13.13

Bundesrat Sebastian Kolland (ÖVP, Tirol): Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Sehr geehrter Herr Sozialminister! Herzlich willkommen hier im Bundesrat und alles, alles Gute für Ihre verantwortungsvolle Tätigkeit! Geschätz­te Kolleginnen und Kollegen! Es sind ohne Frage dunkle und fast surreale Stunden, die wir in Europa gerade erleben, und uns alle erschüttern die Bilder und die Berichte, die wir sehen und hören.

Wohl kaum einer von uns hätte vor ein paar Wochen geglaubt, dass Wladimir Putin wirklich bis zum Äußersten geht und am 24. Februar den Befehl zum Angriff auf die Ukraine gibt. Dieser Krieg wird Europa verändern und dieser Krieg hat Europa bereits verändert, vor allem deshalb, weil uns auf schmerzliche Art und Weise bewusst gewor­den ist, dass Frieden auch in Europa eben keine Selbstverständlichkeit ist, auch wenn wir alle das wohl zu lange und zu gerne glauben wollten.

Bei diesem Krieg in der Ukraine gibt es nichts zu rechtfertigen, es gibt auch nichts zu relativieren. Es ist ein mit aller Brutalität geführter Angriffskrieg der Russischen Föde­ration auf einen souveränen Staat in Europa, ein Krieg, der minutiös geplant worden ist und zu dessen Vorbereitung die Weltöffentlichkeit über Wochen hinweg belogen wurde.

Warum ist es mir wichtig, das in aller Klarheit herauszustreichen? – Es gibt nach wie vor Menschen und leider auch politische Kräfte, die versuchen, jemand anderem eine Mitschuld für diesen Krieg zu geben, die sogar so weit gehen, dass sie den Eindruck erwecken wollen, als wäre Russland zu diesem Schritt geradezu gezwungen worden. Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, in aller Klarheit: Bei einem Überfall auf ein friedli­ches Nachbarland trägt niemand Verantwortung außer derjenige, der das Nachbarland überfällt. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Die Folgen dieses Angriffskriegs sind tausendfacher Tod, unermessliches menschliches Leid und eine sich anbahnende humanitäre Katastrophe, wie sie Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erleben musste. Mehr als zwei Millionen Menschen sind bereits aus ihrer Heimat geflohen, bis zu zehn Millionen könnten es werden. Vor allem Frauen und Kinder verlassen ihre Heimat, um oftmals nichts anderes als ihr blankes Leben zu retten. Es ist ein Drama, das sich vor unseren Augen und vor unserer Haustür abspielt, das betroffen und auch sehr traurig macht.

Zugleich – und das macht Hoffnung – erleben wir aber auch eine Europäische Union und eine transatlantische Gemeinschaft, die einiger und geschlossener zusammensteht als je zuvor. Noch nie in der Geschichte der Europäischen Union ist es gelungen, in so kurzer Zeit so massive Sanktionen auf den Weg zu bringen. Drei Pakete wurden bereits beschlossen und umgesetzt, ein viertes ist in der finalen Phase.

Diese Geschlossenheit macht Mut – und es braucht sie auch, um den zivilen und den wirtschaftlichen Druck auf Russland zu erhöhen. Denn seien wir nicht blauäugig: Erst wenn der Preis dieses Angriffskrieges für die Russische Föderation unverhältnismäßig hoch wird, erst wenn der zivile Widerstand aufgrund der Sanktionen auch in Russland selbst steigt, erst dann gibt es eine realistische Chance auf eine Verhandlungslösung, und zwar eine Verhandlungslösung, die die Ukraine nicht zu einem Vasallenstaat Russ­lands macht, sondern wieder zu einem souveränen und mit völliger Handlungsfreiheit nach innen und außen ausgestatteten souveränen Staat.

Deshalb ist es für mich eine Selbstverständlichkeit, dass sich auch Österreich an diesen Sanktionen beteiligt und diese mitträgt, genauso wie es das bündnisfreie Schweden und die neutrale Schweiz machten. Denn militärische Neutralität heißt eben nicht, dass man politisch nicht Stellung beziehen darf oder dass man nicht sagen darf, auf welcher Seite man steht.

