20.19

Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Herr Präsident! Liebe Kollegin­nen und Kollegen! Frau Ministerin! Zeitgemäß war die StVO ganz bestimmt nicht mehr, sie ist ein Relikt aus den Sechzigerjahren. Es ist jedenfalls höchste Zeit, dem Aktivver­kehr – das heißt den FußgängerInnen, den RadfahrerInnen – mehr Rechte einzuräu­men. Die Strukturen sind viel zu autolastig und autozentriert, viel zu menschen- und um­weltfeindlich.

Das mag man in den Sechzigern anders gesehen haben, aber heute, denke ich, ist das klar. (Bundesrat Steiner: Na, ist gar nicht klar!) Angesagt ist eine grundlegende Mobi­litätswende, eine ganz grundlegende Verschiebung der Verkehrsanteile, und dabei sind nun einmal – Stichwort Aktivverkehr – die Füße und das Fahrrad – da braucht man ja auch die Füße – ein unverzichtbarer Bestandteil. Ziel ist es ja, bis 2030 den Radanteil in Österreich zumindest zu verdoppeln. Übrigens gibt es dazu eine Vereinbarung und auch ein Bekenntnis der Städte und Gemeinden. Auf dem letzten Städtetag haben alle Ge­meinden und Städte das so verstanden, dass das eine wichtige Sache ist.

Einer der entscheidenden Faktoren in der Verkehrspolitik und in der Verkehrsplanung sind schlicht und einfach die Strukturen und die damit zusammenhängenden Rechte. Es ist im Grunde total einfach, wie Verkehrsplanung funktioniert: Wenn man Straßen baut und die Umweltstrukturen dafür fördert, also zum Beispiel Einkaufszentren draußen, Parkplätze in der Stadt drinnen, dann wird man Autoverkehr ernten. Wenn man Radwe­ge baut, Radabstellanlagen bereitstellt, Ortszentren und Innenstädte stärkt und die Rechte des Radverkehrs verbessert, wird man Radverkehr ernten.

Ich halte das Fahrrad für ein massiv unterschätztes Verkehrsmittel. Es ist weit mehr als ein Freizeitgerät. Schauen wir nur auf die Statistik: Fast die Hälfte der Wegstrecken  mit dem Auto, wohlgemerkt  sind kürzer als 5 Kilometer, ziemlich genau zwei Drittel aller Wege mit dem Auto sind kürzer als 10 Kilometer. Also das ist extrem viel Verkehr, und es sind Distanzen, die sehr gut mit dem Fahrrad machbar sind (Bundesrätin Steiner-Wieser: Fährst einmal bei mir daheim übern Berg!), vor allem mit dem zunehmenden Trend zur E-Mobilität (Bundesrätin Zwazl: E-Bike!), also zum Elektrofahrrad, was dann schon eine ganz, ganz wichtige Unterstützung ist.

Ich weiß sehr gut, wovon ich rede, das können Sie mir glauben. (Bundesrat Steiner: Wie heißt der Planet, wo der Alf ...?) Wenn ich nicht gerade in Wien bin, bin ich Alltagsradler, und sehr bewusst haben wir – damit meine ich meine Familie – vor zwölf Jahren das Auto weggegeben. (Bundesrat Steiner: Melmac? Zwischenruf der Bundesrätin Stei­ner-Wieser.) Im Bereich von 10 Kilometern erledige ich alles mit dem Fahrrad. Da wird einem übrigens auch sehr schnell bewusst, wie gefährlich das ist, täglich nämlich, und wie notwendig es ist, Strukturen zu verbessern, die Sicherheit und die Rechte der Rad­lerInnen zu verbessern.

Ich kann Ihnen sagen, es vergeht kein Tag ohne gefährliche Situation, und das stets unter der Rahmenbedingung, dass die Radfahrer ungeschützt sind. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, bitte nicht vergessen: Die haben kein Blech um sich. Eine unachtsam geöffnete Autotür kann einen Radler das Leben kosten. (Bundesrätin Steiner-Wieser: Glaubst du das, was du da erzählst? Heiterkeit bei der FPÖ.) Ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt. (Zwischenruf der Bundesrätin Steiner-Wieser.) Dann fahren Sie einmal und überstehen Sie einmal so eine Situation. Das ist nicht lustig. (Bundesrat Steiner: Wir haben ja von etwas anderem geredet! Du hörst ja die Hälfte nicht!) – Sie stimmen ja nachher dagegen, also so weit hergeholt kann es nicht sein. Ein verstellter Radweg oder Radstreifen zwingt zu einem gefährlichen Manöver. Viele von uns kennen das, und ein richtiger Horror ist so etwas für Kinder. (Unruhe bei der FPÖ.)

Übrigens ist Radfahren auch sozialpolitisch sehr wichtig. Es ist mir ein großes Anliegen, das zu betonen, weil die Individualmobilität mit dem Auto mit Abstand die teuerste Art ist, sich fortzubewegen (Bundesrätin Steiner-Wieser: Ja freilich, mit dem Elektroauto!): über 40 Cent pro Kilometer. Man kann sich leicht ausrechnen, was das bedeutet, da sind wir schnell über 4 000 Euro pro Jahr. Das ist ein Batzen Geld, das sage übrigens nicht ich, sondern der ÖAMTC. Für viele ist das zu viel Geld. Es zeigt übrigens auch die Sta­tistik, dass ganz viele Menschen mit wenig Geld gar kein Auto haben, somit auf den ÖV und auf gute Strukturen für den Rad- und Fußverkehr angewiesen sind.

