Antrittsansprache der Präsidentin

Präsidentin Korinna Schumann: Wie alle Bundesrätinnen und Bundesräte, die hier im Plenarsaal sind, bin ich dankbar und stolz, Mitglied des Bundesrates sein zu dürfen, und ich darf meiner großen Freude Ausdruck verleihen, dass ich für mein Heimatland Wien die Bundesratspräsidentschaft in diesem Halbjahr übernehmen durfte.

Ich darf mich bei der vorherigen, der Vorarlberger Bundesratspräsidentin Schwarz-Fuchs für ihre wertschätzende Präsidentschaft neuerlich bedanken. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

Den Bundesrat stärken, das muss ein wesentliches Ziel unserer Arbeit sein, zu sehr ist er oft Angriffsfläche von unqualifizierten Wortspenden und Analysen, und da gilt es da­gegenzuhalten, insbesondere auch im Interesse der Stärkung der Demokratie.

Ich bin Landeshauptmann Dr. Ludwig sehr dankbar dafür, dass er wirklich bei jeder Gele­genheit, die sich bietet, die Bedeutung des Bundesrates hervorhebt und die Arbeit der BundesrätInnen, und zwar aller Bundesrätinnen und Bundesräte, wertschätzt. Das ist ganz wichtig für uns – vielen Dank! (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

Gemeinsam aus dem Bundesrat heraus Impulse zur Weiterentwicklung des Bundesra­tes setzen, dafür ist es jetzt, denke ich, an der Zeit, es währt hier der Stillstand sonst zu lange. Wir haben gerade erlebt, dass ein Gesetz vom Nationalrat zum Bundesrat kam, bei dem es dann technische Probleme gab, und wir mussten es wieder in den Nationalrat zurückschicken, weil dem Bundesrat das Korrekturrecht nicht gegeben ist. Es wäre wohl an der Zeit, da und bei weiteren Punkten anzusetzen. Vielleicht gelingt es, ein wenig Bewegung in diese Fragen zu bringen – versuchen will ich es wohl.

Verbindungen schaffen zwischen Stadt und dem ländlichen Raum – die beiden bedingen einander und beide haben besondere Herausforderungen, in den Krisenzeiten jetzt be­sonders; in den Krisenzeiten, die wir erlebt haben, in denen wir uns jetzt befinden und auf die wir in diesem Herbst noch in vermehrtem Ausmaß wohl zugehen werden.

Es gibt aber Themenbereiche, die die Menschen in den Städten genauso betreffen wie jene im ländlichen Raum. Für meine Präsidentschaft habe ich bewusst ein Thema ge­wählt, das nicht zur weiteren Trennung oder Konkurrenz zwischen Stadt und Land führt, sondern das Verbindende sucht: „verlässliche öffentliche Strukturen als Basis des ge­sellschaftlichen Zusammenhalts“. Die inhaltliche Auseinandersetzung im Bundesrat, und dazu ist der Bundesrat wirklich fähig als Zukunftskammer, kann gerade in der derzeitigen Situation zu diesem Thema neue Blickwinkel eröffnen.

Wir haben eine Pandemie erlebt, die noch nicht vorbei ist, einen schrecklichen Krieg mit seinen furchtbaren Auswirkungen, eine Teuerung, die die Menschen ganz hart trifft, und zwar alle Menschen, insbesondere jene, die bisher schon Probleme hatten, ihre Existenz zu fristen, und wir haben eine Energiekrise, deren Auswirkungen sich noch mehr im Win­ter potenzieren werden. Und wir haben gelernt, dass der Spruch: Der Markt regelt alles!, sich nicht bewahrheitet hat. Wir haben die Bedeutung staatlichen Handelns erkannt und vor allem die Bedeutung des Sozialstaats als Schutz für die Menschen, die in Österreich leben, vor Auswirkungen dieser Krise.