Der Friedensnobelpreisträger und Holocaustüberlebende Elie Wiesel hat einmal gesagt, wir müssen uns immer für eine Seite entscheiden: Neutralität hilft dem Unterdrücker, niemals dem Opfer. Stillschweigen stärkt den Folterer, niemals den Gefolterten. – Zitat­ende.

Und wenn Völkerrecht gebrochen wird, dann darf Österreich nicht zuschauen. Das war in der Vergangenheit so, das ist jetzt so, und das darf auch in Zukunft niemals der Fall sein. Wir können und dürfen nicht schweigen, wenn derartiges Unrecht geschieht.

Ich darf jetzt auch noch ein Wort zu Kollegen Hübner verlieren – er ist jetzt nicht im Saal ‑, der uns ja erklären wollte, wie denn die Neutralität auszulegen sei. Ich möchte schon aufzeigen, dass offenbar auch die Freiheitliche Partei das relativ flexibel auslegt. Es gibt nämlich ein Interview vom freiheitlichen Klubobmann und Parteiobmann Herbert Kickl von vor zwei Jahren auf Oe24.TV, und da sagt Herr Kickl: „Ich glaube, das Dümms­te, was man machen könnte, ist [...], dass man dem Herrn Erdogan weitere Milliarden“ überweist, „wo er gleichzeitig einen Angriffskrieg führt, der die Situation noch einmal ver­schärft. Also, ich glaube, es ist jetzt höchst an der Zeit, alles zu unternehmen, um das Treiben des Herrn Erdogan zu stoppen.“ Herr Fellner fragt ihn daraufhin: „Auch Sank­tionen?“ Und Herr Kickl antwortet: „Ja!“ Herr Fellner sagt: „Also Wirtschaftssanktionen beispielsweise?“ Herr Kickl sagt: „Alles, was dazu angetan ist, einen Beitrag dafür zu leisten, dass er zur Besinnung kommt und nicht durch seine militärischen Expansionsge­lüste [...] dass man das unterbindet, weil das natürlich die ganze Problematik anheizt.“ (Bundesrat Bader: Das ist eine Doppelbödigkeit!)

Wie gesagt, so viel zur Glaubwürdigkeit der Freiheitlichen Partei in der Neutralitätsfrage. (Bundesrat Himmer: Das ist lange her!) Das ist keine zwei Jahre her, keine zwei Jahre! (Zwischenrufe bei der ÖVP. – Bundesrätin Steiner-Wieser: Was habt ihr gemacht?)

Werte Kolleginnen und Kollegen, abschließend: Wir alle müssen uns wohl darauf einstel­len, dass die Brutalität des Krieges in den nächsten Tagen weiter zunehmen wird. Alle Militärexperten sind sich einig, dass der Großangriff auf Kiew unmittelbar bevorsteht, und es ist zu erwarten, dass dieser Angriff von den russischen Kräften auch unter In­kaufnahme von zivilen Opfern geführt werden wird.

Die Ohnmacht, dass wir kurzfristig keine Möglichkeit haben, diese Tragödie abzuwen­den, schmerzt, aber umso wichtiger ist es, dass wir jetzt alles tun, um das Leid der Zivil­bevölkerung zu lindern, dass wir Hilfskonvois auf den Weg bringen, dass wir uns dafür einsetzen, dass es sichere Korridore für Schutzsuchende gibt und dass wir auch Flücht­lingen Schutz und Unterkunft gewähren.

Die Welle der Hilfsbereitschaft für und die große Solidarität mit der Ukraine sind beein­druckend, und das ist es auch, was mich trotz dieser schrecklichen Ereignisse wieder zuversichtlich stimmt; zuversichtlich, dass dieser Angriff Russlands auf die Ukraine letzt­endlich keinen Erfolg haben wird, sondern dass das Streben nach Demokratie, nach Freiheit, nach Selbstbestimmung am Ende des Tages stärker sein wird als Gewalt, als Unterdrückung und Diktatur. Das ist auch die Seite, auf der wir politisch zu stehen haben, weil es nämlich auch unsere Werte sind, die hier verteidigt werden. – Danke. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

13.20

Vizepräsidentin Sonja Zwazl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist unser Kollege Günter Kovacs. – Bitte.