9.17

Landeshauptmann von Wien Dr. Michael Ludwig: Sehr geehrte Frau Bundesratsprä­sidentin! Hochgeschätzte Mitglieder des Bundesrates! Werte Mitarbeiterinnen und Mitar­beiter der Parlamentsdirektion! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ich freue mich sehr, dass ich wieder im Bundesrat sein darf. Ich habe als eine meiner ersten Tätigkeiten – ich glaube, mich erinnern zu können, es war überhaupt die erste Rede als neuer Landeshauptmann und Bürgermeister von Wien – meine Antrittsrede im Bundesrat gehalten, auch deshalb, weil ich sehr schöne Erinnerungen an den Bundesrat habe, als Mitglied. Ich war von Jänner 1996 bis September 1999 Mitglied des Bundesra­tes, und ich habe das Klima, das damals im Bundesrat geherrscht hat, sehr geschätzt. Es war ein sehr kontroversielles Klima, aber eines, das sehr sachorientiert war und sich sehr stark an der Lösung von Herausforderungen, die es damals natürlich auch gegeben hat, orientiert hat.

Ich freue mich sehr, dass die frühere Präsidentin beziehungsweise Vizepräsidentin An­neli Haselbach auch unter uns ist, die sich an diese Zeiten noch sehr gut erinnern kann.

Gerade diese Tätigkeit über die Bundesländer- und Fraktionsgrenzen hinweg hat eigent­lich den Bundesrat immer sehr stark als wichtigen Teil des Föderalismus ausgezeichnet. Der Föderalismus ist so wie andere Bereiche unseres Lebens, unserer Gesellschaftsord­nung ein unverzichtbares Element der Republik Österreich.

Von daher ist es bewundernswert, dass es dem Bundesrat gelungen ist, auch in den letzten Jahren sehr viele Gesetzesinitiativen auf den Weg zu bringen beziehungsweise auch an der Gesetzgebung insgesamt mitzuwirken, aber auch die Kontrolle auszuüben, nämlich als Kontrolle der Bundesländer im Zuge der Bundesgesetzgebung. Diese Tätig­keit ist ganz, ganz wichtig. Das sage ich nicht nur, weil ich heute hier vor Ihnen reden darf, sondern das sage ich auch bei vielen anderen Gelegenheiten, Ansprachen, Inter­views, und ich glaube, es wäre ein gemeinsames Anliegen, immer wieder zu betonen, dass der Bundesrat neben dem Nationalrat und anderen wichtigen Einrichtungen der Republik ein sehr, sehr starkes Element der österreichischen Demokratie darstellt. (Bei­fall bei SPÖ, ÖVP und Grünen sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Ich freue mich, dass Korinna Schumann jetzt diese Funktion als Präsidentin des Bundes­rates übernimmt, auch deshalb, weil sie sehr viel Erfahrung einbringt. Als Vizepräsidentin und Bundesfrauenvorsitzende des Österreichischen Gewerkschaftsbundes hast du in vielen sozial-, aber auch frauenpolitischen Bereichen Maßnahmen gesetzt. Das kann der Tätigkeit des Bundesrates nur guttun, auch als sichtbares Zeichen nach außen, dass die Themenfelder Sozial- und Frauenpolitik in dieser krisenhaften Zeit auch einen beson­deren Schwerpunkt erfordern.

Es ist auch ein Zeichen dafür, dass die Sozialpartnerschaft ein unverzichtbares Element unserer Republik und auch ein Garant für den sozialen Frieden ist. Gerade wenn inter­nationale Delegationen zu uns nach Österreich kommen, spielt die Sozialpartnerschaft immer eine besondere Rolle. Ich habe es selbst erlebt, auch in vielen internationalen Konferenzen und Dialogforen, dass die österreichische Sozialpartnerschaft von anderen Ländern fast mit einem gewissen Neid betrachtet wird. Wenn man sich Konflikte in an­deren Ländern ansieht, Konflikte, die ihre Wurzeln im Wirtschafts- und Sozialpolitischen haben, sieht man, wie wichtig die Sozialpartnerschaft in diesem Bereich ist. Ich finde es als einen sehr, sehr guten Themenschwerpunkt, den die neue Präsidentin Korinna Schu­mann setzt: „verlässliche öffentliche Strukturen als Basis des gesellschaftlichen Zusam­menhalts“.

