10.21

Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport Vizekanzler Mag. Werner Kogler: Herr Vizepräsident! Geschätzte Bundesrätinnen und Bundesrä­te! Ich habe zwei wichtige aktuelle Themen in dieser Erklärung zu behandeln, nämlich die Regierungsumbildung und die globale Situation, letztlich ausgelöst durch einen An­griffskrieg Putins auf die Ukraine. Jedenfalls ist mir mitgeteilt worden, dass das in Ab­stimmung mit den Fraktionen des Bundesrates gewünscht werde. – Sehr gerne.

Sorry für die Unterbrechung, die notwendig wurde, aber von meinem Büro kam die Mit­teilung, dass wir hier um 10.30 Uhr starten sollten. Jetzt haben wir es geschafft, und ich darf mit der Umbildung der Bundesregierung beginnen.

Ich möchte einmal Wolfgang Mückstein für die ihm sicher nicht leicht gefallene, also schwere, schwerwiegende und verantwortungsvolle Entscheidung danken, ebenso sei­nem Team im Kabinett und auch im Haus, all jenen, die ihn tatkräftig unterstützt haben. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie der Bundesrätin Grossmann.)

Ich möchte, so wie gestern schon im Nationalrat, auch erwähnen, dass ich auch an den Bundeskanzler und an den Bundespräsidenten einen Dank zu richten habe, weil es trotz der schwierigen Situation gemeinsam gelungen ist, einen reibungslosen und raschen Übergang in diesem in Zeiten wie diesen so bedeutenden Ressort zustande zu bringen. Auch das soll nicht unerwähnt bleiben. Danke an den Herrn Bundeskanzler und an die Fraktion der ÖVP, in diesem Fall.

Ich möchte auch die Gelegenheit nützen, ein Licht darauf zu werfen, was in den letzten elf Monaten alles geschehen ist, auch wenn das vielleicht in der Debatte dazu herausfor­dert, Gegendarstellungen abzugeben. Dazu diskutieren wir ja hier in bester parlamenta­rischer Tradition. Ich meine aber, es waren im Gesundheits- und Sozialressort gerade auch in den letzten elf Monaten erkennbare und keine kleinen Erfolge vorzuweisen.

Wir alle wissen, dass es betreffend Pflegesystem große Herausforderungen gibt, auf die man gar nicht genug schauen kann und bei denen man gar nicht genug tun kann. Gerade im Bundesrat ist, glaube ich, das Bewusstsein dafür besonders ausgeprägt, weil es sich ja gerade bei der Pflege – im Übrigen auch bei Gesundheitsmaterien – um ausgespro­chene Mischkompetenzen im Sinne des Föderalismus handelt.

Die berühmte Pflegereform wird aber nicht so passieren, dass wir quasi mit einem Ur­knall rechnen dürfen, und auf einmal lichten sich die Nebel und ein neues Gebäude steht da. So wird es nicht sein, sondern es wird Schritte brauchen, wir werden Bausteine aufs Fundament legen müssen. Das ist eine große Aufgabe, das ist richtig.

Ich möchte trotzdem zwei Bausteine erwähnen, die durchaus wichtig sind und in die richtige Richtung gehen, etwa dass im Ausbildungssystem jetzt einmal mit 50 Millionen Euro gestartet wird, wo doch eine beträchtliche Zahl zu denen, die schon in Ausbildung sind, hinzukommt und so entsprechend unterstützt wird. Ich glaube, das ist in Zeiten wie diesen sehr wichtig. Es wird da noch viel mehr brauchen, das ist allen bewusst. Es wird ja auch innerhalb der Koalitionsfraktionen und dann natürlich auch mit den Bundeslän­dern um wesentlich höhere Beträge verhandelt. Das ist, glaube ich, für Sie interessant, weil wir diese Summen ja zielgerichtet auf den Boden bringen müssen, und das ist ge­rade in der Pflege nicht immer so leicht, wie vielen von Ihnen bewusst sein wird. Immer­hin ist das aber einmal ein guter Start.

Ich glaube, die, die sich auskennen, werden es gut verstehen können: Alle, denen ich zuhöre, die im Pflegesystem immer etwas weiterbringen wollten, haben die Einsetzung von jetzt einmal knapp 200 Communitynurses besonders hervorgehoben. Gerade in ländlichen Regionen ist es wichtig, genau darauf hinzuweisen: Wo gibt es wie die besten Angebote?, weil sie ja auch nicht überall gleich sind. Also auch da gibt es den Einstieg in den Umstieg, und auch da wird man noch weiter aufbauen müssen.

