15.50

Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Herr Präsident! Liebe Kolle­ginnen und Kollegen! Frau Ministerin! Jetzt ist es doch gelungen, mich zu provozieren: Herr Bernard, quasi in Hochform des Hausverstandes. Wie er jetzt eine Diskussion über Windenergie führt, gegen Windenergie auftritt – das muss man zusammenbringen, das muss man förmlich mitschreiben – (Zwischenruf des Bundesrates Hübner  Bundesrat Steiner: Ist was falsch, oder?) und plötzlich über die Fundamente von Windkraft zum Klimaschützer mutiert, das ist schon eine besondere Leistung. Noch etwas – ich gebe zu, das trifft mich bei diesen Themen als studierten Techniker und lange in der Wis­senschaft Tätigen schon ein bisschen –: Es ist fundamental falsch, fundamental falsch! Das möchte ich noch vorausschicken, deswegen werden wir ein bisschen länger brauchen.

Sie haben von der ganzen Energie in Stahl und Beton gesprochen: Ja, natürlich ist da Energie drinnen. Es gibt in der Wissenschaft anerkannterweise so etwas wie eine energetische Amortisationszeit, also: Wie lange muss wieder Energie produziert werden, um das zu erzeugen, was vorher hineingesteckt werden musste? – Das gibt es detailliert. Bei einer Windanlage sind es unwidersprochen maximal ein paar Monate. Wissen Sie, wie lange es bei einem Gaskraftwerk ist? – Unendlich. Ganz einfach: Sie müssen immer Energie reinstecken, da kommt nie etwas heraus. Das ist ganz simpel. Sie müssen immer Gas fördern und reinstecken. (Bundesrat Steiner: Luft holen!) Das amortisiert sich nie, das Gegenteil ist der Fall. (Bundesrat Steiner: Luft holen!) Das ist fundamental falsch, was Sie sagen.

Ich möchte jetzt aber zum eigentlichen Thema kommen, zur Causa prima, das ist gewissermaßen doch viel ernster, und zwar geht es ja um eine Krise, und in dem Fall eine drohende Krise, eine drohende Versorgungskrise mit Erdgas. So etwas erfordert besondere Maßnahmen, mitunter weitreichende, sehr schmerzliche Eingriffe, und im Normalfall ist das natürlich nicht erforderlich und richtigerweise auch nicht möglich. Darum ist es auch so wichtig, eine drohende Krise abzuwehren oder zumindest – das kann man ja natürlich nur bedingt, aber zumindest so gut es geht – als bewältigbar vorzubereiten. Genau darum geht es in diesen zwei wesentlichen Punkten in den vor­liegenden Gesetzen.

Das ist im Großen und Ganzen ja ausgeführt worden, darum lasse ich das im Wesent­lichen auch. Ich möchte dazu nur einen Satz sagen, nämlich, dass es ja auch wirklich ein schönes Beispiel ist, wie man auch mit IndustrievertreterInnen kooperieren kann, dass man sagt: Okay, ihr könnt einspeichern, ihr könnt in einem sehr großen Ausmaß Eigenverantwortung für euren Gasbedarf übernehmen, wir sichern euch die Hälfte und auf die andere Hälfte können wir, wenn das notfallmäßig notwendig ist, auch wieder zugreifen. – Ich finde es sehr schön, dass das in einer guten Kooperation gelungen ist.

Das ist natürlich nicht alles. Weil es so viel Kritik betreffend Notfallmaßnahmen und Vor­bereitung gibt: Es ist ja viel passiert in den letzten Wochen und wenigen Monaten. Von den knapp 13 Terawattstunden strategischer Gasreserve ist ja ein großer Teil bereits ausgeschrieben gewesen. Geplant ist und kommen wird eine Verordnung, die das auf 20 Terawattstunden anhebt – das ist kräftig, das ist schon fast ein Viertel des gesamten Gasverbrauchs –, mit dem Ziel, die Speicher bis zum Winter zu 80 Prozent gefüllt zu haben. Das geht konform mit den europäischen Vorgaben, die ja noch schlagend wer­den, die das oder alternativ dazu eine Einspeicherung von 35 Prozent des Jahres­ver­brauchs vorsehen. Darum geht es bei diesen Maßnahmen.

Es wird eine ganz, ganz wichtige Regel geschaffen. Kommuniziert worden ist es schon, aber ich möchte es wieder hier hereinbringen, weil es ganz wichtig ist: In Hinkunft kann dann auf nicht genutzte Speicherkapazitäten zugegriffen werden, wenn die aus strate­gischen Gründen blockiert werden, wie das die Gazprom beziehungsweise deren Töch­ter beispielsweise beim Speicher Haidach, der im Übrigen an das österreichische Gas­netz angeschlossen werden wird, gezielt machen. Vor allem in der Kombination mit der vorigen Regel, die ich zitiert habe, wird das eine ganz, ganz wichtige Möglichkeit bieten, die Versorgung in Österreich zu sichern. Es wird einfach nicht mehr gehen, Speicher nicht zu befüllen und zum Schein Speichermengen zu buchen – das ist ein ganz wichtiger Punkt und ein massiver Eingriff, das muss man dazusagen.