Aber der Sozialstaat schützt auch vor großen Lebensein- und -umbrüchen, die jeder und jede in seinem Leben sehr rasch erleben kann, sei es die Frage der Arbeitslosigkeit, des Älterwerdens, der Pflegebedürftigkeit, der Krankheit. Aber auch positive Punkte wie die Geburt eines Kindes oder die Frage: Kann ich mir Bildung leisten?, sind ganz, ganz we­sentlich, denn der Sozialstaat ist das Vermögen derer, die kein Vermögen haben. Wir brauchen dieses starke sichere Netz des Sozialstaates.

Ein starker Staat hat auch die Verpflichtung einzugreifen, wenn zum Beispiel aus Krisen­umständen noch Übergewinne, Spekulationsgewinne gezogen werden und große Teile der Bevölkerung nicht mehr wissen, wie sie die Rechnungen zahlen sollen, die Verpflich­tung zu handeln zum Schutz der Menschen vor Existenzgefährdung, ohne zu zögern, sofort zu handeln, es geht um den Wohlstand der Menschen und es geht um den so­zialen Frieden.

Wir haben in der Pandemie gesehen, wie bedeutend die Sozialpartnerschaft ist. Die So­zialpartnerschaft hat mit dem Modell der Kurzarbeit binnen Kürze ein Rettungsmodell für Arbeitsplätze aufgestellt. Das heißt, die Kraft der Sozialpartnerschaft hat sich gezeigt. Die Sozialpartnerschaft hat auch die Kurzarbeit weiterentwickelt und ist ein wesentlicher Faktor für unseren Staat.

Ich darf mich auch hier bei Landeshauptmann Ludwig dafür bedanken, dass er die So­zialpartnerschaft in jener Form lebt, wie sie gut gedeihen kann, nämlich auf Augenhöhe. Das ist sicher auch eines der großen Erfolgsgeheimnisse der Stadt Wien. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der ÖVP.)

Gleichzeitig muss staatliches Handeln immer transparent und begleitet von starker in­terner Kontrolle erfolgen. Das Vertrauen in die Politik ist in den letzten Jahren in sehr starkem Ausmaß in unserem Land verloren gegangen. Zum Schutz der Demokratie ist hier anzusetzen, sonst werden jene Kräfte, die die demokratischen Strukturen schwä­chen wollen, noch mehr die Entwicklung nutzen, um verunsicherte oder verzweifelte Menschen auf ihre Seite zu ziehen. Dem gilt es entschieden entgegenzutreten.

Aber nicht nur die schweren Krisen haben ihre Auswirkungen, wir sind mitten in großen Wandelprozessen, sie finden gleichzeitig zu den Krisen statt: Klimakrise, Digitalisie­rungsschub und die demografische Entwicklung einer älter werdenden Gesellschaft. Öf­fentliche Investitionen sind ein bestimmender wirtschaftlicher Motor für unser Land und können die Triebfeder für private Investitionen sein: Investitionen in die öffentliche Infra­struktur, sei es in Krankenhäuser, Straßen, den sozialen Wohnbau, aber vor allen Din­gen in die Bildung, in Schulen und Universitäten sind Investitionen, die sich auf ganz lange Zeit rentieren und ganz wesentlich sind.

Aber auch die so notwendigen Investitionen durch Länder und Gemeinden sind von der extremen Teuerung belastet, wenn nicht sogar gefährdet. Hier gilt es im Interesse der Bevölkerung zu handeln und auszugleichen – ein starker Staat als Gestalter in den Wandlungsprozessen, denn sowohl jedes jetzt wirklich wichtige Klimaziel, um den Kli­mawandel zu bekämpfen, als auch jeder Veränderungsschritt in der digitalen Transfor­mation werden nicht nur die Menschen, sondern auch die österreichischen Unternehmen und die Industrie fordern, aber auch staatlicher Impulsgebung bedürfen.

Denn immer ist die Frage zu stellen: Was sind die sozialen Auswirkungen einer Maß­nahme, einer Entwicklung? Lassen wir niemanden zurück! Die Grundlage des staatli­chen Handelns muss sein: Chancen geben, Ungerechtigkeiten verringern und Qualifizie­rungen ermöglichen. Und da darf ich die besondere Rolle der Beschäftigten im öffentli­chen Dienst hervorheben. Sie sind der Schlüssel für starke öffentliche Strukturen und sie leisten, und das haben wir nicht nur in der Pandemie gesehen, wirklich Großartiges, aber der öffentliche Dienst steht ebenfalls vor großen Herausforderungen. Es muss alles getan werden, um ihn als attraktiven Dienstgeber weiter zu bewerben, gerade jetzt, um starke öffentliche Strukturen zu erhalten.

