12.06

Bundesrat Mag. Sascha Obrecht (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Präsidentin! Werter Herr Bundeskanzler! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Vor allem auch liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihr gestattet mir hoffentlich, ganz am Anfang etwas zur Debatte zu sagen, insbesondere auch zu den Wortmeldungen der Kollegen Schreuder, Lackner und Raggl.

Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, wenn die Kritik an die Opposition ist, dass man Kritik an der Regierung übt, dann frage ich mich, ob man das Selbstverständnis als Parla­mentarier wirklich richtig verstanden hat. (Bundesrat Schreuder: Hör besser zu!) Kollege Lackner hat gemeint, das Einzige, das kommt, sei unsachliche Kritik an der Regierung. Kritik zu üben ist aber geradezu unsere Aufgabe. (Beifall bei der SPÖ und bei Bun­desrätInnen der FPÖ.)

Ein Land, in dem im Parlament gestritten wird, ein Land, in dem es im Parlament laut wird, ist ein funktionierendes Land; ein Land, in dessen Parlament nicht gestritten wird, ist ein Land, in dem wir nicht sein wollen. (Beifall bei der SPÖ, bei BundesrätInnen der FPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.) Ich stelle mich vor jeden Blauen, vor jeden Roten, vor jeden Grünen, vor jeden Schwarzen und jeden Pinken, der das macht.

Auch an die Vertreter der Regierungsparteien: Ihre verfassungsmäßige Aufgabe ist die Kontrolle der Regierung und nicht deren demütige Huldigung. Mitgliedern der Bundes­regierung, die noch nicht einmal ein Portfolio haben, weil das Bundesministeriengesetz noch nicht beschlossen ist, in einer Rede siebenmal Danke dafür zu sagen, dass sie ein Amt angenommen haben, in dem sie noch keine Aufgabe haben, das ist sogar peinlich. Das kann ich nicht nachvollziehen. (Beifall bei der SPÖ, bei BundesrätInnen der FPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Kommen wir aber vielleicht zur heutigen Regierungserklärung. Ich habe ausnahmsweise einen Zettel mit  normalerweise mache ich das nicht, da mache ich das frei , weil ich mir abgewöhnt habe, mir die Namen der Mitglieder der Bundesregierung zu merken, weil das seit November, seit ich in diesem Haus bin, die neunte Regierungsumbildung ist. Das ist ja unfassbar, neun Regierungsumbildungen in dieser Zeit!

Fangen wir vielleicht mit Staatssekretär Tursky an: Da muss ich tatsächlich sagen, da gibt es inhaltlich nicht viel, was ich kritisieren kann. Sie wirken so, als ob Sie in diesem Land etwas voranbringen wollen, Sie wirken jung. Die einzige Frage, die ich mir da stelle: Warum sind Sie bei der ÖVP? (Beifall bei der SPÖ. – Heiterkeit der Bundesrätin Schartel.)

Zu Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig: Auch da kann ich inhaltlich nicht ganz so viel aussetzen, das war inhaltlich schon in Ordnung. Das Einzige – das liegt nicht wirklich in Ihrem Verantwortungsbereich, das haben andere Leute entschieden – ist natürlich die Ungerechtigkeit – das habe ich schon beim letzten Mal gesagt –, dass 150 000 Land­wirte ein eigenes Ministerium haben, 4,2 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aber nicht.

Wenn der Kollege von den NEOS sagt, Minister sind nicht Interessenvertreter, sondern sie sollten sich um die Verwaltung kümmern, dann hat er natürlich recht. Das ist aber nicht das Amtsverständnis des Ministers für Arbeit und Wirtschaft, der hat nämlich in seinem ersten Interview gleich gesagt, er sieht sich als Rechtsanwalt für Arbeit­neh­merInnen und als Rechtsanwalt für UnternehmerInnen und Unternehmen. Würde er das in der Rechtsanwaltskammer sagen, hätte er ein Disziplinarverfahren. (Beifall bei der SPÖ.)

Auch zu Staatssekretärin Kraus-Winkler kann ich sagen: Was ich inhaltlich mitge­nom­men habe, klingt nicht schlecht, aber wir werden sehen. Wir werden Sie an den Taten, die Sie setzen, messen. Der einzige Satz, der mich als Jurist ein bisschen aufschrecken hat lassen, war – und das zitiere ich wörtlich aus Ihrer Rede –: „Ich bedanke mich sehr herzlich, dass ich [...] dieses Ressort leiten darf.“ – Das stimmt natürlich nicht, wie schon der Bundesrat der NEOS gesagt: Artikel 69 des Bundes-Verfassungsgesetzes ist da recht deutlich. Das Ressort leitet der Minister und nicht die Staatssekretärin. Und wenn Sie gesehen hätten, welchen Blick Ihnen der Arbeitsminister zugeworfen hat, als Sie das gesagt haben, dann wüssten Sie, dass Sie sich wirklich auf nicht ruhige Zeiten einstellen können. (Heiterkeit bei SPÖ und FPÖ.)

Den Vierten habe ich schon erwähnt, das ist Arbeitsminister Kocher, die devote Sprech­puppe der Industriellenvereinigung. (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Pröller.) Der hat sich natürlich vor allem durch Folgendes ausgezeichnet – und das ist bemerkenswert –: Nachdem bekannt wurde, dass er jetzt praktisch das neue Ressort dazubekommen soll, hat er in einem Interview gesagt, dass seine Hausmacht die Expertise sei. Ja, das ist bescheiden, so etwas zu sagen: Meine Hausmacht sei die Expertise!