Jetzt allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird es etwas dicker – jedenfalls für meine Verhältnisse, im Vergleich dazu, wie ich es sonst gewohnt bin, Dinge zu dis­kutieren: Diese Maßnahmen zur Krisenprävention kosten insgesamt viele Milliarden Euro, die die Steuerzahlenden bezahlen werden, so oder so, in welcher Form auch immer. Man wird dieses Geld irgendwann nicht ausgeben können (Bundesrätin Schartel: Das ist ja ein Blödsinn!), es wird sonst wo fehlen. Viele Milliarden davon hätten wir nicht aufwenden müssen, wenn es in den letzten Jahrzehnten eine weitsichtige Energiepolitik gegeben hätte.

Sehenden Auges hat man sich in eine massive, einseitige Abhängigkeit von vor allem russischem  Gas und generell von fossilen Energieträgern manövriert. So manche hohe Manager und Politiker haben sich über Jahrzehnte die Mär vom billigen und ach so umweltfreundlichen Erdgas vorgelogen. Da gibt es nichts zu beschönigen und nichts zu entschuldigen, denn es war damals schon klar – seit Jahrzehnten ist klar –, dass das eine grundfalsche Einschätzung war. (Zwischenruf der Bundesrätin Schartel.) Es ist mit Absicht passiert, mit voller Absicht, es ist mit Ignoranz passiert, und jetzt kostet es uns Milliarden. (Zwischenruf der Bundesrätin Schumann.) Diese fehlgeleitete Energiepolitik ist noch dazu völlig kontraproduktiv im Hinblick auf die Überlebensfrage Klimaschutz und hat uns in eine extrem missliche Situation gebracht, aus der wir aber so schnell nicht mehr herauskommen werden.

Man könnte meinen, dass das jetzt langsam allen aufgegangen sein müsste, spätestens mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, aber ich bezweifle auch das, wenn ich mir so manche Wortspenden und Vorschläge, was jetzt zu tun sei, anschaue. Vieles davon sieht verdächtig nach Ablenkungsmanövern aus. Da muss ich jetzt schon ganz konkret die jüngsten Äußerungen des Herrn Mahrer ansprechen: Was er von sich gibt, ist eine unfassbare Chuzpe. Klüger wäre es, Herr Mahrer, wenn Sie sich endlich um Ihre Angelegenheiten kümmern würden! (Bundesrat Spanring: Koalitionskrise?) – Ich sage das ganz bewusst. (Beifall bei der FPÖ.) Wo ist denn Ihr Dekarbonisierungsplan für die österreichische Wirtschaft? Wo sind denn Ihre Initiativen, endlich bei den Fachkräften weiterzukommen? (Zwischenrufe bei der FPÖ.) – Das wären wunderbare Betäti­gungs­felder für die Wirtschaftskammer, um sich vielleicht zuerst ein bisschen Glaubwürdigkeit zu erarbeiten. (Bundesrat Spanring: Ihr seid in der Koalition!)

Ich möchte jetzt noch ein bisschen auf diese Debatte eingehen. Es ist auch gefragt worden, was für den Notfallplan vorbereitet wird. Natürlich laufen die Gespräche intensivst. Es gibt ja das Energielenkungsgesetz, da sind die Prozedere aufgelistet. Ich kann schon verstehen, dass es da Wünsche nach Transparenz gibt, aber: Was soll das jetzt sein? Sollen wir jetzt mit den Energieverbräuchen großer Unternehmen in die Öffentlichkeit gehen? Sollen wir in der Öffentlichkeit diskutieren, wer wann in welchem Ausmaß abgeschaltet wird? – Stellen Sie sich dieses Schlachtfeld vor – undenkbar! Stel­len Sie sich einmal vor, was passiert, wenn hinausgegangen und angekündigt wird: Euch werden wir das Gas abdrehen! Das sind börsennotierte Unternehmen! Was glauben Sie, was mit den Börsenkursen passiert? (Bundesrätin Schartel: Sonst schert ihr euch auch nicht drum!) – Das geht doch nicht, so kann man nicht arbeiten.

Das Energielenkungsgesetz weiß das natürlich, das Energielenkungsgesetz sieht vor, mit großen Unternehmen individuell Gespräche zu führen  das passiert auch. Das Energielenkungsgesetz sieht im § 6 ausdrücklich und richtigerweise vor, dass die Daten, die da natürlich gesammelt werden, explizit nur für Lenkungszwecke zu verwenden sind. Ich meine: Wo sind wir?! – Man kann mit solchen Sachen nicht hinausgehen, das ist einfach eine falsche Erwartungshaltung. Und natürlich wissen auch Herr Mahrer und der Industriellenvereinigungschef, dass diese Gespräche stattfinden. Ich möchte es gesagt haben, weil ich denke, dass da falsche Erwartungshaltungen erzeugt werden.