Übrigens sind Radstrukturen gegenüber Autostrukturen auch für Kommunen viel güns­tiger. Komplexe Straßennetze aufrechtzuerhalten kostet sehr, sehr viel Geld. Das wissen alle hier herinnen, die in der Kommunalpolitik tätig sind, die BürgermeisterInnen. Es ist kein Geheimnis mehr, dass übrigens Städte, die fußgänger- und radfahrerfreundlich sind, die viel beliebteren und lebenswerteren Städte als andere sind.

Ich werde ganz kurz ein paar Aspekte aus der Novelle herausheben, auch in Anbetracht dessen, was Kollegin Grossmann gesagt hat. Eines der wichtigsten Dinge, die eingeführt werden, ist der Abstand beim Überholen. Da spielt es keine Rolle, ob jetzt im Moment ein Messgerät da ist oder nicht, sondern es ist eine Vorschrift, Entschuldigung, und die Abstände sind einzuhalten. Wenn es nicht geht, dann muss man halt hinterherfahren  so simpel ist das. (Bundesrat Steiner: ... Alf auf dem Planeten Melmac! Da ist der Adi dann ...!) Die gefährlichste Situation, die ich und viele andere beim Radfahren erleben, ist, wenn ein Auto mit einem Geschwindigkeitsunterschied von 50 und 80 km/h im Ab­stand von einem halben Meter an einem vorbeifährt. Also da muss man ein guter Rad­fahrer sein, um da nicht zu stürzen.

Wichtig: Das Nebeneinanderfahren in Tempo-30-Bereichen mit Kindern darf man jetzt immer – das ist auch ganz wichtig, auch hinsichtlich des Themas Sicherheit. Es gibt Regelungen, die klipp und klar sind, dass Radwege und Gehsteige endlich freizuhalten sind. Da verstehe ich die SPÖ ja aber schon überhaupt nicht. Das ist gerade in Wien ein Thema. Ich bin oft genug in Wien, um zu sehen, dass Gehwege verbaut sind. Mütter mit Kindern – meistens sind es Mütter – müssen auf die Straße, weil parkende Autos den Gehweg blockieren. Das ist ja unfassbar!

RadlerInnen werden gezwungen, einen Bogen zu machen, und Sie sagen  tut mir leid, das hat mich jetzt echt erstaunt, das hätte ich anders eingeschätzt , ja, das würde Parkplätze kosten. (Bundesrätin Grossmann: Das habe ich nicht gesagt!) Also ich meine, das muss man herkriegen, tut mir leid, das sind schon dünne Argumente, seid mir nicht böse.

Es gibt in Zukunft kein Hetzen mehr bei Ampeln. Also wenn zum Beispiel die Ampel auf Rot umschaltet, während ein alter Mensch, der nicht mehr so gut zu Fuß ist, am Zebra­streifen geht – das kennen wir alle –, darf er in Ruhe weitergehen und die Autos müssen entsprechend stehen bleiben. (Bundesrat Steiner: Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt!)

Ganz wichtig ist übrigens auch ein Durchfahrenkönnen bei T-Kreuzungen, sehr sinnvoll, und sehr erfreulich ist die Regelung bei Schulstraßen und übrigens auch das Thema Schritttempo  es wurde schon angesprochen für Lkws beim Rechtsabbiegen, wenn RadfahrerInnen oder Fußgänger kommen könnten – ganz, ganz wichtig. Dort, wo ich wohne, ein paar Hundert Meter entfernt, ist vor Kurzem schon wieder ein Mensch getötet worden, er ist von einem Lastwagen überfahren worden. Der Lastwagen ist rechts abge­bogen, aber da ist ein Radfahrer gekommen. Das ist nicht das erste Mal dort, es ist wirklich unfassbar traurig, und das ist eine ganz, ganz wichtige Regelung.

Die gegenständliche Novelle der StVO ist noch nicht genug, das sage ich auch. Es ist noch ein Stück des Weges bis zur Gleichberechtigung von RadlerInnen, FußgängerIn­nen im Verkehr, aber es ist eine Richtungsänderung und sie verschiebt die Prioritäten. Sie stärkt die Entwicklung hin zu einer nachhaltigen ökologischen und leistbaren Mobi­lität und einer menschengerechteren Mobilität, das ist ganz wichtig.

Wichtig ist jetzt aber auch – auch das sei angemerkt –, dass die Länder und Gemeinden von den Ermessensspielräumen, die jetzt da sind, auch wirklich großzügig Gebrauch machen. Also: Sattelt die Räder! (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

20.28

Vizepräsident Bernhard Hirczy: Danke, Herr Bundesrat.

Ich bitte, bei den Zwischenrufen den nötigen Respekt gegenüber der Person am Redner­pult zu beachten. (Bundesrätin Steiner-Wieser: Ich habe nur gefragt, ob er das ernst meint!)

Frau Bundesrätin Elisabeth Grossmann hat sich zu einer tatsächlichen Berichtigung zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Bundesrätin.