Die Pandemie hat natürlich gerade für Kinder und Jugendliche große Folgen gehabt, nämlich auch im psychischen Bereich. Da wurde mit der psychosozialen Unterstützung, glaube ich, auch von den Millionenbeträgen her ein ganz starker Einstieg gesucht, ge­wagt und gefunden. Das wird auch fortgesetzt. Auch das wollten wir nicht unerwähnt lassen.

Zum sozialen Bereich: Wir wissen, dass die Teuerung große Probleme macht, das ist allen bewusst. Ich glaube, einzelne Fraktionen hier, speziell die Sozialdemokratie, haben darauf in Bundesratssitzungen schon zu Recht hingewiesen, soweit ich das in Erinne­rung habe. Da möchte ich festhalten, dass der Teuerungsausgleich von diesen zweimal 150 Euro für die, die es am schnellsten und am dringendsten brauchen, doch einen Betrag erzeugt, der fürs Erste – nicht auf die Dauer und im Durchschnitt – hilft. (Bun­desrat Ofner: Für zwei Wochen, ja!) – Na schon ein bisschen länger. Das wurde ange­gangen und es wurde schon die zweite Tranche ausgezahlt. Dass es da noch mehr brauchen wird, ist völlig klar, aber das Sozialministerium ist ein Ministerium, das an die­sen Vorgängen und Problemlösungen mitbeteiligt ist. Alles wird man eh nicht immer lö­sen können.

Was auch, glaube ich, sehr, sehr wichtig ist: Ich habe die Gelegenheit gehabt, hier im Haus mit Frau Klasnic zu sprechen. Sie lobt sehr, was im Bereich der Palliativ- und Hos­pizversorgung gelungen ist. Kollegin Edtstadler weiß auch, wovon wir da reden: dass verschiedene Verhandlungspakete da zu sehr guten Ergebnissen geführt haben. Frau Klasnic hat gesagt: Na ja, dass das in dieser Zeit noch kommt und sie – unter Anfüh­rungszeichen – „das noch erleben darf“ – das ist ein wörtliches Zitat; sonst würde ich mich das nicht zu sagen trauen –, das habe sie selber sehr, sehr positiv überrascht. Ich war von dem Gespräch und dem Eindruck, den ich dabei gewinnen konnte, geradezu gerührt. Das hat auch – nicht nur, aber auch – etwas mit der Arbeit des Sozialministe­riums zu tun.

Letzter Punkt: Gestern war der 111. Internationale Frauentag, und es gibt nicht nur die Kampagnen, die gerade im Zuge der Pakete gegen Gewalt gegen Frauen gemacht werden – auch da ist das Sozialministerium federführend; auch die sind wichtig und rich­tig –, sondern auch die Maßnahmen selbst, mit denen ganz bewusst und zielgerichtet auch auf die Verantwortung – und die ist ja wohl herausragend – der Männer eingewirkt wird. Da, glaube ich, gebührt dem Sozialministerium besonderes Augenmerk, ich möchte fast sagen: besonderes Lob. Da möchte ich einen Tag nach dem Internationalen Frau­entag erwähnen, dass es gerade auch Aufgabe von uns Männern ist, hinzuschauen, hinzuhören und einzuschreiten. Das ist ganz, ganz wesentlich.

Gewalt gegen Frauen ist in Österreich leider ein sehr, sehr prominentes Thema. Dage­gen muss wirklich vorgegangen werden, und ich finde, es gibt wirklich gute Ansätze. Ich habe gestern auch die weiteren Elemente dieses Pakets noch einmal mit Ministerkollegin Raab besprechen dürfen, aber der Anteil, der im Sozialministerium geleistet wird, ist kein geringer – vielen Dank also für diese Initiativen, ich glaube, da sind viele gute Beiträge geleistet worden. Und an der Stelle noch einmal: Danke, Wolfgang Mückstein! (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Was uns aber zu denken geben sollte, ist – das war nicht die einzige, aber doch die Hauptbegründung, Wolfgang Mückstein hat es ja auch öffentlich angedeutet, ich möchte es noch präziser sagen –: Mit ausschlaggebend für seinen Rückzug waren die ständigen und massiven Bedrohungen gegen ihn selbst. Er hat auch um die Sicherheit seiner Fa­milie und seiner Kinder gefürchtet. Er sagte es selbst und uns hat er es noch deutlicher gesagt – und ich darf es auch wiedergeben, ich habe ihn gefragt –: Es ist schwer auszu­halten, wenn man nur mehr mit kugelsicherer Weste im Auto herumfahren darf. (Zwi­schenruf des Bundesrates Spanring.) – Und ich meine, das sollte kein Anlass zu Zwi­schenrufen sein, auch wenn mich das jetzt von Ihrer Fraktion nicht überraschen sollte. Ich glaube, das sollte ein Anlass sein, um nachzudenken, innezuhalten und zu schauen, wie wir miteinander weitertun, auch in unserer Vorbildwirkung. Wir dürfen nicht bloß da­rüber hinweggehen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.) Ich mache hier eh keine Zuweisun­gen, das ist gar nicht meine Absicht, aber ich glaube, diesen Konsens sollten wir doch zustande bringen. Danke, für Ihr Verständnis. Da müssen wir wirklich etwas tun, so kann es ja nicht weitergehen! – So viel dazu.