Insbesondere interessant finde ich, dass er dann gesagt hat, er werde sich darum bemühen, die Sozialpartner einzubinden. Da ist mir ein bisschen angst und bange ge­worden. Ich habe an ihn nämlich eine Anfrage gestellt, ich habe ihn gefragt, warum er immer die Sachen macht, die die Industriellenvereinigung will, und er hat bei der Beantwortung dieser parlamentarischen Anfrage zweimal geantwortet: Na weil er immer mit den Sozialpartnern redet. – Die Industriellenvereinigung ist kein Teil der österreichi­schen Sozialpartnerschaft! Das hätte ich ihm heute auch so gesagt, aber er ist ja nicht mehr da. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Himmer.)

Ein Letztes noch zum Vizekanzler, da muss ich sagen: Ihre Rede war, soweit ich das mitbekommen habe, die einzige, die auch selbstreflektierend war. Da haben Sie wirklich eingestanden, dass bestimmte Punkte vielleicht nicht so gut laufen. Das muss ich Ihnen zugutehalten. Das Einzige, das mir nicht so gut gefallen hat, ist, dass Sie gemeint haben: „Unter dem Titel der Wahrheit ist mehr Unglück als Glück geschaffen worden“ in dieser Republik.

Mag sein, dass die Wahrheit in der Politik oftmals missbraucht wird. Das heißt aber nicht, dass man ihr komplett abschwören sollte. Ich habe bereits bei der Rede des Finanz­ministers in der letzten Sitzung festgestellt, dass er in einem kurzen Statement fünf Unwahrheiten gebracht hat. Bemühen kann man sich in der Politik schon, dass man die Wahrheit bringt.

Dann gab es noch den Kanzler: Der Kanzler hat natürlich die Möglichkeit gehabt, zu der Gesamtsituation Stellung zu beziehen, zur Inflation Stellung zu beziehen, zur Ukraine Stellung zu beziehen. Das hat er nicht gemacht. Er hat seine Kolleginnen und Kollegen vorgestellt. Das sei ihm unbenommen, das war das Thema, die Regierungserklärung. Ich hätte mir ein bisschen mehr gewünscht. – Mag so sein.

Als letzten Punkt darf ich noch zu dem Vorwurf Stellung nehmen, dass wir als Oppo­sitionspartei nicht mit Vorschlägen kommen. Das ist ja geradezu absurd! Wir bringen regelmäßig Anträge ein und wir haben heute viele Vorschläge gemacht. Was wir von der Regierung hören, und das haben wir auch heute gehört, auch vom Vizekanzler, ist, dass man nicht unendlich viel Geld hat. Da lacht der Finanzminister! Der Finanzminister ist der große Profiteur der Inflation. Ohne etwas zu machen, kriegt er dieses und nächstes Jahr 11 Milliarden Euro mehr in den Haushalt geschwemmt. 11 Milliarden Euro! Diese Zahl stammt nicht von mir, sondern von der Agenda Austria. Mit diesen 11 Milliarden Euro könnte man so viel finanzieren, das den Österreicherinnen und Österreichern hilft, und man könnte sich überlegen, wer es wirklich braucht, um es diesen Menschen zu geben. Stattdessen dreht man nicht an der Ausgabenstelle, sondern man schenkt auch noch Geld her.

Das war heute erst der Fall: Es steht zumindest der Verdacht im Raum, dass Bildungs­minister Polaschek vergessen hat, einen Vertrag mit einem PCR-Dienstleister zu kün­digen. Das kostet die Republik 11 Millionen Euro an Strafpönale, wenn das stimmen sollte. Das wäre das Jahresgehalt von 200 jungen Pädagoginnen und Pädagogen. (Bundesrat Steiner: Ein Wahnsinn!)

Es gibt 11 Milliarden Euro an Mehreinnahmen, und wir reden immer noch darüber – es ist ja erst Juni, wir haben 8 Prozent Inflation –, dass wir jetzt bald einmal über ein neues Teuerungspaket reden sollten. Das ist eine Schande für Österreich, in welchem Tempo da vorgegangen wird, und es ist vor allem eine Belastung für die Österreicherinnen und Österreicher, dass da nichts getan wird! (Beifall bei SPÖ und FPÖ sowie des Bun­desrates Arlamovsky.)

Unterstützend habe ich noch die heutige Schlagzeile der „Kronen Zeitung“ mitgebracht: „Preislawine muss gestoppt werden!“ Das sieht also nicht nur die SPÖ so, das sieht nicht nur die FPÖ so, das sieht auch die „Kronen Zeitung“ so. Vielleicht kommt es auch einmal bei den Regierungsparteien an. Meine Hoffnung ist sehr gering. Abschließend kann ich – wie auch mein Vorredner – sagen, dass genug genug ist. Ich glaube, die Österreiche­rInnen haben von dieser Bundesregierung, von billigen Ausreden für eine Teuerungs­welle, die immer und immer wieder gebracht werden, wirklich die Nase gestrichen voll. Wir brauchen Neuwahlen! Die Sozialdemokratie wird dabei den Führungsanspruch stellen, denn dieses Land muss nach all dem, was diese Regierung angerichtet hat, wieder aufgeräumt werden. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Österreicherinnen und Österreicher haben vor allem auch von einer Sache wirklich genug: Jedes Mal, wenn irgendwo in dieser Republik das Licht angemacht wird, findet man irgendeinen ÖVPler mit den Fingern in der Keksdose, und das reicht wirklich!

Abschließend kann ich noch eines sagen: Ich bin sicher, Sie werden sich nicht in Neu­wahlen trauen, weil Sie genau wissen, dass Sie sie verlieren werden. Wenn es aber spätestens 2024 Neuwahlen gibt, bin ich mir sicher, dass sich die ÖVP spalten wird: Der eine Teil geht in Opposition und der andere Teil geht in den Häfen! (Heiterkeit und Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

12.15

Vizepräsidentin Sonja Zwazl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Josef Ofner. – Bitte schön.