Beides werden wir in diesen Zeiten, in denen sich Krisen am Horizont anbahnen, beson­ders brauchen: verlässliche öffentliche Strukturen, aber vor allem auch den gesellschaft­lichen Zusammenhalt. Ich kann dir, sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Korinna, nur versichern, dass ich als Bürgermeister, Landeshauptmann, aber auch als Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz beziehungsweise auch als Präsident des Österreichi­schen Städtebundes diesen Schwerpunkt sehr gerne unterstützen werde, denn es geht da um ganz wichtige Elemente in der Bewältigung der derzeitigen Herausforderungen, und von daher wünsche ich dir nicht nur viel Erfolg als Präsidentin des Bundesrates, sondern vor allem auch viel Erfolg beim Durchsetzen dieser Schwerpunktthemen. – Alles Gute! (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Ich halte diesen Schwerpunkt auch deshalb für wichtig, weil das Miteinander zwischen Städten und Gemeinden, aber auch den ländlichen Regionen von zentraler Bedeutung ist. Wir haben erst vor Kurzem eine große Konferenz der Österreichischen Raumord­nungskonferenz gehabt, und es hat sich gezeigt, dass das Gegeneinanderausspielen von Stadt und Land keinen Sinn hat, sondern dass das Miteinander, die Entwicklung von urbanen Regionen gemeinsam mit dem ländlichen Umfeld und die Zusammenarbeit zwischen ländlichen Regionen und urbanen Zentren sehr wichtig sind.

In Fragen wie beispielsweise Maßnahmen gegen den Klimawandel, aber auch umwelt­politischen Maßnahmen ist das nur scheinbar ein Widerspruch. Die Fragen, wie man mit Bodenverbrauch umgeht oder wie die Siedlungsstruktur aussehen soll und trotzdem dem Bedarf an Wohnraum gerecht wird und die nötigen Arbeitsplätze sicherstellt, dass auch die Landwirtschaft gut funktioniert und man immer stärkere Schwerpunkte im bio­logischen Landbau setzt, sind eine Herausforderung, die Städte, Gemeinden, aber auch Verantwortungsträger in der Landwirtschaft gemeinsam betrifft.

Das ist für uns in Wien, einer Metropole, eine besondere Herausforderung. Trotzdem bin ich stolz, Bürgermeister einer Millionenstadt zu sein, wo 14 Prozent der gesamten Grundfläche landwirtschaftlich genutzt werden, und das gilt nicht nur für den bekannten Wiener Wein und den Wiener Gemischten Satz, den wir auch international vermarkten, sondern weil auch die Weinberge in Wien ein wichtiges Naherholungsgebiet sind und einen Beitrag zur Ökologisierung der Metropole leisten.

Wir produzieren aber (Bundesrat Steiner: Alkohol!) – nicht nur Alkohol, auch wenn wir beispielsweise, lieber Kollege, 80 Prozent der Braugerste für das Wiener Bier auf Wiener Grundfläche produzieren, sondern darüber hinaus auch Brotgetreide, und zwar mehr als drei andere Bundesländer zusammengerechnet. Damit spiele ich jetzt nicht die Tätigkeit Wiens gegen andere Bundesländer aus, möchte aber zeigen, dass es durchaus möglich ist, auch im urbanen Raum eine sinnvolle Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft ein­zugehen.

Warum? – Wenn wir davon sprechen, dass eine Großstadt eine intelligente Stadt der Zukunft sein soll, eine Smartcity, dann ist ein wichtiges Element, eine Stadt der kurzen Wege herzustellen. Dass es in Wien möglich ist, dass Sie sich Gemüse beispielsweise quasi vom Landwirt direkt mit der Straßenbahn, mit dem Fahrrad oder zu Fuß abholen können, ohne dass große Transportwege notwendig sind, ist ein Zeichen hoher Lebens­qualität und auch eine sinnvolle Maßnahme, um ein solches Smartcity-Konzept umzu­setzen. Eine Stadt der kurzen Wege, wo die Menschen eingebunden sind und auch ein Verhältnis zur landwirtschaftlichen Produktion entwickeln, das halte ich für wichtig, auch als deutliches Signal dafür, dass Stadt und Land keinen Widerspruch darstellen müssen, sondern ein sinnvolles Miteinander zu finden ist. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

Von daher, denke ich, sind gerade die Erkenntnisse, die wir auch im Rahmen der Öster­reichischen Raumordnungskonferenz gemeinsam mit Mitgliedern der Bundesregierung, Vertreterinnen und Vertretern der Bundesländer, der Städte, Gemeinden, der Sozialpart­ner und der Interessenvertretungen erlangt haben, eine wichtige Leitorientierung auch für die weitere Entwicklung unseres Landes.