Ich denke, die Nachfolgefrage ist mit Johannes Rauch hervorragend gelöst. Eigentlich muss ich das dem föderalen Gremium hier gar nicht lange erklären, Sie werden ihn kennen und auch seine Eigenschaften, die ihn, wie ich meine, besonders für dieses Amt qualifizieren. Erstens ist er ein Profi. Wofür alles ist er ein Profi? – Er hat viel Erfahrung in Bereichen, die jetzt ganz wichtig sind, und es freut mich, das auch im Bundesrat re­ferieren zu dürfen: Er kennt die Entscheidungsstrukturen und die politische Landschaft in Österreich von den Kommunen weg – Gemeinden, Städte –, vor allem die Bundeslän­derstrukturen, völlig logisch, aber auch, und das halte ich jetzt für das Wichtigste, die nicht immer einfach zu durchschauenden Verflechtungen zwischen Landes- und Bun­despolitik. Wenn wir Föderalismus leben wollen, müssen wir froh sein, wenn es Leute gibt, die in der Lage sind, mit diesen Umständen, die nicht immer einfach zu handeln sind, einen guten Umgang zu finden, sowohl vom Verständnis her, von der Kompetenz her, als auch von der politischen Lösungsfähigkeit her. Er hat sich von Widerständen nie groß aufhalten lassen, und das ist, glaube ich, einmal eine gute Voraussetzung.

Persönlich werden wir schätzen lernen, dass Johannes Rauch alles, was ich gesagt habe, mit einem ausreichenden Tiefgang angehen wird, mit Weitblick, weit über den Tel­lerrand hinaus, was im Übrigen auch das Geografische beinhaltet. Ich weiß ja aus vielen Konferenzen am Bodensee und auch aus anderen Zusammenhängen, wie intensiv der Austausch Vorarlbergs mit Baden-Württemberg immer war, auch mit dem Ministerprä­sidenten dort, mit der Nachbarregion Schweiz, teilweise sogar mit Liechtenstein – das ist nicht immer einfach, wie wir wissen – und jedenfalls auch dem bayerischen Raum. Das ist auch eine wichtige Eigenschaft, gerade in diesen Zeiten, in denen wir leben.

Also willkommen, Johannes Rauch! Die Vorschusslorbeeren sind mit Sicherheit berech­tigt. Wir vertrauen darauf, dass wir alle gemeinsam in eine gute Zusammenarbeit kom­men, und ich glaube, das ist in derart turbulenten Zeiten wie diesen wichtiger denn je.

Zur Gesundheitspolitik muss ich nichts sagen, das wird er selbst machen. Nur so viel: Er ist sicher von der Einsicht geprägt, dass die Pandemie nicht so schnell vorbei ist, das habe ich selbst schon von ihm gehört. Wir wissen, warum diese ganz einfachen Aussa­gen zwischendurch aber trotzdem so wichtig sind. Und ja, es ist ihm, es ist uns bewusst, dass es beim Bekämpfen der Folgen der Pandemie immer darum geht, zwischen den da und dort immer wieder und hoffentlich immer weniger notwendigen Einschränkungen auf der einen Seite und dem andererseits so notwendigen Gesundheitsschutz, für den der Gesundheitsminister nun einmal in erster Linie zuständig ist, abzuwägen. Es ist eine Abwägung, das wird es auch bleiben, und ich glaube, dafür bringt er viele politische Fähigkeiten und Gespür mit.

Zur aktuellen Entscheidung rund um die Impfpflicht, das Impfpflichtrahmengesetz und was daraus erwachsen ist – ich finde es ein sehr schlaues Gesetz – werden wir sicher­lich von Kollegin Edtstadler und von Kollegen Rauch noch einiges hören, da sind Sie dann besonders aktuell informiert und in der Debatte drinnen.

