11.14

Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Herr Präsident! Herr Vizekanz­ler! Werte Regierungsmitglieder! Es ist schwer erträglich, dass wir in unserer Nähe, dass wir in Europa wieder Krieg haben. Damit wird leider ein neues trauriges Kapitel der Welt­ordnung aufgeschlagen, dessen Folgen noch gar nicht abschätzbar sind.

Ein unabhängiges Land wird militärisch überfallen. Ziel Putins ist offensichtlich, die Ukrai­ne politisch als unabhängigen Staat auszulöschen und zumindest Teile des Landes sich selbst einzuverleiben. Dafür scheint seitens der Führungselite in Russland jedes Leid und jedes Unrecht in Kauf genommen zu werden.

Ich meine, deshalb ist es wichtig, ein weiteres Mal festzuhalten und zu unterstreichen, was die Bundesregierung schon klarstellte, und zwar auch deshalb, weil es auch hier im Haus viele Leute gibt, die aus meiner Sicht ein seltsames Verständnis von Neutralität haben. Es gibt keine Neutralität, wenn es um einen Bruch des Völkerrechts geht! (Beifall bei den Grünen. – Zwischenruf der Bundesrätin Steiner-Wieser.) Es darf keine Neutra­lität geben, wenn es darum geht, Aggressoren als solche anzusprechen. Es darf keine Neutralität geben, wenn es darum geht, für die Leidtragenden einzutreten.

Eine andere Debatte ist selbstverständlich die militärische Neutralität. Doch sogar von der Schweiz, sozusagen den Chefneutralen der Welt, werden die Sanktionen mitgetra­gen. Das will etwas heißen, denn in der Schweiz ist die Neutralität das politisch Aller­heiligste! Ich weiß das gut, denn ich lebe an der Grenze zur Schweiz. Auch dort erkennt man aber, dass es das nicht geben kann, in einer solchen Situation keine Position zu haben.

Niemand hätte dieses Ausmaß an Eskalation für real gehalten. Da darf man auch niemandem einen Vorwurf machen. Was mich jedoch seit Jahren beschäftigt und ärgert, ist dieses offensichtliche Nicht-sehen-Wollen der Ziele russischer Politik und Putins Poli­tik. Seit 20 Jahren wäre es nicht schwierig zu beobachten gewesen, wie Putin Russland systematisch in eine antiliberale, autoritäre Autokratie umbaut. Systematisch wurden Bürgerrechte abgebaut, Opposition wurde ausgeschaltet, die freie Presse wurde einge­schränkt, und jetzt gibt es sie gar nicht mehr, NGOs und Menschenrechtsgruppen wur­den eliminiert. Systematisch betreibt Putin seit Langem eine Ausweitung und Festigung der russischen Einflusssphäre, siehe Weißrussland, siehe Gebietsnamen in Georgien, siehe Krim, siehe Ostukraine, siehe sein Einschreiten in Kasachstan und so weiter. Sys­tematisch schürt Putin in Europa Auseinandersetzungen auf regionaler Ebene, syste­matisch unterstützt Putin radikal rechtsnationale Strömungen in Europa, die sich das gerne gefallen lassen, auch hier in Österreich. Das wird es in den nächsten Monaten aufzuarbeiten gelten.

Nein, man wollte das einfach nicht wahrhaben: Man pflegte öffentlichkeitswirksam Freundschaften mit Putin und bildete sich noch etwas darauf ein. Der Rubel und so manche Aufsichtsratsposten waren halt wichtiger. Und genau diese Praxis – der Herr Vizekanzler hat es angesprochen – hat zu extremen Abhängigkeiten von russischem Gas geführt. Es sind 80 Prozent, und leider muss man festhalten: Diese Abhängigkeit Österreichs ist selbst verschuldet. Ich empfehle Ihnen, als Beispiel dafür das „Profil“-Interview mit Herrn Roiss, dem ehemaligen OMV-Chef, zu lesen, der schildert, was eigentlich unfassbar ist, wie nämlich Entscheidungen in Richtung Abhängigkeit getroffen wurden, wobei einem die Akteure sehr bekannt vorkommen.

Europa reagiert, und Europa hat in den letzten zwei Wochen hervorragend funktioniert. Die erlassenen Sanktionen sind umfangreich, sie werden ihre katastrophale Wirkung wohl nicht verfehlen und sie sind – davon können wir ausgehen – noch nicht an ihrem Höhepunkt angelangt. Das ist richtig, und wir unterstützen das auch, ein Grund zur Freu­de ist das jedoch nicht, denn der dahinterstehende Mechanismus ist letztlich ein grau­samer. Spüren wird das am Ende der Wirkungskette die Bevölkerung. Zuallerletzt wer­den das leider die Entscheidungsträger verspüren, die den Krieg zu verantworten haben. Es besteht allerdings die Hoffnung, dass sich das die Bevölkerung in Russland bald nicht mehr gefallen lassen wird und nicht mehr bereit sein wird, Entbehrungen hinzunehmen, die die eigene Regierung mit ihrer Aggression den Menschen eingebrockt hat.