Rahmenbedingungen zu schaffen, die Chancen geben, gerade in der Frauenpolitik, das ist ganz, ganz wesentlich. Und ich freue mich sehr, dass ich im Rahmen meiner Präsi­dentschaft ein Vernetzungstreffen der Frauen über alle Ländergrenzen, über alle Frak­tionsgrenzen hinweg gemeinsam mit den Sozialpartnerinnen organisieren darf, denn Frauen sind in diesen Krisenzeiten besonders belastet, und hier bedarf es ganz dringend eines politischen Kraftaktes zur Chancengleichheit für Frauen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie bei BundesrätInnen der Grünen.)

Fast 18,5 Prozent Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männern und 42 Pro­zent Pensionsunterschied und durch Corona eine noch höhere Rate an Teilzeitarbeit bei Frauen sind politischer Handlungsauftrag.

Es braucht auch, da sind wir uns gerade im Bundesrat ja sehr einig, den flächende­ckenden Ausbau der elementaren Bildungseinrichtungen mit einem echten Booster. Das ist das Gebot der Stunde: beste Bildung für die Kinder, Chancen für die Frauen, zu ent­scheiden, wie viele Stunden sie arbeiten, Sorgenfreiheit für die Eltern, weil einfach ein Kinderbildungsplatz da ist. Hier darf ich Wien wieder erwähnen mit seinem ganz, ganz tollen und gut ausgebauten Angebot an Kinderbildungsplätzen, was einerseits das ele­mentarpädagogische Angebot angeht, das seit zehn Jahren bereits in Wien gratis ist, aber beispielgebend ist auch das Ganztagsschulangebot in verschränkter Form, auch das ist gratis.

Gerade aus dem Bundesrat heraus ist es ganz wichtig, die Bedeutung der Länder in ihrer Gestaltungskraft hervorzuheben. Städte und Gemeinden sind die Grundpfeiler un­seres Landes. Hier haben die Bürgerinnen und Bürger den wesentlichen Kontakt zu ihren Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern und den Bezug zu ihrer Stadt, zu ihrer Gemeinde, ihrem unmittelbaren Lebensumfeld. Damit sind wir beim Bereich der Da­seinsvorsorge, und dieser Bereich hat im Rahmen meiner Präsidentschaft natürlich ei­nen herausragenden Stellenwert, nicht umsonst ist der Titel: starke öffentliche Struk­turen.

Auch da ist die Bundeshauptstadt Wien ganz besonders hervorzuheben: Wien als ein­zige Großstadt in Österreich mit fast zwei Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, die fünftgrößte Stadt Europas ist beispielgebend für die hohe Qualität der Daseinsvor­sorge und damit auch, und das zeigt sich immer wieder, für die hohe Lebensqualität.

Daseinsvorsorge ist ein bisschen ein sperriger Begriff, aber das heißt einfach: funktio­nierende gute Wasserversorgung, Abwasser- und Müllentsorgung, beste Gesundheits­versorgung, starke Dienstleistungen, ein extrem guter und leistbarer öffentlicher Ver­kehr. All das ist grundlegend für die Menschen in ihrer Gemeinde und in ihrer Stadt.

Wesentlich ist auch, weil die Mietfrage so wichtig ist, der soziale Wohnbau. Ich darf be­tonen, dass zwei Drittel der Wienerinnen und Wiener im sozialen oder geförderten Wohnbau wohnen. Wien hat auch eine Besonderheit, weil Wien auf die Arbeitnehme­rinnen und Arbeitnehmer schaut: Es gibt den Waff, den Wiener ArbeitnehmerInnen-För­derungsfonds, und dieser ist eine Besonderheit, denn der Auftrag und das Ziel sind es, Wienerinnen und Wiener zu qualifizieren, bei der Arbeitssuche zu unterstützen und gleichzeitig eng mit den Unternehmen zusammenzuarbeiten; alles das, damit die Wett­bewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Wien erhalten und ausgebaut wird.