Das bedeutet natürlich auch, dass wir die Unternehmen, die in diesem Bereich tätig sind, unterstützen. Wir haben beispielsweise alleine in Wien 700 landwirtschaftliche Betriebe mit Tausenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die hervorragende, hochqualifizierte Arbeit gerade auch im biologischen Landbau leisten. Wir produzieren beispielsweise 260 Prozent der Gurken, die wir in Wien brauchen, wir exportieren also Gurken in andere Bundesländer und bis nach Deutschland. Da kenne ich ehrlich gesagt nicht viele Metro­polen, die unterschiedliche Gemüse- und Obstsorten, aber auch andere landwirtschaftli­che Produkte in andere Regionen liefern, um die Versorgung auch dort abzudecken.

Ich glaube, zu zeigen, dass wir in verschiedenen Regionen Österreichs in der Lage sind, unterschiedliche Wirtschaftsbereiche miteinander in Einklang zu bringen – neben der Landwirtschaft beispielsweise Industrie, Handel, Gewerbe –, all das, was notwendig ist, um eine flexible Wirtschaft aufzubauen, das halte ich für einen großen Vorteil, und es zeigt auch, dass Österreich in manchen Bereichen besser durch die krisenhaften Er­scheinungen gekommen ist als andere Länder, die ausschließlich auf einen Bereich der Wirtschaft setzen.

Wie fragil, verletzbar und unsicher unsere Gesellschaft geworden ist, zeigt sich ja an den verschiedenen Herausforderungen, die wir zu bewältigen haben. Dass es beispielsweise eine Kriegssituation in Europa gibt, die wir uns in diesem Ausmaß nicht mehr vorstellen konnten, und es erstmals seit dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien in Europa wieder einen Krieg, eine bewaffnete Auseinandersetzung mit Hunderten Toten gibt – und zwar unter Soldaten genauso wie unter der Zivilbevölkerung –, das erschreckt. Es bedeutet, dass unsere Ausrichtung in der Friedensordnung, die wir für ein gemeinsames Europa vorgesehen haben, dadurch in vielen Bereichen infrage gestellt ist.

Aber auch in der Wirtschaft sehen wir, dass durch eine Inflationsrate, die wir seit den Achtzigerjahren nicht mehr gewohnt waren, völlig neue Herausforderungen auf uns zu­kommen, und das zusätzlich zu den Schwerpunkten, die wir auch hier im Haus schon lange vorher diskutiert haben: Fragen, wie man mit den Auswirkungen des Klimawandels umgeht und wie man Maßnahmen setzen kann, um Klimaschutz umzusetzen.

Das gilt aber auch für den Prozess der Digitalisierung. Ich bin der Meinung: Wenn wir im internationalen Wettbewerb auch in Zukunft eine Rolle spielen wollen, wird das nur in einem gemeinsamen Europa möglich sein. Es zeigt sich jetzt schon, dass die internatio­nale Wirtschaft von großen Wirtschaftseinheiten dominiert wird, und daher werden wir unsere Wirtschaft auch ganz stark ausrichten müssen, um in diesem internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Das wird natürlich auch Modernisierung in vielen Be­reichen bedeuten: Digitalisierung beispielsweise, und da ist mir wichtig, dass wir gerade in diesem Digitalisierungsprozess darauf achten, dass die Digitalisierung den Menschen dient und nicht die Menschen Instrumente einer Technisierung werden, die dann in man­chen Bereichen als nicht beherrschbar gilt.

Daher werden wir da einen großen Schwerpunkt setzen, auch im humanen Digitalisie­rungsprozess, um diese gesellschaftspolitischen Auswirkungen zu begleiten; denn neue Technologien bedeuten auch immer eine große Gefahr, dass es eine Spaltung in der Gesellschaft gibt: in Menschen, die diese neuen Technologien nutzen können, und jene, die an dieser Entwicklung keine oder zu wenig Teilhabe finden. Daher ist es nicht nur eine technische Herausforderung, wie wir im internationalen Wettbewerb bessere, digita­lisierte Möglichkeiten auf den Weg bringen können, sondern es wird vor allem auch eine große Herausforderung sein, die Menschen in diesen Prozess mitzunehmen: in der Erst­ausbildung, im lebensbegleitenden Lernen, aber auch in der Frage, welche gesell­schaftspolitischen Schwerpunkte wir in diesem Bereich setzen.