Ausbaden müssen diese Katastrophe also die Menschen, die am wenigsten dafür kön­nen, und zwar zuallererst die Bevölkerung der Ukraine. Es ist einfach nicht vorstellbar, dass Menschen von einem Tag auf den anderen bis auf einen Koffer alles zurücklassen müssen und Familien getrennt werden. Die Schmerzen dieser Menschen sind wohl kaum zu ermessen.

Ein großer Respekt gehört den Bürgerinnen und Bürgern in Russland, die gegen den Krieg auf die Straße gehen und damit ihre Freiheit, ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen riskieren. Sehr wichtig wäre es, Wege zu finden, aus Europa und Österreich heraus die­se Menschen, Widerstandsgruppen, Menschenrechtsgruppen, JournalistInnen, kritische KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen, zu unterstützen.

Eine Konsequenz ist in Europa und insbesondere in Österreich nun zu ziehen, nämlich die ohnehin anstehende Energiewende schnellstens, und zwar – wie ich betone – im Krisenmodus, zu vollziehen, also einen systematischen Ausstieg aus Öl und vor allem Gas vorzunehmen. Es geht jetzt wirklich darum, die Weichen im Sinne von Unabhän­gigkeit und Handlungsfähigkeit und im Sinne des Klimaschutzes zu stellen. Ich appelliere eindringlich – und ich weiß, wovon ich rede –, jetzt den Mut zu haben, diese Wende einzuleiten, beziehungsweise appelliere ich an so manche, sie nicht mehr zu blockieren. Nur wenn wir das konsequent und schnell machen, hat es die nötige Wirkung. Etwas möchte ich in dieser Hinsicht sehr klar sagen: Hören wir bitte nicht weiter auf die ewigen Bremser! Hören wir bitte nicht weiter auf diejenigen, die uns diese Misere maßgeblich eingebrockt haben und jetzt die falschen Ratschläge erteilen, was zu tun sei!

Das Hotel, in dem ich als Stammgast immer logiere, wenn ich in Wien bin – und das ist oft –, hat 65 Flüchtlinge aus der Ukraine auf Kosten des Eigentümers aufgenommen. Und ich sage Ihnen: Es macht schon betroffen, in die Augen verzweifelter Menschen zu schauen! – Es geht jetzt eben vorrangig genau darum, das zu tun, was dieser Hotelbe­treiber tut, nämlich zu helfen und nicht lange zu fragen. Viele Initiativen, BürgerInnen und UnternehmerInnen in Österreich sind dazu bereit, und diesen gebührt Dank. Auch die Regierung hat klar bekundet, die Menschen aus der Ukraine nicht hängenzulassen. Es ist als unsere Pflicht zu betrachten, jetzt da zu sein.

Ich hoffe sehr, dass diese Stimmung und Bereitschaft halten werden. Es muss nämlich klar sein: Wir werden noch gefordert sein. Solidarisch und vor allem solidarisch in der Europäischen Union können wir das aber schaffen. Wohlstand ist auch Verantwortung, und das können wir jetzt zeigen.

Wir haben jetzt ja zwei Themen, und es ist mir ein besonderes Anliegen, noch ein paar Worte zu Johannes Rauch zu sagen: Wir waren über Jahre politische Weggefährten, wir kennen einander, glaube ich, ganz gut und haben für unsere Ziele gekämpft, du als Lan­desrat und ich als Klubobmann. Ihr habt mich 2014 auch in die Politik geholt.

Ich werde jetzt öfter als sonst gefragt, was ich von Johannes Rauch halte, und ich ant­worte dann Folgendes: Johannes ist einer der strategisch und politisch brillantesten Köpfe in Österreich. Davon bin ich überzeugt. Ich kenne kaum jemanden, der so konflikt- und durchsetzungsfähig, so zielorientiert und auch pragmatisch ist. Ich sage dann noch etwas dazu, abhängig davon, wer mich fragt, aber ich sage das auch jetzt: Niemandem würde ich raten, zu versuchen, Johannes für dumm zu verkaufen. Das geht nämlich nicht gut aus!

Alles Gute, Johannes, ich bin mir sicher, du wirst das packen. Volle Kanne ran – dafür sind wir da! (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

11.23

Vizepräsident Günther Novak: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Sonja Zwazl. Ich erteile ihr das Wort.