Wien macht Zukunftsinvestitionen in den Klimaschutz. Schon seit vielen Jahrzehnten sind wir hier Vorreiter.

Es ist noch eine Besonderheit, die Wien so ausmacht: Wir haben jetzt Sommer und es geht um das Freizeitangebot. Das Freizeitangebot für die Menschen ist umfassend und es ist in vielen, vielen Fällen kostenlos oder für einen ganz geringen Beitrag zu nützen. Das ist etwas Besonderes. Ich darf nur an das Donauinselfest erinnern, das größte Openairfestival Europas, bei dem man keinen Eintritt zahlen muss. Wir haben in Wien 1 000 Parkanlagen und Bäder, wir haben die Summer City Camps für die Kinder, die können dort spielen und dabei ein bisschen lernen und Sport betreiben. Und wir haben eine Einrichtung, die mich schon so lange begleitet, das sind die Wiener Büchereien.

Ich komme aus einer Familie mit vier Kindern, und es war nicht immer Geld da, um Bücher zu kaufen, aber ich habe die Chance gehabt, in den Büchereien so viele Bücher auszuborgen, welche mit hohem Niveau, welche mit Unterhaltungswert, aber es war immer toll, in die Bücherei zu gehen und ein neues Werk mitzunehmen. Das wurde bei uns weitergegeben, auch mit meinem Sohn sind wir immer in die Büchereien gegangen, haben neue Bilderbücher oder Spannendes ausgeborgt, bei 1,5 Millionen Büchern, die es dort gibt, ist das ja keine Schwierigkeit. Also das ist etwas Besonderes und das be­gleitet mich in großem Ausmaß.

Ich bin Gewerkschafterin und damit ist natürlich die Frage der Lehre für mich eine ganz, ganz wichtige und das Werben für die Lehre, für die Bedeutung der Lehre. Ich freue mich sehr, dass es möglich ist, für 8. September eine Veranstaltung rund um die Lehre hier im Bundesrat zu organisieren unter dem Titel: „Deine Lehre – Deine Zukunft!“. Da werden Schülerinnen und Schüler diskutieren, Lehrlinge, da werden die jungen Sozialpartner und -partnerinnen kommen, die Bundesjugendvertretung, und es wird die Möglichkeit ge­ben, über die Lehre und über die Bedeutung der Lehre zu sprechen. Der Bundesrat ist dafür ein guter Raum. (Beifall bei der SPÖ sowie bei BundesrätInnen von ÖVP und Grünen.)

Starke öffentliche Strukturen als Basis für den gesellschaftlichen Zusammenhalt – dazu gehört auch die Gedenk- und Erinnerungskultur. Es ist möglich, für Dezember eine Ver­anstaltung zum Gedenken an die Kindertransporte im Jahr 1938 im Bundesrat zu orga­nisieren. Dieses Gedenken gerade im Bundesrat ist, glaube ich, wesentlich, vor allen Dingen deshalb, weil der Bundesrat einen Ausschuss hat, den der Nationalrat nicht hat, nämlich den Kinderrechteausschuss, einen sehr aktiven und wichtigen Ausschuss. Und hier dieses Gedenken zu vollführen ist aus meiner Sicht ganz, ganz wichtig.

Gesellschaftlicher Zusammenhalt ist ein wesentlicher Faktor für den Schutz unserer De­mokratie. Die Gewichtungen dürfen nicht zu weit auseinandergehen. Es geht um Ge­rechtigkeit. Ein gutes Leben für alle muss das Ziel sein, Ausgleich schaffen, die großen Leistungen der Menschen im Alltag und im Berufsleben anerkennen, gegenseitiger Re­spekt und Wertschätzung, nicht wegschauen, wenn die Lasten der Menschen zu schwer werden, sondern schnell und ganz aktiv helfen.

Ich darf mit der Hoffnung schließen, mit der Wiener Präsidentschaft Anregungen zum Diskurs geben zu können, und sage vielen Dank. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

9.17