Österreich ist ein neutrales Land. Das ist ein Bereich, der gerade jetzt, bedingt durch den Krieg in der Ukraine, in Diskussion geraten ist. Wir sehen aber auch, dass es in der österreichischen Bevölkerung eine hohe Zustimmung zur Neutralität gibt, auch deshalb, weil sie ein sinnstiftendes Element in der gesamten Zweiten Republik war und ist. Es ist ja kein Zufall, dass der österreichische Nationalfeiertag der 26. Oktober ist, aus Anlass der Beschlussfassung der immerwährenden Neutralität im österreichischen Nationalrat. Man hätte ja auch andere Tage wählen können, die sich damals angeboten hätten, aber es war ein ganz bewusster Akt, um deutlich zu machen, dass das ein wertvolles Element der Identität Österreichs ist.

Wenn jetzt Schweden und Finnland der Nato beitreten, dann wird Österreich das einzige Land der Europäischen Union auf dem Festland sein, das diesen Status als neutrales Land beibehält. Ich halte das für eine große Möglichkeit, Österreich – ich darf Wien hier vielleicht besonders erwähnen - - (Bundesrat Schreuder: Schweiz?!) – Die Schweiz ist nicht Mitglied der Europäischen Union, auch wenn es ganz enge bilaterale Verbindungen gibt. Daher, glaube ich, haben wir die Möglichkeit, als neutrales Land zu agieren und Wien als eine Stadt mit Sitz von 50 internationalen Organisationen, beispielsweise der UNO, im Zentrum zu sehen.

Ich habe erst vor wenigen Wochen Generalsekretär António Guterres zu Gast im Wiener Rathaus gehabt, der Wien besonders gelobt hat als einen Standort, an dem es möglich ist, friedenssichernde, friedensschaffende Maßnahmen zu setzen, als eine Plattform, ei­ne räumliche Möglichkeit, Konfliktparteien zusammenzuführen und kombiniert mit einer aktiven Außenpolitik die Möglichkeit zu nutzen, die Stadt Wien, die Republik Österreich als neutralen Ort von Gesprächen auch international zu determinieren. Das halte ich für eine Chance.

Ich glaube, es würde kein großer Ruck durch die Nato gehen, wenn wir als Republik Österreich unsere militärische Kompetenz einbringen würden. Wir können als neutrales Land aber eine hohe internationale Kompetenz einbringen, als Stadt, die auch interna­tional große Reputation genießt, und von daher, denke ich, ist das sicher ein wichtiger Punkt, der zweifellos auch in den politischen Diskussionen in den nächsten Wochen und Monaten eine Rolle spielen wird.

Das Motto meines Vorsitzes bei den Landeshauptleuten heißt „Entschlossen handeln. Zukunft sichern“. – Wie jedes Motto ist es relativ allgemein, hat aber, wie ich meine, gerade jetzt eine besondere Bedeutung, denn es wird notwendig sein, entschlossen zu handeln. Die Bevölkerung erwartet sich von uns, als politische Entscheidungsträger vo­ranzugehen, auch wenn es manchmal notwendig ist, Entscheidungen zu treffen, die viel­leicht nicht von allen hundertprozentig goutiert werden. Entscheidungen zu treffen ist aber der Erwartungshorizont in der Politik. Daher gilt es, nicht zu zaudern, sondern nach intensiven Diskussionen, intensiven Gesprächen unter Einbeziehung möglichst vieler – auch unterschiedlicher – politischer Gruppierungen am Ende auch Maßnahmen durch­zusetzen, die notwendig sind, um die Zukunft zu sichern.

Wir bewegen uns wirklich, so wie der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz das auch genannt hat, in einer Zeitenwende, und es wird wichtig sein, jetzt die richtigen Maßnah­men zu setzen, um in dieser Zeitenwende unser Land durch sich am Horizont aufbau­ende Krisen zu bringen. Dazu gehört natürlich die Frage, wie wir mit den steigenden Energiepreisen umgehen. Das ist keine Herausforderung, die uns in Österreich alleine betrifft. Das ist eine Herausforderung, die ganz Europa zu schultern hat.