Ich möchte zum zweiten großen Thema kommen, das ja mit ein Grund war, warum die Fraktionen des Bundesrates – so wurde es mir überbracht – gerne diese Erklärung un­sererseits hätten, und wir kommen dem auch gerne nach. Das betrifft jetzt ein völlig anderes Feld. Ich glaube, man sollte aus seiner Betroffenheit auch kein Hehl machen. Ich kann es immer noch nicht vollständig erfassen, was, gar nicht so weit weg von der österreichischen Grenze, vorgeht. Ich beglückwünsche jeden, der immer schon genau gewusst hat, was kommt (Heiterkeit der Bundesräte Preineder und Himmer), aber das ist natürlich schon sehr, sehr heftig.

Ich komme zu den Einschätzungen, die sich ja über die Regierungsfraktionen hinweg gemeinsam ausmachen lassen. Es handelt sich dabei um einen völkerrechtswidrigen Angriff der Russischen Föderation beziehungsweise und vor allem – und das möchte ich gleich einmal als Erstes betonen – von Staatspräsident Putin und einer ganz engen Ka­marilla – ich scheue mich nicht, diese Worte zu gebrauchen. Es ist aber nicht nur ein völkerrechtswidriger Angriff, es ist ja viel dramatischer; es ist mithin ein Angriff auf das Völkerrecht selbst, weil da alles verschoben wird, was unsere Vorgängergenerationen nach 1945 mit der Gründung der UNO, mit der Charta der Vereinten Nationen aufgebaut haben. Es handelt sich um den ersten Angriffskrieg in dieser Art auf europäischem Bo­den seit 1939. Das sollten wir uns immer wieder vergegenwärtigen. Der Hintergrund ist ja, dass das neben dem Angriff auf das Völkerrecht auch ein Angriff auf Freiheit, Demo­kratie und Rechtsstaatlichkeit ist; das steckt ja ganz stark dahinter, finde ich.

Es ist ja offenkundig, dass – ich traue mich das zu sagen – der Feind aus Putins Sicht weniger in der Ukraine als Staatengebilde zu vermuten wäre, oder gar in der Nato – nicht einmal das –, sondern in der Nachbarschaft, da sich die Bevölkerung der Nachbarschaft spätestens seit Jahresbeginn 2014, mit den Demonstrationen am Majdan, ganz klar er­kennbar Richtung Westen orientieren will, zu einem bestimmten Lebensmodell hin, nämlich in Richtung Freiheit und Demokratie. Wir wissen schon, dass bei uns nicht alles perfekt ist. (Zwischenruf des Bundesrates Steiner.) – Sie können sich dann eh zu Wort melden, davon gehen wir eh aus, dass Sie das tun werden. (Bundesrat Steiner: Ich red schon noch was!) – Ja, darauf freuen wir uns schon alle. Es ist trotzdem ein ernstes Thema, blödeln können wir dann eh noch. (Bundesrat Steiner: Das tust du eh genug!)

Das ist ja, glaube ich, eine ganz wesentliche Erkenntnis, dass Putin das in Wahrheit am allermeisten in seinen Nachbarregionen fürchtet, und deshalb werden ja auch Weißruss­land, Lukaschenka in dieser Art und Weise unterstützt und dort alle Öffnungsbewe­gungen drastisch niedergeworfen. Das ist ja in Wahrheit alles nicht zum Anschauen und Hinnehmen, aber es ist auch nicht so leicht, dagegen zu arbeiten. Zu den Sanktionen werden wir noch kommen, aber ich finde, wenn man diese Erkenntnis einmal hat, dann lichten sich viele Antworten auf Fragen, die so unlösbar verquickt scheinen. Es ist eben ein Angriff auf das Lebensmodell, wie wir es hier haben wollen, auch wenn es nicht per­fekt ist. Und ich glaube, dazu haben wir hier im Haus einen weiten Konsens.

Was allerdings schon geschehen ist, ist, dass mehrere Dinge nicht so eingetreten sind, wie Putin das kalkuliert hat. Mithin hat er sich auch verkalkuliert, erstens, was die Einig­keit der Unionsstaaten betrifft. Diese ist so groß wie selten zuvor, jedenfalls seit wir die EU 27 formiert haben. Und auch mit Blick auf die Generalversammlung der UNO soll man nicht unterschätzen, dass sich über 140 Staaten hinter einem Beschluss versam­meln, der die Angriffe als solche massiv ausschildert, die Völkerrechtswidrigkeit, und die klare Feststellung trifft, wer der völkerrechtswidrige Aggressor ist, und diesen auch auf­fordert, sich zurückzuziehen.

