und Arbeitsministerinnen im­mer gegolten haben, halte ich eigentlich für eine völlig normale Sache.

Es gab also keine Verschärfung – ich weiß schon, dass es manchmal so dargestellt wird –, es gab einfach eine Wiedereinführung von Regeln, die natürlich grundsätzlich sinnvoll sind. Sie wissen ja genauso wie ich, dass sie ohnehin sehr selten angewendet werden müssen, und darüber bin ich froh. Sanktionen nach dem Paragrafen, der sich auf die Streichung des Arbeitslosengeldes bezieht, das sind einige Tausend Fälle im Jahr. Das zeigt ja auch schon, dass es da kein ganz großes Problem gibt. Ich glaube aber, es ist wichtig, auch im Sinne der Versichertengemeinschaft, dass diese Regeln eingehalten werden und dass es keine Ausnutzung des Sozialstaats und der Versiche­rung geben darf.

So, jetzt zu Amerika – vielen Dank für die Frage –: Wir haben uns dort vor allem über die Arbeitsvermittlung unterhalten und informiert, also weniger über das Arbeitslosenver­sicherungssystem. (Bundesrat Schennach: Das hätte mich auch gewundert!) Niemand möchte das amerikanische Arbeitslosenversicherungssystem in Österreich einführen, nein.

Es ging darum, verschiedene neue Formen der Vermittlung besser kennenzulernen. Es gibt dort elektronische Plattformen, die gerade auch während der Covid-Pandemie ein­geführt wurden und die ganz gut funktionieren. Es ging darum, zu sehen, welche För­dermöglichkeiten es gibt. Es gibt ja auch in den USA sehr viele Förderprogramme. Die neue Administration, die Biden-Administration, hat sich bei der Reform des Arbeitsmark­tes und vor allem bei der Förderung von gewissen Programmen zur Eingliederung von arbeitslosen Menschen ein sehr ambitioniertes Ziel gesetzt. Das wollten wir uns anse­hen, und da gab es sehr interessante Aspekte.

Präsident Dr. Peter Raggl: Vielen Dank.

Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Bundesrat Adi Gross zu Wort gemeldet. – Ich bitte um die Zusatzfrage.

Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Herr Minister! Die Bezugs­dauer des Arbeitslosengeldes hängt von verschiedensten Faktoren ab, dem Alter bei­spielsweise. Ist geplant, diese Systematik beizubehalten oder zu verändern?

Präsident Dr. Peter Raggl: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank. Ich habe schon ein paar Dinge klargestellt. Aus meiner Sicht soll die bestehende Systematik, die zuerst ei­nen Arbeitslosengeldbezug und dann die Notstandshilfe vorsieht, auf jeden Fall beibe­halten werden, auch die Struktur, wie wir sie haben, dass die Notstandshilfe grundsätz­lich auch zeitlich unbefristet in Anspruch genommen werden kann, solange man ar­beitsfähig ist. An dieser Grundstruktur soll nichts geändert werden.

Ob die zeitliche Staffelung, die wir hinsichtlich des Bezugs von Arbeitslosengeld haben, genau so bleibt, das muss man sich anschauen. Die Regeln sind ja recht kompliziert: Wir haben eine Bezugsdauer von Arbeitslosengeld von 20 Wochen, wenn man zwölf Monate beschäftigt war. Man kann 30 Wochen lang Arbeitslosengeld beziehen, wenn man drei Jahre beschäftigt war, man bekommt es 39 Wochen lang, wenn man in den letzten zehn Jahren sechs Jahre beschäftigt war und über 40 Jahre alt ist, und man kann 52 Wochen lang Arbeitslosengeld beziehen, wenn man innerhalb der letzten 15 Jahre neun Jahre lang beschäftigt war und mindestens 50 Jahre alt ist.

Ob das in dieser Komplexität so beibehalten werden muss, das kann man sich anschau­en, aber an der Grundstruktur dieser Systeme will ich nichts ändern; daran will, glaube ich, niemand etwas ändern.

Präsident Dr. Peter Raggl: Wir gelangen zur 8. Anfrage, 1925/M-BR/2021.

Ich bitte die Anfragestellerin, Bundesrätin Christine Schwarz-Fuchs, um die Verlesung der Anfrage.