Ich habe aus diesem Grund in den letzten Tagen vorgeschlagen, ob es nicht sinnvoll wäre, dass die unterschiedlichen Vorschläge, die zum Thema Energiepreise gemacht worden sind, auf den Tisch gelegt werden, und man eine gemeinsame Lösung findet. Es gibt gute Vorschläge, die aus der Bundesregierung kommen, es gibt gute Vorschläge, die aus den Ländern kommen, aus den Parteien, von den Sozialpartnern. Es gibt auch Vorschläge aus der Europäischen Kommission, und es wäre sinnvoll, sich anzuschauen, was national überhaupt möglich ist: Wo ist es notwendig, Kooperationen zu finden – mit Nachbarländern beispielsweise –, um Energieverbünde zu schaffen? Wo gibt es die Möglichkeit, dass wir als Republik Österreich einen eigenständigen Weg finden? (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der ÖVP.)

Das wird eines der zentralen Themen sein, auch in Europa. Wir sehen, dass auch in­nerhalb der Europäischen Union die Art und Weise, wie Energie produziert oder bezogen wird, ganz unterschiedlich ist, nicht nur beim Gas, das aus Russland bezogen wird. Das sind auch die Fragen, wie Atomstrom in die Netze eingespeist wird, wie sich alternative Energieformen durchsetzen können, wie wir auch im internationalen Wettbewerb mög­lichst preiswert Rahmenbedingungen schaffen können, um diese Ideen für alternative Energieformen auch umzusetzen.

Die Inflation, die derzeit die Haushalte, aber auch die Wirtschaft stöhnen lässt, ist natür­lich ganz stark durch die steigenden Energiepreise importiert. Sie hat Auswirkungen auf alle anderen Lebensbereiche, von landwirtschaftlichen Produkten bis hin zu Dienstleis­tungen, die damit natürlich die Inflation noch weiter anheizen. Daher wird es sinnvoll sein, gemeinsam zu überlegen – Bund, Länder, Städte, Gemeinden, Sozialpartner –, ein umfassendes Antiteuerungspaket zu schnüren, um die Haushalte, aber auch die Wirt­schaft zu entlasten, oder auch Bereiche, über die man interessanterweise ganz wenig spricht – was ich sehr bedaure –: Die stark steigenden Energiepreise wirken sich bei­spielsweise auch im ehrenamtlichen Bereich aus: Blaulichtorganisationen. All jene, die beispielsweise bei freiwilligen Feuerwehren oder Rettungsdiensten tätig sind, spüren, dass sich die steigenden Energiepreise auch dort gerade dramatisch auswirken. Wir sind aufgerufen, zu überlegen, wie wir diesen wichtigen Teil der ehrenamtlichen Tätigkeit un­terstützen, sodass nicht immer mehr Menschen ihre Funktionen dort beenden, weil die finanziellen Rahmenbedingungen einfach immer schwieriger werden. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Schreuder.)

Es wird wichtig sein, dass wir den Ausbau erneuerbarer Energien weiter vorantreiben. Es gibt ja ein Erneuerbare-Wärme-Gesetz, das in Begutachtung ist. Es fehlen noch die Umsetzungsverordnungen. Da wird es wichtig sein, dass die Bundesregierung auch die Interessen der Bundesländer stark miteinbezieht, denn es gibt bundeslandspezifische Besonderheiten, verschiedene Rahmenbedingungen, die die Bundesländer haben, und die müssen natürlich auch ihre Berücksichtigung finden.

Ich denke, dass wir auch voneinander lernen können. Es gibt Bundesländer, die im Be­reich Solartechnologie weit voraus sind, es gibt Bundesländer, die da und dort mit Wind­energie große Erfahrungen gemacht haben, auch Geothermie. Wir versuchen in Wien, mit dem Forschungsprojekt GeoTief bis 2030 die Fernwärme mit Geothermie zu versor­gen, für rund 135 000 Haushalte, um damit die Raumwärme und das Warmwasser zu schaffen. Das ist also sicher eine Zukunftstechnologie, allerdings noch mit einem großen Investitionsaufwand verbunden. Ich denke, wenn wir uns da wechselseitig über die Bun­desländergrenzen hinweg miteinander austauschen, hilft es zweifellos, Kosten bei der Entwicklung dieser Technologien einzusparen. Wir haben uns vorgenommen, dass wir bis 2040 60 Prozent des Wärmebedarfs in Wien über die Fernwärme decken, und mit Geothermie und Großwärmepumpen sollte die Hälfte der Fernwärme produziert werden.

