18.26

Bundesrätin Mag. Dr. Doris Berger-Grabner (ÖVP, Niederösterreich): Geschätzte Mi­nister! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Werte Zuhörer und Zuhörerinnen, die von zu Hause aus zuhören! Zu meinem Vorredner fällt mir eigentlich nur eines ein: Wir alle haben eine Neigung, das zu glauben, was wir allzu gerne glauben würden, und im Fach­jargon gibt es dazu auch einen Fachausdruck, der nennt sich Motivated Reasoning, auf Deutsch: Wunschdenken. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Hübner. – Bun­desrat Hübner: Genau, bravo! Das haben Sie vollkommen richtig gesagt!)

Weil wir heute schon so viel über Studien und Experten, Expertinnen gehört haben: Ja, Studienergebnisse geben uns Sicherheit, und sie helfen uns auch, Entscheidungen zu treffen. 73 Prozent aller Österreicher und Österreicherinnen geben an, dass sie Wissen­schaft und Forschung vertrauen. Ich bin nun seit über 20 Jahren in Wissenschaft und Forschung tätig und habe auch schon selber sehr viel publiziert. Mir ist es wichtig, bei­spielsweise auch den Studierenden Anhaltspunkte mitzugeben, damit sie selber beur­teilen können: Was macht eigentlich eine gute und seriöse Studie aus?

Die Vielzahl der Zigtausenden Fachjournale, die es weltweit gibt, erlaubt es, fast alles irgendwo publiziert zu bekommen, allerdings mit erheblichen Qualitätsunterschieden. Wir in der Wissenschaft bezeichnen jene, die meistens ein rein kommerzielles Interesse verfolgen, ohne echten Peerreview so ziemlich jeden Unsinn veröffentlichen können, Hauptsache die Autoren bezahlen dafür hohe Publikationsgebühren, auch als soge­nannte Pseudofachjournale.

Wie kann ich also als Laie beurteilen, ob eine Studie dennoch wissenschaftlich ist? – Vermutlich ist es am leichtesten daran ersichtlich, wie häufig sie in anderen Studien zi­tiert wird (Bundesrat Hübner: Na ja, das hängt aber davon ab ...!), und dafür gibt es jede Menge Datenbanken – wissenschaftliche Datenbanken. Es reicht aber auch schon, den Namen gewisser Autoren in Google einzugeben. Ich nehme zum Beispiel den viel zi­tierten Experten Wolfgang Wodarg: Da komme ich zu Wikipedia, ich komme zu ver­schwörungstheorien.info. Oder andere Autoren wie zum Beispiel Andreas Sönnichsen, der um 20 Euro Internetatteste für Impfunfähigkeit ausstellt (Bundesrat Kornhäusl: Was? Große Ikone der Freiheitlichen!): Wenn ich in wissenschaftlichen Datenbanken genau diese Namen eingebe, dann komme ich zu keiner einzigen Forschungsarbeit, sondern ich stoße auf gefährliche Falschinformationen, die vielen Menschen das Leben kosten, beispielsweise wenn sie Wurmmittel einnehmen.

Probieren Sie es mit anderen Namen! Nehmen Sie zum Beispiel Christian Drosten, dann sehen Sie, dass seine Arbeiten in den Fachjournalen letztes Jahr 15 000 Mal zitiert wur­den, und ich denke, allein diese Zahl spricht für sich. (Zwischenruf der Bundesrätin Schartel.)

Wem also glauben? – Dem Virologen oder doch lieber dem selbst ernannten Social-Media-Experten? Wir haben, das habe ich zuvor schon erwähnt, eine Neigung zum so­genannten Wunschdenken. Man spricht in diesem Zusammenhang auch noch von einem anderen wissenschaftlichen Phänomen, nämlich von der sogenannten kognitiven Dissonanz. Das ist ein als unangenehm empfundener Gefühlszustand, den man mit Handlungen – meist sind es Trotzreaktionen – wieder ausgleichen kann.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel dafür: Wir alle wünschen uns eine Impfung gegen Krebs. Die gibt es, es gibt eine einzige, direkte und vor allem auch wirksame Impfung gegen Krebs, und zwar jene gegen Gebärmutterhalskrebs. Dennoch liegt die Impfquote bei circa 50 Prozent (Zwischenrufe bei der FPÖ), obwohl sich 80 Prozent der Österreicher und Österreicherinnen im Laufe ihres Lebens zumindest einmal mit HPV-Viren infizieren. Nehmen wir die Zahlen aus Deutschland her: Dort sterben jährlich sogar 1 600 Frauen daran.