Natürlich geht es jetzt darum, Vorsorge zu treffen – ich denke, das passiert jetzt wirklich intensiv –, aber natürlich geht es auch darum, schnellstmöglich aus russischem Gas auszusteigen, und noch wichtiger ist, generell aus fossilem Gas auszusteigen. Selbst­verständlich gibt es da einen Plan, der ist im April vorgestellt worden. Das (ein Blatt Papier in die Höhe haltend) ist das Deckblatt – sparsam in schwarz-weiß ausgedruckt – einer Analyse der Österreichischen Energieagentur. Darin gibt es ganz spannende Eck­punkte: Die Energieagentur rechnet vor, dass bis 2027 – 2027, das ist in fünf Jahren! – ein Ausstieg aus russischem Gas möglich wäre (Zwischenruf der Bundesrätin Schartel), allerdings nur dann, wenn wirklich ganz entschieden gehandelt wird und natürlich auch die Gesetze dafür geschaffen werden.

Der Gasverbrauch ließe sich bis dahin um ein Drittel reduzieren. Der größte Brocken davon ließe sich durch einen umfassenden Ausstieg aus Gasheizungen bei der Raum­wärme realisieren. Bis 2030 könnte die Hälfte aller Gasheizungen in Österreich umge­stellt werden. Das braucht allerdings klare begleitende rechtliche Rahmenbedingungen, vor allem im Bestand. Deswegen greift auch der Antrag der SPÖ, den ich sachlich verstehe, der ja auch in Ordnung ist, natürlich viel zu kurz. (Bundesrätin Schumann: Oh!) Wir brauchen einen ganz umfassenden Ausstieg. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Dazu brauchen wir jetzt sehr schnell die Rahmenbedingungen, weil es um Strukturen geht. Jede Gasheizung, die heute noch eingebaut wird, kann man 20, 30 Jahre lang verwenden. Das wird in den nächsten Jahren ein Problem. Wie gehen wir mit diesen Heizungen um, die jetzt frisch installiert werden, weil wir sie nicht mehr brauchen können?

Leider ist es halt so, dass auch diese Dinge und dieser Ausstieg torpediert werden, vor allem von der Gaswirtschaft und deren Verband. Ich sage es hier in aller Deutlichkeit: Sie verbreiten ein Märchen, ein gefährliches Märchen, Sie verbreiten das Märchen vom grünen Gas. (Bundesrat Leinfellner: Grüne Logik!) Ich sage es in aller Deutlichkeit: Wer grünes Gas in die Raumwärme schicken will, vernichtet Arbeitsplätze (Bundesrat Steiner: Narrische Schwammerl haben sie dem heute gegeben zu Mittag!), denn wir haben nicht einmal annähernd die Möglichkeiten, so viel grünes Gas zu produzieren, wie wir in den Bereichen benötigen, in denen es keine Alternativen gibt, und zwar in der Industrie. Die Industrie braucht grünes Gas wie einen Bissen Brot, um zu überleben. Deswegen reiten wir so darauf herum, deswegen ist es so wichtig, jetzt nicht grundlegende strategische Fehler zu begehen.

Bis jetzt ist es aber einmal durch ein paar solche rückwärtsgewandte Lobbyisten ge­lungen, sogar das EWG festzuschnallen und nicht freizugeben. Ja, ich habe eine Wut – man merkt es –, nicht weil ich beleidigt bin oder so etwas, sondern weil es unver­antwortlich ist. Es ist ein Spiel mit falschen Fakten – wissentlich! Würde man dem folgen, würde das massiven Schaden an der Volkswirtschaft anrichten. (Zwischenruf bei der FPÖ.) Eine notwendige Energiewende ist nur zu schaffen, wenn wir diese endlich als gemeinsame Aufgabe verstehen.

Da ist es auch einmal notwendig, dass sich einige Branchen verändern. Das muss man auch aussprechen. Wenn laut und vorlaut Krisenmaßnahmen zur Versorgungssicherheit eingemahnt werden, ist das ja in Ordnung, aber dann muss man in diesen Branchen – die uns in die Abhängigkeit manövriert haben und die uns jetzt auch wieder hinausführen sollen – auch Krisenmanagement beim Ausstieg aus fossilen Energieträgern akzep­tieren.

Das wollte ich einmal gesagt haben (Bundesrätin Zwazl: Das haben wir gemerkt!), und ich bitte um eine breite Zustimmung zu der Vorlage, denn das brauchen wir wirklich, damit wir die Speicher im Winter dann wenigstens zu 80 Prozent gefüllt haben. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei BundesrätInnen der ÖVP.)

16.03

Vizepräsident Günther Novak: Als Nächster zu Wort gemeldet hat sich der Bericht­erstatter, Herr Kollege Schreuder. – Bitte.