Ich habe mich sehr gefreut, dass jetzt Wirtschaftsminister Habeck aus Deutschland beim Besuch in Wien – sich leider nicht nur angesteckt hat (Heiterkeit bei BundesrätInnen der ÖVP), sondern auch interessante Projekte besucht hat, beispielsweise in der ebswien, in der Kläranlage Simmering zu Besuch war. Das ist eine der größten Wärmepumpenanla­gen Europas, auf die ich sehr stolz bin. Das hat uns wirklich viel Geld gekostet: in der Ent­wicklung, aber auch in der Umsetzung. Wenn immerhin der deutsche Wirtschaftsminister sagt: So etwas haben wir in Deutschland nicht!, dann, muss ich sagen, erfüllt mich das schon mit einem gewissen Stolz, dass wir da voranschreiten und dass das ein sichtbares Zeichen dafür ist, dass das Klimaschutzprogramm, das wir in Wien seit über 20 Jahren sehr konsequent umsetzen, auch zeigt, dass wir an den großen Schrauben drehen und uns nicht nur mit Klein-Klein beschäftigen, sondern auch in der Lage sind, einen großen Wurf durchzusetzen, um die Dekarbonisierung des Wärmesektors konkret umzusetzen.

Von daher sind das Maßnahmen, die wichtig sind, um eine Umstellung im Energiewesen herbeizuführen. Jetzt ist natürlich eine große Herausforderung: Wie können wir Haushal­te – auch die Wirtschaft, aber jetzt einmal ganz besonders die privaten Haushalte – bei diesen stark steigenden Energiepreisen unterstützen? Wir haben deshalb in Wien schon im März eine Wiener Energieunterstützung für 260 000 Haushalte auf den Weg ge­bracht, die 200 Euro direkt überwiesen bekommen, Alleinerzieherinnen und Alleinerzie­her 300 Euro. Das Wichtige ist, dass das schnell passiert und ohne großen bürokrati­schen Aufwand, denn wir wissen: Gerade jene Haushalte, die es wirtschaftlich beson­ders benötigen, sind auch jene, die oft an bürokratischen Hürden scheitern. Wir haben bis gestern schon 192 000 Haushalte damit versorgen können. Die restlichen bekom­men das Geld in den nächsten Tagen überwiesen.

Wir haben auch schon mit einer weiteren Energieunterstützung Plus, die wir auf den Weg gebracht haben, sichergestellt, dass diese Maßnahmen im Herbst fortgesetzt werden, er­gänzt werden und dass manche Haushalte bis zu 1 000 Euro Unterstützung bekommen.

Es ist mir völlig bewusst, dass das nur ein Teil sein kann. Wir wissen noch nicht, wie sich die Energiepreise in den nächsten Monaten weiterentwickeln werden. Es ist zu befürch­ten, dass es nicht so schnell eine Stabilisierung geben wird. Daher wird es wichtig sein, gemeinsam darüber nachzudenken, aber dieses Nachdenken auch in Handeln umzu­münzen, damit da sehr schnell geholfen wird, denn es gibt viele Haushalte, die in der Tat ganz dramatisch unter dieser Entwicklung leiden. Daher kann ich nur dieses Angebot wiederholen, dass wir möglichst schnell gemeinsam – Bund, Länder, Sozialpartner, viel­leicht auch unter Einbeziehung von Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft, auch aus der Europäischen Union, die ja auch ihre Überlegungen haben und wertvolle Vorarbeiten geleistet haben – zu einer Lösung, zu einem Maßnahmenpaket kommen. (Beifall bei der SPÖ, bei BundesrätInnen der ÖVP sowie des Bundesrates Schreuder.)

Ich möchte noch ein Thema ansprechen, das die Präsidentin in ihrer Antrittsrede völlig zu Recht thematisiert hat: Das ist der gesamte Bildungsbereich, auch mit dem beson­deren Schwerpunkt der Lehrlingsausbildung. Wir sehen in ziemlich allen Branchen – und das ist österreichweit ähnlich und auch in Europa in den allermeisten Ländern ein Thema –, dass wir einen ganz dramatischen Fachkräftemangel haben. Auslöser ist si­cher auch die sogenannte demografische Entwicklung, auf die ich schon vor Jahren hin­gewiesen habe, weil das einfach statistisch auszurechnen ist. Wenn man sich die demo­grafische Entwicklung von den Fünfzigerjahren bis heute anschaut, sieht man beispiels­weise, dass Wien, früher einmal das mit Abstand älteste Bundesland, mittlerweile zum mit Abstand jüngsten Bundesland geworden ist. Das bedeutet aber nicht, dass wir in Wien immer jünger werden, auch wenn ich immer jünger ausschaue, der Kollege (in Richtung Bundesrat Himmer) wird mir da recht geben. (Heiterkeit bei der ÖVP.) – Oder nicht?

