9.13

Bundesrätin Mag. Elisabeth Grossmann (SPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Alles, was wir heute hier diskutieren und debattieren, wird vom schrecklichen Krieg in der Ukraine, von den unfassbaren Menschenrechtsverletzungen überschattet. Das berührt uns alle, das kann niemanden kaltlassen.

Ich möchte auch allen danken, die ihre Solidarität bekunden und sich vor allem auch an Hilfsaktionen beteiligen. Es ist wirklich eine Welle der Hilfsbereitschaft durch unser Land gegangen. Das ist ein unglaublich wichtiges Signal: Ja, diese Menschen müssen wir stärken. Es sind sehr oft oder eigentlich immer die Frauen und Kinder, die am stärksten von solchen Kriegshandlungen betroffen sind, und diese brauchen unsere Hilfe dringend im Land und natürlich auch, wenn sie auf der Flucht sind. In diesem Sinne: Danke auch für die Solidaritätsbekundungen quer durch alle Fraktionen. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Das heutige Thema der Aktuellen Stunde ist Empowerment von Mädchen und Frauen, zeitgerecht rund um den 8. März, den Internationalen Frauentag, der, wie meine Vorred­nerin Kollegin Berger-Grabner formuliert hat, „inszeniert“ wird. Das kann man sehen, wie man möchte. Jedenfalls hat dieser Internationale Frauentag unsere werte Frau Minis­terin wiederum an ihre Zuständigkeit in der Bundesregierung erinnert, denn da war ja noch etwas – ach ja, das Frauenressort, für das Sie auch zuständig sind. Dazu müssen wir halt etwas machen, denn mittlerweile ist dieser Tag ja mitten in der Bevölkerung angekommen.

Man schenkt sich mittlerweile an diesem Frauentag Blumen und Schokolade, vielleicht das, was halt am Valentinstag übrig geblieben ist. Die Geschäfte bieten Damenrabatte. Den Frauentag kann man also nicht mehr übersehen. Man hat es lange probiert, diesen Frauentag zu ignorieren und zu übersehen, denn es gibt ja eh den Muttertag, es gelingt aber nicht. Dieser Tag hat sich in der Bevölkerung durchgesetzt. Dafür haben wir ja auch – gerade die Feministinnen – intensiv gekämpft. Dieser Frauentag ist nicht mehr zu übersehen, und das ist auch gut so. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Also mussten sich auch Ihre Kabinettsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter und PR-Leute etwas einfallen lassen, um Ihnen an diesem Tag eine angemessene Bühne zu bieten, und es ward der glorreiche Titel für eine Aktuelle Stunde geboren: „Empowerment – Stärkung von Mädchen und Frauen in Österreich“.

Als ich diesen holprig übersetzten neudeutschen Titel das erste Mal gelesen habe, hat es mich schon zusammengezogen, muss ich ehrlich sagen. Denn was heißt das? – Mädchen und Frauen passen nicht so, wie sie sind. Sie müssen sich ändern, sie müssen empowert werden oder, schlimmer noch, man muss sie ändern, damit es ihnen endlich besser geht und sie gleichberechtigt und gleichwertig – immerhin geht es wohlgemerkt um 51 Prozent der Bevölkerung – am Leben, an den Chancen des Lebens teilhaben können.

Was so harmlos klingt, entlarvt eine sehr bedenkliche Grundhaltung, nämlich: Es liegt an den Mädchen und Frauen selbst, dass sie nicht gleich viel verdienen, dass sie nicht die gleichen Aufstiegschancen haben, dass sie öfter zum Opfer von Gewalt werden und auch öfter von Armut betroffen sind, weil sie eben nicht gut genug ausgebildet sind, weil sie eben nicht gut genug verhandeln und sich nicht wehren. Sie sind also eigentlich selbst schuld an allem.

Das ist diese Grundhaltung, die mir wirklich zutiefst widerstrebt und die eigentlich auch der völlig falsche Ansatz ist, denn es geht eben nicht darum, dass sich die Frauen einem System anpassen, das ihnen eben nicht entspricht, sondern es geht darum, dass das System frauengerecht wird, menschengerecht wird. (Beifall bei der SPÖ.)

Darum muss es uns gehen, und darum muss es vor allem Ihnen als Frauenministerin, werte Frau Ministerin, gehen, nämlich dass die Rahmenbedingungen geschaffen wer­den, dass 51 Prozent der Bevölkerung gleichberechtigt an den Chancen des Lebens teilhaben können und eben nicht benachteiligt werden. Frauen haben mittlerweile die Männer bildungsmäßig überholt, haben höhere Bildungsabschlüsse, bilden sich weiter fort und machen alle möglichen Ausbildungen, um sich eben den sich immer ändernden Bedingungen anzupassen, und sie hinken einkommensmäßig trotzdem immer hinterher. Selbst dann, wenn man nur Vollzeitbeschäftigte und Vollzeitäquivalente vergleicht, be­trägt der Einkommensunterschied immer noch rund 20 Prozent.