Jetzt kann man sagen, das wird nichts helfen, gerade bei Putin nicht. Das steht leider zu befürchten, aber wir müssen ja auch an die Monate und Jahre danach denken, und da ist es schon ein starkes Zeichen, dass sich jetzt über 140 Staaten hinter diesem Be­schluss versammelt haben. Stellen wir uns vor, es wäre anders, es wäre halbe-halbe ausgegangen: ganz schlecht. Diese Verständigung der über 140 ist eine tragfähige Vo­raussetzung, eine Basis, auf der man zukünftig operieren kann, da wir natürlich alle di­plomatischen und Verhandlungswege offenhalten wollen.

Ein Zweites, wo sich Putin getäuscht hat: Er hat zwar mit Sanktionen gerechnet, aber nicht mit welchen genau, und er hat unterschätzt, dass sie auch zu wirken beginnen. Jetzt wird es Leute geben, und ich kann nicht einmal hundertprozentig widersprechen, die sagen, die Sanktionen werden den Verlauf der Geschichte der nächsten Tage gar nicht beeinflussen beziehungsweise wird er vielleicht noch rabiater – diese Thesen gibt es ja, ich will das jetzt gar nicht werten –, aber er hat es unterschätzt. Er hat es unter­schätzt, weil die Geschlossenheit so groß ist, und zweitens, weil Sanktionen gezogen wurden, die weit über das hinausgehen, was er sich vorgestellt hat.

Was wir mit Swift und den Banken machen – welche ja und welche nein –, das bleibt schwierig, das kennen wir, aber: Der russischen Zentralbank einige Wege abzuschnei­den, das greift wirklich. Und auch andere Sanktionen greifen  zumindest in den nächs­ten Wochen und Monaten, wenn schon nicht in den ersten Tagen , wenn etwa im Hoch­technologiesektor bestimmte Zulieferteile ausbleiben, die die russische Ökonomie gar nicht in der Lage ist, selbst zu produzieren. Man muss es einmal benennen: Russland ist militärisch ein Riese, aber ökonomisch ein Zwerg – das ist so ‑, was Know-how und was die Fähigkeiten, selbst Entwicklungen voranzutreiben, betrifft. Es gibt in einzelnen Bereichen natürlich eine große Kompetenz in der Produktion, aber nicht in der ganzen Kette. Raumfahrt, Luftfahrt, Schiffsfahrt, das ist alles da, aber es geht nicht ohne west­liche Bestandteile. Das muss man sich einfach vergegenwärtigen, und das trifft! Selbst das Raffinieren von Erdölprodukten schaffen sie nicht ohne westliche Bestandteile. Man könnte meinen, das sei ja gar keine Hochtechnologie, wenn man da in Schwechat vor­beifährt. – Na ja, ist es einerseits schon, aber Raketenwissenschaft ist es auch keine. Nicht einmal das bringen sie zustande.

Also ich glaube, das trifft. Und jetzt kann man der Meinung sein, das soll man gar nicht machen, denn man soll ihn nicht weiter reizen. Ich bin ja schon gespannt auf die De­battenbeiträge, und man darf ja unterschiedlicher Meinung sein. Die These lautet nur: Es sitzt, es trifft, und das hat er unterschätzt. Und auch das hat einerseits mit der Analy­sefähigkeit des Westens oder der Staaten der Union zu tun und auch mit der Ge­schlossenheit. Das wollte ich sagen, und ich stimme in diesen Bereichen mit dem Bun­deskanzler, der auch deshalb nicht hier sein kann, weil er gerade den polnischen Minis­terpräsidenten trifft, völlig überein.

Zu Österreich: Wir dürfen die Neutralitätsfrage natürlich nicht ausklammern, die Debatte darüber hat eine Zukunftsbedeutung; manche wollen sie führen, wie auch immer. Wichtig ist aber, dass wir am Beispielfall der Ukraine sehen: Neutralität heißt nicht, unbeteiligt, teilnahmslos abseitszustehen, wenn ein derart völkerrechtswidriger Angriff passiert, überhaupt nicht, sondern sich an allem Möglichen zu beteiligen, jedenfalls einmal an den Sanktionen.