Das Durchschnittsalter der Wiener Bevölkerung ist von den Fünfzigerjahren bis heute ziemlich gleichgeblieben. Wir sehen allerdings in den anderen Bundesländern beim Durchschnittsalter eine starke Aufwärtsentwicklung. Das ist verständlich und auch er­freulich. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Menschen, auch aufgrund unseres Sozial- und Gesundheitssystems, erfreulicherweise älter werden. Das ist gut so. Für den Ar­beitsmarkt bedeutet das nur, dass jetzt die geburtenstarken Jahrgänge in Pension gehen. (In Richtung Bundesrat Himmer:) Da sind wir wieder bei den jung Aussehenden, aber trotzdem schon lange hier Seienden. Es gibt nur mehr wenige, die mit mir gemein­sam im Bundesrat waren. (Heiterkeit der BundesrätInnen Zwazl und Schennach.)

Von daher ist es eine dramatische Entwicklung, dass viele der geburtenstarken Jahrgän­ge jetzt in Pension gehen und weniger Menschen am Arbeitsmarkt nachkommen, in ziemlich allen Branchen. Das wird eine große Herausforderung sein. Ich denke, wir sind gut beraten, dass wir jetzt natürlich die universitäre Ausbildung vorantreiben. Wien ist im deutschsprachigen Raum die zweitgrößte Stadt, aber die wichtigste Universitätsstadt: mit neun Universitäten, fünf Privatuniversitäten, fünf Fachhochschulen und fast 200 000 Stu­dierenden. Das ist auch ganz wichtig für die Wirtschaft. Wir siedeln in Wien verstärkt pharmazeutische Bereiche an oder Expertinnen und Experten, die international sehr re­nommiert sind, zum Beispiel jetzt mit dem Institut für Präzisionsmedizin.

Wir müssen aber auch schauen, dass wir in der Lehrlingsausbildung ganz deutliche Schritte setzen. Wir werden deshalb die modernste Schule in Wien als eine Zentralbe­rufsschule errichten – in der Seestadt Aspern –, um deutlich zu machen, dass wir mit besonderer Wertschätzung junge Menschen ansprechen wollen, die in Zukunft auch eine Lehre machen wollen, denn das wird sehr, sehr notwendig sein, in allen Wirtschafts­bereichen.

Aber auch dann, wenn wir zum Beispiel sagen, wir wollen klimaschutzrelevante Maßnah­men umsetzen, und dann feststellen, dass wir für die Fotovoltaikanlagen, die wir durch die Unterbrechung der internationalen Lieferketten ohnehin schon schwer nach Öster­reich bringen, zwar die Materialien haben, aber unter Umständen zu wenige Techniker, die in der Lage sind, diese dann auf dem Dach zu montieren, denke ich mir, sollten wir gemeinsam – die Sozialpartner sind schon angesprochen worden, und die Frau Präsi­dentin hat den Wiener ArbeitnehmerInnen-Förderungsfonds angesprochen – darüber nachdenken, wie es möglich ist, dass wir gezielt junge Menschen gewinnen, um den Lehrberuf anzustreben, verschiedene Lehrberufe anzustreben, und zu erkennen, dass das nicht, wie das manchmal formuliert worden ist, eine Sackgasse ist, sondern dass das ganz im Gegenteil eine Möglichkeit ist, in der Wirtschaft zu reüssieren, die aber auch ganz großartige persönliche Entfaltungsmöglichkeiten bietet.

Ich würde wirklich dazu einladen, dass wir das nächste halbe Jahr besonders nutzen, um uns über die Bundesländergrenzen hinweg auszutauschen, wie die Erfahrungen sind, welche Projekte wir konkret, vielleicht auch flächendeckend, umsetzen können.