Genau da kommen wir wieder zur kognitiven Dissonanz: Es ist menschlich, dass wir Angst vor einer Impfung haben, dass wir Angst vor manchen Nebenwirkungen haben. Das ist menschlich und auch legitim, und deshalb suchen wir nach Argumenten. Wir werden fündig, wir werden auch im Netz fündig, weil es ein Leichtes ist, dort Studien zu finden; es ist aber auch ein Leichtes, wissenschaftliche Studien zu fälschen und in Um­lauf zu bringen.

Genau das schadet der seriösen Wissenschaft. (Zwischenruf des Bundesrates Span­ring.) Nehmen wir zum Beispiel den MRNA-Impfstoff her: Um die Vision vom MRNA-Impfstoff tatsächlich Wirklichkeit werden zu lassen, war in den vergangenen 30 Jahren die Arbeit von Hunderten Forschern und Forscherinnen nötig. Dadurch wurden Tausen­de Menschenleben gerettet.

Wir kommen noch zu einem anderen Thema, weil ich immer wieder gehört habe: valide Daten, evidenzbasierte Handlungen. (Zwischenruf der Bundesrätin Steiner-Wieser.) Ich zitiere hier einen der bekanntesten Pandemieerklärer Österreichs, Prof. Gartlehner von der Donau-Uni: Im Prinzip geht es bei der medizinischen Entscheidungsfindung um ein Zusammenspiel aus drei verschiedenen Säulen: zum Ersten das, was die Wissenschaft zeigt, zum Zweiten das, was die klinische Erfahrung des Arztes, der Ärztin zeigt, und die dritte Säule steht für die Werte und Präferenzen der Patienten. Wenn diese drei Säulen zusammenspielen, kann man eine gute, informierte Entscheidung treffen.

Evidenzbasierte Handlungen, in diesem Fall evidenzbasierte Medizin, bedeuten also nicht, dass man einfach nur Zahlen und Fakten nimmt und nach diesen handelt, sondern es braucht tatsächlich jede dieser drei Säulen. Daten haben wir genug, gerade im Fall der Covid-Impfung. Zum Impfstoff von Pfizer zum Beispiel gibt es eine Studie mit mehr als 40 000 Personen und zusätzlich Real-World-Data, weil die Impfstoffe mittlerweile mil­liardenfach verimpft wurden und ihre Wirksamkeit auch gezeigt haben.

Meine geschätzten Damen und Herren, ich komme auch schon zum Schluss. Nein, es wird niemand zur Impfung gezwungen (heftiger Widerspruch bei der FPÖ), denn wir be­schließen heute keinen Impfzwang, sondern eine Impfpflicht. Pflicht hat für mich etwas mit Gewissen, mit Verantwortung füreinander zu tun – egal ob Beta, Delta, Omikron –, um vorbereitet zu sein auf das, was noch kommen wird, auf Mutationen, die vielleicht im Herbst auf uns zukommen.

Deshalb mein Appell an Sie alle: Schenken Sie der Wissenschaft mehr Vertrauen (Bun­desrätin Schartel: Warum sollen wir nur Ihrer Wissenschaft vertrauen ...? – Ruf bei der ÖVP: Es gibt nicht unsere Wissenschaft, es gibt nur eine Wissenschaft!), sie hat es sich definitiv verdient, denn Wissenschaften haben nicht nur den Wohlstand Europas begrün­det, sondern auch wesentlich zur Entwicklung unserer Demokratie beigetragen. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Zwischenrufe bei der FPÖ.)

18.34

Präsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Marlies Steiner-Wieser. Ich erteile dieses.