Ich glaube, mittlerweile gibt es auch keine Fraktion mehr, die der Meinung ist – das hat am Anfang anders geklungen –, dass das nicht mit den Neutralitätsbestimmungen ver­einbar wäre. Wir werden es ja noch einmal hören. Aber es ist schon klar, das ist auch die – unter Anführungszeichen – „Waffe“, die wir haben, wenn wir nicht ein militärisches Einschreiten der Nato riskieren wollen, da wir alle wissen, dass wir nicht wissen, was für Konsequenzen das hat. Ich will in diesem Plenum des Bundesrates jetzt gar nicht das Schlimmste an die Wand malen. Weil das aber eben alles so ist, sind diese Maßnahmen umso wichtiger, und wir halten das mit der Neutralität für völlig vereinbar. Möglicherweise kann man da auch noch diskutieren, ob nicht ohnehin schon Artikel 51 der besagten UNO-Charta ausreichen würde, dass sich bei so einem Angriffskrieg die Neutralitäts­verpflichtungen zu verschieben beginnen. Das sehen nicht alle so, aber ich finde, es würde schon Hinweise geben.

Richtig bleibt, und da schauen wir in die Zukunft, dass Österreich zwar militärisch im klassischen Sinne jedenfalls neutral bleiben soll und wird – ich glaube, die Klarstellung hat es gegeben, selbst dann, wenn militärische Maßnahmen durch UNO-Beschlüsse oder auch da oder dort durch Unionsbeschlüsse getragen werden; das hatten wir im Übrigen schon –, aber dass es sehr wohl Möglichkeiten gibt, an friedenserhaltenden Maßnahmen teilzunehmen oder in anderen Zusammenhängen aufzutreten. Und in eini­gen Bereichen ist es so – das war von vornherein beim Beitritt zur Europäischen Union klar –, dass Österreich sich da oder dort auch wie wenige andere Unionsmitglieder kons­truktiv enthalten kann – so eben geschehen. Und das ist auch ein Beitrag.

So bleibt tatsächlich am Schluss eine besondere Rolle Österreichs, auf die viele von Ihnen ja so stolz sind. Wir müssen sie halt nur wieder mit Leben erfüllen, denn das ist nicht irgendeine Restlneutralität. Wenn man es ein bisschen aktiver angeht, könnte man darin auch noch eine Chance  die vielleicht auch besser genützt werden sollte , ent­sprechend aufzutreten erblicken, da man in Vermittlungsfragen dann mehr Spielraum als andere hat  aber immer, und darauf legen wir Wert, im Rahmen der Vorgaben oder der Bereiche der Europäischen Union, die wir ja mit beeinflussen können , und nicht absichtlich weit außerhalb zu tanzen. Ich glaube, das ist ungefähr die politische Ver­messung des Feldes, wo wir mit der Neutralität dann wieder die Landezone finden, und das ist einmal eine ganz gute Voraussetzung.

Flüchtlingsfrage: Ich glaube, auch da sieht man: Die Europäische Union ist in einer Art und Weise geeint wie schon lange nicht. Das hat es überhaupt noch nie gegeben, dass es da derartige Geschlossenheit gibt. Es wurde auch das erste Mal die entsprechende Richtlinie für den temporären Schutz herangezogen. Das hat auch Konsequenzen für Österreich, und ich finde diese gut. Abgesehen davon, dass wir schon ein Assoziierungs­abkommen mit der Ukraine haben, geht es aber genau nicht um Quotierungen oder sonst etwas zwischen den EU-Staaten, sondern darum, die sicherlich große Hilfe, die hier geleistet werden muss, einmal vorzubereiten, beziehungsweise wird sie auch schon angegangen. Ich möchte ausdrücklich hervorheben, dass die Staaten Polen, Slowakei, Ungarn, Rumänien da allein schon aufgrund der Geografie, aber auch der sonstigen Verbindungen Herausragendes leisten. Wann hätten wir uns das gedacht, dass wir das von Österreich von dieser Stelle einmal dorthin adressieren müssen, sollen, dürfen? – All das passt.

Was die Vorbereitungen in Österreich betrifft, habe ich ein gutes Gefühl. (Zwischenruf des Bundesrates Spanring.) Das Innenministerium ist ja mit den Gemeinden, mit den Bundesländern, aber auch mit den großen Hilfsorganisationen dabei, einmal die großen Dinge zu ordnen und vorzubereiten. Auch die vielen hilfsbereiten Privaten – das ist auch wieder einmal beeindruckend in Österreich, das muss man sagen, nicht das erste Mal – gehören natürlich koordiniert, und auch diese Anlaufstellen gibt es. Auf diese Art und Weise können wir, Stand jetzt, sehr zuversichtlich darauf schauen, was die Herausforde­rungen sind, diese gleichzeitig aber auch in der besten humanitären Tradition Öster­reichs bewältigen. Ich halte das für ganz wichtig.