Wir haben beispielsweise in der Coronapandemie bei der Lehrlingsausbildung starke Einbrüche gehabt. Ich möchte ein Beispiel erwähnen. Das war in der Gastronomie und in der Hotellerie. Das war bei uns in Wien ein Riesenproblem, wahrscheinlich mehr als in anderen Bundesländern, weil wir mit dem Konferenz- und Kongresstourismus eine Form des Tourismus haben, der besonders von der Coronapandemie betroffen war. Die Schwierigkeit war: Während die Hotels gesperrt hatten, war es natürlich für Lehrlinge ganz schwer, ihre Lehre abzuschließen. Die waren im zweiten oder dritten Lehrjahr, das Hotel war geschlossen – weil keine Touristen da waren –, und die Frage war: Wie schaf­fen die trotzdem einen Lehrabschluss?

Ich muss sagen, da hat die Sozialpartnerschaft in Wien wirklich gut funktioniert, da danke ich der Wirtschaftskammer, die da wirklich großartig innovativ unterwegs war, der Arbei­terkammer, den Gewerkschaften, dass man überlegt hat, wie wir mit dem Problem um­gehen. Wir haben es dann gemeinsam mit überbetrieblichen Lehrwerkstätten, aber auch mit engagierten Hoteliers und Gastronomen geschafft, dass die Lehrlinge ihren Lehrab­schluss machen, auch wenn alles geschlossen war. Das war deshalb gut, weil wir jetzt gut ausgebildete Arbeitskräfte haben, die natürlich sofort nachgefragt waren. Die haben sich gar nicht viel bewerben müssen, die sind natürlich blitzartig mit tollen Jobs versehen worden.

Also das möchte ich nur als Beispiel anführen: Wenn sich ein paar gescheite Leute zu­sammensetzen und auch willens sind, eine Lösung herbeizuführen, ist das durchaus auch möglich. Ich würde vorschlagen, dass wir das im nächsten halben Jahr als ganz massiven Schwerpunkt sehen. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen sowie des Bundes­rates Arlamovsky.)

Einen Punkt noch, weil der jetzt erfreulicherweise von der Bundesregierung umgesetzt worden ist, auch mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Kommission, durch das Investitionsprogramm Next Generation: Das war der Reparaturbonus, der vielen Klein- und Mittelbetrieben einen Schub gebracht hat. Ich kann nur sagen, ich freue mich immer, wenn solche Projekte umgesetzt werden, weil ich dann immer zart darauf verweisen darf, dass wir das vorher schon in Wien umgesetzt haben. (Heiterkeit der Bundesrätin Zwazl.) – Freut mich ja! Ich finde das ja gescheit. Das ist in der Politik sehr vernünftig, dass man sagt: Wenn etwas funktioniert, sollten wir es übernehmen und vielleicht auf eine noch größere Ebene bringen.

Ich kann nur sagen, wir haben in der Zeit mit dem Reparaturbonus in Wien 35 000 Pro­dukte wieder in die Kreislaufwirtschaft gebracht – 35 000 Produkte, vom Fernseher bis zu einem Paar Schuhe, was auch immer. Dadurch sind Ressourcen geschont worden, es ist auch der ökologische Fußabdruck verbessert worden, es sind Klein- und Mittel­betriebe unterstützt worden, das ist auch ein Impuls für den Arbeitsmarkt. Also von daher bin ich immer einer, der über Parteigrenzen, über Bundesländergrenzen hinweg sagt: Wenn etwas gut funktioniert, machen wir es, egal, wer die Idee gehabt hat oder wer das vorgeschlagen hat! Ich glaube, wir sollten sehen, Politik ist kein Selbstzweck, sondern wir sollten ja den Menschen dienen und gerade jetzt, in einer so krisenhaften Zeit, ge­meinsam Maßnahmen setzen.

Also das war nur ein kleiner Ausblick. Da ihr eine so umfassende Tagesordnung habt, wie ich gesehen habe (Heiterkeit bei SPÖ und ÖVP), mache ich da jetzt einmal einen kurzen Break. (Bundesrat Steiner: Lang genug ...!) Ich würde mich freuen, wenn wir in der Diskussion vielleicht das eine oder andere vertiefend diskutieren können, bedanke mich noch einmal ganz herzlich, dass ich bei Ihnen, bei euch reden durfte, und freue mich, wenn wir in diesem Sinne entschlossen handeln und die Zukunft sichern. – Danke, Glück auf! (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

9.51

Präsidentin Korinna Schumann: Ich danke dem Herrn Landeshauptmann und Bürger­meister von Wien für seine Ausführungen.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Stefan Schennach. Ich erteile dieses.