Das setzt sich natürlich entsprechend fort, wenn die Frauen gezwungen sind – und sie sind tatsächlich durch die Strukturen gezwungen –, Teilzeit zu arbeiten. Wenn man sich die verschiedenen Einkommenssegmente ansieht, fällt auf: in den höheren Einkom­menssegmenten und Hierarchieebenen der Privatwirtschaft kommen Frauen in Öster­reich so gut wie überhaupt nicht vor, und Branchen mit einem höheren Frauenanteil wie Pflege, Handel, Dienstleistungen werden generell niedriger entlohnt, obwohl uns die Pandemie wirklich drastisch vor Augen geführt hat, wie dringend wir diese Menschen brauchen. Außer Klatschen am Balkon und lobende Worte haben sie aber keine Aner­kennung, keine monetäre Anerkennung gesehen. Nichts haben sie in Wahrheit nachhal­tig verbuchen können.

Was sagen wir denen? Ihr habt halt das Falsche gelernt? – Ich meine, man muss sich das vor Augen führen: Wenn diese Menschen ihre Berufe verlassen, was leider auch sehr viele tun, dann bricht unser System zusammen. Sie heißen ja nicht umsonst Sys­temerhalterInnen oder wurden so genannt – dieser Begriff wurde ja jetzt im Zuge der Pandemie fast neu geprägt, er ist aber leider sehr, sehr zutreffend –, und trotzdem wer­den sie wesentlich niedriger entlohnt. Mit dem oft zitierten Gesetz der Marktwirtschaft, dem Gesetz von Angebot und Nachfrage, lässt sich das nicht erklären. Da braucht es also dringend eine Aufwertung dieser Branchen.

Generell braucht es eine Neubewertung von Arbeit, denn wir haben dabei eine immense Schieflage. Dienstleistungen am Menschen werden wesentlich niedriger entlohnt als Dienstleistungen – so pauschal gesagt – an der Maschine. Dabei braucht es also drin­gend eine Neubewertung von Arbeit und generell auch einen Mindestlohn von 1 700 Eu­ro auf Vollzeitbasis. So viel muss Arbeit jedenfalls wert sein! (Beifall bei der SPÖ.)

Österreich ist ein Teilzeitland. Bei berufstätigen Müttern mit Kindern unter 15 Jahren ist das eigentlich die gängige Beschäftigungsform, aber nicht freiwillig, sondern weil die Kinderbetreuungssituation sie dazu zwingt, denn außer in Wien sind die Öffnungszeiten von Kindergärten und Schulen mit Vollzeit quasi nicht vereinbar, und Krippen sind sowie­so Mangelware. Die Verantwortung kann man nicht nur den Gemeinden zuschieben, denn die sind schon jenseits ihrer Belastungsgrenze. Überhaupt in dünn besiedelten Gebieten können sie ihre Pflichtleistungen schon nicht mehr stemmen. Es braucht eine nationale Kraftanstrengung, wie sie schon einmal auf Schiene war, nämlich 2016/2017, bis ein gewisser Herr – wir erinnern uns nur mehr vage daran –, ein gewisser Herr Kurz die Umsetzung torpediert hat, um die Regierung Kern/Mitterlehner möglichst rasch zu Fall zu bringen, wie wir dann in den Chats ja nachlesen mussten.

Frau Ministerin, als Frauen- und Familienministerin hätten Sie spätestens beim Aufkom­men dieser Chats die Mittel, die den Kindern, die den Familien entzogen wurden, massiv einfordern müssen, denn damit hätte man diesen strukturellen Systemmangel schon längst beheben können. (Beifall bei der SPÖ.) Sie haben geschwiegen. Sie haben nichts dazu gesagt, und wir haben diese prekäre Situation noch immer, dass es abseits der Ballungsräume eben nicht möglich ist, Beruf und Familie vereinbaren zu können.

Österreich ist auch trauriger Rekordhalter bei Gewalt gegen Frauen. Da bräuchte es viel mehr an Mitteln. Die Frauenorganisationen haben es gestern einmal mehr formuliert, es bräuchte mindestens 228 Millionen Euro, um wirklich mit den Gewaltopfern arbeiten zu können, um Präventionsarbeit leisten zu können. Wir bräuchten auch eine umfassen­de - -

Vizepräsident Günther Novak: Frau Bundesrätin, kommen Sie bitte zum Ende!

Bundesrätin Mag. Elisabeth Grossmann (fortsetzend): Sehr geehrte Frau Ministerin! Es ist schön, dass Sie sich anlässlich des Internationalen Frauentags an Ihre Kompetenz erinnert haben. Die Frauen brauchen dringend volles Engagement und volle Power für ihre Interessen. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

9.24

Vizepräsident Günther Novak: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Marlies Steiner-Wieser. Ich erteile ihr dieses.