Ich durfte mich gestern am Hauptbahnhof selbst überzeugen. Danke auch an die ÖBB, die da sehr viel tun; da meine ich nicht die Züge und dass die Vertriebenen quasi kos­tenfrei einreisen und weiterreisen dürfen. Die meisten reisen im Übrigen ja weiter  der­zeit ist die Quote immer noch bei circa 70, 75 Prozent, das kann sich aber auch verän­dern, davon gehe ich jedenfalls aus  und dann geht es eben um die Quartiere; das habe ich vorhin beschrieben. Dass das aber auch am Hauptbahnhof – und damit noch einmal ein Danke an die ÖBB – so organisiert wird, dass es da für die, die noch kein Quartier haben, die Möglichkeit gibt, kurzfristig Unterkunft zu finden, das finde ich beeindruckend, wie das geschehen ist.

Dennoch kann es in den nächsten Wochen schon sehr herausfordernd werden, wenn am Tag mehrere Sonderzüge mit vielen Hunderten Menschen aus der Ukraine ankom­men. Momentan ist es ja noch ein bisschen überschaubarer, aber die Vorkehrungen werden getroffen – insofern einmal Dank dorthin. Am Hauptbahnhof betreibt das die Ca­ritas, aber sie ist für mich jetzt nur stellvertretend für die großen Hilfsorganisationen, die da wieder voll im Einsatz und eben im Austausch und Kontakt mit dem Innenministerium sind.

Letzter Punkt: Die dadurch mit ausgelöste Energiekrise – das ist eine, da brauchen wir gar nicht lange herumzureden – betrifft ja auch die anderen Länder, auch diejenigen, die die Sanktionen aussprechen. Das ist uns völlig bewusst, aber eines sollte uns auch be­wusst sein: dass das ein letzter Alarmruf ist, alles zu beschleunigen, was die Möglichkei­ten und Methoden betrifft, rascher vor allem aus Gas, aber natürlich auch aus Öl und Kohle herauszukommen. Insoweit decken sich ja einige Interessen der Unionsländer, aber speziell Österreichs, denn wir haben es ja im Regierungsprogramm verankert, dass wir möglichst rasch CO2-neutral werden wollen. Das ist im Prinzip völlig die gleiche Agenda, und insofern wird das jetzt noch einmal beschleunigt.

Auf der anderen Seite muss völlig klar sein: In der Kurzkurzfrist ist das nicht möglich, das sage ich auch als Grüner. Das ist nicht möglich! Daher geht es um Diversifikation, geht es um Gasbevorratung über den Sommer. Auch dieses Gas wird aber bezahlt wer­den und eingekauft werden müssen. Da darf man sich keine Illusionen machen, das wird auf Höchstpreisniveau dahingaloppieren und da oder dort vielleicht sogar noch einmal vorübergehend weiter steigen. Das muss uns völlig bewusst sein, dass das eine teure Angelegenheit wird. Und was die Preisseite betrifft und ob wir mit der Menge durchkom­men, ist gar nicht hundertprozentig sicher. Das ist so, und jeder, der etwas anderes be­hauptet, ist ein Scharlatan.

Das sehen ja auch viele europäische Länder so. Es sind halt manche davon besonders abhängig, das muss man halt auch dazusagen. Das betrifft immerhin noch den großen Nachbarn, die Bundesrepublik, erst recht Polen und ähnliche Länder, die auch mit Kohle arbeiten. Kohle haben wir weniger, aber dafür haben wir über 50 Prozent Abhängigkeit. Ich hätte immer geglaubt, die schaffen das selbst, aber es ist nicht so. Sowohl Deutsch­land als auch Polen sind, auch was die Kohle betrifft, ganz schön abhängig, und da sieht man schon, wie eng das alles werden kann. Möchte man dann vielleicht substituieren, sagt man: Das Gas nehmen wir für die Industrie, das werden wir dort, solange es ir­gendwie geht, brauchen, und mit der Kohle machen wir wieder Strom. Das sind lauter Überlegungen, die sinnvoll sind, die auch Grüne anstellen, nämlich, um kurzfristig durch­zukommen. Aber auch da kann es eng werden.

Und was Österreich speziell betrifft: 80 Prozent Gasabhängigkeit von Russland ist na­türlich keine gute Nachricht. Insofern sind alle Bemühungen zu unterstützen, die schon in den nächsten Monaten einmal diese von mir angesprochene Diversifikation anzielen und auch erreichen können.

Wir können uns nicht ewig damit aufhalten, in die Geschichte zurückzublicken. Ich weiß, dass wir da auch öffentlich wahrnehmbar die eine oder andere Dissonanz haben, nur, so viel muss schon gesagt sein: Hätten wir die letzten 13, 14, 15 Jahre das gemacht, was wir für die nächsten 13, 14, 15 Jahre vorhaben und dann hoffentlich positiv zu Ende gebacken kriegen, dann würden wir heute nicht so dasitzen, wie wir dasitzen. Das ist doch völlig klar. Deshalb fehlt mir wirklich das Verständnis dafür, dass man einfach da­rüber hinweggeht und sagt, in Zukunft müssen wir das und das und das machen. Das kommt genau von jenen, die nicht willens sind, einmal einzubekennen, dass sie jahre­lang auf das falsche Pferd gesetzt haben – und zwar doppelt: erstens auf den Energie­träger und zweitens auf Putin. Spätestens seit der Annexion der Krim muss doch klar sein, dass man mit Putin nicht einfach spazieren gehen und Freundschaftsverträge schließen oder glauben kann, dass das irgendwie ein gutes, friedliches Ende nimmt.

Wandel durch Handel – na ja, jetzt sehen wir die Wandlung, die fällt uns gerade ein bisschen auf den Schädel. Das ist nicht völlig unerwartet. Jetzt will ich gar nicht darauf herumreiten und sagen: Auch das hätten wir immer schon alle wissen können oder sonst etwas. Das werden wir nicht machen; aber eine Spur innezuhalten und daraus abzulei­ten, wie wir zukünftig vorgehen  diese Erwartungshaltung darf ich schon zum Ausdruck bringen, denn für die Zukunft werden nur jene die besten Entscheidungen treffen, die die vergangenen Entwicklungen überhaupt verstehen.

Richtig ist natürlich auch  ich nehme das ja selbst zur Kenntnis , dass es für Österreich viele gute Gründe gegeben hat, mit Russland in einem guten Einvernehmen zu sein, politisch, geopolitisch, alles richtig. Sich aber in dieser Art und Weise in eine Gasab­hängigkeit reinzureiten, das wäre nicht notwendig gewesen. Deshalb ist alles zu tun, dass wir das umso schneller begradigen, so gut es geht. Und dann Schwamm darüber, arbeiten wir in die Zukunft!

Wir haben ohnehin die Teuerungen in dem ganzen Sektor zu bekämpfen, da müssen wir etwas tun, das ist mir völlig klar. Welche Maßnahmen das sein werden, können wir gemeinsam besprechen. Der Herr Bundeskanzler und ich sind in Übereinstimmung, dass wir in diesen industriepolitisch wichtigen Fragen auch auf die Opposition zugehen. Das ist eine ähnliche Situation wie vor zwei Jahren, das ist wirtschaftspolitisch jetzt ex­trem herausfordernd. Wir wissen nicht, ob wir wieder einen Wirtschaftseinbruch haben werden, die Teuerung wird weitergehen, daher auch das Angebot, in diesen Gruppen, die hier eingerichtet werden, mitzuarbeiten. Nehmen Sie das als ausgestreckte Hand!

Unterm Strich ist es doch so, dass das Zusammenarbeiten dazu führen kann, dass wir schneller aus diesen Abhängigkeiten herauskommen. Plötzlich ist Umweltschutzpolitik – eh schon länger in Wahrheit, aber jetzt sollten es halt alle sehen – auch Geopolitik und Sicherheitspolitik, da Unabhängigkeit wesentlich mehr Spielräume für Österreich und die anderen europäischen Länder erzeugt. Das sollte unser Ziel sein, wir könnten mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen, und das ist dann doch wieder ein bisschen Hoffnung und Zuversicht.

Politisch glaube und hoffe ich – und ich weiß mich da mit der Mehrheit eins, auch wenn es nur eine Hoffnung ist, ich halte sie trotzdem für wichtig, um diese Zuversicht aufrecht­zuerhalten, auch angesichts des Mutes, den Leute in Russland haben, das sind die Hel­dinnen und Helden, die dort noch demonstrieren gehen und weggesperrt werden (Zwi­schenruf des Bundesrates Spanring), oder wie sich in der Ukraine viele Menschen ge­gen diese Aggression stellen, –, ich glaube, dass wir schon die Hoffnung haben dürfen, dass am Schluss – da wird es dazwischen noch viel Leid geben, aber am Schluss! – der Freiheitswille, die Freiheit selbst, die Demokratie stärker sind als Diktatur und Tyrannei. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie der BundesrätInnen Kahofer und Arlamovsky.)

10.55

Vizepräsident Günther Novak: Ich danke dem Herrn Vizekanzler für seine Ausfüh­rungen.

Nunmehr erteile ich Frau Bundesministerin für EU und Verfassung zur Abgabe einer Erklärung das Wort. – Bitte, Frau Bundesministerin.